- 02 - „Das wäre noch besser!“ „Was haben wir mit Napoleon zu tun?“ „Da müßte er lange Beine haben.“ ...

„Das wäre noch besser!“ „Was haben wir mit Napoleon zu tun?“ „Da müßte er lange Beine haben.“
„Napoleon ist in Berlin, das sagt wohl alles,“ versetzte der Rektor.
„Nun sieh einer an, das hab ich mir doch gleich gedacht.“
„Ich möchte wahrhaftig nach Berlin zu Fuß gehen, nur um ihn zu sehen, er ist doch ein tüchtiger Kerl.“
„Ihr seid alle Narren,“ schalt der Rektor, „und macht beide Augen zu; so lange verkrocht ihr euch immer hinter Hannover und Preußen, nun ist beides hin. Napoleon ist in Berlin der Herr, was fragt der nach dem kleinen Mecklenburg?“
„Er sieht es am Ende heute schon so an, wie die Köchin das fette Huhn auf dem Hofe,“ sagte Gellert.
„Herr - Herr Rektor! Um Gottes Barmherzigkeit willen - kann das sein?“ Ollhöft war aufgestanden, am ganzen Leibe bebend reckte er seine Arme wie erbarmenflehend aus. „Napoleon in Berlin? und die preußische Armee? -“
„Mein alter Freund, was soll ich es verschweigen? Der Bürgermeister hat Nachricht erhalten, daß es eine preußische Armee nicht mehr gibt, sie ist zersprengt oder hat kapituliert, nur Blücher soll sich noch mit einem kleinen Teile halten.“
Ollhöft fiel ächzend in seinen Stuhl zurück, alle hatten Mitleid mit ihm.
„Wo ist der Jude mit seinem verdammten Napoleon?“ rief der Brauer Rotgeter.
„Halt den Mund du, der Bonaparte hat seine verfluchten Ohren überall.“
„Dies ist keine Zeit zum Fluchen, sondern zum Beten,“ sagte der Rektor. „Wer wird aus schützen? Der Tyrann wird nicht eher satt, als bis er in der ganzen Welt Blut geschmeckt hat.“ Seine Augen blitzten zornig, aber die Masse wurde ganz kleinlaut. Sie dachten alle unwillkürlich an Palms Schicksal und sahen scheu auf den mutigen Mann, einer nach dem andern griff nach Mütze und Stock und machte sich davon. Bald waren der Rektor Gellert und Ollhöft allein.
„Kopf hoch, mein alter Unteroffizier,“ sagte der Rektor und legte dem Torwärter die Hand auf die Schulter, „der alte Fritz war nach Kunersdorf gerade so schlimm daran, und er hat doch den Sieg behalten. Ich denke, der alte Gott von damals lebt noch.“
Ollhöft nickte, stand schwerfällig auf und stützte sich auf seinen Stock.
„Ja, ich glaub’s,“ sagte er, und weiter sagt er nichts.
In der Stadt löste die sichere Nachricht von der entscheidenden Schlacht große Erregung, man rannte über die Ansicht des Rektors weg, die Tat von Jena war zu gewaltig, viel Staunenswertes hatte Napoleon schon vollbracht, aber nichts, was der Zertrümmerung von Preußen gleichkam. Überall in den Häusern lebten die Erinnerungen wieder auf, wie der alte Fritz einst Mecklenburg ausgesogen und gemißhandelt hatte, man war ganz ohnmächtig gegen Preußens Gewalt gewesen. Zukünftig war dies nicht mehr zu fürchten, das hatte Napoleon gemacht. Hoch Napoleon! In die Schustergesellen kam Siegeszuversicht, überall hatten sie das große Wort, die Maurer aber fühlten sich bei Jena gleichsam mitgeschlagen und wurden ganz kleinlaut. Noch wehrten sie sich in kleinen Scharmützeln, aber sie kämpften gleichsam nur um den Rückzug. Nun wollte man aber in der Stadt Genaueres von dem Helden wissen, jeder Fremde, der durch ein Tor kam, sollte berichten und wußte nichts. Nur der Bendhöfer Stadtpächter, der eine Kornfuhre in Schwerin abgeliefert hatte, brachte das Gerücht mit, daß flüchtige Preußenscharen sich nach Mecklenburg hineingeworfen hätten und daß in Schwerin sehr große Sorge herrschte, sie möchten auf Hamburg zuziehen wollen, dann müßte ihr Weg sie durch die Schweriner Gegend führen, und da natürlich die Franzosen sie verfolgten, so war man vor Kriegstumult nicht sicher.
Ha, wieder die Preußen, von denen Unheil über Mecklenburg kam! Wenn man sie doch nur rechtzeitig abfassen wollte, damit sie nicht noch mehr Schaden tun könnten! Hoch Napoleon und seine Franzosen! Es klang nicht dünner, denn es riefen Leute bereitwillig mit, die sich rechtzeitig in Gunst setzen wollten.
Da kam jemand morgens um 10 Uhr durch das Mühlentor gesprengt, bevor der Torwärter fragen konnte woher und wohin, war er auf dem Markte vor dem Rathause - ein preußischer Leutnant mit zwei Husaren! Er sagte Quartier an für 650 Mann Infanterie in der Stadt und 750 Mann Kavallerie in der nächsten Umgegend. Der Bürgermeister protestierte pflichtgemäß, weil er keinen Befehl von seiner Regierung hatte, man erklärte kurzweg, daß man dann das Detachement gewaltsam unterbringen würde, weg waren die Reiter wieder.
Die Preußen kamen, und wie sahen sie aus? Abgerissen, hohläugig, die blasse Not von jedem einzelnen mitgeschleppt, Helme zerbeult, Köpfe verbunden, hinkend an Wunden, zernarbt, erschöpft von Marsch und Mangel und ganz still. Und mitten in diesem Jammer bei jedem noch blitzende Augen und ein verbissener Trotz, der den Kampf bis auf das äußerste führen wollte. Kein Gadebuscher spottete, sie liefen alle und brachten den wackeren Soldaten, was sie geben konnten, und verpflegten und verbanden und hörten von dem erlittenen Elend bescheiden sprechen, aber gerade das ging ihnen ans Herz, und als der lahme Schneider Bock, der den Stelzfuß hatte, es fertig brachte, noch auf Napoleon keck ein Hoch auf der Straße auszubringen, wurde er alsbald von dem Schmied Prange, dem bisherigen Preußenfresser, durch einen Faustschlag zum Schweigen gebracht. Immer noch ahnte man nichts von dem nahenden Unheil, denn das Detachement hatte Befehl, am nächsten Morgen nach Wittenburg zu, also offensichtlich nach Hamburg, abzuziehen.
Abends jagte der Vietlübber auf schäumendem Pferde durch die Straße. „Heraus, Herr Bürgermeister!“ rief er und klopfte heftig an das Fenster. „Verzeihen Sie - in fliegender Eile! Ich war auf Landschaft in Schwerin - Hauptquartier Ostors - Gefecht bei Crivitz und an der Fähre - Preußen immer zurück - wollen nach Lübeck -Franzosen immer hart an der Nachhut unter drei Marschällen mit gewaltiger Übermacht. Morgen sind sie alle hier. Nachbarliche Warnung! Ich schicke meine Frau noch heute nach Dobbertin!“ Weg war er.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!