- 05 - Die tapferen Wanddrücker brachten die Kunde von dem Geschehenen in ihre Häuser, und da ihnen daran lag, ...

Die tapferen Wanddrücker brachten die Kunde von dem Geschehenen in ihre Häuser, und da ihnen daran lag, die Aufmerksamkeit von sich abzulenken, so redeten sie viel vom Rektor und vom Vietlübber Herrn, aber noch viel mehr von Matthies und am meisten von Eva. Ihre Frauen, die sehr wohl zwischen den Zeilen zu lesen verstanden, nahmen die Rede auf und besserten daran nach ihrer Weise, und als nun erst die drei Parzen, wie der Rektor sie gern nannte, die Sache in die Hand oder besser in den Mund nahmen, da erst erhielt sie die rechte Prägung. Anfangs war Eva den vornehmen Fremden bis zur Brücke entgegengelaufen, dann hatte sie sie in die Wohnung der Madmamsell Dubendiert gelockt, und wenn der Rektor nicht dazugekommen wäre, dann - aber das Mädchen hatte wahrhaftig den Fremden bis ins Wirtshaus nachgelauert, da war um ihretwillen der Streit entstanden, der beinahe den guten alten Rektor das Leben gekostet hätte. Und nun gar das mit dem Messer! Hatte das nicht Matthies gehabt? Ja, aber sie hatte es ihm aus der Hand gerissen, weil sie den Fremden helfen wollte, und wer weiß, ob sie nicht zugestoßen hätte, wenn der Vietlübber Herr nicht zur rechten Zeit eingegriffen. O Himmel, was so ein Findelkind hätte über die Stadt bringen können! Das hatte das Mädchen gewiß alles von den Landstreichern gelernt. Ja, ja, wo so etwas einmal fest saß, da konnte es nicht mehr ausgerottet werden. Was tat so eine überhaupt in der Stadt? Gellerts waren in sie blind vernarrt, das ging unmöglich mit rechten Dingen zu. Jedenfalls müßte jede Gadebuscher Mutter ihre Töchter sorgsam vor dem Verkehr mit dem hergelaufenen Findelkinde hüten.
Und die Mütter warnten ihre Töchter vor der wilden Dirne so dringlich, daß Eva eines Tages mit Tränen zu ihrer Mutter gestürzt kam, sich zu deren Füßen warf und sich lange vor Schluchzen nicht aussprechen konnte.
„Laß doch die Gänse schnattern,“ sagte Frau Gellert, „darüber muß man nicht lammentieren. Was die Franzosen betrifft, so habe ich ja auch mit ihnen ein Rankonträre gehabt, und wenn ich an die verlebten Gesichter denke, ist mir noch heute so, als müßte ich gleich vonmieren. Aber, Kind, du bist mir noch zu viel auf der Straße gewesen, das wollen wir futuremang abtun, dann werden wir die Leute schon stilisieren.“
So hatte denn diese bittere Erfahrung für Eva das Gute, daß sie ihre Lebhaftigkeit bändigte und von der Mutter sich beim Nähzeug williger festhalten ließ; damit erreichte sie auch, daß die üble Rede allmählich verstummte, zumal die Stadt bald von ganz anderen Dingen in Anspruch genommen wurde.
Da war zunächst der Streit zwischen Maurer-und Schustergesellen. Erst hatte der Polier sich mit dem Altgesellen erzürnt, als der ihn wegen des Erlebnisses mit den Franzosen neckte, darauf machten alle Schuster unter Führung des so sehr geehrten Parisers ihre Franzosenfreundlichkeit nachdrücklich offenkundig, die Maurer aber verhöhnten sie darum, wo es anging, und so kam es, daß an einem Sonnabendabend auf offenem Markte sich eine gewaltige Prügelei für und gegen die Franzosen überhaupt entwickelte, die damals noch unentschieden blieb, weil der allbeliebte Bürgermeister persönlich eingriff. Seitdem lag auf den beiden Zünften eine schwüle Luft wie von fern grollendem Gewitter, ein neuer Ausbruch wurde einstweilen gehemmt durch das Einrücken der russischen Einquartierung gegen Ende Oktober 1805. Die Fremdlinge machten einen guten Eindruck, die Kürassiere bildeten ein stolzes Korps, das lauter auserlesene Pferde, meistens Schimmel, besaß und geradezu durch Haltung und Pracht blendete; die ihnen folgenden Grenadiere, über 700 an der Zahl, hielten treffliche Mannszucht und waren schon für einen Winterfeldzug sorgfältig ausgerüstet. Selbst Ollhöft mußte zugeben, daß er so gut mondierte Soldaten noch nie gesehen habe, die Truppen seines großen Königs waren in dem langen Feldzuge meist sehr abgerissen einhergegangen, man konnte ihm den Ärger an jeder Miene anmerken, er verhehlte sich aber nicht, daß seine einstigen Gegner gewaltige Fortschritte gemacht hatten, und wollte nur abwarten, wie solche Soldaten sich auf dem Schlachtfelde machen würden. Endlich kamen am Tage nach deren Abzug Kosaken, blaue und rote, die lagen freilich außerhalb der Stadt in und hinter den Scheunen, so hatten es die Quartiermacher selbst gewünscht, und die Gadebuscher merkten bald, daß die ihre Leute richtig beurteilt hatten. Sie stahlen wie die Raben und wußten allen Raub so schlau zu verstecken, daß kein Nachsuchen ihn wiederbrachte. So verschwanden einem Kammacher zehn Würste und ein Schinken aus der Küche, in die man durch den Garten her recht gut gelangen konnte, einem Krämer ein Beutel mit Kaffee und ein Sack Rosinen vom Wagen und dem Brauer ein Faß mit Branntwein, dessen Verbleib sich nur aus einer starken Trunkenheit einzelner Kosaken ahnen ließ. Kein Bewachen an den Toren nützte, und doch war klar, daß sich so große Posten nicht ungesehen durchschmuggeln ließen. Hernach sickerte allmählich durch, daß die Kosaken, die ihre Pferde alle Augenblicke zur Schwemme ritten und dabei die Radegast entlang patschten und durchquerten, Schläuche statt der Sättel benutzt hatten und so alles durchgebracht. Aus der Stadt konnte man sie nicht gänzlich fern halten, ohne sie zu reizen, obgleich zuletzt ein Schuster großes Geschrei erhob, als ihm sechs Paar Stiefel von der Hausdiele weggenommen waren. Maurer, die nebenan im Bau beschäftigt wareu, lachten ihn deswegen aus, Schustergesellen ergriffen seine Partei und schimpften auf die „Klutenklarrer“ und „Tagefresser“, die zu drei Mann einen Stein anfaßten, um ihn hinzulegen, und da sie mundfertiger waren, so gewannen sie im Streit. Aber am Abend drangen die Maurer unvermutet in Überzahl in die Schusterherberge und prügelten die vorgefundenen Gesellen windelweich.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!