Papst Leo XIII. 1810-1903

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1903
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Rom, Papst Leo VIII., Vatikan,
Am Nachmittag des 20. Juli ist Papst Leo XIII. der schweren Krankheit erlegen, welcher der dreiundneunzigjährige Greis eine so erstaunliche Widerstandskraft entgegenzustellen vermochte. Wie in dieser Leidenszeit die rein menschliche Würde des Sterbenden die ganze gebildete Welt zur Teilnahme nötigte, so haben die großen Eigenschaften und Verdienste dieses Papstes während der langen Zeit seiner Regierung unumwundene Anerkennung auch außerhalb der katholischen Kirche gefunden, und noch im Frühling dieses Jahres wurde dies Verhältnis durch die Besuche des deutschen Kaisers und des Königs von England im Vatikan besiegelt.

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Wunderbar war die Lebenskraft des ehrwürdigen Greises, der erst als achtundsechzigjähriger Mann zum Pontifikat gelangte und damals schon in seinem Äußeren ein Bild der Hinfälligkeit schien. Ein Leben reich an Arbeit und Erfolg lag bereits hinter ihm. Einer wohlhabenden Familie in Carpineto entstammend, kam Gioacchimo (Joachim) Pecci daselbst am 2. Mürz 1810 zur Welt. Sein Vater war napoleonischer Offizier. Mit acht Jahren trat der Knabe in das Kollegium der Jesuiten in Viterbo ein, dass er nach sechs Jahren verließ, um seine Studien in Rom im Collegium Romanum fortzusetzen. Sein Lieblingsstudium war neben den klassischen Sprachen die Philosophie; als Schüler der Accademia pontifica begeisterte er sich für die Lehren des Thomas von Aquino, die er später in einer Encyklika als Norm für das philosophische Denken aufstellte. An der Universität Rom studierte er als Doktor der Theologie noch die Rechtswissenschaften und promovierte als Doktor beider Rechte.

Ende Dezember 1837 wurde er zum Priester geweiht. Dem damaligen Papst, Gregor XVI., ward er von seinen Lehrern sowohl wegen seiner Kenntnisse als wegen seiner Charaktereigenschaften ganz besonders empfohlen, und dieser ernannte den siebenundzwanzigjährigen Neopresbyter zum Hausprälaten und zum Statthalter von Benevent. Dort zeichnete sich Pecci durch eine ebenso kraftvolle als milde Verwaltung aus, und nach zwei Jahren sah er sich zum Delegaten der Provinz Umbrien mit dem Sitz in Perugia befördert. Hier waren arg verlotterte Zustände in Ordnung zu bringen; Pecci zeigte sich auch dieser Aufgabe gewachsen: er reorganisierte die Verwaltung, setzte zahlreiche betrügerische und faule Beamten ab, gründete zahlreiche Schulen und erleichterte die Lasten der Bevölkerung durch ein neues gerechteres Steuersystem.

1843 begann dann seine diplomatische Laufbahn. Er wurde als Nuntius nach Brüssel gesandt, wo es ihm gelang, durch sein gewandtes, geistvolles Wesen die Gunst des Königs Leopold I. zu erlangen und der katholischen Kirche in Belgien ihre unabhängige Stellung zurückzugewinnen. Als er 1845 zum Erzbischof von Perugia berufen wurde, besuchte er vor der Heimkehr Deutschland, England und Frankreich. Dreißig Jahre blieb er in Perugia, obgleich Gregors Nachfolger, Pius IX., bereits am 19. Dezember 1853 seine Ernennung zum Kardinal vollzogen hatte. In Antonelli, dem Staatssekretär des neuen Papstes, hatte er einen Gegner, dessen kleinliche Eifersucht seine geistige Überlegenheit gar wohl erkannte, und so kam es, dass erst nach dem Tode Antonellis der Kardinal Pecci in den Vatikan berufen ward; im September 1877 erhielt er das Amt des Kämmerers der katholischen Kirche. Als solcher leitete er nach dem am 7. Februar 1878 erfolgten Tode Pius' IX. die Geschäfte der Kurie, und nach kurzem Konklave wurde er am 20. Februar 1878 zum Papste gewählt; am 3. März erfolgte die Krönung. Mit Kaiser Wilhelm I. und Bismarck suchte er, zur Beilegung des „Kulturkampfes“ in Preußen, sogleich gute Beziehungen; 1885 wurde ihm von Bismarck das Schiedsrichteramt in dem Streit mit Spanien wegen der Karolinen übertragen, das er gern annahm. Ebenso verstand er es, mit den meisten anderen Regierungen Europas gute Beziehungen zu pflegen.

Zu seinem fünfzigjährigen Priesterjubiläum am 31. Dezember 1887 empfing er die Glückwünsche fast sämtlicher europäischer Fürsten, und noch allgemeiner ward ihm zum fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum als Papst in diesem Frühjahr gehuldigt. Italien gegenüber hielt er aber die Ansprüche auf die Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papsttums unverbrüchlich aufrecht. Er betrachtete sich gleich seinem Vorgänger als „Gefangenen“ im Vatikan, doch war seine Lebensweise bei aller Einfachheit die eines Herrschers. Die Schweizerwache und die Nobelgarde in ihren althistorischen Trachten gewähren der päpstlichen Residenz auch militärischen Schutz. Wie die Peterskirche der größte Dom, so ist der Vatikan der größte Palast der Welt. Unser Bild auf S. 596 und 597, das die Peterskirche vom Petersplatz gesehen zeigt, gibt ganz rechts auch eine Ansicht desjenigen Teils des Palastes, den Papst Leo XIII. bewohnte. Der Petersplatz, der in der Umrahmung der Kolonnaden Berninis mit ihren 284 Travertinsäulen den größten und schönsten amphitheatralischen Raum der Neuzeit bildet und über den noch vor kurzem die Scharen der Jubiläumspilger zu Taufenden wallten, war in der Leidenszeit des sterbenden Papstes Tag für Tag von Unzähligen besetzt, deren Augen teilnehmend nach den Fenstern der päpstlichen Wohnung gerichtet war

Papst Leo VIII. 1810-1903

Papst Leo VIII. 1810-1903

Rom, Der Petersplatz mit der Peterskirche und dem Vatikan

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