Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger, 1872
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 318. Samstag 16. November 1872
Stralsund, 14. November. Der Sturm hat die Nacht aufgehört. Das Wasser ist gefallen und das Feuer in den Hafenspeichern wurde gestern gelöscht. Die Überschwemmung hat die ganze Küste heimgesucht. Details über die Zahl der untergegangenen Schiffe und den angerichteten, jedenfalls bedeutenden Schaden fehlen noch.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 321. Dienstag, 19. November 1872
Stralsund, 16. November. Die "Baltische Zeitung" meldet über die durch die Überschwemmung verursachten Verheerungen aus guter Quelle folgende Details: Die Ortschaften Prerow, Ahrenshoop, Born und Wieck auf der Halbinsel Darß haben furchtbar gelitten. Die Bevölkerung von Prerow scheint entschlossen zu sein, ganz auszuwandern. Die Küste entlang sind ganze Morgen Landes abgeschwemmt, anderwärts sind neue angetrieben. In Neuendorff auf Hiddensee sind von 57 Häusern nur 5 unversehrt. Die Einwohnerschaft ist mutlos. Die ganze Düne von Göhren bis Thiessow ist fortgerissen. Ein ungeheurer Verlust wird von allen Seiten gemeldet. Der Gesamtverlust des Regierungsbezirks Stralsund zählt nach Millionen. Gestern hat sich ein Verein gebildet, um einen Hilferuf für die Verarmten durch ganz Deutschland zu erlassen.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 324. Freitag, 22. November 1872
Ein Hilferuf vom Ostseestrande Ein schweres Unglück hat Neu-Vorpommern und Rügen betroffen. Der grausige Nordsturm, welcher ganz Norddeutschland durchzogen, hat in unserem Regierungsbezirk am 13. November die furchtbarsten Verwüstungen angerichtet. Die See ist übergetreten und hat das Land meilenweit überschwemmt, die Gebäude vielen Ortschaften sind gänzlich zerstört, ihre Saaten völlig ruiniert, große Herden Vieh sind ertrunken und der beinahe unersetzliche Verlust von Hunderten von See- und Binnenfahrzeugen ist zu beklagen.
Viele Familien haben durch diese Überschwemmung, die furchtbarste, welche seit Jahrhunderten unsere Küste heimgesucht hat, ihr Hab und Gut verloren; das wilde Element hat ihr ganzes Besitztum verschlungen. Die Sorge für diese Hilfsbedürftigen tritt an ihre Mitmenschen heran. Deutsche Brüder, Euch Alle rufen wir hiermit um Hilfe an; wir wissen, dass wir nicht vergeblich rufen, denn das deutsche Herz schlägt warm von Mitgefühl und deutsche Barmherzigkeit hat sich noch stets bewährt.
Die Verluste werden nach Millionen zählen! Die Not ist groß! d'rum sendet schnell Eure Gaben zur Linderung des Elends.
Die Unterzeichneten sind bereit Geld und andere eiträge entgegenzunehmen.
Stralsund, den 16. November 1872.
Das Komitee zur Unterstützung der in Not geratenen Bewohner von Neuvorpommern und Rügen.
. . . . .
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 325. Samstag, 23. November 1872
Aus Kiel berichtet die K. Z. über die Schäden, welche den Marineanlagen durch das Hochwasser zugefügt sind Folgendes: "Die Werft in Düsternbrook stand mehrere Fuß unter Wasser, die beiden Brücken daselbst, welche mit Eisenbahnschienen belegt waren und zur Erleichterung der Ausrüstung der Schiffe dienten, sind vollständig abgedeckt. Die im Freien gelagerten Hölzer und Wasser- etc. Behälter für die Schiffe sind fortgetrieben. Das Kohlenlager ist zum größten Teil fortgespült, es sollen nahezu an 100 Last Kohlen verloren sein; die zwischen den Magazinen gelegten Eisenbahnstrecken sind aufgerissen und fortgeschwemmt. Die Schuppen, welch, auf Pfählen gebaut, mehrere Fuß von der Erde freistehen, waren dennoch mit Wasser gefüllt; die in den Artillerie-Magazinschuppen gelagerten gezogenen Geschütze waren sämtlich unter Wasser und sollen hierdurch sehr gelitten haben. In dem Ausrüstungs-Magazin für die Schiffe ist das Wasser 4 Fuß eingedrungen und hat das Inventar stark beschädigt. Die Landebrücke bei der Wohnung des Stationschefs ist ebenfalls abgedeckt und das an Ende derselben befindliche Häuschen fortgetrieben. Die Brücke beim Kasernenschiff "Barbarossa" ist stark beschädigt. Ebenso ist auf der Hafenanlage Ellerbeck großer Schaden entstanden. Auf einer Stelle hat das Wasser den Damm zwischen dem Hafen und der im Bau befindlichen neuen Bahn durchbrochen und Letztere mit Wasser gefüllt. Drei Häuser auf dem Terrain des Hafenbaues sind weggerissen. In Friedrichsort brachte ein Teil der Mannschaft und Familien bereits die Nacht vom 12. zum 13. auf den Wällen zu, weil das Wasser schon um diese Zeit in die Parterrewohnungen eingedrungen war. Am 13. durchbrach das Wasser die Friedrichsort schützenden Dämme und demnächst auch die verrammelten Tore in Friedrichsort. Das Wasser stand in der Festung in einer Höhe von sechs Fuß. Die Leute auf den Wällen konnten erst am 13. des Nachmittags, nachdem der Sturm nachgelassen, wieder unter Dach gebracht werden. Verlust an Menschenleben ist nicht zu beklagen. Das Eingangstor in Friedrichsort ist unpassierbar; das Erdgeschoss der Kaserne kann zur Zeit nicht bewohnt werden; die Mannschaften der Seeartillerie sind auf den Umliegenden Ortschaften einquartiert. Das in den Festungsgräben und um Friedrichsort gelagerte Holz des Artillerie-Depots ist fortgeschwemmt, dagegen sin die Festungsgräben durch fremdes Holz, Boote, Hausgerät und totes Vieh vollgetrieben; ein Schoner liegt im Festungsgraben unmittelbar am inneren Festungswall. Die Festungswälle sind an mehreren Stellen beschädigt. Die Pulvermagazine am Dietrichsdorfer Strande, welche nur niedrig liegen haben unter Wasser gestanden, die Munition soll jedoch beschädigt sein, ebenso wenig hat die Munition in den Friedrichsorter Pulvermagazinen gelitten. Der Schaden für die Marine an Inventarien- und Materialien-Gegenständen, sowie an den Bauten und Anlagen ist ein vorläufig noch nicht zu übersehender, wird aber jedenfalls ein sehr großer sein. Die Festungsanlagen auf dem östlichen Ufer haben, mit Ausnahme der Steinböschung bei Moltenort, nicht gelitten. Nach Aussagen von Handelsfahrzeugen, welche nach dem Sturme hierselbst eingetroffen sind, sollen im westlichen Teile der Ostsee noch manche Schiffe gestrandet oder sonst in Not sein. Der Chef der Marinestation hat die Kanonenboote "Meteor", "Drache" und den Transportdampfer "Rhein" ausgesandt, um nach aller Möglichkeit Hilfe zu bringen."
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 326. Sonntag, 24. November 1872
Wolgast, 17. November. Das Gerücht, die Insel Ruden sei untergegangen, hat sich glücklicherweise noch nicht bestätigt. Sie ist für jetzt noch erhalten, hat aber, da sie ganz ohne Schutz war, so viel gelitten, dass bei der Wiederkehr eines einigermaßen starken Nord-Oststurmes, namentlich mit Eisgang, ihr Untergang mit Sicherheit zu erwarten steht. Der Fortbestand der auf dieser Insel befindlichen Lotsenstation, sowie des Zoll-Ansagepostens, wird ferner nicht mehr möglich sein, denn die ziemlich hohen Dünen auf den beiden Längsseiten, zwischen welchen die Häuser bisher Schutz hatten, sind gänzlich fortgespült. Auf der einen Seite sind ungefähr 70-80 Fuß, auf der anderen Seite ungefähr 30-40 Fuß von der Insel verschwunden, so dass die drei Lotsenhäuser und das Zollhaus jedem Sturm und Wellenschlag und gefährlicher nach jedem Eisgange ausgesetzt sind.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 326. Sonntag, 24. November 1872. Beilage zur NWZ mit Anzeiger.
Mitteilung der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Über die Rettung der Mannschaften der beiden Schiffe, welche in dem schweren Nordoststurm in der Nacht vom 12. zum 13. November auf dem Hohenwege beim Weserleuchtturm strandeten, berichtete der Vormann der Bremerhavener Station dem Vorstand das Folgende: Nachdem wir in Folge einer Depesche, welche meldete, dass südlich vom Leuchtturm ein zweimastiges Fahrzeug gestrandet sei, gegen 2 Uhr 30 Minuten in Tau des Dampfers Diana von Bremerhaven abgefahren waren, langten wir gegen 5 Uhr Nachmittags in der Nähe der Strandungsstelle an. Schwerer Sturm aus Nord-Ost mit dichtem Schneegestöber machten die eingetretene Dunkelheit noch undurchdringlicher. Das gestrandete Fahrzeug war nicht mehr zusehen, doch arbeiteten wir in der Richtung wo wir dasselbe vermuten weiter. Indes machten hohe schäumende Wellen, welche am Rand der Sandbank zu überstürzenden Brandungen wurden, es uns unmöglich, bei Sturm und Dunkelheit uns dem Fahrzeug zu nähern. Wir ließen deshalb einen Lebensretter an langer Leine nach dem Schiff treiben. Derselbe wurde dort glücklich ergriffen und so zogen wir nacheinander die beiden Leute der Besatzung zu uns ins Boot. Schon vor unserer Ankunft bei der Strandungsstelle hatten wir am Nachmittag ein auf dem Hohenwege gestrandetes zweites Schiff weiter nach dem Fedderwarder Fahrwasser zu gesehen. Dieses Schiff war aber jetzt, 9 1/4 Uhr abends, unter Sturm und Schnee nicht mehr zu erreichen. Wir blieben jedoch währen der Nacht mit unserem Boot in der Nähe und sobald der Tag zu schimmern begann, nahmen wir auch die aus drei Mann bestehende Besatzung dieses Schiffes ins Boot auf und landeten die 5 Geretteten am 14. November um 10 Uhr Morgens in Bremerhaven. Beide Schiffe waren von Walmö mit Holz nach Barel.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 327. Montag, 25. November 1872.
Wie der furchtbare Orkan auf der Insel Rügen gehaust hat, mag nachstehende Schilderung andeuten: "Die anhaltenden Stürme vom 12., 13. und 14. November aus Nord-Osten haben ungeheure Verwüstungen angerichtet, unsäglich viel Unglück ist geschehen. Nord-Oststürme sollen es ja auch gewesen sein, welche vor Jahrhunderten unsere Insel von dem Festland getrennt und ihr die jetzige zerklüftete Form gegeben haben. Überall sieht man umgeworfenen Gebäude, umgestürzte Mühlen, die Landwege sind gesperrt durch die entwurzelten Bäume, ganze Alleen liegen niedergestürzt, am Besten sind noch die Gebäude im Mittelpunkt der Insel weggekommen, man sieht sie zum Teil ohne Dächer, ohne Scheunentüren, mit eingefallenen Wänden, trostlos ist das Bild an den Küsten. Die Nacht vom 12. auf den 13. November und der Vormittag des letzteren Tages werden den Bewohnern der Insel wohl niemals aus dem Gedächtnis kommen. Der Sturm jener Nacht hatte sich bis zum heftigen Orkan gesteigert und solche Wassermassen an unsere Küsten getrieben, dass nach Aussage der ältesten Leute der höchste von ihnen je erlebte Wasserstand um 6 bis 8 Fuß soll überschritten sein; erst gegen 11 Uhr Vormittags fing das Wasser an zu fallen. Auf dem Venzvitz war der Schutzdamm überflutet, in der Nacht um 3 Uhr hatten die Bewohner des einen Tagelöhnerhauses - genannt der Dänholm - ihre Wohnung verlassen, weil das Wasser mit riesiger Schnelligkeit in das Haus drang und sich nach einer erhöhten Stelle im Garten zurückgezogen; so hatten sie auf einer Fläche von 8 Ruthen die Nacht zugebracht bei dem Furchtbaren Unwetter, umgeben von einem Wellenmeer, bis man gegen Morgen, auf dem Gutshof aufmerksam geworden, ihnen Hilfe brachte: leider sollten bei dieser Hilfeleistung viele menschen ihr Leben verlieren; unter Leitung des Gutsherren war ein Floß gebaut aus Ernteleitern, Scheunentüren usw., um die 26 Menschen aus ihrer trostlosen Lage zu befreien, die Einschiffung war glücklich gelungen, auf der Rückkehr stieß das Floß vor auf festen Boden, der hintere Teil senkt sich tiefer und 8 Menschen gleiten in die Wellen und verlieren sämtlich das Leben, darunter der treue Gutsverwalter Mihr, welcher die Rettung geleitet, mit zwei kleinen Kindern in den Armen, der Gutsherr selbst wurde von seinen Leuten mit Gewalt von der weiteren Rettung zurückgehalten, erst gegen Abend ging es, den letzten Mann von der Unglücksstätte abzuschaffen.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 333. Sonntag, 1. Dezember 1872.
Die Sturmflut an den Küsten von Neuvorpommern und Rügen
Über das vielfach geschilderte Unglück treffen immer noch traurige Berichte ein, denen wir Folgendes entnehmen. Schon öfters hat die Sturmflut an dem Ostseestrande große Verheerungen angerichtet. So besonders in den Jahren 1864, 1804, 1449, 1558, 1625.
Aber wenn auch die Verwüstungen in früheren Zeiten umfangreich waren, so werden sie doch in trauriger Weise überboten durch diejenigen, welch die Sturmflut vom 12. bis 14. November anrichtete. Und wohl nirgends an der Ostseeküste ist soviel Schaden zu beklagen, als in Neuvorpommern und Rügen. Die Küste von Neuvorpommern, im Südosten begrenzt von der Peene, erstreckt sich von Anklam an der Peene in nordwestlicher Richtung etwa 11 Meilen bis Barhöft, von hier aus etwa 5 Meilen in südwestlicher Richtung bis zur Recknitz, welche die Grenze zwischen Mecklenburg bildet. Der letzteren Küstenstrecke ist ungefähr in gleicher Länge ein Halbinsel vorgelagert, der Darß, als dessen Fortsetzung gleichsam die Insel Zingst anzusehen ist. Im Norden liegt die Insel Rügen, im Westen von ihr die Insel Hiddensee. Um ein Bild der angerichteten Verheerungen zu gewinnen, wollen wir zunächst die Not schildern, welche der Darß um Zingst, Hiddensee, Rügen erlitten, und dann auch sehen, wie das Festland von Neuvorpommern, zwischen Anklam und Mecklenburg, auf dem von Westen nach Osten die Städte Damgarten, Barth, Stralsund, Greifswald, Wolgast, Lassan liegen. in so überaus trauriger Weise heimgesucht ist. Viele Menschenleben sind zu beklagen. In Prerow ertranken 11 Personen. Vom Kirr, einer kleinen Insel im Süden vom Zingst, wird mitgeteilt, dass mit einem Katen 5 Menschen, Vater, Mutter mit drei Kindern fortgespült sind und das Leben verloren haben. Ein Schiff ist über die Dünen geworfen und steht dort, wo sonst Acker ist . . . . . Die nachfolgende Seite fehlt Fortsetzung folgt.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 334. Montag, 2. Dezember 1872.
Die Sturmflut an den Küsten von Neuvorpommern und Rügen
(Fortsetzung) Und wie sieht es an der der Ostseite von Rügen aus? Wer die Bäder Saßnitz und Kramps kennt, wird mit Schmerz vernehmen, dass die ganze, mit vieler Mühe und großen Kosten seit Jahren gehegte und gepflegte Uferpromenade, das Herrenbad, die Verladungsbrücken, auch der die Badegäste stets mit seinem Schatten labende Wallnussbaum am Ufer vernichtet sind. Fast sämtliche Fischerboote und die den beiden hier wohnenden Fabrikanten gehörenden sechs Boote sind ein Raub der wütenden Elemente geworden. Ungemein hat auch die Südspitze von Rügen, Mönchgut, gelitten. Vom Jahre 1309 wir uns berichtet von Mönchgut, dass Lobbe, Groß Zicker, Thiessow und Klein Zicker getrennte Inseln waren. Das ist auch jetzt wieder eingetreten. Der Damm zwischen Middelhagen und Lobbe ist überflutet. Die Dünen sind gewichen und haben mit ihrem Sandwasser das Land überflutet. Es ist nur ein Strand geblieben, der mit Leichtigkeit von jeder Flut übersprungen werden kann. Furchtbar haben hier die Elemente gewütet; sechs Jachten sind zerschellt. Hören wir einen Augenzeugen: "Wer beschreibt das Unglück und die Leiden der armen Leute? Wer kann ihnen eine Wohnung bieten, welche sie trocken für den Winter aufnehme, denn ihre Wohnungen, wenn sie noch ummauert stehen, sind im Innern zusammengebrochen und bieten ein feuchtes Verderben! Wer ersetzt ihnen ihre Kuh, wer die Schafe, die in großer Zahl, an Sticke gebunden, in Reihen . . . . . .
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 335. Dienstag, 3. Dezember 1872.
Die Sturmflut an den Küsten von Neuvorpommern und Rügen
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 342. Dienstag, 10. Dezember 1872.
Der Lübecker Hilfsausschuss für die Überschwemmten der Ostsee hat auf seinen Aufruf hin ca. 20.000 Mark zusammengebracht, und veranstaltet nun eine Haussammlung.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 343. Mittwoch, 11. Dezember 1872.
Flensburg, 5. Dezember. Das Landratsamt Flensburg macht nun das Resultat der Schätzung des durch die Sturmflut vom 13. November im Kreise Flensburg angerichteten Schadens bekannt. Hiernach sind im Landkreis 26 Wohngebäude und 19 andere Gebäude total vernichtet, 108 Wohngebäude und 25 andere Gebäude schwer beschädigt. Taxation [Bewertung] des Schadens 32.172 Thaler Mobiliarschaden 9.881 Thaler, Verluste an Vorräten 20.154 Thlr., Vieh 2.238 Thlr., Sechs Schiffe sind ganz vernichtet, 19 schwer beschädigt. Der Schaden verteilt sich 250 Beschädigte mit 908 Familienmitgliedern. An Ländereien sind 153 Tonnen zum Wert von 31.526 Thlr. total vernichtet. 2.252 Tonnen zum Wert von 16.805 Thlr. beschädigt. Die Herstellungsarbeiten für Deiche, Dämme, Wälle und Wege betragen 36.440 Thlr. Totalschaden im Landkreis 149.455 Thlr. Der Gesamtschaden der Stadt Flensburg für 61 beschädigte Gebäude und Verluste an Mobiliar und Vorräten ist auf 72.641 Thlr. berechnet, welcher sich auf 256 Beschädigte verteilt. Gesamtschaden im Kreis Flensburg 222.036 Thlr. Nicht gerechnet ist der Schaden an den Saatfeldern. Bedenkt man nun, dass verhältnismäßig der Schaden in der Stadt und Kreis Flensburg nicht zu den bedeutendsten gehört, so mag man ermessen, welches Unheil durch die Sturmflut angerichtet wurde. Die Stadt Flensburg hat zur Landeskollekte a. 2.000 Thlr. zusammen gebracht, in den eigenen Mauern für die Flensburger bereits über 11.000 Thlr. gesammelt bzw. verteilt.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 347. Sonntag, 15. Dezember 1872.
Aus Mecklenburg, 10. Dezember Der Landtag hat zu Unterstützung der durch die Sturmflut vom 13. November Beschädigten, sowie zur Wiederherstellung der zerstörten Dünen usw. 100.000 Thlr. bewilligt.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 352. Freitag, 20. Dezember 1872.
Barmen, 16. Dezember Für die Überschwemmten an der Ostsee ist hier eine bedeutende Summe auf eine Weise zusammengebracht worden, die Nachahmung verdient. Der Rektor der Realschule 2. Ordnung, Dr. Burmester, in Barmen-Wupperfeld und der Rektor der höheren Töchterschule für Mittel- und Ober-Barmen, Dr. Kleinpaul, haben nämlich am 12. d. M. ein Konzert veranstaltet, bei welchem, außer den dirigierenden Lehrern, sämtliche Mitwirkende Kinder waren. Ein Trompeter- und Trommler-Korps von Realschülern trug eine Reihe von Märschen vor, während dazwischen eine in zwei Abteilungen gesonderte Schar von etwas 200 Mädchen Chorgesänge ausführte. Nach einem Orgelbegleitung gesungenen Eingangschoral legte ein schöner Prolog von Emil Rittershaus die Tendenz des Unternehmens in Fersen dar, deren Wirkung um so mächtiger war, als sie mit ebenso gediegenem Ausdruck, als kindlicher Naivität von seiner 15-jährigen Tochter, einer Schülerin der ersten Klasse, vorgetragen wurden. Nun folgte abwechselnd Militärmusik und Chorgesang. Der letztere wurde im ersten Teile von den Schülerinnen der beiden mittleren Klassen der Töchterschule, Kindern von 10-12 Jahren, unter Direktion ihres Lehrers Sammler, im zweiten Teile von den vier oberen Klassen, unter Leitung des Lehrers Wießner; ausgeführt. Die Art der Ausführung, sowohl der Vokal- als der Instrumentalsätze war eine so gelungene, das selbst bedeutende Musiker sie als sehr lobenswert, alle Erwartungen übertreffend bezeichneten. Das gab sich auch kund in der Aufmerksamkeit, mit der das aus cirka 1.100 Personen bestehende Publikum Piegen begleitete, und in dem rauschenden Beifall, den es den kleinen Musikern zollte. Den schönsten Lohn finden diese und ihre wackeren Lehrer (zu denen wir auch den Instruktor des Musikkorps, Braun, rechen müssen), so wie die Unternehmer sicher darin, dass das Konzert einen Reinertrag von 600 Thlr. zum Besten der Überschwemmten ergeben hat.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 358. Freitag, 27. Dezember 1872.
Den Überschwemmten an der Ostsee droht nunmehr eine zweite Überschwemmung und zwar eine Überschwemmung mit Bibeln. Die englische Bibelgesellschaft will unter die Notleidenden "Testament mit Palmen" verteilen. Steine sind es gerade nicht, welche das fromme England den Unglücklichen statt Brot bietet; viel nachhaltiger ist es aber auch nicht.
Stralsund, 14. November. Der Sturm hat die Nacht aufgehört. Das Wasser ist gefallen und das Feuer in den Hafenspeichern wurde gestern gelöscht. Die Überschwemmung hat die ganze Küste heimgesucht. Details über die Zahl der untergegangenen Schiffe und den angerichteten, jedenfalls bedeutenden Schaden fehlen noch.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 321. Dienstag, 19. November 1872
Stralsund, 16. November. Die "Baltische Zeitung" meldet über die durch die Überschwemmung verursachten Verheerungen aus guter Quelle folgende Details: Die Ortschaften Prerow, Ahrenshoop, Born und Wieck auf der Halbinsel Darß haben furchtbar gelitten. Die Bevölkerung von Prerow scheint entschlossen zu sein, ganz auszuwandern. Die Küste entlang sind ganze Morgen Landes abgeschwemmt, anderwärts sind neue angetrieben. In Neuendorff auf Hiddensee sind von 57 Häusern nur 5 unversehrt. Die Einwohnerschaft ist mutlos. Die ganze Düne von Göhren bis Thiessow ist fortgerissen. Ein ungeheurer Verlust wird von allen Seiten gemeldet. Der Gesamtverlust des Regierungsbezirks Stralsund zählt nach Millionen. Gestern hat sich ein Verein gebildet, um einen Hilferuf für die Verarmten durch ganz Deutschland zu erlassen.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 324. Freitag, 22. November 1872
Ein Hilferuf vom Ostseestrande Ein schweres Unglück hat Neu-Vorpommern und Rügen betroffen. Der grausige Nordsturm, welcher ganz Norddeutschland durchzogen, hat in unserem Regierungsbezirk am 13. November die furchtbarsten Verwüstungen angerichtet. Die See ist übergetreten und hat das Land meilenweit überschwemmt, die Gebäude vielen Ortschaften sind gänzlich zerstört, ihre Saaten völlig ruiniert, große Herden Vieh sind ertrunken und der beinahe unersetzliche Verlust von Hunderten von See- und Binnenfahrzeugen ist zu beklagen.
Viele Familien haben durch diese Überschwemmung, die furchtbarste, welche seit Jahrhunderten unsere Küste heimgesucht hat, ihr Hab und Gut verloren; das wilde Element hat ihr ganzes Besitztum verschlungen. Die Sorge für diese Hilfsbedürftigen tritt an ihre Mitmenschen heran. Deutsche Brüder, Euch Alle rufen wir hiermit um Hilfe an; wir wissen, dass wir nicht vergeblich rufen, denn das deutsche Herz schlägt warm von Mitgefühl und deutsche Barmherzigkeit hat sich noch stets bewährt.
Die Verluste werden nach Millionen zählen! Die Not ist groß! d'rum sendet schnell Eure Gaben zur Linderung des Elends.
Die Unterzeichneten sind bereit Geld und andere eiträge entgegenzunehmen.
Stralsund, den 16. November 1872.
Das Komitee zur Unterstützung der in Not geratenen Bewohner von Neuvorpommern und Rügen.
. . . . .
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 325. Samstag, 23. November 1872
Aus Kiel berichtet die K. Z. über die Schäden, welche den Marineanlagen durch das Hochwasser zugefügt sind Folgendes: "Die Werft in Düsternbrook stand mehrere Fuß unter Wasser, die beiden Brücken daselbst, welche mit Eisenbahnschienen belegt waren und zur Erleichterung der Ausrüstung der Schiffe dienten, sind vollständig abgedeckt. Die im Freien gelagerten Hölzer und Wasser- etc. Behälter für die Schiffe sind fortgetrieben. Das Kohlenlager ist zum größten Teil fortgespült, es sollen nahezu an 100 Last Kohlen verloren sein; die zwischen den Magazinen gelegten Eisenbahnstrecken sind aufgerissen und fortgeschwemmt. Die Schuppen, welch, auf Pfählen gebaut, mehrere Fuß von der Erde freistehen, waren dennoch mit Wasser gefüllt; die in den Artillerie-Magazinschuppen gelagerten gezogenen Geschütze waren sämtlich unter Wasser und sollen hierdurch sehr gelitten haben. In dem Ausrüstungs-Magazin für die Schiffe ist das Wasser 4 Fuß eingedrungen und hat das Inventar stark beschädigt. Die Landebrücke bei der Wohnung des Stationschefs ist ebenfalls abgedeckt und das an Ende derselben befindliche Häuschen fortgetrieben. Die Brücke beim Kasernenschiff "Barbarossa" ist stark beschädigt. Ebenso ist auf der Hafenanlage Ellerbeck großer Schaden entstanden. Auf einer Stelle hat das Wasser den Damm zwischen dem Hafen und der im Bau befindlichen neuen Bahn durchbrochen und Letztere mit Wasser gefüllt. Drei Häuser auf dem Terrain des Hafenbaues sind weggerissen. In Friedrichsort brachte ein Teil der Mannschaft und Familien bereits die Nacht vom 12. zum 13. auf den Wällen zu, weil das Wasser schon um diese Zeit in die Parterrewohnungen eingedrungen war. Am 13. durchbrach das Wasser die Friedrichsort schützenden Dämme und demnächst auch die verrammelten Tore in Friedrichsort. Das Wasser stand in der Festung in einer Höhe von sechs Fuß. Die Leute auf den Wällen konnten erst am 13. des Nachmittags, nachdem der Sturm nachgelassen, wieder unter Dach gebracht werden. Verlust an Menschenleben ist nicht zu beklagen. Das Eingangstor in Friedrichsort ist unpassierbar; das Erdgeschoss der Kaserne kann zur Zeit nicht bewohnt werden; die Mannschaften der Seeartillerie sind auf den Umliegenden Ortschaften einquartiert. Das in den Festungsgräben und um Friedrichsort gelagerte Holz des Artillerie-Depots ist fortgeschwemmt, dagegen sin die Festungsgräben durch fremdes Holz, Boote, Hausgerät und totes Vieh vollgetrieben; ein Schoner liegt im Festungsgraben unmittelbar am inneren Festungswall. Die Festungswälle sind an mehreren Stellen beschädigt. Die Pulvermagazine am Dietrichsdorfer Strande, welche nur niedrig liegen haben unter Wasser gestanden, die Munition soll jedoch beschädigt sein, ebenso wenig hat die Munition in den Friedrichsorter Pulvermagazinen gelitten. Der Schaden für die Marine an Inventarien- und Materialien-Gegenständen, sowie an den Bauten und Anlagen ist ein vorläufig noch nicht zu übersehender, wird aber jedenfalls ein sehr großer sein. Die Festungsanlagen auf dem östlichen Ufer haben, mit Ausnahme der Steinböschung bei Moltenort, nicht gelitten. Nach Aussagen von Handelsfahrzeugen, welche nach dem Sturme hierselbst eingetroffen sind, sollen im westlichen Teile der Ostsee noch manche Schiffe gestrandet oder sonst in Not sein. Der Chef der Marinestation hat die Kanonenboote "Meteor", "Drache" und den Transportdampfer "Rhein" ausgesandt, um nach aller Möglichkeit Hilfe zu bringen."
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 326. Sonntag, 24. November 1872
Wolgast, 17. November. Das Gerücht, die Insel Ruden sei untergegangen, hat sich glücklicherweise noch nicht bestätigt. Sie ist für jetzt noch erhalten, hat aber, da sie ganz ohne Schutz war, so viel gelitten, dass bei der Wiederkehr eines einigermaßen starken Nord-Oststurmes, namentlich mit Eisgang, ihr Untergang mit Sicherheit zu erwarten steht. Der Fortbestand der auf dieser Insel befindlichen Lotsenstation, sowie des Zoll-Ansagepostens, wird ferner nicht mehr möglich sein, denn die ziemlich hohen Dünen auf den beiden Längsseiten, zwischen welchen die Häuser bisher Schutz hatten, sind gänzlich fortgespült. Auf der einen Seite sind ungefähr 70-80 Fuß, auf der anderen Seite ungefähr 30-40 Fuß von der Insel verschwunden, so dass die drei Lotsenhäuser und das Zollhaus jedem Sturm und Wellenschlag und gefährlicher nach jedem Eisgange ausgesetzt sind.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 326. Sonntag, 24. November 1872. Beilage zur NWZ mit Anzeiger.
Mitteilung der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Über die Rettung der Mannschaften der beiden Schiffe, welche in dem schweren Nordoststurm in der Nacht vom 12. zum 13. November auf dem Hohenwege beim Weserleuchtturm strandeten, berichtete der Vormann der Bremerhavener Station dem Vorstand das Folgende: Nachdem wir in Folge einer Depesche, welche meldete, dass südlich vom Leuchtturm ein zweimastiges Fahrzeug gestrandet sei, gegen 2 Uhr 30 Minuten in Tau des Dampfers Diana von Bremerhaven abgefahren waren, langten wir gegen 5 Uhr Nachmittags in der Nähe der Strandungsstelle an. Schwerer Sturm aus Nord-Ost mit dichtem Schneegestöber machten die eingetretene Dunkelheit noch undurchdringlicher. Das gestrandete Fahrzeug war nicht mehr zusehen, doch arbeiteten wir in der Richtung wo wir dasselbe vermuten weiter. Indes machten hohe schäumende Wellen, welche am Rand der Sandbank zu überstürzenden Brandungen wurden, es uns unmöglich, bei Sturm und Dunkelheit uns dem Fahrzeug zu nähern. Wir ließen deshalb einen Lebensretter an langer Leine nach dem Schiff treiben. Derselbe wurde dort glücklich ergriffen und so zogen wir nacheinander die beiden Leute der Besatzung zu uns ins Boot. Schon vor unserer Ankunft bei der Strandungsstelle hatten wir am Nachmittag ein auf dem Hohenwege gestrandetes zweites Schiff weiter nach dem Fedderwarder Fahrwasser zu gesehen. Dieses Schiff war aber jetzt, 9 1/4 Uhr abends, unter Sturm und Schnee nicht mehr zu erreichen. Wir blieben jedoch währen der Nacht mit unserem Boot in der Nähe und sobald der Tag zu schimmern begann, nahmen wir auch die aus drei Mann bestehende Besatzung dieses Schiffes ins Boot auf und landeten die 5 Geretteten am 14. November um 10 Uhr Morgens in Bremerhaven. Beide Schiffe waren von Walmö mit Holz nach Barel.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 327. Montag, 25. November 1872.
Wie der furchtbare Orkan auf der Insel Rügen gehaust hat, mag nachstehende Schilderung andeuten: "Die anhaltenden Stürme vom 12., 13. und 14. November aus Nord-Osten haben ungeheure Verwüstungen angerichtet, unsäglich viel Unglück ist geschehen. Nord-Oststürme sollen es ja auch gewesen sein, welche vor Jahrhunderten unsere Insel von dem Festland getrennt und ihr die jetzige zerklüftete Form gegeben haben. Überall sieht man umgeworfenen Gebäude, umgestürzte Mühlen, die Landwege sind gesperrt durch die entwurzelten Bäume, ganze Alleen liegen niedergestürzt, am Besten sind noch die Gebäude im Mittelpunkt der Insel weggekommen, man sieht sie zum Teil ohne Dächer, ohne Scheunentüren, mit eingefallenen Wänden, trostlos ist das Bild an den Küsten. Die Nacht vom 12. auf den 13. November und der Vormittag des letzteren Tages werden den Bewohnern der Insel wohl niemals aus dem Gedächtnis kommen. Der Sturm jener Nacht hatte sich bis zum heftigen Orkan gesteigert und solche Wassermassen an unsere Küsten getrieben, dass nach Aussage der ältesten Leute der höchste von ihnen je erlebte Wasserstand um 6 bis 8 Fuß soll überschritten sein; erst gegen 11 Uhr Vormittags fing das Wasser an zu fallen. Auf dem Venzvitz war der Schutzdamm überflutet, in der Nacht um 3 Uhr hatten die Bewohner des einen Tagelöhnerhauses - genannt der Dänholm - ihre Wohnung verlassen, weil das Wasser mit riesiger Schnelligkeit in das Haus drang und sich nach einer erhöhten Stelle im Garten zurückgezogen; so hatten sie auf einer Fläche von 8 Ruthen die Nacht zugebracht bei dem Furchtbaren Unwetter, umgeben von einem Wellenmeer, bis man gegen Morgen, auf dem Gutshof aufmerksam geworden, ihnen Hilfe brachte: leider sollten bei dieser Hilfeleistung viele menschen ihr Leben verlieren; unter Leitung des Gutsherren war ein Floß gebaut aus Ernteleitern, Scheunentüren usw., um die 26 Menschen aus ihrer trostlosen Lage zu befreien, die Einschiffung war glücklich gelungen, auf der Rückkehr stieß das Floß vor auf festen Boden, der hintere Teil senkt sich tiefer und 8 Menschen gleiten in die Wellen und verlieren sämtlich das Leben, darunter der treue Gutsverwalter Mihr, welcher die Rettung geleitet, mit zwei kleinen Kindern in den Armen, der Gutsherr selbst wurde von seinen Leuten mit Gewalt von der weiteren Rettung zurückgehalten, erst gegen Abend ging es, den letzten Mann von der Unglücksstätte abzuschaffen.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 333. Sonntag, 1. Dezember 1872.
Die Sturmflut an den Küsten von Neuvorpommern und Rügen
Über das vielfach geschilderte Unglück treffen immer noch traurige Berichte ein, denen wir Folgendes entnehmen. Schon öfters hat die Sturmflut an dem Ostseestrande große Verheerungen angerichtet. So besonders in den Jahren 1864, 1804, 1449, 1558, 1625.
Aber wenn auch die Verwüstungen in früheren Zeiten umfangreich waren, so werden sie doch in trauriger Weise überboten durch diejenigen, welch die Sturmflut vom 12. bis 14. November anrichtete. Und wohl nirgends an der Ostseeküste ist soviel Schaden zu beklagen, als in Neuvorpommern und Rügen. Die Küste von Neuvorpommern, im Südosten begrenzt von der Peene, erstreckt sich von Anklam an der Peene in nordwestlicher Richtung etwa 11 Meilen bis Barhöft, von hier aus etwa 5 Meilen in südwestlicher Richtung bis zur Recknitz, welche die Grenze zwischen Mecklenburg bildet. Der letzteren Küstenstrecke ist ungefähr in gleicher Länge ein Halbinsel vorgelagert, der Darß, als dessen Fortsetzung gleichsam die Insel Zingst anzusehen ist. Im Norden liegt die Insel Rügen, im Westen von ihr die Insel Hiddensee. Um ein Bild der angerichteten Verheerungen zu gewinnen, wollen wir zunächst die Not schildern, welche der Darß um Zingst, Hiddensee, Rügen erlitten, und dann auch sehen, wie das Festland von Neuvorpommern, zwischen Anklam und Mecklenburg, auf dem von Westen nach Osten die Städte Damgarten, Barth, Stralsund, Greifswald, Wolgast, Lassan liegen. in so überaus trauriger Weise heimgesucht ist. Viele Menschenleben sind zu beklagen. In Prerow ertranken 11 Personen. Vom Kirr, einer kleinen Insel im Süden vom Zingst, wird mitgeteilt, dass mit einem Katen 5 Menschen, Vater, Mutter mit drei Kindern fortgespült sind und das Leben verloren haben. Ein Schiff ist über die Dünen geworfen und steht dort, wo sonst Acker ist . . . . . Die nachfolgende Seite fehlt Fortsetzung folgt.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 334. Montag, 2. Dezember 1872.
Die Sturmflut an den Küsten von Neuvorpommern und Rügen
(Fortsetzung) Und wie sieht es an der der Ostseite von Rügen aus? Wer die Bäder Saßnitz und Kramps kennt, wird mit Schmerz vernehmen, dass die ganze, mit vieler Mühe und großen Kosten seit Jahren gehegte und gepflegte Uferpromenade, das Herrenbad, die Verladungsbrücken, auch der die Badegäste stets mit seinem Schatten labende Wallnussbaum am Ufer vernichtet sind. Fast sämtliche Fischerboote und die den beiden hier wohnenden Fabrikanten gehörenden sechs Boote sind ein Raub der wütenden Elemente geworden. Ungemein hat auch die Südspitze von Rügen, Mönchgut, gelitten. Vom Jahre 1309 wir uns berichtet von Mönchgut, dass Lobbe, Groß Zicker, Thiessow und Klein Zicker getrennte Inseln waren. Das ist auch jetzt wieder eingetreten. Der Damm zwischen Middelhagen und Lobbe ist überflutet. Die Dünen sind gewichen und haben mit ihrem Sandwasser das Land überflutet. Es ist nur ein Strand geblieben, der mit Leichtigkeit von jeder Flut übersprungen werden kann. Furchtbar haben hier die Elemente gewütet; sechs Jachten sind zerschellt. Hören wir einen Augenzeugen: "Wer beschreibt das Unglück und die Leiden der armen Leute? Wer kann ihnen eine Wohnung bieten, welche sie trocken für den Winter aufnehme, denn ihre Wohnungen, wenn sie noch ummauert stehen, sind im Innern zusammengebrochen und bieten ein feuchtes Verderben! Wer ersetzt ihnen ihre Kuh, wer die Schafe, die in großer Zahl, an Sticke gebunden, in Reihen . . . . . .
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 335. Dienstag, 3. Dezember 1872.
Die Sturmflut an den Küsten von Neuvorpommern und Rügen
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 342. Dienstag, 10. Dezember 1872.
Der Lübecker Hilfsausschuss für die Überschwemmten der Ostsee hat auf seinen Aufruf hin ca. 20.000 Mark zusammengebracht, und veranstaltet nun eine Haussammlung.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 343. Mittwoch, 11. Dezember 1872.
Flensburg, 5. Dezember. Das Landratsamt Flensburg macht nun das Resultat der Schätzung des durch die Sturmflut vom 13. November im Kreise Flensburg angerichteten Schadens bekannt. Hiernach sind im Landkreis 26 Wohngebäude und 19 andere Gebäude total vernichtet, 108 Wohngebäude und 25 andere Gebäude schwer beschädigt. Taxation [Bewertung] des Schadens 32.172 Thaler Mobiliarschaden 9.881 Thaler, Verluste an Vorräten 20.154 Thlr., Vieh 2.238 Thlr., Sechs Schiffe sind ganz vernichtet, 19 schwer beschädigt. Der Schaden verteilt sich 250 Beschädigte mit 908 Familienmitgliedern. An Ländereien sind 153 Tonnen zum Wert von 31.526 Thlr. total vernichtet. 2.252 Tonnen zum Wert von 16.805 Thlr. beschädigt. Die Herstellungsarbeiten für Deiche, Dämme, Wälle und Wege betragen 36.440 Thlr. Totalschaden im Landkreis 149.455 Thlr. Der Gesamtschaden der Stadt Flensburg für 61 beschädigte Gebäude und Verluste an Mobiliar und Vorräten ist auf 72.641 Thlr. berechnet, welcher sich auf 256 Beschädigte verteilt. Gesamtschaden im Kreis Flensburg 222.036 Thlr. Nicht gerechnet ist der Schaden an den Saatfeldern. Bedenkt man nun, dass verhältnismäßig der Schaden in der Stadt und Kreis Flensburg nicht zu den bedeutendsten gehört, so mag man ermessen, welches Unheil durch die Sturmflut angerichtet wurde. Die Stadt Flensburg hat zur Landeskollekte a. 2.000 Thlr. zusammen gebracht, in den eigenen Mauern für die Flensburger bereits über 11.000 Thlr. gesammelt bzw. verteilt.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 347. Sonntag, 15. Dezember 1872.
Aus Mecklenburg, 10. Dezember Der Landtag hat zu Unterstützung der durch die Sturmflut vom 13. November Beschädigten, sowie zur Wiederherstellung der zerstörten Dünen usw. 100.000 Thlr. bewilligt.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 352. Freitag, 20. Dezember 1872.
Barmen, 16. Dezember Für die Überschwemmten an der Ostsee ist hier eine bedeutende Summe auf eine Weise zusammengebracht worden, die Nachahmung verdient. Der Rektor der Realschule 2. Ordnung, Dr. Burmester, in Barmen-Wupperfeld und der Rektor der höheren Töchterschule für Mittel- und Ober-Barmen, Dr. Kleinpaul, haben nämlich am 12. d. M. ein Konzert veranstaltet, bei welchem, außer den dirigierenden Lehrern, sämtliche Mitwirkende Kinder waren. Ein Trompeter- und Trommler-Korps von Realschülern trug eine Reihe von Märschen vor, während dazwischen eine in zwei Abteilungen gesonderte Schar von etwas 200 Mädchen Chorgesänge ausführte. Nach einem Orgelbegleitung gesungenen Eingangschoral legte ein schöner Prolog von Emil Rittershaus die Tendenz des Unternehmens in Fersen dar, deren Wirkung um so mächtiger war, als sie mit ebenso gediegenem Ausdruck, als kindlicher Naivität von seiner 15-jährigen Tochter, einer Schülerin der ersten Klasse, vorgetragen wurden. Nun folgte abwechselnd Militärmusik und Chorgesang. Der letztere wurde im ersten Teile von den Schülerinnen der beiden mittleren Klassen der Töchterschule, Kindern von 10-12 Jahren, unter Direktion ihres Lehrers Sammler, im zweiten Teile von den vier oberen Klassen, unter Leitung des Lehrers Wießner; ausgeführt. Die Art der Ausführung, sowohl der Vokal- als der Instrumentalsätze war eine so gelungene, das selbst bedeutende Musiker sie als sehr lobenswert, alle Erwartungen übertreffend bezeichneten. Das gab sich auch kund in der Aufmerksamkeit, mit der das aus cirka 1.100 Personen bestehende Publikum Piegen begleitete, und in dem rauschenden Beifall, den es den kleinen Musikern zollte. Den schönsten Lohn finden diese und ihre wackeren Lehrer (zu denen wir auch den Instruktor des Musikkorps, Braun, rechen müssen), so wie die Unternehmer sicher darin, dass das Konzert einen Reinertrag von 600 Thlr. zum Besten der Überschwemmten ergeben hat.
Neue Würzburger Zeitung mit Würzburger Anzeiger. No. 358. Freitag, 27. Dezember 1872.
Den Überschwemmten an der Ostsee droht nunmehr eine zweite Überschwemmung und zwar eine Überschwemmung mit Bibeln. Die englische Bibelgesellschaft will unter die Notleidenden "Testament mit Palmen" verteilen. Steine sind es gerade nicht, welche das fromme England den Unglücklichen statt Brot bietet; viel nachhaltiger ist es aber auch nicht.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ostseesturmflut vom 12. u. 13. November 1872 im Spiegel der Presse