IV. Der Einbruch der Franzosen.

Beim Bäcker Oldenburg ging es lebhaft her; er hatte neben seinem Geschäft eine Gastwirtschaft mit Ausspannung, und die schlichten Bürger, die gewöhnlich dort verkehrten, hatte ein unbestimmtes Gerücht, daß bei Jena eine große Schlacht geschlagen wäre, dahin gelockt. „Denn, Mutter,“ sagte Gellert im Weggehen, „im Gasthaus kann man manchmal für einen Schilling etwas hören, was ‘n Taler wert ist.“
„Wert ist, ja,“ bemerkte Frau Gellert dazu, „aber es findet sich nur keiner, der ihn bezahlt. Geh nur, Vater, heute hält dich keiner.“
Er fand die lange Gaststube schon stark besetzt. „Ist die Post aus Berlin noch immer nicht da?“ rief Brauer Rotgeter aus seinem Lehnstuhl. „Da geht ja wohl alles kopfunter, kopfüber.“
„Das schadet den Preußen gar nichts, wenn sie mal richtig mit der Nase in den Tran kommen, die haben immer so ein großes Maul gehabt.“ Das rief Schmied Prange.
„Mein Vater hat mir erzählt, daß sie hier bei uns früher gehaust haben wie die Wilden,“ stimmte Schneider Bock bei, der war stets verbittert, weil er von Jugend auf wegen seines hölzernen Fußes viel geneckt war.
„Was sagt denn mein alter Ollhöft dazu?“ fragte Gellert teilnehmend.
„Alles dummes Zeug,“ murrte der Torwärter, der für den Abend einen Vertreter gestellt hatte, verdrießlich. „Und das von der Schlacht, das hat der Bonaparte aufgebracht, weil es mit ihm schlimm steht.“
„Wer hat denn das von Jena gesagt?“ Oldenburg wußte es von durchziehenden Handwerksburschen.
„Haben sie sich wohl ausgedacht, um ‘n Schnaps zu kriegen,“ rief Polier Lürs.
„Laß ihn sich doch so viel herumhauen, wie er will, uns macht das hier bloß Spaß,“ versicherte Weber Großkreuz.
„Ja, du,“ lachte Gellert, „du tust so dick vor einer Maus, als wäre sie nur ein Pfropfen, und wenn sie den Schwanz rührt, schreist du, als wäre sie ein Löwe.“
„Und was man weiß, das weiß man,“ näselte Schuster Rassow, „ich sage nur, daß er den Franzosen ne Konstitution gegeben hat.“
„Schnack uns doch keine Löcher in den Kopf, das kann er ja gar nicht,“ rief Lürs verächtlich.
„Warum kann er das nicht?“ hielt Rassow dagegen. „Er muß doch selbst ‘ne deftige Konstitution haben, sonst könnt er nicht das alles durchmachen.“
„Ist ja Unsinn,“ sagte Brauer Rotgeter, „wie kann er den Franzosen seine Konstitution geben?“
„Warum nicht? Der kann alles, was er will,“ rief Schneider Bock. „Hat er sich nicht zum Kaiser gemacht? He? Und das sag ich!“
„Das kommt mit ihm am Ende so, wie mit Hans Dudeldee,“ lachte Gellert gemütlich.
„Warum nicht?“ rief Bock. „Hat er nicht unsern Herrgott in Frankreich und den Papst in Rom wieder eingesetzt? Er wird sich am Ende noch selbst zum Papst und zum Herrgott machen.“
„Soll man dir mal eins auf dein unverschämtes Maul geben?“ schalt der Kesselflicker Rührdanz. „Unsern Herrgott laß hier ans dem Spiel.“
„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichleit, das ist die Konstitution in Frankreich.“ Nathan, der Schutzjude, der sich in den Winkel hinter der Tür gedrückt hatte, wagte es zu rufen. „Gott, was für ein großer Mann ist der Napoleon! Wo er hinkommt, macht er die Juden frei. Er ist ‘n Messias, wahrhaftiger Gott, er ist ‘n Messias.“
„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit?“ rief Kaufmann Wipper, der immer ein wachsames Auge auf des Juden Geschäftstreiben gerichtet hielt, „was soll das sein? wo hat er das nun wieder aufgeschnappt?“
„Das heißt, daß die Juden dürfen auch Tuch vom vollen Ballen nach der Elle schneiden, sie mögen nicht mehr über Land gehen,“ sagte Gellert.
„Gott, was für ein Messias,“ rief Lürs.
„Nein, ader alles, was recht ist,“ brummte der Bäcker Kues. „Warum soll ich keine Honigkuchen backen? Platenkuchen und Topfkuchen - ja; aber als ich Honigkuchen und Zuckerpuppen backte, hat mich der Konditor angezeigt.“
„Natürlich, warum sollen die Schneidermamsells nicht auch Mannskleider machen? Das wird ‘n ganz Teil billiger,“ stimmte Lürs zu.
„Und dann binden sich die Handlanger ?n Schurzfell um und kommen auf den Bau und wollen auch mauern,“ antwortete Bock.
„Ja, wenn sie kopfüber wieder herunterkommen wollen,“ fuhr Lürs auf.
„Laßt doch die dumme Kabbelei,“ rief Schmied Prange. „Hier handelt es sich um ganz etwas anderes. Ist das mit Jena wahr, dann geht da manches kopfüber, was nie wieder aufsteht.“
„Ei was, das kann doch der deutsche Kaiser nicht leiden.“
„Den gibt’s ja gar nicht mehr.“
„Paßt auf, Napoleon macht sich noch selbst zum deutschen Kaiser,“ meinte Wipper.
„Und unser Herzog? Der soll dann wohl immer untertänigsten Diener machen?“ rief Brauer Rotgeter.
„Haben nicht der Bayer und der Württemberger vor ihm herumgebettelt, bis er gesagt hat ,Nun gut, so sollt ihr Könige sein?? Er ist ein ganz gewaltiger Mann,“ beharrte Wipper.
,,Pah, guck bei ihm doch auch einmal nach unten, da steht die Teufelspfote heraus,“ rief Rührdanz.
„Wahr bleibt wahr, er regiert die Welt.“ Prange schlug auf den Tisch.
„Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest,“ versetzte Rührdanz prompt.
„Wenn er überall selbst so regieren und exerzieren soll, was muß der Mann nicht alles im Kopf haben?“ rief Rassow.
„Darum hat er aber auch nichts im Herzen behalten,“ sagte Rührdanz dagegen. „Man muß genug von ihm haben, wenn man hört, wie er den unschuldigen Nürnberger Buchhändler hat totschießen lassen.“
„Das ist wahr, der Mann hat gar kein Gewissen.“
„Und daß noch ein Mensch ein Wort für ihn sagen mag.“
„Wird immer so sein; was zusammengehört, das kommt zusammen, die Krähen finden auch immer gewisse Schweine heraus, auf die sie sich setzen.“
„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! Nathan, hörst du wohl? Gott, was für ein großer Mann ist der Napoleon!“
Zornig blitzten die Augen, heftig schlugen die Fäuste auf den Tisch. Nathan schob sich vor dem ausbrechenden Tumulte aus der Tür, er war nicht sehr für die handgreiflichen Beweise.
„Kinder, Kinder,“ mahnte Oldenburg, der nicht gern noch mehr Gäste verlieren wollte, „immer gemütlich. Das ist für uns doch alles ganz gleich, was da in Nürnberg oder bei Jena passiert.“
„Nein, Oldenburg, das kann wahrlich uns nicht gleich sein, denn wie dort, so kann es auch bald hier bei uns zugehen.“ Der Rektor Trautmann sagte es, er stand in der Tür.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!