Achterklärung, Verbannung und Wallfahrt

Dort traf um die Mitte des Novembers, unter Erzbischof Wichmanns Geleit, Heinrich ein, und fand den Kaiser und die Fürsten versammelt. Bereits war Stade, und Alles, was der Herzog einst von der bremischen Kirche als Lehn mit Recht oder Unrecht besessen hatte, dem Bischof Siegfried zuerkannt, den Grafen Bernhard von Ratzeburg, und Adolf von Holstein aber alles Verlorne wieder zugesprochen worden. Die Herzogtümer selbst waren längst an Andere vergeben; es konnte sich nur darum handeln, was mit Heinrichs Erbländern, die durch die Acht verfallen, und zum Teil schon weggenommen waren, werden sollte. Forderte Heinrich oder seine Söhne sie nicht binnen Jahr und Tag nach der Ächtung zurück, und konnte er es nicht zu einer Aufhebung der Achterklärung selbst bringen, so waren selbst diese unwiderruflich verloren. Darum eilte der Herzog, überzeugt, sich mit Gewalt nicht behaupten zu können, des Kaisers Gnade anzuflehen. Es mochte ihm einen innern großen Kampf kosten, den Mann, den er einst selbst nicht erhört hatte, jetzt um Erhörung anzuflehen, und durch Bitten ein Recht zu suchen, welches er sonst bloß mit dem Schwerte sich zu erkämpfen pflegte. Aber es galt ja seinem Lande, seinem Weibe, seinen Söhnen, seiner eigenen Existenz.

Hier sah man jetzt eine Szene, welche wohl selbst die Feinde des hilflosen Herzogs nicht ohne Schaudern betrachten konnten, weil sie ihnen die Unsicherheit ihrer Macht und ihres Glückes in einem ergreifenden Beispiel vor Augen stellte, den tief gedemütigten, ergrauten Helden zu des Kaisers Füßen kniend, und um Aufhebung der Reichsacht flehend. Mit Tränen in den Augen hob ihn der Kaiser auf, und umarmte ihn. Aber das war auch fast alles, was er tat, und tun konnte. Er hatte sich selbst gebunden, da er schon früher den Fürsten sein kaiserliches Wort gegeben hatte, Heinrich nicht ohne ihrer Aller Einstimmung in den Besitz seiner vorigen Würden und Länder wieder einzusetzen. Wie wäre diese aber zu erwarten gewesen! Nur unter der schweren Bedingung wurde er der Acht entbunden, wurden seine Erbländer, Braunschweig und Lüneburg, ihm zurückgegeben, dass er drei Jahre lang sein Land verlassen, und vor der Zeit nicht anders, als auf des Kaisers Einladung zurückkehren sollte. So sprach der Kaiser, und mit ihm die Versammlung. Die Fürsten brauchten ja Zeit, sich in ihren neuen Erwerbungen erst recht festzusetzen! Was blieb dem Herzog übrig, als zu gehorchen, wo kein Widerstand mehr möglich war. War doch zunächst Braunschweig und Lüneburg gerettet; eine andere Zeit konnte auch Anderes mit sich bringen.


Mit solchem Bescheide kehrte Heinrich der Löwe gegen das Ende dieses Jahres nach Braunschweig oder Lüneburg zurück, und brachte das Ende dieses, und die ersten Monate des folgenden Jahres, 1182, mit Vorbereitungen zu seiner Auswanderung zu. Man hatte ihm das Bitterste zugemutet, das wussten seine Richter recht gut, das fühlte er selbst mit tiefen Schmerzen; denn dem teuren Vaterlande kehrt ein edler Mann niemals leichtsinnig den Rücken zu. Dahin waren die frohen Pläne der frühern Jahre, sich in Slavien ein eigenes Reich zu gründen, dahin die Eroberungen, die er dort gemacht, dahin, was er für Lübecks Blüte und Größe getan hatte. Aber es ist auch eine Weisheit, sich den, Unvermeidlichen klug und männlich zu fügen, und darum, weil man Viel verloren, nicht Alles mutlos aufzugeben. Nur so konnte er die letzten Trümmer seiner ehemaligen Macht sich retten, und die deutschen Fürsten versprachen ihm noch in diesem Jahre eidlich, in seiner Abwesenheit Frieden zu halten.

Heinrich II. von England, des unglücklichen Herzogs Schwiegervater, sandte vergeblich eine ansehnliche Gesandtschaft auf den Erfurter Reichstag, um ein milderes Urteil zu bewirken, doch ohne bei den erbitterten Fürsten etwas auszurichten. Das Einzige, was sie bewilligten, war die Erklärung, dass es jedem frei stehen solle, den Herzog zu begleiten, ohne in die Verbannung verfallen zu sein, und dass die Herzogin Mathilde ungekränkt zurückbleiben, und ihr Leibgedinge behalten dürfe. Aber die Herzogin, wie sie einst ihres Mannes Größe geteilt hatte, wollte nun auch sein Unglück teilen. Sie begleitete ihn mit zwei von ihren Söhnen, Heinrich und Otto, und Mathilden, ihrer erwachsenen Tochter. Nur Lothar, der zweite Sohn, wurde in Deutschland zurückgelassen. Außerdem begleiteten ihren Herzog eine Menge Grafen und Edle, welche ihm entweder treu geblieben, oder durch sein Unglück mit ihm wieder ausgesöhnt worden waren.

Aber selbst eine noch glänzendere Begleitung würde dem unglücklichen Herzog seine Verbannung, und seine Lage nicht haben vergessen lassen, als er nun endlich zwischen Ostern und Jacobi dieses Jahres zu seinem Schwiegervater Heinrich in die Normandie aufbrach. Wie ganz anders hatte er gerade vor zehn Jahren eine andere Reise, seine Wallfahrt nach Jerusalem, angetreten; damals, in der Fülle der Macht und des Glücks, als der größte Fürst Deutschlands nach dem Kaiser, der sein Freund war, von Fürsten begleitet, von Königen und Kaisern ehrenvoll empfangen. Mit den fröhlichsten Aussichten für die Zukunft, schien seinem Glücke, bis auf die Geburt eines Erben, kaum noch ein Zusatz möglich. Jetzt keines seiner beiden Herzogtümer mächtig, kaum der Acht entbunden, kaum seiner Erbländer versichert, und nur unter einer schmählichen Bedingung, im Begriffe, als ein Verbannter, mit Weib und Kind sein angestammtes Erb- und Vaterland zu meiden, begleitet von der Furcht, bei seiner Rückkehr, trotz gegebenen Wortes, auch das wenige Gerettete noch in Feindes Händen zu finden. Wohl lag zwischen damals und jetzt eine Welt von bitteren Erfahrungen und Leiden, die nur ein starkes Gemüt besonnen und mit Fassung trägt.

Zu Argenton in der Normandie, an dem Hofe seines Schwiegervaters, wurde Heinrich mit großen Ehren empfangen, und seinem Range gemäß unterhalten.

In Sachsen führte der neue Herzog Bernhard die Regierung ohne Mut und Kraft, und konnte am wenigsten sein Ansehen gegen den mächtigen Grafen Adolf von Holstein behaupten. Auch zwischen Dänemark und dem Reiche fehlte in Heinrich der kräftige Vermittler. Kanut, Waldemars Sohn und Nachfolger, war mit dem Kaiser zerfallen.

Zur Erfüllung eines Gelübdes machte Heinrich eine Wallfahrt zu dem großen Schutzpatron Spaniens, dem heiligen Jacobus den jüngern, nach Compostela in Galizien, und deutlich wird hierin die Unruhe seines Gemüts sichtbar, die ihn trieb, in so weiter Ferne durch strenge Büßungen den Frieden zu erringen, nach welchem er sich sehnte. Im Jahre 1184 machte er mit seinem Schwiegervater und der ganzen Familie eine Reise nach England, wo Mathilde ihren jüngsten Sohn Wilhelm gebar; ein merkwürdiger Umstand, da 500 Jahre später ein glorreicher Urenkel Heinrichs in diesem Lande den Thron bestieg.

Recht wunderbar musste es sich fügen, dass der verbannte Herzog in eben diesem Jahre einen seiner bittersten Feinde, den Erzbischof Philipp von Köln, in England erscheinen sah, um sich mit ihm auszusöhnen, und seine Freundschaft zu suchen. Auf einer überaus glänzenden Reichsversammlung zu Mainz hatte sich der Abt zu Fulda erhoben, und den Platz zur Linken des Kaisers, als ein ihm von Alters her gebührendes Vorrecht, begehrt, worauf der stolze Philipp, der ihn bisher inne gehabt, erklärte, dass er diesen Platz, aber dann auch die Versammlung zu verlassen entschlossen sei. Der seltsame Streit wurde zwar beigelegt, aber der Erzbischof, welcher den Kaiser in Verdacht hatte, diesen Streit geflissentlich angestiftet zu haben, um ihn zu kränken, fasste Groll gegen Friedrich, und beschloss, sich mit Heinrich dem Löwen zu verbinden, um zu seiner Zeit des Beistandes dieses gefürchteten Helden gewiss zu sein. Unter dem Vorwande einer Wallfahrt zum Grabe des heiligen Thomas von Canterbury erschien er mit dem Grafen Philipp von Flandern an dem Hofe des englischen Königs, und fand eine sehr ehrenvolle Aufnahme. So kam eine Aussöhnung zwischen dem Erzbischof und Heinrich dem Löwen zu Stande.

Indessen hatte der Kaiser einen friedlichen Zug nach Italien gemacht. Bei diesem Frieden rettete die Lombardei ihre Freiheit, und der Kaiser sein Anselm über sie. Zur Vollziehung dieses mit höchster Mäßigung abgeschlossenen Friedens, und zugleich, um eine Vermählung seines Sohnes Heinrichs VI. mit Constantia, der wahrscheinlichen Erbin Siziliens, zu Stande zu bringen, war Friedrich im August 1184 nach Italien gekommen.

Um Michaelis des Jahres 1185 kehrte Heinrich aus seiner Verbannung zurück, und hielt sich in Braunschweig ganz ruhig, doch ohne den Verdacht, den der Kaiser fasste, von sich ablenken zu können, dass er im Stillen mit dem Dänenkönige, dem Erzbischof von Cöln, und dem Papste feindselige Unternehmungen vorbereite.

Die staatskluge Verbindung zwischen dem römischen Könige Heinrich und der Constantia von Sicilien kam wirklich zu Stande, und wurde zu Mailand mit großer Pracht vollzogen. Des neuen Papstes, Urbans III., Besorgnis, dass hierdurch das hohenstaufische Haus ein bedenkliches Übergewicht in Italien erhalten dürfte, reizte diesen, einen alten Streit hervorzusuchen, und alte Ansprüche geltend zu machen, wobei er nicht unterließ, mit dem Banne zu drohen, wenn sie der Kaiser nicht anerkennen würde.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pantheon Deutscher Helden