Die letzten Jahre und Tod

Heinrich der Löwe begab sich nach Braunschweig zurück, und rüstete unverdrossen seinen ältesten Sohn zum Zuge nach Italien aus, wohin dieser auch bald mit dem Kaiser abging. So glaubte er durch schnelle Bereitwilligkeit, wie sein Sohn durch große, auf diesem Zuge geleistete Dienste, den Kaiser jetzt zur Rückgabe manches ihm Vorenthaltenen zu bewegen, fand sich aber auch diesmal, wie immer betrogen. Aber eines war doch durch jene Aussöhnung und diese Willfährigkeit erreicht: der Friede in Heinrichs durch lange Stürme schwer darnieder gedrücktem Lande. Der Kaiser selbst gebot den benachbarten Fürsten, die Ruhe nicht zu stören. Die Räuber und Bösewichte seufzten; es gab nichts mehr zu morden, zu sengen und zu brennen. Die lange verschlossenen Städte öffneten sich dem Bürger, wie dem Landmanne, der sich vor der Zeiten Ungemach in sie geflüchtet hatte; dem friedlichen Gewerbe wich das Waffengeräusch; nicht mehr die Wälle und Mauern, sondern die Werkstätten füllten sich, und der Wächter stieg von seinen hohen Warten. Von den Burgen zog der Adel zum Waidwerke, nicht zum Überfalle des Unbewehrten und Unschuldigen herab; der Wanderer und der Kaufmann zogen sicher ihre Straßen, und der Handel, des Friedens schöner Zögling, füllte wieder seine Speicher und Markte. Die Felder wurden wieder bebaut, denn die Saaten reiften nun nicht mehr unzeitiger und boshafter Vernichtung entgegen. Friede und Freude war im Lande.

Hatte gleich der alte Herzog dies Glück, das gleich dem Schimmer der untergehenden Sonne noch einige Strahlen in die Nacht seines Schicksals fallen ließ, sehr teuer erkaufen müssen, so stärkte es doch seinen Lebensmut, und gewährte seinem Vaterherzen eine hohe Befriedigung, nicht bloß durch die Aussicht auf die Erneuerung des alten Glanzes seines Hauses, sondern auch durch das Glück, welches seinem Sohne dadurch zu Teil ward. Auch die Freude wurde ihm noch zu Teil, seinen ältesten Sohn aus Italien wieder zurückkehren zu sehen; doch nur mit leeren Verheißungen belohnte der undankbare Kaiser die treuen Dienste des tapfern Prinzen. Seit dieser Zeit tat der alternde Herzog keinen Schritt mehr zur Wiedererlangung des Verlorenen. Die Eroberungs- und Herrschsucht, samt der Unbiegsamkeit, die sonst alle seine Handlungen leiteten, war in stille Genügsamkeit übergegangen, und die Ruhe tat dem Greise wohl.


So auf sich selbst, und einen kleinen Kreis um ihn nunmehr zurückgewiesen, nahm er seine Lieblingsbeschäftigung, die Verzierung und Verschönerung seiner Kirchen, wieder vor. Den Dom zu Braunschweig, welchen er selbst Johannes dem Täufer und St. Blasius gewidmet hatte, und der ihm lieb vor allen war, begabte er am reichlichsten. Ihm schenkte er ein Bildnis des Gekreuzigten, und andere Gebilde von hoher Kunst und Schönheit, und auch ein goldenes Kreuz, mit Edelsteinen reich besetzt, 1.500 Mark Silber an Wert, dessen sich selbst der große Meister in Gold und Silber, Bischof Bernward von Hildesheim, nicht geschämt haben würde. Zierliche Fußböden und Fenster erhöhten die Pracht des Ganzen. Zum Besten derselben Kirche und der übrigen ließ er auch die kostbaren reichen Stoffe, die er zum Teil aus dem Orient mitgebracht, zu Messgewändern und andern frommen Zwecken verarbeiten. Auch die Verzierung der Stadt und Burg selbst vergaß er keineswegs. Die Armen hat er zu allen Zeiten reichlich beschenkt.

Dessen ungeachtet entzog er sich auch den Geschäften der Regierung nicht. Täglich saß er zu Gericht, wo ihm die wichtigsten Streitsachen vorgetragen, und von ihm mit seiner gewöhnlichen Umsicht und Klugheit entschieden, auch noch andere Angelegenheiten des Landes mit väterlicher Sorgfalt abgehandelt wurden. Eine andere und Lieblingsbeschäftigung des alten Fürsten war die mit der Geschichte. Oftmals ist es geschehen, vor und nach Heinrich, dass große Männer, entweder mit ihrer Zeit zerfallen, oder durch Schwinden eigener Kräfte von tätiger Teilnahme an den Ereignissen des Tages gehindert, sich dieser edlen Wissenschaft, der großen Lehrerin der Menschen und der Zeit, erfreut, und in ihr Trost und Ersatz für die Gegenwart, und hohe Belehrung ihres Geistes gefunden haben. Der Mitwelt war Heinrich abgestorben, für neue Taten hatte das Alter mit seiner Gebrechlichkeit, hatten seine Leiden ihm den guten Mut geraubt. Darum labte er sich an dem Spiegel der Vergangenheit in Chroniken und Jahrbüchern. Er ließ sie sammeln und abschreiben, wohl auch neue verfassen, sich vorlesen, und brachte darüber oft ganze Nächte schlaflos zu.

Unter diesen und ähnlichen Beschäftigungen war ihm der Winter bis zum Osterfeste des Jahres 1195 hingegangen. Schon längere Zeit hatte er eine merkliche Abnahme seiner Kräfte verspürt, ohne sich jedoch durch dieselbe bedeutend stören zu lassen, aber in der Mitternacht vor dem Osterfeste, also zwischen dem 1. und 2. April, überfiel ihn plötzlich ein ungewöhnlich heftiger Schmerz, welcher seinen Zustand sehr verschlimmerte. So blieb er fast ohne alle Erleichterung — alle Arznei verschmähte er — bis zum Tage seines Todes. Doch auch jetzt noch setzte er seine frommen und milden Werke fort. Noch trug sich am 23. Juli, am Tage vor Jacobi, in der neunten Stunde ein seltenes Ereignis zu. Von Abend her erhob sich plötzlich eine Wolke, aus welcher mit ungewöhnlichem Glanze, und von einem furchtbaren Donnerschlage begleitet, ein Blitz niederfuhr. Die hölzernen Schindeln unter dem bleiernen Dache des Klosters zu St. Blasien fingen Feuer, und brannten in hellen Flammen auf. Alle Anwesende standen betäubt, nur der Herzog verriet nicht den mindesten Schrecken. Endlich eilte man nach dem Feuer, und schrie, den Herzog in Sicherheit zu bringen, da es schon über seinem Haupte brannte. Doch der, der das Feuer entzündet, wusste es auch zu löschen, ein heftiger Regensturz tilgte es ohne menschliche Beihilfe.

Immer mehr fühlte aber der Herzog die Abnahme seiner Kräfte, und sendete nach seinem Sohne Heinrich, der sich damals in der Pfalz am Rhein aufhielt, und nach Isfried von Ratzeburg, seinem Beichtvater, dem einzigen noch lebenden Bischöfe von denen, die einst Heinrich selbst eingesetzt und belehnt hatte. Isfried erschien, und stand mit Gebet und Zuspruch seinem alten Wohltäter und Fürsten treulich bei, hörte seine Beichte, und reichte ihm darauf, am 2. August, das Abendmahl und das heilige Öl. Auch sein Sohn Heinrich scheint ihn noch lebend getroffen zu haben. So hat er noch unter schweren Schmerzen, aber ohne Seufzer und Klage vier Tage gelebt. Nur den Ausruf vernahm man einige Mal: „Gott sei mir Sünder gnädig!“ Am 6. August 1195 — es war ein Sonntag — starb er, nur im Beisein eines seiner Kinder, aber von einer zahlreichen Geistlichkeit umgeben. Zwischen Scharen von Weinenden wurde er ins St. Blasius-Münster getragen, und vor dem Kreuze, das er selbst errichtet hatte, mitten in der Kirche, zu Mathilden, seiner hohen Gemahlin, in die Gruft gesenkt. Merkwürdig, wie sein Leben, war also auch sein Tod, aber ein Beweis mehr, dass man vor letzterem das erstere nicht preisen soll.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pantheon Deutscher Helden