- 05 - Frau Klementia war lange Jungfer bei einer süddeutschen Gräfin gewesen und hatte in jener Zeit eine Menge ...

Frau Klementia war lange Jungfer bei einer süddeutschen Gräfin gewesen und hatte in jener Zeit eine Menge Fremdwörter angesammelt, die sie nun unaufhörlich in ihrer Redseligkeit ausschüttete, ganz gleich, wie sie herauskamen, ob gerade oder schräge oder ganz verdreht. Sie dachte sich nichts dabei, war eine tüchtige, kräftige Schlachterfrau, die sich wenig darum kümmerte, ob man sie wegen ihrer Schwäche hinterrücks belachte. Ins Angesicht wagte so leicht keiner es, denn sie trumpfte sehr mundfertig und oft mit recht witzigem Wortspiel ab und hatte die Lacher auf ihrer Seite.
„Nein, ich war im Garten,“ sagte Gellert und ließ es gemütlich geschehen, daß seine Frau ihm ein Paar bequeme Schuhe herbeirückte und sich bückte, um seinen derben Stiefeln auf die Spitze zu drücken, während er sich bemühte sie auszuziehen.
„Ja, das konnte ich mir denken, im Garten! immer dein Garten. Um jede Erbse, die frisch keimt, möchtest du gern ein Menuett tanzen. Ich könnte dir ein ganz opponentes Essen anrichten, und du ließest es um den lieben Garten kalt werden.“
„Nein, Mente, diesmal war -“
„Nein, Gellert, dieses Warten verdrießt mich. Wenn ich dir das blümerant sage, hörst du nicht, ich muß dich mal wieder sepperat vornehmen.“
„Ich hab ja draußen gestanden, Mente -“
Ja, und wie immer dich mit großen Trajekten getragen, und werden tut nie etwas Rechtes daraus, das weiß ich wohl.“
„So laß mich doch zu Wort kommen,“ lachte er vergnügt, weil er längst wußte, wie alles gemeint war. „Ollhöft hatte das Tor verschlossen, und ich stand mit einem ganzen Haufen draußen und mußte warten. Man sagte uns, er habe ein Mädchen aufgegriffen, das seinen Angehörigen davongelaufen war. Weber Jakob hatte oben aus seinem Fenster zugehört und rief uns nun zu, daß es einem Rekruten zum Durchbrennen verhölfen hätte, und Matthies soll den Werber zusammen mit ihm in eine Torfkuhle gelockt haben.“
„Gellert, ich lasse mich nicht mistefixieren, das will ich dir sagen. Matthies ist ein Prachtjunge, aber einen Werber kriegt der nicht in die Torfkuhle.“
„Ja, ja, ein Prachtjunge,“ sagte Gellert seufzend. ,,Wenn ich so im Garten still arbeite, dann kommen mir doch immer die dummen Gedanken. Hätten wir damals zugegriffen, als seine Eltern starben, - so aber steh ich da immer so allein herum.“
Frau Klementia hatte während dieser Worte unruhig an ihrer Schürze gestrichen. „Ich will die Lampe anzünden,“ sagte sie bedrückt, ihre gute Laune war sichtlich verflogen und kam auch durch das Licht nicht wieder. Der Schlachter trug seine schweren Stiefel beiseite, stellte sie still in eine Ecke des Durchganges zur Küche, wo allerlei Geräte und Kleider hingen, ging wieder in den Laden und stocherte an der Lampe herum, die den großen Fleischblock recht beleuchten sollte. Da kam der Bürgermeister mit seinem Schützling in die Tür und bot in seiner freundlichen Weise die Tageszeit. Sofort war von den beiden Eheleuten der Druck genommen.
„Hier bringe ich etwas, Meister,“ sagte er, „und will gern selbst sehen, ob es Ihnen gefällt.“ Mit diesen Worten schob er die Kleine vor, der er unterwegs von der Eigenart der beiden Leute allerlei Faßliches gesagt hatte.
„Her damit, Herr Bürgermeister,“ rief Gellert mit seiner dröhnenden Stimme und hob das Kind auf den Haublock. „Es ist zwar noch nicht richtig ausgemästet, aber das macht nichts, ich finde schon Leute, die so junges Fleisch haben wollen.“ Bei diesen Worten nahm er sein großes Messer zwischen die Zähne und bemühte sich nun auszusehen wie der Menschenfresser vor dem kleinen Däumling. Und Eva reckte die Hand aus und klopfte seine recht horstige Backe.
„Was ist das?“ rief er, das Messer fiel ihm aus dem Munde und klirrte am Boden. So verdutzt war er, daß sein Mund eine Weile offen stehen blieb, die Kleine lächelte ihm zu. Da klatschte er jauchzend die Hände zusammen, hob das Kind so hoch auf, daß es fast die Decke berührte, und tanzte mit ihm singend im Laden herum.
„Darf ich Sie infetieren, daß Sie sich setzen, Herr Bürgermeister?“ sagte Frau Gellert mit höflichem Knix. „Faschier dich doch nicht so, Gellert! Das hilft nichts, der Mann ist gerade wie ein Kind und für so freundliche Kinder immer passionniert.“
„Das macht wohl, weil er keine Kinder hat,“ sagte der Bürgermeister und nahm Platz.
„Ja, und nun glaubt er, daß ihm alle Kinder gehören, die ihm begegnen.“
„Dann käme dieses hier am Ende gerade recht, es ist aus der Fremde uns zugelaufen und scheinbar ganz verlassen. Wie wäre es, Frau Gellert?“ Er sah die Frau fragend an. Deren frisches, rundes Gesicht zeigte sofort Ernst und Bestürzung, denn sie begriff, um was es sich handle.
„Ist es das, Herr Bürgermeister, das - mit einem Rekruten durchgebrannt ist und - den Werber - in die Torfkuhle gelockt hat?“ Sie war ganz entsetzt.
„Unsinn, Frau Gellert, das ist wohl schon Leuteklatsch, ohne den es hier nicht abgeht. Dieses Kind - sehen Sie nur - ist das nicht seltsam?“ -
Der Schlachter hatte Eva auf den Boden gesetzt und bemühte sich nun, ihr einen langsamen Rheinländer beizubringen, und sang dazu ein Tanzlied:

  „Mädel, kämm dich, putz dich, wasch dich schön,
  Wir woli’n heute abend auf den Tanzboden gehn.“


Der Bürgermeister wollte Zeit gewinnen, um die Lieblichkeit des Kindes wirken zu lassen. Er sagte also: „Ihr Mann tritt trotz seiner Völligkeit so leicht auf, als federte sein Schritt.“
Gellert sang und tanzte mit Eva:

  „Und dann geht es mit Bedacht
  Auf der Diele immer sacht,
  Manchmal rundum, txalala,
  Manchmal querdurch, hopsasa.“

„Nun ja,“ sagte Frau Gellert, „am Leibe ist er von guter Prostitution, aber am Geiste ist er ganz kindlich und weiß gar keinen Unterschied. Wenn ich nicht so ressolut wäre, dann würde er das Geschäft wohl ganz ang bagatell trätieren. Aber was Sie da von der Kleinen sagen, - ich bin doch ganz konstenniert, Herr Bürgermeister, so ein Kind von der Landstraße - und da weiß man nicht einmal, was für eine Konfektion es hat -“
„Ihr Vater sei Ballettmeister, sagte sie, und daß es richtig ist, können Sie sehen.“
„Ja, ja, von Prosission, das will ich wohl glauben, aber wenn das Kind nun eine andere Konfektion hat als wir - ich muß doch mit der Kleinen beten können. Wenn ich nur etwas von ihren Antependentien wüßte.“
Sie rückte unruhig auf dem Stuhle, der Bürgermeister merkte, daß sie sich nur mühsam durch ihre Gewissenhaftigkeit zurückhalten ließ, ihrem mütterlichen Triebe zu folgen. „Kann Sie das kümmern?“ sagte er. „Vor dem Kinde liegt die Zukunft und das, was Sie daraus machen werden mit Hilfe der Religion dessen, der da sprach: Lasset die Kindlein zu mir kommen.“
„Noch einmal,“ bat Eva jetzt gerade, und der Schlachter tanzte und knipste mit den Fingern dazu, daß es knallte wie Pistolenschüsse.
„Ob es wohl patschent ist?“ sagte Frau Gellert, „es sieht so koloriert aus - so - so marmoriert.“ Sie erhob sich, setzte sich wieder und zerrte an ihrer Schürze.
„Das alte Bettelweib hat ihr immer mit den Knöcheln ins Gesicht geschlagen, davon wird das kommen,“ antwortete der Bürgermeister.
„Wa - was? dem Kind? dem Kind?“ Sie schnellte auf und hatte mit sicherem Griff die Kleine auf den Schoß gezogen. „Mein Süßing - o Gott, nein, wie du blaßiert aussiehst - Mann, Mann, dabei kannst du noch tanzen und lachen? Ach Götting, wie ist das ramponiert du sollst nicht wieder auf die Landstraße, du sollst bei uns bleiben, - Gellert, schweig still und setz dich - das Kind soll nicht wieder weg - ich sag, es soll nicht wieder weg. Ich will den sehen, der es mir aus den Armen nehmen wollte. Mein Puting, mein Liebling, willst du bei uns bleiben? Ja? O mein Herrgott, wie das Kind lächeln kann, es nimmt ja gleich das ganze Herz weg, man behält nichts davon für sich. Herr Bürgermeister, wenn Sie uns freie Hand geben, - halt, Gellert, nimm einen Augenblick, aber faß sie sachte an, sie muß mit Finessie behandelt werden - Herr Bürgermeister, es wird sich alles arrangschieren.“ Sie war mit der Angelegenheit fertig.
„Muß ich mir wirklich keine Vorwürfe machen, daß ich Ihnen eine solche Last auferlegt habe? Dann kann ich ja gehen.“ -
„‘Ne Last?“ sagte der Schlachter und ließ die Kleine fliegen, „Mente, sieh, welche Last.“ Er lachte.
„‘Ne Last?“ sagte Frau Klementia. „Darüber machen
Sie sich keine Skrofel. Mit dem Loschie wird es sich machen, wir schlafen oben im Frontespitz, und daneben ist eine Kammer für das Kind. Wir danken Ihnen herzlich für die Ehre, rekummandieren Sie uns bestens Ihrer Frau, und nun - Gellert - Herr Bürgermeister - das Kind -“ Ihre Stimme versagte.
Der Bürgermeister war aber still lächelnd schon zur Tür hinausgegangen, Frau Gellert fuhr herum, nahm das Kind in ihre Arme, küßte es gehörig ab und sagte dann: „Dieses Kind, Gellert, ist eine Gabe des lieben Gottes für mich, und das schenke ich dir.“
Nun erst begriff der große Mann, um was es sich handelte, er machte einen Freudensprung. „Bleibt hier? ganz wahrhaftig bei uns? Da sag ich doch gleich -,“ er sah erregt um sich, „wir - wir - wollen - ja, wir wollen - essen.“ Er nahm die mächtigste Wurst von dem Haken und legte sie der Kleinen in den Arm.
Eva hatte bei ihrem flinken Umherblicken in der offenstehenden Stube schon einen Tisch gesehen, auf dem das Brot zum Abendessen bereit lag. Da trippelte sie mit der Wurst im Arm herbei, faßte Frau Gellert, zog sie zum Tisch und sagte: „Da sitzt du,“ und holte den großen Mann heran und sagte: „Da sitzt du. Und ich will hier sitzen.“ Sie rückte sich einen Stuhl zwischen beide. Die Frau war aber durch das alles so überwältigt, daß sie das Gesicht hinter ihrer Schürze verbarg und sich erst satt weinte. Der Schlachter legte seinen Arm um sie und das Kind und zog beide still an sich, und nur zuweilen fuhr er leise liebkosend seiner Frau über das blonde Haar.
„So,“ sagte diese sich aufrichtend, „das war ich unserm Herrgott schuldig dafür, daß er uns endlich gegeben hat, was er uns schuldig geblieben war. Und nun, mein Herzblatt, was sagst du dazu, daß du mit einem Male hier bist?“
„Ich will nicht wieder weg von dir, Mutter.“
Jauchzend schlug der Schlachter Gellert auf den Tisch, gab seiner Frau einen herzhaften Kuß und sagte: „Mutter! und nun sage auch einmal Vater!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!