- 03 - Hui, das schwirrte durcheinander, der eine schrie, der andere schalt über die Narren, die alles glaubten, ...

Hui, das schwirrte durcheinander, der eine schrie, der andere schalt über die Narren, die alles glaubten, der dritte begann seine Sachen zu verstecken, der vierte wollte in seiner Angst ins Bett kriechen und dachte nicht daran, daß schon Preußen drin lagen. Am Morgen war das Detachement verschwunden, und alles war wieder still. Boten wurden nach verschiedenen Richtungen ausgeschickt, aber sie wagten sich nicht allzuweit und brachten dann die Kunde, daß von Soldaten nichts zu sehen sei, nur die Mieten, die einzelne Bürger draußen auf entlegenen Plätzen hatten stehen lassen, um sie im Winter bei bequemer Zeit in die Scheunen zu fahren, seien von den biwakierenden Reitern jämmerlich zerzaust.
Das ging an den Geldbeutel, ging manchem wohl auch noch tiefer, denn es war ein knappes Jahr, in dem man kein Bund Stroh missen mochte. Da mußte man retten, was noch zu retten war; die Leute, die Platz in der Scheune hatten, fuhren sofort hinaus.
Gellert, der in der Frühe schon tätig gewesen war, eine ganz alte, sehr große Sau zu schlachten in der Erwartung, daß das Fleisch in dem kommenden Trubel schon abgenommen werden würde, ließ das Stück hakenrein hängen, das Zerlegen hatte ja noch Zeit, und eilte mit seinem Gesellen hinaus, um wenigstens in der Eile wieder aufzurichten, was herumlag, damit der Regen es nicht verderben konnte. Eva nahm ihre Harke zur Hand und lief selbstverständlich mit, denn dergleichen Arbeit kannte sie, in der Ernte war sie niemals zu Hause geblieben. Der Rektor warnte, Ollhöft wollte wenigstens Eva zurückhalten, sie riß sich los und lief nach. Das wäre auch etwas gewesen, sich von andern erzählen zu lassen, nein, sie wollte selbst sehen und helfen.
Auf dem Galgenberge, wo der alte, morschgewordene Galgen vor Jahren weggeräumt war, stand eine Strohmiete, die Gellert von dem Besitzer gekauft hatte. Dort sah es schlimm aus, die halbe Miete war zerstört und verrissen, in Hast begann man das herumliegende Stroh zusammenzuharken und zu binden und zu packen, und es war gut, daß Eva helfen konnte, das Bücken und Binden ging ihr schneller von der Hand als den Männern.
Plötzlich Geschrei der Nachbarn, gerungene Hände, Winken und Zeigen mit aufgehobenen Armem In der Stadt war Feuer, nein, bei nen Scheunen, nein, doch in der Stadt; da jagten schon die Wagen halb beladen zurück, Männer rannten, Weiber schrien und weinten und liefen, in wenigen Augenblicken war die Gegend geräumt.
Nur Eva stand noch auf der Höhe, ihre scharfen Augen hatten besser als alle erspäht, daß die Rauchwolke jenseits des Burgsees und gar nicht in der Stadt aufstieg, dort konnte nur eine Miete, bei der die Reiter vielleicht achtlos Fener gemacht hatten, niederbrennen, weiterer Schaden war nicht möglich. Aber ihre Rufe waren von dem Geschrei der bestürzten Gadebuscher verschlungen. Lachend machte sie sich an die Weiterarbeit, band und trug herbei und lud auf die Miete, so hoch ihre Arme reichen konnten, dann schuf sie sich mit Bunden eine Unterlage, um hinaufsteigen und alles kunstgerecht packen zu können.
„Pst, pst, Jungfer!“
Sie sah überrascht auf und entdeckte einige Köpfe, die hinter einem Gebüsch am Abhange des Berges vorsichtig herauslugten, preußische Tschakos, Bandeliere, wie sie sie am vergangenen Tage gesehen hatte. Neugierig ging sie näher.
„Kann die Jungfer von der Höhe wohl Franzosen sehen? Nein, dort nicht, weiter nach rechte nach Wakenstädt zu?“
Eva brauchte ihre flinken Augen recht neugierig - ja freilich, da wimmelte es, auch von Groß-Salitz her. „Woran soll ich wissen, ob das Franzosen sind?“ fragte sie.
„Sehe die Jungfer nur dort hinüber, Preußen stehen da nicht, sind Soldaten da, dann sind es Franzosen.“
„Alles voll,“ berichtete sie eifrig, „sie kommen hierher und sind gar nicht mehr so weit ab.“
„Arbeite die Jungfer nur ruhig weiter, wir wollen ihr kein Leides tun, es wäre gut für uns, wenn die Franzosen die Jungfer arbeiten sähen.“
So flüsterten die Stimmen, Eva begriff und setzte ihre Harke wieder an, aber ihre scharfen Blicke flogen ringsherum - da lief ein Preuße und machte einem Reiter im Grunde bei den Wasserlöchern Meldung, der jagte davon, und da kamen noch mehr Preußen, aus allen Löchern tauchten sie gleichsam plötzlich auf, schlichen an den Berg und verteilten sich, einige lagen hinter den Büschen, einige banden Bündel Stroh, als wären es Reste von Hocken, und stellten sie vor sich, ein Dutzend kroch sogar zu der Miete, drei legten sich hinauf und die andern standen unter der Deckung.
Eva arbeitete immer eifrig, sie warf den gegen den Berg Heraufsteigenden flink einige Bunde zu und freute sich, wie sie alles übersehen konnte, als wäre sie die Kommandierende.
Die Franzosen kamen näher und faßten kein Arg, da sie die Landarbeiterin bei friedlicher Arbeit sahen; dann rief ihr wieder eine Stimme zu: „Hinter die Miete, Jungfer, hierher, hinter uns!“
Und dann zuckte plötzlich Feuer aus hundert Läufen. Drüben hörte man wütendes Geschrei, rasche Befehle, Trompeten riefen, die Masse wogte wieder heran, abermals fuhren aus der Deckung heraus neue hundert Blitze, und von den Feinden sanken viele auf den Grund. Aber sie verteilten sich, warfen sich auch in Deckung und schassen herüber, Kugel sausten, Verwundete schrien, Schüsse krachten - da in nächster Nähe, einer, der sich aufgerichtet hatte, zu laden, schlug um und rollte den Berg eine Strecke hinab - und dort wieder einer - und die Leute lagen dann so unheimlich still - nach welcher Seite Eva auch ausspähen mochte, überall Knattern, Pfeifen der Kugeln, ladende Soldaten, stürzende Verwundete, platt daniederliegende Tote. Wie es ihr schien, kam die Übermacht der Franzosen näher und näher.
Da dröhnte der Boden, scharfe deutsche Befehle, wie das Wetter sausten Pferde den Berg unter klatschenden Peitschenhieben hinauf, einige bäumten sich, es lag eins, Leute liefen anscheinend in Verwirrung und faßten ein seltsames Gefährt, lagen in den Speichen. Abermals ein scharfes Wort. Neben ihr sagte jemand: „Die werden’s tun,“ dann gab es einen furchtbaren Krach. Fast verlor sie die Besinnung in dem Höllenlärm, denn da standen zwei - drei - ja, Kanonen mußten es sein, die mit ihren entsetzlichen Feuerstrahlen die Luft erschütterten, daß das Herz unter dem Druck bebte. Dazwischen das Knattern der Gewehre und das Geschrei der Verwundeten - sie preßte die Hand auf die Brust und sank in die Knie und gab sich verloren und schloß die Augen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!