Kapitel Schahko Matto -7-



Der Gefragte deutete, indem ein leises Lächeln über sein Gesicht ging, mit der Hand nach seinen beiden Ohren.


„Hat ein Kampf zwischen dir und ihnen stattgefunden?“ erkundigte sich der zudringliche Dick weiter.

Apanatschka antwortete mit derselben Gebärde. Da wendete sich Hammerdull an mich:

„Er scheint mir nicht antworten zu wollen; fragt Ihr ihn doch einmal, Mr. Shatterhand!“

„Das würde auch vergeblich sein,“ erwiderte ich.

„Warum?“

„Versteht Ihr denn nicht, was er meint? Er kann nicht hören.“

Da ging dem Dicken ein Licht auf. Er zog den Mund breit, ließ ein lustiges Lachen hören und sagte:

„Well! So hat er wohl auch zwölf Frauen und zweimal zwanzig Söhne und Töchter wie Ihr?“

„Sehr wahrscheinlich!“

„Da will ich mich nur in acht nehmen, daß ich nicht auch noch taub werde, sonst hören wir alle drei nichts mehr! Es geht so schon still genug hier zu. Habt Ihr nichts für mich zu thun, Sir, damit mir die Zeit nicht gar so lange wird?“

„Doch. Steigt hinauf, und schaut nach Winnetou aus! Ich möchte es gern vorher wissen, wenn er kommt.“

„Ob Ihr es wißt oder nicht, das ist ganz egal; aber ich werde es Euch sagen.“

Er ging, und nun, als er sich entfernt hatte, schien Apanatschka wenigstens eine Bemerkung für nötig zu halten, um kein für ihn ungünstiges Urteil in mir aufkommen zu lassen. Er ließ einen verächtlichen Blick über den Gefangenen streifen und sagte:

„Die Söhne der Osagen sind keine Krieger; sie fürchten die Waffen tapferer Männer und fallen nur über wehrlose Leute her.“

„Ist mein Bruder wehrlos gewesen?“ fragte ich.

„Ja. Ich hatte nur ein Messer bei mir, weil mir jede weitere Waffe verboten war.“

„Ah! Mein Bruder war unterwegs, um sich den heiligen Yatkuan 10) zu holen?“

„So ist es. Apanatschka wurde von dem Rate der Alten ausersehen, nach Norden zu reiten, um die heiligen Steinbrüche aufzusuchen. Mein Bruder Shatterhand weiß, daß, so lange es rote Männer giebt, kein Krieger, welcher von seinem Stamme nach dem Yatkuan ausgeschickt wird, eine andere Waffe als nur das Messer führen darf. Er hat keinen Pfeil und keinen Bogen, kein Gewehr und keinen Tomahawk nötig, weil er kein Fleisch, sondern nur Pflanzen essen darf und sich gegen keinen Feind zu verteidigen braucht, weil es verboten ist, einen Mann, der nach den heiligen Steinbrüchen reitet, unfriedlich zu behandeln. Apanatschka hat noch nie von einem Falle gehört, daß dieses Gesetz, welches bei allen Stämmen Geltung hat, übertreten worden ist. Die Hunde der Osagen aber haben die Schande auf sich geladen, mich zu überfallen, gefangen zu nehmen und zu fesseln, obgleich ich nur das Messer hatte und ihnen durch das Wampum des Kalumets bewies, daß ich mich auf dem Wege der großen Medizin befand.“

„Du hast ihnen das Wampum vorgezeigt?“

„Ja.“

„Ich sehe es nicht. Du hast es nicht mehr?“

„Nein. Sie haben es mir abgenommen und in das Feuer geworfen, von dem es verzehrt worden ist!“

„Unglaublich! So etwas ist allerdings noch niemals vorgekommen! Sie haben damit ihre Ehre in die Flammen geworfen und für alle Zeit vernichtet. Sie mußten dich, selbst wenn du ihr größter Feind gewesen wärst, als Gast behandeln!“

„Uff! Ich sollte sogar getötet werden!“

„Hast du dich gewehrt, als sie dich ergriffen?“

„Durfte ich das?“

„Nein.“

„Hätte ich mich gewehrt, so wäre das Blut vieler von ihnen geflossen; da ich mich aber auf mein Wampum und die uralten Gesetze verließ, die noch niemand zu übertreten wagte, bin ich ihnen willig wie ein Kind in ihr Lager gefolgt. Von nun an darf jedem Osagen, der einem ehrlichen Krieger begegnet, ins Gesicht gespieen werden und – – –“

Er wurde unterbrochen, denn Dick Hammerdull kam und meldete, daß Winnetou zu sehen sei. Ich wollte den Apatschen mit dem Naiini-Komantschen überraschen, bat also Apanatschka, hier bei dem Gefangenen zu bleiben, und ging mit Dick Hammerdull nach der andern Seite des Kih-pe-ta-kih, wo die Angemeldeten erscheinen mußten. Ich hatte natürlich erwartet, fünf Personen zu sehen, nämlich Winnetou, Treskow, Holbers, Old Wabble und Schahko Matto, bemerkte aber zu meiner Verwunderung, daß sich noch ein Indianer bei ihnen befand. Als sie näher gekommen waren, sah ich, daß dieser auch auf das Pferd gebunden war. Winnetou hatte also noch einen Gefan genen gemacht; die Kriegsfarben in seinem Gesichte zeigten, daß er auch ein Osage war.

Ich trat, damit der Apatsche nicht erst rekognoszieren solle, soweit vor das Gesträuch, daß er mich erkennen mußte. Er lenkte also gerade auf mich zu, hielt bei uns an und fragte:

„Befindet sich mein Bruder schon vor mir hier, weil ihm etwas Böses begegnet ist?“

„Nein, sondern weil alles schneller und besser ging, als ich denken konnte.“

„So geleite er uns zu seinen Pferden! Ich habe ihm sehr Wichtiges zu berichten.“

Schahko Matto hatte diese Worte gehört; ich fing einen triumphierenden Blick auf, den er auf mich warf, und ließ infolgedessen die Bemerkung hören:

„Die Pferde befinden sich auf der andern Seite; wir werden aber gleich hier unten lagern.“

Der scharfsinnige Winnetou ahnte sofort, daß es sich um eine Heimlichkeit handle; er warf einen kurzen Blick in mein Gesicht und ließ dann ein befriedigtes Lächeln um seine Lippen spielen. Der Häuptling der Osagen aber machte mir in barschem Tone die Bemerkung:

„Old Shatterhand wird erfahren, was geschehen ist, und mich in kurzer Zeit freilassen müssen!“

Ich antwortete nicht und stieg in die Vertiefung hinab. Die andern folgten mir, indem Hammerdull und Holbers die Pferde der beiden Indianer führten. Dabei hörte ich, daß der Dicke zu seinem langen Busenfreunde sagte:

„Also bei euch ist etwas sehr Wichtiges passiert, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Wenn du denkst, daß es wichtig ist, so hast du es erraten,“ lautete die Antwort.

„Ob erraten oder nicht, das bleibt sich gleich. So wichtig ist es aber jedenfalls nicht wie das, was – –“

„Laßt das Plaudern!“ unterbrach ich ihn. „Ehe die Reihe, zu reden, an Euch ist, sind vorher schon noch andere da!“

Er merkte, daß er im Begriffe gestanden hatte, einen Fehler zu begehen, und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. Auf dem Grunde des Einsturzes angekommen, banden wir die Gefangenen von den Pferden, legten sie auf den Boden und setzten uns zu ihnen nieder. Winnetou, welcher nicht wissen konnte, womit ich hinter dem Berge hielt, warf mir heimlich einen fragenden Blick zu, worauf ich die Aufforderung an ihn richtete:

„Mein Bruder lasse mich das Wichtige wissen, was er mir mitzuteilen hat!“

„Soll ich mit offenem Munde sprechen?“

Er meinte damit, ob er ohne alle Rücksicht auf das, was ich noch zu verschweigen hatte, reden könne.

„Ja,“ nickte ich. „Hoffentlich ist es nichts Unange nehmes, was geschehen ist!“

Was ich erwartet hatte, das geschah: Old Wabble fiel schnell und in höhnischem Tone ein:

„Sehr unangenehm sogar, höchst unangenehm für Euch! Wenn Ihr etwa glaubt, uns noch immer sehr fest und sicher in den Händen zu haben, so irrt Ihr Euch gewaltig!“

„Pshaw!“ lachte ich. „Die Karten stehen für uns ja noch besser als vorher!“

„Wieso?“

„Wir haben heut einen Gefangenen mehr als gestern!“

„Und Ihr meint, das sei vorteilhaft für euch? Laßt Euch doch von Winnetou sagen, wie die Sachen stehen!“

Der Apatsche überwand in diesem Falle einmal seinen Stolz, indem er in wegwerfendem Tone sagte:

„Der alte Cowboy hat ein Gift auf seiner Zunge; ich will ihn nicht hindern, es über uns auszuspritzen.“

„Ja, es ist ein Gift, und zwar ein solches, an dem ihr alle zu Grunde gehen werdet, wenn ihr uns nicht sofort die Freiheit gebt; th’is clear!“

„Unnütze Redensart, um uns bange zu machen!“ lachte ich.

?Lacht immerhin! Das Lachen wird euch gleich vergehen, wenn ihr hört, was während eurer glorreichen Abwesenheit geschehen ist.“ Er deutete auf den neugefangenen Roten und fuhr fort: „Den Kriegern der Osagen dauerte die Rückkehr ihres Häuptlings zu lange; darum sandten sie diesen Mann zu ihm, um den Grund seines langen Bleibens zu erfahren. Er kam nach dem Wäldchen, wo ihr uns überfallen habt; wir waren fort; er folgte aber unserer Spur und entdeckte unsern gestrigen Lagerplatz. Merkt Ihr noch nichts?“

„Ich merke nur, daß er dabei ergriffen wurde.“

„Schön! Aber etwas wißt Ihr nicht, nämlich daß er nicht allein gewesen ist. Es war ein zweiter Osage bei ihm, welcher klüger und vorsichtiger war als er. Dieser entkam und ist nun zurückgeeilt, um einige hundert Verfolger zu holen, die Euch sicher jetzt schon auf den Fersen sind. Ich gebe Euch den Rat, uns augenblicklich freizulassen; das ist das beste, was Ihr thun könnt; denn wenn diese Menge von Osagen kommt und uns noch in euern Händen findet, so werden sie keine Schonung üben, sondern euch auslöschen, wie der Sturm schwache Zündhölzer auszublasen pflegt!“

„Ist das alles, was Ihr mir zu sagen habt?“ fragte ich.

„Einstweilen ja; aber wenn Ihr so albern seid, meinen guten Rat nicht zu beachten, so kommt noch mehr!“

„Dann doch lieber gleich heraus mit diesem Mehr!“

„Nein. Erst will ich sehen, ob Old Shatterhand wenigstens einmal nur den hundertsten Teil der großen Klugheit besitzt, die man ihm irrtümlicherweise zuzuschreiben pflegt.“

„Soviel ist gar nicht notwendig, denn schon der zehntausendste Teil reicht für mich vollständig zu, Eure Drohung zu verlachen. Auch angenommen, daß alles ganz genau so ist, wie Ihr sagt, so befindet Ihr Euch noch in unserer Gewalt, und Eure Osagen sind noch nicht da. Was hindert uns, euch auszulöschen, so wie der Wind Zündhölzer ausbläst?“

„Pshaw! Das thut Ihr nicht, denn Ihr seid ein viel zu guter und viel zu liebevoller Christ dazu und sagt Euch ganz gewiß, daß die Osagen unsern Tod blutig rächen würden.“

„Diese paar Leute? Was sind die gegen Winnetou, von mir gar nicht zu reden!“

„Ja, Eure Einbildung ist groß genug; das weiß man schon! Aber ich ahne, was Euch solchen Mut einflößt!“

„Nun, was?“

„Ihr seid auch, wie Winnetou, auf Fenners Farm gewesen und habt dort um Hilfe gebeten. Wahrscheinlich sind nun einige arme Cow-boys unterwegs, mit denen Ihr uns schrecken wollt.“

„Pshaw! Wenn Ihr einigermaßen rechnen könntet, so müßtet Ihr wissen, daß ich von Fenners Farm jetzt noch nicht wieder hier sein könnte. Ich war an einem ganz, ganz anderen Orte und habe Euch zum Beweise, mit welcher Liebe ich dort an Euch dachte, jemand mitgebracht.“

„Möchte wissen, wer das ist. Laßt ihn doch sehen!“

„Sofort! Diese Freude kann ich Euch und Schahko Matto schon gern machen.“

Ich sagte Dick Hammerdull einige Worte in das Ohr. Er nickte lachend, stand auf und entfernte sich. Alle, selbst Winnetou, obgleich sich dieser gar nichts merken ließ, waren gespannt darauf, wen der Dicke bringen würde. Als er nach kurzer Zeit zurückkehrte, führte er unsern gefangenen Osagen am Arme.

„Uff!“ rief Schahko Matto erschrocken.

„All devils!“ schrie Old Wabble. „Das ist ja der – –“

Er hielt es für geraten, mitten im Satze abzubrechen. Ich winkte Hammerdull, den Roten wieder fortzuführen, weil dieser durch ein Wort die Anwesenheit Apanatschkas verraten konnte, und fragte den alten Cowboy:

„Das war der Rote, welcher die Hunderte von Osagen holen sollte. Denkt Ihr jetzt noch, daß sie kommen werden?“

„Der Teufel hole Euch!“ zischte er mich an.

„Uff!“ fiel Schahko Matto ein. „Old Wabble hat ja den Naiini ganz vergessen!“

„Das fällt mir gar nicht ein!“ entgegnete dieser und fügte, zu mir gewendet, hinzu: „Ich habe schon bemerkt, daß ich noch eine Karte habe, die Ihr gewiß nicht übertrumpfen könnt, für so klug und weise Ihr Euch immer halten mögt!“

„Die möchte ich kennen lernen!“

„Werde Euch gleich behilflich dazu sein! Ihr werdet Euch sicher noch mit großem Vergnügen an den Llano erinnern, wo Ihr die Ehre hattet, von – – –“

„Von Euch bestohlen zu werden,“ fiel ich ihm in die Rede.

„Auch richtig, doch wollte ich etwas anderes sagen,“ lachte er. „Es gab dort einen jungen Naiini-Häuptling. Wie hieß er doch nur gleich?“

„Apanatschka,“ antwortete ich, mich ganz ahnungslos stellend.

„Yes, Apanatschka! Ihr hattet ihn sehr lieb, nicht?“

„Ja.“

„Da Ihr Euch eines ausgezeichnet guten Herzens rühmt, vermute ich, daß diese Eure Liebe sich nicht verringert hat?“

„Sie ist im Gegenteile inzwischen noch gewachsen!“

Er sprach in überlegenem Tone, weil er glaubte, seiner Sache ganz sicher zu sein, und ich ging auf diesen Ton ein, weil ich bemerkte, daß Apanatschka mir in der Rolle, die ich ihm zugedacht hatte, entgegenkam. Hammerdull war, als er den Osagen fortgeführt hatte, nicht wiedergekommen; ich sah an seiner Stelle den Naiini-Häuptling im Gebüsch stehen. Er mochte vermutet haben, daß ich nun auch mit seiner Person eine Ueberraschung beabsichtige, und hatte sich herbeigeschlichen, ohne abzuwarten, bis ich ihn holen ließ. Ein Blick in Winnetous Gesicht verriet mir, daß die scharfen Augen des Apatschen ihn auch schon entdeckt hatten.

„Noch gewachsen?“ wiederholte Old Wabble meine Worte. „Ihr wollt wahrscheinlich damit sagen, daß Ihr ihn noch heut wie damals als Euern Freund und Bruder betrachtet?“

„Ganz gewiß!“

„Für den Euch kein Opfer zu groß sein würde?“

„Ja. Ich will damit sagen, daß ich ihn in keiner Gefahr stecken lassen würde, und wenn ich mein Leben wagen sollte.“



10) Roter Pfeifenthon.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand III