Mecklenburger Tageblatt. Wismar. 1872

Wismar, 15. November (Über früherer Überschwemmungen) spricht sich unsere Chronik wie folgt aus:
1374, den 4. Dezember, ist so hohes Wasser in Wismar gewesen, dass es bis auf den Hopfenmarkt gestanden.
1558, den 8. Februar, ist bei heftigen Sturm so hohes Wasser gewesen, dass fast alle Wismarschen Schiffe aufs Land zu stehen gekommen.
1596, den 21. Januar, ist so hohes Wasser gewesen, dass es mitten in der Breiten Straße gestanden.
1625, den 10. Februar, hat es entsetzlich gestürmet und ist ungemein hohes Wasser gewesen, daher einige Schiffe bis nach St. Jacob getrieben, andere sind an die Stadtmauer gestoßen, dass ein Teil davon niedergefallen. Zum Andenken hat man, indem man die Mauer wieder aufgebaut, einen Stein mit derselben gesetzt.
1644 ist bei dem damaligen Sturm das Wasser über 4 Ellen hoch an der Mauer am Wasser gestanden.
1690, den 2., 7. Und 13. Dezember, war Hochwasser und konnte man das erste Mal mit Booten auf der Neustadt fahren.
1718. So hohes Wasser, dass es auf der Neustadt stand, ein Schiff von der Reede trieb herein.

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1872. Die Sturmflut, die in der Nacht vom 12. auf den 13. November die niedrig gelegenen Teile unserer Stadt in einem früher nicht gekannten Umfange überschwemmte, hat die dort Wohnenden schwer beschädigt. Von der nicht geahnten Gefahr im Schlafe überrascht, vermochten die Meisten nur Weniges zu bergen. Nicht bloß Haus und Hof, sondern auch die bewegliche Habe, die in den Kellern für den Winterbedarf eingesammelten Vorräte, die Mobilien in den unteren Räumen der Häuser, Betten und Kleidungsstücke mussten dem Andrange des Hochwassers preisgegeben werden. Viele von den Beschädigten trifft der angerichtete Schade sehr hart, ihr ganzer mit mühsamen Fleiß, und jahrelanger Sparsamkeit errungener Wohlstand ist vernichtet.


Diesen wirksam zu helfen und ihren Verlust möglichst zu mindern, sind die Unterzeichneten zu einem Verein zusammengetreten in der festen Zuversicht, das Wismars Bürger und Einwohner für diesen Zweck, ein jeder nach seinen Kräften, willig beisteuern werden.

Die Unterzeichneten werden im Laufe der nächsten Woche zur Sammlung von Beiträgen einen Umgang in der Stadt machen.
Wismar, den 16. November. 1872
Anders, Senator. Augustin, Hutmacher. Becker, Brauer. Fabricius, Senator. Hansen, Rentier. Haupt, Bürgermeister. Jordan, Domainenrat. Martens, Advokat. Meyer, Pastor. Müller, Rentier. Nölting, Dr. Schregel, Kaufmann. Sthamer, Medizinalrat. Süsserott, Dr. med. Thormann, geh. Commerzienrat. Vagt, Schiffer. Walter, Superintendent. Wilbrand, Kaufmann.

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Amtliche Bekanntmachung der Stadt Wismar.
Wismar, den 15. November 1872. Das Direktorium der Armenanstalt.
Betten, Kleidungsstücke und dgl. welche in Folge der Überschwemmung nass geworden sind, können im Krankenhause für Unbemittelte unentgeltlich rasch und gründlich getrocknet werden Meldungen sind bei dem Senator Fabricius anzubringen.

Hilferuf für Boltenhagen!
Klütz, den 13. November 1872
Ein Orkan aus Nordost, der die Ostsee aus ihren Ufern trieb, hat den Badeort Boltenhagen am Ostseestrande in eine Wüste verwandelt. Viele Gebäude liegen zertrümmert von den haushohen tobenden Wellen, das Hab und Gut der Bewohner treibt auf den Wellen umher und selbst den wenigen Gebäuden, welche noch nicht vollends dem Wasser zur Beute geworden sind, droht, unterwühlt von denselben, täglich und stündlich der Einsturz. Nur das nackte Leben, ist unter eigener Lebensgefahr edler Menschen, den Bewohnern dieses Badeortes gerettet. Das Elend ist entsetztlich, ist unbeschreiblich und fordert dringend zur Hilfe auf. Daher ergehet von den Unterzeichneten ein Hilferuf an Alle und insbesondere an Diejenigen, welche teils dem Boltenhagener Seebade, ihre Genesung verdanken, teils einige fröhliche Wochen im Laufe des Sommers dort verleben und sind die Mitunterzeichneten Pastor Erdmann und Actuar Schmidt gerne bereit jede Gabe der freundlichen Milde und aus der Nähe und der Ferne in Empfang zu nehmen.
Klütz, den 13. November 1872.
Erdmann, Pastor. Schmidt, Gerichtsactuar. E. Meyer, Organist. A. E. Marsen, Tierarzt. A. Schmidt. C. Steinbeck
Zur Annahme von Beiträgen sind auch wir gerne bereit.
Die Expedition.
Mecklenburger Tageblatt, Wismar, 13. Nov. 1872

Mecklenburger Tageblatt, Wismar, 13. Nov. 1872

Mecklenburger Tageblatt, Wismar, 15. Nov. 1872 2

Mecklenburger Tageblatt, Wismar, 15. Nov. 1872 2

Mecklenburger Tageblatt, Wismar, 15. Nov. 1872

Mecklenburger Tageblatt, Wismar, 15. Nov. 1872

Mecklenburger Tageblatt, Wismar, 16. Nov. 1872

Mecklenburger Tageblatt, Wismar, 16. Nov. 1872

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