- 04 - Der Kaufmann Wipper hatte inzwischen mit der Guillotine gespielt. „Klapp - ein Kopf, klapp - ein Kopf, klapp ...

Der Kaufmann Wipper hatte inzwischen mit der Guillotine gespielt. „Klapp - ein Kopf, klapp - ein Kopf, klapp - ein Kopf!“ Die andern lachten vergnügt dazu. „Klapp - ein -“
Plötzlich fuhr ihm ein Schlag über den Rücken. ,,C’est un affron!“ schrie jemand. „Sacré matin! – Fudre! Bête d’Allemand!“ So schwirrte es durcheinander, und es hagelten die Prügel mit den flachen Klingen auf den Verdutzten ein. Die zwei Emigranten waren mit ihrem Dolmetscher und dem Gerichtsrat Fromm unbemerkt eingetreten und sofort mit vereinten Kräften über Wipper hergefallen. Der mochte sich drehen, wie er wollte, man traf ihn von allen Seiten. Der Ellenreiter war sofort aus der Tür gesprungen, andere waren an die Wände gerückt. Der Dolmetscher ergriff das Spielzeug und zertrat es auf dem Boden. Keiner der anwesenden Städter wagte es, gegen die Gewalttätigkeit der Fremden vorzugehen, nur der alte Rektor stand auf und trat furchtlos mitten zwischen die Gruppe, und vor seinen blitzenden Augen senkten sich die Klingen; das benutzte aber Wipper, um unter den Tisch zu kriechen. So stand Trautmann vor den dreien allein und ließ seine Blicke zornig aus ihnen ruhen. „Pfui,“ sagte er, „Schande über die Feiglinge, die vereint einen friedlichen Mann hinterrücks anfallen.“
„Monsieur, was wagen Sie?“ fuhr ihn ein Franzose an.
„Notre honneur,“ schrie der zweite.
„Pah, das ist kein Wagnis, und für mich wahrlich keine Ehre, wenn ich mich mit solchen Leuten befasse,“ versetzte der Rektor verächtlich.
„Wir sein les amis von den Herzog in Ludwigslust,“ rief der erste würdevoll und warf sich in die Brust.
„Wären Sie wirklich seine Freunde, dann müßte er sich deren schämen,“ sagte der Rektor.
Entsetzt hob der Gerichtsrat im Hintergrunde seine Hände, im Nu fuhren die Klingen hoch. Der eine Franzose zeigte unter den Tisch und rief drohend: „En avant, monsieur, suivez-le.“ „Unter den Tisch, sonst -“ Die Klingen funkelten, und der muskulöse Dolmetscher schwang seinen Stock.
„Nun, sonst?“ fragte der Rektor zornig, stand gerade und sah die drei nacheinander fest an, „glauben Sie mich mit Ihren Degen einschüchtern zu können? Wenn Sie sie gut anwenden wollen, dann schenken Sie sie Kindern zu Weihnachten. Ich sage Ihnen, daß Sie lügen, wenn Sie sich Freunde unseres Herzogs nennen. Ein deutscher Herzog steht hoch über solchem Gesindel, das der Liederlichkeit anhängt und unreifen Mädchen nachstellt. Pfui über die Schande, daß Deutschland es sich gefallen ließ, den Auswurf der geplatzten Kloake aus Frankreich aufzunehmen.“
„O Gott, Herr Rektor - ich beschwöre Sie -“ rief Fromm wirklich entsetzt, „der Herzog - die Fürsten - deren Freunde -“
„Freunde,“ warf ihm der Rektor erbittert zu, „solche frechen, feigen Lumpen, die mit ihrer moralischen Fäulnis die Länder verpesten -“
Ein Wutschrei der beiden antwortete, einer hetzte immer den andern an zuzuschlagen, sie fuchtelten aber nur in der Luft herum, die blitzenden Augen eines alten Mannes hielten die Frechheit in Zügel, von den Städtern rührte sich niemand. Plötzlich erstarrten die Klingen, als wären sie gebunden.
Ein junges Gesicht war neben dem Rektor aufgetaucht, die etwas eckige Stirn in finsterer Entschlossenheit, düstern Blick in den Augen. Und was vielleicht am meisten zurückhielt, es funkelte ein blankes Messer in der kräftigen Faust. Matthies stand da.
Nur der Begleiter, der sehr rot im Gesicht aussah, weil er bei dem Gerichtsrat kräftig zu trinken Gelegenheit gefunden hatte, war durch des Lehrlings Auftreten nicht sofort eingeschüchtert. „Zum Teufel mit dem dummen Jungen!“ rief er und schwang seinen Stock. „Will der Grünschnabel den vornehmen Herren trotzen?“ Aber weiter kam er nicht, denn neben Matthies stand eine andere Gestalt, die auch seine Waffe band.
Eva war durch die Straßen gegangen, beunruhigt durch die Warnung ihres Pflegevaters. Und als sie in die Nähe des Gasthauses gekommen war, hatte sie wüsten Lärm gehört. „Na,“ sagte neben ihr jemand, „nun sind sie am Ende doch über den Rektor her.“ Sofort schoß sie, ohne zu überlegen, zurück und schrie in ihrer Eltern Haus: „Vater, Vater, sie wollen den Rektor totmachen.“ Gellert erhob sich und langte nach einem Knüppel, Eva aber war schon wieder draußen, fand Matthies zufällig und riß ihn durch das erste Wort mit sich fort. Die beiden liefen in die Gaststube, Evas flinker Blick entdeckte ein blankes spitzes Messer auf einem Seitentisch. „Da, Matthies, da!“ sagte sie und drückte es ihm in die Hand. Neben dem Rektor und dem Lehrling tauchte sie nun plötzlich ans, todblaß, die Faust gegen den Dolmetscher geballt, die Augen voll sprühenden Zornes; der ließ den Stock sinken, die drei wichen vor den Kindern zurück. „Wenn Sie wären un gentilhomme,“ rief der eine dem Rektor zu, offenbar Gelegenheit zum würdevollen Rückzug suchend, „dann müßten Sie uns geben satisfaction mit die blanke Waffe.“ Er zuckte die Schultern.
In die Tür war inzwischen ein kräftiger Herr von vornehmer Haltung getreten, der seine scharfen Augen rasch über die Gruppe hatte fliegen lassen und allmählich belustigt dem Verlaufe gefolgt war. Bei den letzten Worten zackte Unwille über sein Gesicht, er trat indessen gelassen vor und sagte: „Nehmen Sie mich dafür; hier alle Anwesenden, die sich in löblicher Vorsicht an die Wände drücken, werden bezeugen, daß ich ein Edelmann bin.“
„Ah, c’est un autre mot. Votre très humble Marquis de Goutram.“
„J’ai l’honneur – Monsieur de Montaubert.“
Der deutsche Edelmann bildete zu den glatten Emigranten einen schroffen Gegensatz. Er stand in Stulpstiefeln und trug eine Reitpeitsche in der Hand, den Haarbeutel hatte er als unbequem abgetan und trug sein dunkles Haar frei, sein dichter Schnurrbart war borstig, und borstig war die Haltung, und borstig wurde der Gesichtsausdruck, als er mit einem Schritt vorwärts in der Mitte stand. „Ich bin der Gutsherr von Vietlübbe,“ sagte er, „und stehe Ihnen der Reihe nach zu Diensten, allen beiden, mit Degen oder Pistole. Natürlich werden Sie bald mit mir fertig,“ setzte er spöttisch hinzu, „Sie können sich also gegenseitig sekundieren, ich erwarte bis morgen mittag Ihre näheren Nachrichten.“ Damit ließ er sie stehen. Die Franzosen verneigten sich und wollten gehen, da fielen ihre Blicke auf ihren Begleiter, der seine Verwirrung noch nicht abgeschüttelt hatte. Sie waren offenbar froh, daß sie jemand gefunden hatten, den sie ihre Niederlage büßen lassen konnten.
„Monsieur,“ sagte der eine, „votre maladresse hat uns erweckt in diese Ort des embarras.“
„Nous ne sommes pas en relation avec les poltrons,“ fiel der andere ein, und beide traten so mit Glanz ab.
„Was war das?“ murmelte der Preisgegebene vor sich hin. „Da war die kleine Faust, die mir drohte - und die Augen, die mich anstarrten? Wer sagte da ,du wirst dafür? - was werd ich?“ fuhr er auf. „Nichts werde ich dafür, wer will mir etwas?“
Er sah sich scheu um und begegnete Evas Blick, zuckte wieder zusammen und flüsterte. „Dagegen komme ich nicht auf, nicht auf, nicht auf,“ schlich zur Tür und verschwand.
„Mein lieber Herr Rektor,“ rief der Vietlübber Herr und schüttelte Trautmann die Hand, „ich freue mich, daß Sie die Windbeutel so abgetrumpft haben. Kommen Sie nur alle da heraus, die beißen nicht mehr, die haben ihre Zähne längst verloren, wenn sie überhaupt jemals welche hatten.“
„Ich danke euch, Kinder,“ sagte der Rektor und legte den beiden Getreuen die Hand aufs Haupt, „geht jetzt nach Hause, ihr seht, hier ist alles sicher. - Es tut mir aufrichtig leid,“ fuhr er fort zum Vietlübber, „daß Sie meinetwegen in Händel verwickelt sind, ich weiß nicht, ob ich Ihnen danken soll.“
„Tun Sie es nicht, denn es ist dessen nicht wert. Es ging hier, wie man so sagt, drei Schafe über einen Wolf, bei?en sie ihn tot, dann beißen sie ihn tot. Die drei?“ In den Augen des Vietlübbers blitzte es recht jägerschlau. „Was gilt die Wette? Die überlegen jetzt, ob sie heute abend sich noch drücken sollen, sonst morgen mit dem frühesten.“
„Entschuldigen Sie, gnädiger Herr,“ mischte sich Fromm ein, „sie haben mich bestimmt versichert, daß sie einige Tage hier am Orte zu bleiben wünschten.“
„Herr Gerichtsrat, wenn Sie ihnen daraufhin Geld geliehen haben, sehen Sie zu, daß Sie es jetzt gleich wieder erhalten, es ist morgen zu spät.“ Der Vietlübber rief es lachend, aber Fromm hüstelte verlegen und benutzte die erste Gelegenheit, sich auf die Seite zu machen. Er hatte in der Tat ihnen eine erhebliche Summe vorgeschossen in der Hoffnung, durch ihre Empfehlung sich bei Hofe beliebt zu machen, nun ließen sie sich merkwürdigerweise von ihm nicht sprechen unter dem Vorgeben der Beratung über die notwendigen Schritte. Sie hatten insofern die Wahrheit melden lassen, als sie noch in der Nacht auf dem Leiterwagen eines Ackerbürgers heimlich sich davon machten, um sich in der ungastlichen Stadt nicht wieder sehen zu lassen. Ihren Begleiter, den sie zurückgelassen hatten, mußte am nächsten Tage der Büttel über die Grenze der Stadtfeldmark führen, denn gänzlich mittellos hatte er sich gezwungen gefühlt, den Gerichtsrat um Vorschuß anzugehen, und der ließ seinen Zorn an ihm aus.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!