Bäder bei Krankheiten

Auf dem Gebiet der Krankheiten der Respirationsorgane sind es namentlich lange bestehende Katarrhe oder die Neigung zu Katarrhen, welche günstig durch die Kombination der See- und Waldluft beeinflusst werden, desgleichen die Residuen abgelaufener Lungen- und Brustfellentzündungen. Das Emphysem hat selbstverständlich nur insofern darauf zu rechnen, als der begleitende Katarrhe gemildert, resp. gehoben wird; doch möchte ich an dieser Stelle noch einmal das leicht zu erreichende pneumatische Kabinett in Doberan als unterstützendes Kurmittel hervorheben. Dass das rein „nervöse“ Asthma in den meisten Fällen wesentliche Besserung zu erwarten hat, ist bekannt und hier durch mehrere Fälle bewiesen. — Die Frage, ob Personen mit sog. schwindsüchtiger Anlage an die See gehören, ist schon in bejahendem Sinne entschieden; der günstige Einfluss ist schon zu oft und so auch hier durch viele Fälle bewiesen. Ich möchte indes noch einen Schritt weitergehen und gestützt auf einige prägnante Fälle die Behauptung aufstellen, dass auch solche Kranke, bei denen nicht allein mehr krankhafte Anlage, sondern schon ausgesprochene Krankheit besteht, in dem Klima unseres Bades Heilung finden können, — vorausgesetzt, dass nicht schon weit ausgedehnte Zerstörungen des Lungengewebes eingetreten sind und dass der Aufenthalt im Bade genügend lange ausgedehnt wird.

Es möchte hier der Ort sein, über die Kurdauer überhaupt und die Zeit des Kurgebrauchs einige Worte zu sagen. Unsere sozialen Verhältnisse bringen es mit sich, dass die Kurdauer gewöhnlich auf 4, wenn es hoch kommt, auf 6 Wochen festgesetzt wird; dass ferner die Zeit des Kurgebrauchs in den Hochsommer verlegt wird. Was zunächst letzteren Brauch anbetrifft, so spielen hier, wie gesagt, die sozialen Verhältnisse, namentlich die Ferien, eine Hauptrolle, sodann aber auch das bestehende Vorurteil, dass in unseren Breiten der Früh- und Spätsommer, resp. Frühherbst für Vornahme einer Kur nicht geeignet seien. Gegen dies letztere Vorurteil hat schon vor Jahren mein verstorbener Vorgänger, Medizinalrat Dr. Kortüm, angekämpft*) und die hervorragende Heilkraft des Frühsommerklimas zu Heiligendamm nachgewiesen. Auch Mettenheimer**), wenn er auch noch die günstige Einwirkung des Frühlingsklimas bei Brustkranken bezweifelt, gesteht doch zu, dass sich die zweite Hälfte des Juni schon zu Heilzwecken benutzen lässt, und empfiehlt gerade für Brustkranke einen verlängerten Herbstaufenthalt an der Küste, besonders an den durch Wälder geschützten Punkten. Auch ich kann mich Kortüm vollständig anschließen, wenn er für manche Kuren gerade die Zeit des „balneologischen Frühlings“, die er von Ende Mai bis Mitte Juli rechnet, am vorteilhaftesten hält. Der Wald ist dann vollständig entwickelt und prangt im frischesten Grün; die Temperatur ist mild und geringen Schwankungen unterworfen; das Wetter pflegt um diese Zeit am konstantesten zu sein. Alle diese Faktoren vereinigen sich, um die Gesamtluft zu einer milderen zu machen, deren wohltätige Einwirkung auf jene oben erwähnten nervösen Erkrankungen unverkennbar ist, während zu gleicher Zeit die größere Ruhe, das zwanglose Leben, dazu der Eindruck der prächtigen Landschaftsbilder, die mit dem Aufblühen der Natur harmonierende gehobene Gemütsstimmung psychische Momente von größter hygienischer Bedeutung bilden. Ein verlängerter Frühsommeraufenthalt — und als solchen rechne ich einen Kuraufenthalt, der mindestens von Anfang Juni an auf 7 bis 8 Wochen sich erstreckt, — hat mir bei obigen Leiden schon sehr häufig die schönsten Erfolge gezeitigt. Der Einwand, dass die Temperatur des Seebades um diese Zeit zu einer Seebade-Kur nicht geeignet sei, ist nicht stichhaltig, da es sich einerseits mehr um Seeluftkuren handelt, die eventuell durch warme Bäder, resp. andere hydriatische Prozeduren unterstützt werden, andererseits, wenn das Bedürfnis sich herausstellt, die Kurmittel durch das kalte Seebad zu vermehren, schon Ende Juni, in günstigen Jahren auch schon Mitte Juni das Wasser badefähige Temperatur angenommen hat. Und was von der günstigen Einwirkung des Frühsommerklimas auf die nervösen Krankheiten gesagt wurde, gilt in gleichem Maße von den Erkrankungen des Respirationsapparates, auch bei den schwereren, oben angeführten Formen, das gilt von manchen Ernährungsstörungen, wie der Anämie, der Chlorose, der Scrophulose, vor allem der erethischen Form, die sich „durch schlanke Gestalt, zarte, durchsichtige Gesichtsfarbe und lebhafte, oft mit geistiger Frühreife verbundene Erregbarkeit Charakterisiert“, für welche Gildemeister***) geradezu den Gebrauch des Ostseebades fordert. Jedes Jahr bringt neue Belege dafür, dass die hygienische Macht des Frühlings in unserem Seeklima Fälle zur Heilung bringt, die in den Vorjahren einem kurzen Sommeraufenthalt im Seebade gegenüber sich resistent erwiesen haben.


Einige der Heil-Faktoren, wie ich sie für den „balneologischen Frühling“ angeführt habe, die Ruhe und Stille, das zwanglosere Leben, das gleichmäßige schöne Wetter, gelten in derselben Weise für den Spätsommeraufenthalt zu Heiligendamm. Dagegen hat die kühlere Durchschnittstemperatur der Luft unseres Seebades, ihre größere Bewegtheit eine stärkere Reizeinwirkung auf den Organismus zur Folge, eine Gesamtwirkung, die der Laie schon mit dem Ausdrucke „stählend“ kennzeichnet. Der verlängerte Spätsommeraufenthalt wird sich demnach für alle die Fälle empfehlen, in denen wir es mit widerstandsfähigeren Naturen zu tun haben, die teils schon im Sommer die Einwirkungen der Seeluft genossen haben, teils von Hause aus kräftiger veranlagt sind. Dahin gehören wieder eine Reihe von „Nervenkrankheiten“, ferner die Überempfindlichkeit der Haut gegen Temperatureinflüsse, die sog. Hautschwäche; vorzüglich die Erkrankungen der Respirationsorgane in dem oben näher angegebenen Sinne; ferner die Erkrankungen der Bewegungsorgane, sei es, dass wir es mit chronischen Muskelrheumatismen oder mit den Residuen abgelaufener Gelenkrheumatismen zu tun haben, in welch letzteren Fällen die zweckmäßige Verwendung von warmen und kalten Seebädern zuweilen die überraschendsten Erfolge aufweist. Dass in vielen Fällen, wo der Gebrauch einer anderen Bade- oder Trink-Kur im Laufe des Sommers indiziert war, der nachfolgende Spätsommeraufenthalt im Seebade erst den erzielten Erfolg zu einem nachhaltigen macht, ist bekannt.

Ebenso warm, wie für den Frühlings-, resp. Frühherbstaufenthalt im Seebade, d. h. dem durch den Wald geschützten und in seiner Wirkung modifizierten Seebade, plädiere ich für einen verlängerten Kuraufenthalt überhaupt. Mit Bedauern sieht man oft Kranke scheiden, bei denen ein kurzer Aufenthalt allerdings den Anstoß zu einer Umstimmung gegeben hat, bei denen man sich indes sagen muss, dass ein nachhaltiger günstiger Einfluss erst durch längere Einwirkung der gegebenen Heil-Faktoren erzielt worden wäre. Forcieren lässt sich keine Kur und eine Kur im Seebade, die gerade ihre Stärke in den mild anregenden Einflüssen sieht, erst recht nicht. Man kann solchen Kranken nur aus vollster Überzeugung den Rat geben, im nächsten Jahre möglichst früh und mit dem Vorsatze eines längeren Aufenthaltes wiederzukommen, und die Befolgung dieses Rates seitens des Patienten hat mir noch in jedem Jahre schöne Erfolge gezeitigt.



*) Kortüm, Über Frühlingskuren im Seebad, speziell im Ostseebad Heiligendamm.
**) Mettenheimer, Über die hygienische Bedeutung der Ostsee etc.
****) Grildemeister, Die Heilkraft des See- und Höhenklimas, 1885.