Lage und Natur

Wenn vorstehend darauf hingedeutet wurde, dass Heiligendamm sich durch Naturschönheit vor den sämtlichen übrigen Punkten der Ostseegestade auszeichnet, so liegt hierin keineswegs eine wohlrednerische Übertreibung und Anpreisung. Der altbekannte öde und kahle Charakter unserer deutschen Küstenstriche verwandelt sich eben hier in seinen Gegensatz. Kein anderer, von Nord- oder Ostsee bespülter Fleck deutscher Erde kann sich des entzückenden Doppelreizes rühmen, der Heiligendamm umgibt, das mit dem Wogenspiel und der ewig wechselnden Farbenpracht des Meeres den vollen Zauber der lauschigsten Waldidylle verbindet. Von allen Seiten wird der Badeort von den herrlichsten Buchenforsten eng umschlossen, deren Beständen über ein Jahrhundert hinaus von Seite der Landesfürsten pietätvollster Schutz zu Teil wurde. Die, zur Zeit der französischen Invasion, von Soldaten Napoleons in einzelne Stämme eingeschnittenen und bis auf die heutigen Tage deutlich erhaltenen umfangreichen Inschriften beweisen zur Evidenz, dass die betreffenden Bäume damals schon einen mächtigen Umfang haben mussten. An langen Uferstrecken breitet sich das üppige Geäst der Buchen schirmend bis über die unmittelbar in die See abstürzende Düne hin aus. Ein ganzes Netz von sinnig angelegten und in bestem Stande erhaltenen Fußwegen zieht sich durch diese Wälder, in welchen an allen geeigneten Plätzen zahlreiche mit Bänken und Tischen versehene Ruheplätze angelegt sind. So kommt es denn auch, dass, während in allen übrigen deutschen Seebädern die heißen Tagesstunden Jedermann dazu zwingen, in die Wohnungen zu flüchten, die ganze Badegesellschaft von Heiligendamm von früh bis Abends im Freien zu weilen in der Lage ist und selbst vor der sengendsten Hitze in erquickender Waldeskühle Schutz findet. Keine nahe Ortschaft bringt irgend eine unliebsame Störung in die für Gemüt und Nerven so wohltuende und stärkende Weltabgeschlossenheit dieses waldumrauschten Meeresstrandes, dessen Liebreiz sich mit unvergesslichen Erinnerungen dem Gedächtnisse seiner Besucher einprägt. Es sei uns gestattet, aus den vielen Belägen für die Richtigkeit dieser Behauptung nur einige Zeilen aus Fanny Lewald’s „Briefe aus der Heimat“ anzuführen, welche der Eigenart Heiligendamms einen poetischen, aber bezeichnenden Ausdruck geben: „Ein solch’ reizender, solch’ abstrakter Badeort, wie dieser, muss irgendwo existieren und erhalten bleiben, damit wir die Vorstellung gewinnen können, wie es sich im Märchen oder den Gefilden der Seligen lebt, in denen man Alles hat und Nichts entbehrt, in denen nur genießende Menschen verweilen und von des Lebens Müh' und Arbeit so gut wie nichts zu merken ist.“ Die berühmte Schriftstellerin gefällt sich in dem angezogenen Briefe darin, sich des mit so glücklichem Humor erdachten Ausdrucks „abstrakter Badeort“ wiederholt zu bedienen.

Die zur Aufnahme der Badegäste dienenden, am Strande gelegenen, elegant und massiv gebauten und nach der See zu mit Balkons, verdeckten Veranden und Plattformen versehenen Wohngebäude bestehen aus vier großen. Hotelbauten, der Burg (Plan-Nr. 4), dem Logierhause (Plan-Nr. 6), dem Anbau am Logierhause (Plan-Nr. 7) und dem Neuen Flügel (Plan-Nr. 8), und ferner aus elf Villen (Plan-Nrn. 9, 10, 11, 12, 13, 15, 16, 17, 18, 19 und 34). Die Villen sind sämtlich in Wohnungen eingeteilt, welche den Familien alle Vorteile eines behaglichen Heims sichern.


Der Name „der heilige Damm“, der auf den Badeort selbst übergegangen ist, sucht seinen Ursprung im Gebiete der Sage. Östlich des höher gelegenen Terrains, auf welchem die Baulichkeiten Heiligendamms fundieren, zieht sich von dem flachen Strande an bis weit in das Land hinein ein tiefes, teilweise unter das Meeresniveau sich senkendes Niederungsgebiet, über welches in alten Zeiten die See bei Sturmfluten ihre Wellen verheerend sogar bis Doberan trieb. Vor einer nicht genau zu bestimmenden Reihe von Jahrhunderten setzte die See selbst ihrer Macht über diesen Teil des Binnenlandes dadurch ein Ziel, dass sie, angeblich in einer stürmischen Nacht, einen 8—10 Fuß hohen Wall von Steinen, Kies und Geröll anspülte und hiermit einen schützenden Uferdamm bildete. Dass die Entstehung dieses Dammes einer stürmischen Tätigkeit der See zuzuschreiben ist, beweisen deutlich genug sowohl die äußere Beschaffenheit der Steine, deren rundliche Form ihr viel tausendjähriges Rollen am Meeresgrunde verrät, wie auch der Umstand, dass sie zum größten Teile aus nordischen Graniten bestehen, deren weite Wanderung bis hierher nur auf das Walten von Naturkräften zurückgeführt werden kann. Es sprechen mancherlei Gründe für die Annahme, dass die Strandlinie, längst welcher gegenwärtig dieser Uferwall läuft, ursprünglich eine von jenen in der deutschen Küstenformation so häufig vorkommenden Nehrungen und der hinter derselben liegende Conventersee ein kleines Haff waren. Der mechanische Widerstand jener Nehrung hat wohl das Anhäufen der von den Stürmen und Sturmfluten herangerollten Massen veranlasst, welche dann allmählich das Haff gänzlich von der See trennten. Dass eine Sturmflut und eine Nacht zu dem Riesenwerke genügt haben sollten, wie es die Sage behauptet, erscheint sehr unglaubwürdig, wenn auch vielleicht ein einzelner Orkan von außerordentlicher Heftigkeit etwa die ersten, oder eine besonders auffallende Menge von Steinschichten abgelagert haben mag. Eine derartige Naturerscheinung dürfte es wohl gewesen sein, welche von den Mönchen des Doberaner Klosters benutzt wurde, um der frommen Legende zur Unterlage zu dienen, dass jene Mönche während einer solchen stürmischen Nacht im Gebete lagen, und dass dieses Gebet die wütende See zur Eildung jenes Steinwalls gezwungen habe, welcher deshalb den Namen „der heilige Damm“ erhielt.