- 06 - Mademoiselle Duvendier saß in ihrem Zimmer am Klavier, und da der Tag schön war und die Sonne noch ...

Mademoiselle Duvendier saß in ihrem Zimmer am Klavier, und da der Tag schön war und die Sonne noch einmal recht warm schien, so hatte sie die Fenster geöffnet. Neugierig standen einige bärtige Kosaken davor und hörten mit allen Zeichen der Freude zu, denn Mademoiselle spielte flotte Tänze. Leise öffnete sich die Tür, und bescheiden traten die Fremdlinge ein, sie nahten gebückt und demütig und küßten dankbar den Saum ihres Kleides. Das schmeichelte der lebhaften Dame, sie spielte also weiter, und da in ihrer Erinnerung eine Weise auftauchte, die jemand früher einmal als Kosakentanz bezeichnet hatte, leitete sie geschickt dahin über. Plötzlich ein ungefüges Jauchzen und Springen, die Kosaken sprangen freudentoll, saßen hockend, schnellten fast bis an die Decke empor, balanzierten und stampften und schrien in überquellender Lust über die Klänge, die aus der Steppe ihnen hierher gleichsam nachhallten. Und als Mademoiselle geendet, küßten sie ihr wieder demütig kriechend den Saum, legten jeder ein Geldstück auf den Tisch und gingen oder vielmehr tanzten davon und tanzten und sprangen noch auf der Straße weiter, indem sie mit rauhen Kehlen dazu sangen.
Ach, das waren herrliche, liebe, zutrauliche, einzigartige, dankbare, höfliche, gutherzige Menschen, so schwärmte Mademoiselle, und als der Vietlübber mit seiner Frau kam, um sie zu besuchen und sie einzuladen, das Kosakenlager mit ihnen zu besehen, schwärmte sie überschwenglich weiter, so daß er sie anfangs neckte, und als sie nicht ablassen und andere Ansichten hören wollte, etwas ärgerlich zum Aufbruch drängte.
Welch buntes Treiben bei den Scheunen! Ein Pope stand auf einem Leiterwagen und hielt Gottesdienst, die Kosaken hörten andächtig zu und gingen dann davon, die Pferde zu füttern und für eigene Kost zu sorgen. Woher hatten sie den Hammel, dessen Stücke sie in die Kessel verteilten? In Gadebusch war er nicht verschwunden, man munkelte etwas von Möllin, aber da das Fell nirgends zu finden war, so war nichts nachzuweisen. Kaum war die Gesellschaft unter der Führung eines Hetmanns, der Deutsch verstand, an einem Feuer erschienen, da sprangen drei Männer mit struppigen Bärten hervor und küßten Mademoiselle demütig den Saum, und dann tanzten sie ihr offenbar Erinnerung vor. Sie waren wirklich sehr schmierig und sahen recht wüste aus, aber waren doch so liebenswürdig und so dankbar, und so passend wußten sie ihre Gesinnung zu offenbaren! Mademoiselle schwärmte wieder in ihrer Weise ohne Maß und Ziel. Der Vietlübber aber sprach leise mit dem Hetmann, und der gab einem der ruppigsten Gesellen einen Wink. Alsbald kroch und dienerte dieser vor der Mademoiselle, während seine Kameraden einen raschen Sang in Tanzweise anhoben, er wurde zudringlicher und machte endlich Miene sie anzufassen und zum Tauz zu sichren. Da erhob sie entsetzt Einspruch und wich zurück. Aber dann griff der Kosak nach dem Kantschu an seinem Gürtel, schwang ihn drohend und sagte kurz und scharf: „Pascholl!“ (Vorwärts)
Mademoiselle wagte nicht mehr sich zu wehren, die rauhbehaarte, vom Talg des Hammels noch glatte Hand faßte sie, sie wirbelte und flog, und plötzlich hob er sie hoch in die Lust, daß sie kreischte, die Kosaken sangen wilder, ihr Tänzer sprang selbst wie verrückt, und dann ging Mademoiselle trotz ihrer Lebendigkeit der Atem aus.
„Pascholl!“ sagte der .Kosak wieder, ein Wink des Hetmanns aber beendete den Tanz, und da geschah das Entsetzliche, daß der wilde fürchterliche Bart Mademoiselles kleines Gesicht plötzlich verschwinden machte, sie roch Branntwein und fühlte sich von eklem Atem gestreift und geküßt; dann lag der Tänzer ihr zu Füßen, küßte den Saum und glitt zu seinem Feuer zurück.
Wie war Mademoiselle geknickt! wie neckte sie der Vietlübber! wie frohlockten Matthies und Eva, die zugesehen hatten, sie riefen sich „Pascholl!“ zu und versuchten, die Wendungen des Tanzes sich einzuprägen, zur höchsten Belustigung der Kosaken. Pascholl! wo sie sich später unvermutet begegneten, wurde das ihr Gruß, und so klang er noch durch ihr ganzes Leben nach.
Die Russen sollten nicht zum Kämpfen kommen, denn Napoleon drang in seiner gewohnten Weise schnell vor, schlug die entscheidende Schlacht bei Austerlitz gegen zwei Kaiser und erzwang den Frieden. Das gewaltige Ereignis, das gleichsam welterschütternd wirkte, trieb seine Welle bis in die kleine Landstadt, die Schuster erhielten Oberwasser, drangen in die Maurerherberge und bestanden ein siegreiches Gefecht. Der Gerichtsrat Fromm frohlockte über die Wucht Napoleons, er witterte gleichsam die kommende Zeit und stellte sich darauf ein. Dadurch geriet er im Gasthause hart mit dem Rektor zusammen, der es schmerzlich empfand, daß dort bei Austerlitz Deutsche unterlegen waren und die deutsche Kaiserstadt Wien durch den Einzug des Emporkömmlings entweiht. Die Bürger teilten sich nach solchen Vorbildern in zwei Lager, so zog sich der Hader durch das nächste Jahr dahin, und Napoleon sorgte durch immer neue Überraschungen dafür, daß man nicht zur Ruhe kam.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!