- 02 - Die Alte kicherte. „Ach, der Signor scherzt, ach Gott, nein, er scherzt. Ja, wenn ich solch ein Kindchen hätte, ...

Die Alte kicherte. „Ach, der Signor scherzt, ach Gott, nein, er scherzt. Ja, wenn ich solch ein Kindchen hätte, wie wollte ich es lieb haben, wie könnte es mir helfen auf meinem schweren Gange; seine Augen brauchen die Menschen nur auzusehen wie jetzt, und alle Herzen gehen auf.“
Der Signor runzelte die Stirn. „Scherz? wer wagt Pollinis Worte im Scherz zu nehmen? - Nimm sie hin, wenn du sie haben willst, sie sei dein.“
,,O Gott, o Gott,“ die Alte wurde erregter, „das wäre ja ein großes Glück für mich. Es ist wahrhaftig ein liebliches Kind. Und es ist doch gewiß die Tochter des Signors?“ Sie sagte es lauernd.
,,Mein dem Fleische nach, nicht mein der Art und dem Geiste nach, sie ist nach der Mutter eingeschlagen und darum ein Hemmschuh für meine erhabene Bahn aufwärts. Noch einmal betone ich: Willst du sie haben, so nimm sie hin.“
Das Weib begriff sofort schlau die Sachlage und streckte ihre dürre, schmutzige Hand nach dem Mädchen aus, das klammerte sich an den Vater, aber es konnte kein Wort in seiner Angst hervorbringen. „Komm doch, mein Püppchen, mein Herzchen, mein süßer Liebling, komm doch, du sollst sehene, daß Lewinsch eine einzige Mutter sein kann und kann Kindchen so lieb haben, ach, so lieb.“
„Halt,“ sagte der Signor und verlor plötzlich alle Haltung, „zu jedem Geschäft gehört ein Trunk, dort ist der Krug, du wirst mir anstatt des Weinkaufs einen Schnaps bezahlen.“
,,Ja, ja, werd ich, die alte Lewinsch wird das tun, Lewinsch hält etwas auf sich, Lewinsch ist eine ehrliche Frau.“ Sie war schon auf dem Wege zum Kruge. „Einen und auch zweie. Mein Täubchen, du kleiner Engel, gib mir dein Händchen - nein? Du wirst es noch lernen, du wirst es ganz gewiß noch lernen.“
Die Kleine wagte den Vater zurückzuzerren, da hub er mit einem schweren Fluche den den Stock auf, als wollte er sie niederschmettern, und zog sie dann hinter sich her in die Wirtsstube. Drinnen war kein Gast weiter, der mürrische Wirt bediente das sonderbare Paar wortkarg.
,,Noch einen,“ sagte der Signor Pollini. Die Alte ließ sich nicht nötigen. „Ein eheliches Kind?“ fragte sie augenzwinkernd, als sie anstießen. „Ehrlich, natürlich.“
„Und die Mutter?“
„Die liegt zu Hause und wird bald abkratzen,“ sagte Pollini, er wiegte mit dem Kopfe gleichgültig irgendwohin und stürzte den Schnaps hinunter. „Noch einen!“
„Nein, nun ist es genug, ich finde mein Brot nicht auf der Landstraße.“
„Wo denn sonst? Meinst du, ich hätte nicht gesehen, daß dein Beutel voll Groschen steckt? Noch einen, oder das Geschäft geht zurück.“
Die beiden stritten miteinander, keiner hatte darauf acht, daß die Augen des Kindes wie in Todesangst weit geöffnet sie anstarrten. Lewinsch sah bald ein, daß sie durch Bezahlen von Schnäpsen ihre Vorteile aus der Hand gab ohne Sicherheit. ,,Ich will dir einen Vorschlag machen,“ sagte sie hart und kurz, „ich gebe dir einen Groschen, und damit ist alles abgeschlossen.“
„Und ich will verdammt sein, wenn ich es unter acht tue.“
Schimpfend und keifend zog das Bettelweib den schmierigen Geldbeutel, aber hielt ihn so, daß der andere nicht hineinsehen konnte. In diesem Augenblick fuhr ein Windstoß durch den Schornstein, polterte dumpf und stieß gegen die Tür, durch die der Feger einzusteigen pflegte. Lewinsch erschrak, sah sich scheu um und sagte: ,,Nein, hier ist es nicht geheuer, das hat keine Art, wir wollen ins Freie gehen.“
„Ridicule, banal, banausisch,“ murrte der Signor und sah sich sehnsüchtig nach dem Schnaps um, aber er mußte folgen, denn das Weib war schon hinausgeeilt.
Da saßen oben in der Pappel auf einem dürren Ast einige Krähen und schrien und schrien. Abermals fuhr Lewinsch zusammen. ,,Das ist ja so, als wären sie heute alle gegen mich,“ murmelte sie und ging rasch weiter bis dahin, wo die abfallende Straße ihren Blicken den Krug entzog. Der Mann taumelte hinter ihr drein, und als er seine Hand hinhielt, legte sie vier Groschen hinein. „Acht,“ sagte er störrisch, „acht sage ich, sonst nicht.“
„Nun denn acht, aber vorher den Handschlag, und dann fragst du nie wieder nach ihr?“
„Her die Hand,“ sagte er und schlug schallend ein, erhielt seine acht Groschen und wollte sich davonmachen. Aber es zog doch seine Blicke noch einmal zu der Kleinen, die großen Augen sahen ihn entsetzt an, er fühlte, daß ihr Blick ihm einen Stich gab und wurde über sich und über das Kind unwillig. „Untersteh dich und komme mir nach,“ sagte er und hob den Stock auf. „Sollte man’s glauben? Sonst hat sie stets Wasser in den Augen, und nun geht sie dahin ohne ein Wort. Ohne Herz, ganz ohne Herz! Na wart du, du sollst noch einmal versuchen mir in den Weg zu kommen.“ Er brummte es im Weggehen, da hörte et einen schrillen Schrei, so voll Angst und Schmerz und Verzweiflung, daß er zusammenfuhr und unwillkürlich die Hände an die Ohren hielt und so seinen Weg zurücktaumelte.
Als er zu Hause ankam, begegnete er dem fragenden Blick der Kranken. Unwirsch polterte er hier und dort umher, warf Hut und Stock auf den Tisch und untersuchte, ob die Schapsflasche noch einen Tropfen hergeben wollte, sie war aber leer. Er wollte nun sich an das Fenster stellen, aber es war ihm, als zögen ihn die fragenden Blicke an, seine Augen flogen unsicher durch die Winkel und mußten immer wieder zu dem Bett zurückkehren.
„Eva - wo ist - Eva?“ Die Kranke brachte nur mühsam die Worte hervor.
„Wo soll sie sein,“ sagte er, und um sich gleich alles vom Herzen zu schaffen, stieß er roh heraus. „Ich traf eine alte gute Frau auf der Landstraße, der habe ich sie mitgegeben, hier wäre sie ja doch nur verkommen.“
Ihre entsetzt aufgerissenen Augen starrten ihn an, und nur allmählich gewann sie Verständnis für das Fürchterliche. „Sein Kind, der Vater sein Kind!“ Sie konnte es nur flüstern, aber sie raffte ihre rasch schwindenden Kräfte zusammen und flehte. Mein Gott im Himmel, nimm du dich Evas an - sie ist ja vaterlos - und wird bald mutterlos sein - Herr der Barmherzigkeit, höre das Flehen einer sterbenden Mutter.“
„Mach kein Wesen davon,“ sagte er stumpfsinnig, „acht Groschen sind für uns augenblicklich ein großes Geld.“
Da zuckte die Kranke empor und hob drohend gegen ihn die Faust. „Du - du hast sie verkauft? du wirft da-für -“ sie konnte das Wort nicht vollenden, nur ihre Augen sprachen noch den Fluch über seine Tat, dann fiel sie zurück und lag still da.
„Es wäre nie etwas aus ihr geworden,“ sagte er in unsicherem Umhergehen. „Tanzen? ja, aber von Grazie keine Spur, kein Gehör - nichts, du solltest dich freuen. - Freu dich doch über ihr Glück, hörst du nicht? Ich sage, du sollst dich freuen.“ Als er hinzutretend ihre Hand heftig erfaßte, merkte er, daß sie kalt war.
„Tot,“ flüsterte er und fuhr scheu zurück. „Sie sah mich doch noch eben so an - und sagte ?du wirst dafür?? - was wollte sie damit sagen? Was sah sie mich so an?“ Er stützte sich schwer aus den Bettrand, schleppte sich zu dem Stuhl, setzte sich und sammelte mühsam seine Gedanken. Endlich sagte er. „Na, ich bin froh, daß ich nicht Schuld an dem allen bin, sie hat lange genug gelegen, und ich habe entbehrt. Und nun bin ich frei. - Wie das aussieht! Sie hat die Faust noch geballt und die Augen halb offen, als belauerte sie mich. - ,Du wirft dafür? - was werde ich? - dafür - dafür - dafür? Ja, sieh mich nur an, du sprichst kein Wort mehr, und ich habe acht Groschen – ha - was schrie da so? - das geht einem ja durch und durch. Nein, ich muß weg - weg muß ich, dagegen komme ich nicht auf - komme ich nicht auf - nicht auf - nicht auf.“
Hastig hatte er dabei begonnen, einige Sachen in ein Bündel zu schnüren, und als der Abend dämmerte, machte er sich von dannen nach der entgegengesetzten Richtung, wie die Bettlerin mit dem Kinde gegangen war. - - -
Die kleine Eva hatte, unbekümmert um die Drohungen des Vaters, versucht ihm nachzulaufen, war aber von der knöchernen Hand der Alten erwischt und trotz allen Widerstrebens davongezogen. In genügender Entfernung hielt die Bettlerin an und sagte hart und scharf: „Jetzt hört das Plärren auf. Dein Vater hat dich für acht Groschen und zwei Schnäpse mir verkauft, von den Schnäpsen will ich nichts sagen, aber das Geld ist mir sauer genug geworden, das muß ich erst wieder haben, verstehst du mich? Laß das verdammte Plinzen und Schnucksen, was sollen die Leute davon denken. Du mußt mir mein Geld verdienen helfen; bist du willig, dann will ich sehen, was ich für dich tun kann, bist du bockig, so wirst du merken, daß ich noch eine gute Faust habe. So, und nun vorwärts!“ Damit begann für die Kleine der neue Leidensgang, sie mußte für Lewinsch das Betteln erlernen. Anfangs wehrte sie sich, aber der Hungr und grausame Mißhandlung brachen bald ihr Widerstreben, und sie ging hernach, wie sie geschickt wurde. Kindeshand bringt Glück, sagte die Bettlerin, die sehr abergläubisch war, und heimste gierig die Gaben ein, die man der Lieblichkeit des Kindes gern darreichte.
So verstrich der Winter, und der Frühling hielt seinen Einzug, Lewinsch wurde unternehmender in ihren Anschlägen und Streifzügen, aber in Schwerin ereilte sie ihr Schicksal aufgegriffen zu werden. Der Büttel erhielt Befehl, sie vor das Tor zu bringen und auszuweisen mit bei Drohung, daß sie samt dem Kinde würde öffentlich ausgepeitscht werden, wenn sie sich noch einmal im Stadtgebiet beim Betteln betreffen ließen. Der Mann hielt es damit, solche Sache gründlich zu nehmen, denn das Bettlervolk machte ihm die meisten Scherereien, er zeigte also vor dem Tore den Berg, auf dem ein Galgen seinen Arm drohend ausreckte, und erzählte, daß ein geschärster Befehl ausgegangen sei, alles unnütze Gesindel dort möglichst rasch beiseite zu schaffen, schilderte gar getreulich eine Hinrichtung und ließ beide dann gehen.
Lewinsch fühlte sich gedrückt und geschlagen. Natürlich wußte sie, wie weit der Stadtbann reichte, das gehörte zu den Auskünften, die sie in den Herbergen einzog, aber sie wagte doch nicht, das alte Geschäft jenseits so bald wieder anzunehmen, und beeilte sich, von dem ungastlichen Ort mißlichst weit sich zu entfernem So gelangten beide hungrig und müde in die Nähe von Gadebusch und ruhten an einem von breitem Schilf und uralten Weiden eingefaßten sumpfigen Wasserlache aus.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!