Herzog der Sachsen und Bayern

Die Zeit Karls des Großen war es, in welcher ein in der Geschichte ausgezeichnetes Geschlecht, das der Welfen, im Süden Deutschlands hervortrat. Graf Welf zu Altdorf, bei Ravensburg im Algau, stebt als Stammvater einer langen Reihe von Nachkommen geschichtlich da, unter welchen Heinrich der Löwe am meisten glänzt. Der Besitz vieler Gebiete in den julischen Alpen und in Schwaben, der ihm selbst den Herzogtitel einbringt, lässt auf ein längeres Bestehen dieses Geschlechts schließen.

Während zwei jüngere Söhne Welfs an dem fränkischen Hofe ihr Glück versuchten, und seine Tochter Judith Gemahlin Ludwigs des Frommen wurde, blieb der älteste Sohn Eticho in den Stammgütern zwischen dem Bodensee, dem Lech und der Donau frei und unabhängig auf eigenem Erbe. Einen seiner Nachkommen, Heinrich, verleiteten Ehrgeiz und Habsucht, 4.000 Mannwerk Landes vom Kaiser Arnulf zum Lehn zu nehmen, und so seine Freiheit zu verscherzen. Ein Welf, der mit dem Kaiser Heinrich II. in Italien gewesen war, wagte es, um das Jahr 1027, sich dem Kaiser Konrad, dem Salier, mit den Waffen in der Hand zu widersetzen, indem er sich an Herzog Ernst von Schwaben anschloss, der sich empörte, und seine Partei durch mehrere Große verstärkte, jedoch sich bald unterwerfen musste. Welf musste durch einen empfindlichen Verlust seinen Ungehorsam büßen.


Dennoch wagte es auch dessen Sohn, sich dem Kaiser zu widersetzen. Als dieser ohne Erben starb, sorgte seine Gemahlin für das Wiederaufblühen des Stammes, indem sie einen Welf aus Italien herbei rief, den Sohn eines italienischen Markgrafen, der Welf des Dritten Schwester zur Gemahlin hatte, und bedeutende Landschaften in Italien besaß. Auf diese Art wurden zwei der mächtigsten Häuser in Deutschland und Italien mit einander verbunden, und dies war der merkwürdige Stamm, aus welchem Heinrich der Löwe entspross. Die Geschichte gibt weder die Zeit noch den Ort seiner Geburt mit Sicherheit an. Doch scheint er 1129 zu Ravensburg in Schwaben geboren zu sein. Sein Vater, Heinrich der Großmütige, hatte die Waffen mit ausgezeichnetem Erfolg geführt, und starb 1139 in der Blüte des Lebens, im Begriff, ein Treffen zu liefern, durch welches der Streit Lothars gegen die Hohenstaufen, welche den Kaiserthron zu behaupten suchten, seiner Entscheidung nahe gebracht werden sollte.

Über seine Erziehung ist wenig überliefert. Sie mag im Geiste jener Zeit gewesen sein. Unter den Augen seiner Mutter — der Vater hat ihn wohl wenig gesehen — wuchs er zum Knaben heran. Dann spaltete sich gemeiniglich alle Erziehung der Edlen in die geistliche oder weltliche. Häufig waren beide vereint. Der Burgpfaff teilte seine Weisheit im Lesen und Schreiben (letzteres hieß ja die geistliche Kunst), das bewaffnete Hofgesinde die Übung der Waffen mit. Oder eine Dom- und Stiftsschule mit ihrem Trivium oder Quatrivium nahm den jungen Edeln auf. Hier wurde ihm manche Gesangesweise, vor allem aber unbedingte Ehrfurcht gegen die Geistlichen beigebracht, die dann in Stiftungen und Donationen reichlich zu wuchern pflegte. Darauf lief das Christentum, welches dort gelehrt wurde, meist hinaus. Das Übrige mag wenig mehr, als unverständliches Formelwesen und dialektische Spitzfindigkeit gewesen sein. Wie wenige Geistliche waren damals, die mehr zu geben vermochten! Und doch war selbst dieses Wenige wichtig, weil es die Ehrfurcht gegen die Geistlichkeit unterhielt, und in einer wilden unbändigen Zeit wenigstens Eine Schranke gegen den Missbrauch roher Gewalt und Anmaßung errichtete. — Heinrich soll in der Stiftsschule zu Hildesheim gewesen sein; dort also mag in ihm der Eifer, das Christentum einst in den Heiden zu verherrlichen, und den Urquell alles Heils im gelobten Lande selbst aufzusuchen, zuerst entzündet worden sein. Doch bedurften solche Ideen nicht erst der Erweckung durch Stifts- und Klosterschulen, sie lagen auch schon im Geiste jener Zeit, und griffen tief in alle Verhältnisse des höhern Lebens ein. Christentum und Ritterwesen verschmolzen in einander; ja ein junges, feuriges Gemüt konnte nur in ihrer Vereinigung die Aufgabe und die Lösung seines Daseins finden. Kräftiger und ihm entsprechender war Heinrichs körperliche Ausbildung. Als Knabe lernte er, was er als Mann einst üben sollte. Ritterliche Übungen aller Art brachte er zu einer solchen Vollkommenheit und Fertigkeit, dass er es allen seinen Gespielen zuvor tat. So im Reiten, Wettrennen, im Schuss der Armbrust, Wurf der Lanze, Schlag des Schwertes. Übertraf er aber alle Gefährten in diesen Kunstfertigkeiten, so war er doch allen lieb und Wert. So stärkte und bildete er seinen Körper zur Ertragung der Mühseligkeiten und Beschwerden, die ihm einst bevorstanden, aus und in dem so ausgebildeten Körper entwickelte sich sein gesunder, kräftiger Geist. Von Weichlichkeit des Körpers wie des Geistes gleich entfernt, liebte er das Kerngesunde, das Kräftige und Rechte in Wort und Tat. Das einmal als gut oder nützlich Erkannte verfolgte er aus allen Kräften; da schreckte ihn keine Gefahr, kein Hindernis, nur ein Sporn es zu überwinden wurde es für ihn. Aber damit entwickelten sich auch alle jene Eigenschaften, die ihn später dem Tadel der Welt ausgesetzt haben, jene Unbeugsamkeit und Hartnäckigkeit in allem, was er behaupten zu können glaubte, jenes Streben nach Reichtümern, das ihn zu manchen Ungerechtigkeiten hinriss, eben weil er ihre Unentbehrlichkeit eingesehen hatte. Nicht um sie als tote Schätze zu bewahren, um das Auge kindisch an ihrer Menge, ihrem Glanze zu weiden, oder um sie zu Schwelgerei und Pracht zu verwenden; das alles war ihm fremd. Aber wohl schienen sie ihm begehrenswert, um damit seine weiteren Pläne zu unterstützen, seine Heereszüge, seine Reisen zu machen, seine Geistlichen und Kirchen auszustatten, seine Städte zu befestigen und zu verschönern. Wenige Fürsten brachten solche Ansprüche an Wiedererwerbungen, (bei seines Vaters Tode war fast kein Stück Landes, was er mit Sicherheit sein nennen konnte), solche Mittel und Gelegenheiten zu Eroberungen mit zu ihrer politischen Bahn, und war er im Erwerben und Erobern glücklich, wem verdankte er es, als seiner frühen Bekanntschaft mit den Waffen, und der Sicherheit und Stärke des Mutes, die ein gesunder Geist in einem gesunden Körper gewährt? Doch hat auch das Glück seinen Anteil gehabt; aber das Unglück machte ihn groß, das Glück führte seinen Sturz herbei.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pantheon Deutscher Helden
Heinrich der Löwe - aus Simrock:

Heinrich der Löwe - aus Simrock: "Die deutschen Volksbücher" 1845

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