Kapitel Schahko Matto -17-



Ehe Winnetou hierauf antworten konnte, geschah etwas, was wohl weder er noch der Anführer der Cheyennes erwartet hatte, und das kam von mir. Die ganze Art und Weise der mißglückten Ueberrumpelung der Farm ließ erraten, daß wir es mit meist unerfahrenen Leuten zu thun hatten. Den Angriff nur gegen die Vorderfront des Hauses zu richten, ohne es ganz einzuschließen, sich dann in einem Bogen hinzustellen und unseren Kugeln auszusetzen, das waren Fehler, über welche man nur lächeln konnte. Daß diese achtzig Indianer auch dem Apatschen nicht imponierten, ersah ich daraus, daß er sie nur „Cheyennes“, nicht aber „Krieger der Cheyennes“ nannte; ich kannte da meinen Winnetou nur zu gut. Sollten wir solche Leute so behandeln, wie man alte, erfahrene Krieger behandelt? Das fiel mir gar nicht ein. Es so kurz wie möglich machen, das war das beste; sie sollten sich nicht rühmen dürfen, von uns für vollgültig betrachtet und behandelt worden zu sein. Darum schlüpfte ich, von ihnen unbemerkt, aus der Pforte des Korrals, legte mich nieder und kroch im Rücken des Halbkreises so weit durch das Gras, bis ich mich hinter der Stelle befand, wo das „eiserne Messer“ stand. Das konnte sehr schnell geschehen und wurde mir sehr leicht, weil die Roten jetzt alle nach dem Hause blickten und keine Obacht auf das hatten, was hinter ihnen vorging. Als der Anführer sein letztes Wort, das gebieterische „Howgh!“ aussprach, stand ich auf, schnellte mich vorwärts, so daß ich den Halbkreis erreichte, brach durch die Reihe der Indianer und stand dann neben dem Anführer, ehe sie in ihrer Ueberraschung hatten daran denken können, es zu verhindern. Ehe Winnetou dort an der Thür das lächerliche Ultimatum verdientermaßen zurückweisen konnte, rief ich mit lauter Stimme:


„Zu hören, was wir beschließen, dazu bedarf es keiner Stunde Zeit; die Cheyennes sollen es gleich erfahren.“

Mein plötzliches Erscheinen im Innern des Halbkreises mitten unter ihnen rief selbstverständlich eine große Aufregung hervor; mich gar nicht um dieselbe kümmernd, fuhr ich fort:

„Hier steht Old Shatterhand, dessen Namen die Cheyennes alle kennen werden. Ist einer unter ihnen, der es wagen will, die Hand gegen mich zu erheben, so trete er zu mir heran!“

Was ich beabsichtigt hatte, das geschah: die Aufregung machte einer vollständigen, lautlosen Stille Platz. Mein scheinbar kühnes, ja verwegenes Erscheinen hatte sie bloß überrascht; meine Herausforderung aber verblüffte sie, zumal ich dabei so ruhig stehen blieb, als ob sie alle „Wurst und Schnuppe“ für mich seien, obgleich ich nicht einmal ein Gewehr in den Händen hatte. Ich nutzte diesen Eindruck ohne Zögern aus, erfaßte den Anführer bei der Hand und sagte:

„Witsch Panahka mag augenblicklich hören, was wir zu thun entschlossen sind; er komme mit!“

Seine Hand festhaltend, ging ich dem Hause zu. Das war schon nicht mehr Mut zu nennen, sondern eine Frechheit, die ihresgleichen suchte; aber sie that prompt ihre Wirkung: sie konsternierte ihn in der Weise, daß es ihm gar nicht einfiel, sich zu weigern oder gar mir Widerstand entgegenzusetzen. Er ging willig wie ein Kind mit mir bis hin zu Winnetou, der noch am offenen Eingange stand und den Cheyenne bei der andern Hand ergriff. Halb zogen und halb schoben wir ihn hinein und schlossen dann die Thür hinter uns zu.

„Schnell Licht, sehr schnell, Mr. Harbour!“ rief ich in den dunklen Raum hinein. Ein Zündholz leuchtete auf; die Lampe wurde angesteckt, und nun konnten wir das Gesicht des „eisernen Messers“ sehen. Es konnte uns, wie man mir glauben wird, in diesem Augenblicke nicht etwa durch einen sehr geistreichen Ausdruck imponieren.

Das war alles so schnell gegangen, daß die Cheyennes draußen erst jetzt einsahen, was für ein großer Fehler es von ihnen war, daß sie es hatten geschehen lassen. Wir hörten sie schreien und rufen, kümmerten uns aber nicht darum, denn so lange sich ihr Anführer bei uns befand, durften sie nicht daran denken, etwas Feindliches gegen uns vorzunehmen. Ich schob ihn zu einem Stuhle hin und forderte ihn auf:

„Witsch Panahka mag sich zu uns setzen! Wir sind Freunde der Cheyennes und freuen uns, ihn als Gast bei uns zu sehen.“

Auch das kam ihm so sonderbar vor, daß er sich ohne Weigern niedersetzte. Er, der mit achtzig Männern gekommen war, die Farm zu überfallen, befand sich zehn Minuten nach dem ersten Kriegsgeheul im Innern derselben, aber nicht als Sieger, sondern in unserer Gewalt, und mußte es sich gefallen lassen, ironisch als unser Gast bezeichnet zu werden. Ich hatte durch meine Unverfrorenheit, die eigentlich Ohrfeigen verdient hätte, alles Blutvergießen verhütet, den Ernst der Situation in das fast Lächerliche verwandelt und die Volte derart geschlagen, daß wir alle Trümpfe und Zähler, die Cheyennes aber nur leere Karten hatten.

Wie freute ich mich im stillen über die Anerkennung Winnetous! Er sprach sie nicht in Worten aus, aber sie war in seinem Gesichte und in dem Blicke zu lesen, den er mit inniger Wärme auf mich gerichtet hielt. Diese Wärme machte auch mir das Herz warm. Ich gab ihm die Hand und sagte:

„Ich lese in der Seele meines Bruders und will ihm nur das eine sagen, daß er mein Lehrer und ich sein Schüler war!“

Er drückte mir die Hand und schwieg. Es bedurfte aber auch keines Wortes, denn ich verstand ihn doch. Was war er doch für ein Mann, besonders wenn man ihn mit dem Cheyenne verglich, der so verlegen bei uns saß, daß er fast nicht wagte, die Augen aufzuschlagen! Schahko Matto hatte sich ihm gegenübergesetzt, hielt das Auge finster auf ihn gerichtet und fragte:

„Kennt mich der Anführer der Cheyenne? Ich bin Schahko Matto, der Häuptling der Osagen, dessen Auslieferung er gefordert hat. Was glaubt er wohl, daß wir mit ihm thun werden?“

Auf die versteckte Drohung, welche in diesen Worten lag, antwortete der Gefragte:

„Old Shatterhand hat mich Gast genannt!“

„Das hat er gethan, aber nicht ich! Du hattest mich für den Tod bestimmt; ich habe also das Recht, nun den deinigen zu fordern.“

„Old Shatterhand wird mich schützen!“

Das war eine indirekt an mich gerichtete Aufforderung, die ich in strengem Tone beantwortete:

„Das wird ganz darauf ankommen, wie du dich jetzt verhältst! Erteilst du mir die Auskunft, die ich von dir verlange, der Wahrheit gemäß, so bleibst du unter meinem Schutze, sonst aber nicht. Ihr habt heut einen weißen Mann mit einer roten Squaw getroffen?“

„Ja.“

„Dieser Mann hat euch mitgeteilt, daß wir uns hier befinden und daß Schahko Matto bei uns ist?“

„So ist es.“

„Er hat für diesen Dienst die Auslieferung Apanatschkas, welcher hier neben dir sitzt, verlangt?“

„Ja.“

„Was wollte er mit Apanatschka thun?“

„Das weiß ich nicht, denn ich habe ihn nicht gefragt, weil uns dieser fremde, rote Krieger gleichgültig ist.“

„Wo befindet sich der weiße Mann?“

„Ich weiß es nicht.“

„Belüge mich nicht! Er wollte Apanatschka haben, den du ihm bringen solltest. Also mußt du wissen, wo er ist. Wenn du mir noch eine einzige Unwahrheit sagst, liefere ich dich an Schahko Matto aus, dessen Todfeind du bist. Merke dir das! Also sag, wo der Weiße sich befindet?“

Diese Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht; der Cheyenne antwortete:

„Er ist draußen bei meinen Kriegern.“

„Aber seine Squaw doch nicht mit?“

„Nein; sie ist da, wo wir die Pferde gelassen haben.“

Ehe ich weitersprechen konnte, ergriff Winnetou das Wort:

„Ich bin wiederholt bei den Cheyennes gewesen, habe aber Witsch Panahka nie gesehen. Wie kommt das?“

„Wir gehören dem Stamme der Nukweint-Cheyennes an, bei welchem der Häuptling der Apatschen noch nicht gewesen ist.“

„Ich weiß, was ich wissen wollte. Mein Bruder Shatterhand mag weitersprechen!“

Dieser Aufforderung folgend, legte ich dem Cheyenne jetzt die Frage vor:

„Ich sehe, daß ihr die Tomahawks des Krieges ergriffen habt. Gegen wen ist euer Zug gerichtet?“

Er zögerte mit der Antwort; aber als ich da eine drohende Bewegung zu Schahko Matto hin machte, gestand er:

„Gegen die Osagen.“

„Ah, ich errate! Ihr hattet gehört, daß die Osagen ihr Lager verlassen haben, um gegen die Bleichgesichter zu ziehen, und wolltet diese Gelegenheit benutzen, es zu überfallen?“

„Ja.“

„So seid froh, daß ihr uns hier getroffen habt! Die Osagen sind umgekehrt; sie befinden sich wieder daheim und hätten euch, da ihr nur achtzig Mann zählt, die Skalpe genommen. Die Begegnung mit uns ist ein großes Glück für euch; sie rettet euch oder doch vielen von euch das Leben. Ich hoffe, daß dies eine Mah nung zur friedlichen Gesinnung für euch ist. Was gedenkt ihr denn jetzt zu thun?“

„Wir nehmen Schahko Matto mit uns fort. Apanatschka könnt ihr meinetwegen behalten.“

„Laß dich nicht auslachen! Du bist mein Gefangener; das weißt du sehr wohl. Und glaubst du, daß wir uns vor deinen achtzig Leuten fürchten? Die Nukweint-Cheyenne sind als Leute bekannt, die nichts vom Kampfe verstehen.“

„Uff!“ fuhr er zornig auf. „Wer hat dir diese Lüge gesagt?“

„Es ist keine Lüge; das habt ihr heut bewiesen. Euer Angriff war so dumm ausgeführt, daß man euch für kleine Knaben halten möchte. Und dann habe ich mitten unter euch gestanden, ohne daß es einen einzigen gab, der mich anzurühren wagte. Hierauf bist du an meiner Hand wie ein folgsames Kind mit in das Haus gegangen. Wenn wir das ruchbar machen, wird ein großes Gelächter über alle Höhen und alle Savannen gehen, und die andern Stämme der Cheyennes werden sich von euch lossagen, weil sie sich eurer schämen müssen. Du hast zu wählen. Willst du Kampf, so erschießen wir dich hier, sobald draußen von deinen Leuten der erste Schuß fällt. Eure Kugeln thun uns nichts, weil uns die Wände schützen; sieh aber unsere Waffen an; du kennst jedenfalls – –“

„Pshaw!“ unterbrach mich da Winnetou, indem er sich von seinem Sitze erhob und zu dem „eisernen Messer“ hintrat. „Warum so lange Reden! Wir werden gleich mit den Cheyennes fertig sein!“

Er riß den Medizinbeutel, den Witsch Panahka auf der Brust hängen hatte, mit einem schnellen Griffe los. Der Cheyenne sprang mit einem Angstschrei auf, um ihm die Medizin wieder zu entreißen; ich sprang hinzu, drückte ihn auf den Stuhl nieder, hielt ihn dort fest und sagte:

„Bleib sitzen! Wenn du gehorchst, bekommst du deine Medizin wieder, sonst aber nicht!“

„Ja, nur wenn er gehorcht,“ stimmte Winnetou bei. „Ich will, daß die Cheyennes friedlich heimkehren. Thun sie das, so soll ihnen nichts geschehen und niemand wird erfahren, daß sie sich hier wie kleine Kinder benommen haben. Geht Witsch Panahka aber nicht darauf ein, so werfe ich seine Medizin augenblicklich auf den Herd, um sie zu verbrennen, und dann werden unsere Gewehre zu sprechen beginnen. Howgh!“

Wer da weiß, was die Medizin für jeden Roten, zumal für einen Häuptling, zu bedeuten hat, und welche Schande es ist, sie zu verlieren, der wird sich kaum darüber wundern, daß der Cheyenne, wenn auch nach längerem Sträuben, sich in die Forderung des Apatschen fügte.

„Auch ich habe eine Bedingung zu stellen,“ erklär te Treskow.

„Welche?“ fragte ich.

„Die Cheyennes müssen Tibo taka und Tibo wete ausliefern!“

„Daran denkt kein Mensch! Das würde der größte Fehler sein, den wir begehen könnten. Uebrigens bin ich überzeugt, daß der Medizinmann gar nicht mehr draußen ist. Er hat, sobald ich den Häuptling in Beschlag nahm, sofort gewußt, was nun die Glocke schlägt, und sich schnell aus dem Staub gemacht. Und das ist mir nur lieb; weshalb, das werdet ihr schon erfahren.“

Ueber den Friedensschluß mit den Cheyennes draußen zu erzählen, würde zu weit ab führen; es genügt, zu wissen, daß sie schließlich froh über das unblutige Ende ihres so fehlerhaften Ueberfalles der Farm waren. Sie ritten um die Mitte des Vormittages fort, und als darauf eine Stunde vergangen war, brachen auch wir auf, Schahko Matto, der seine Waffen wiederbekommen hatte, als freier Mann. Er war grimmig erzürnt darüber, daß der Medizinmann uns wieder entwischt war; Dick Hammerdull aber, der stets heitere, tröstete ihn:

„Der Häuptling der Osagen mag ihn immer laufen lassen; wir kriegen ihn schon wieder, denn wer gehängt werden soll, der wird gehängt; das ist ein wahres Sprichwort.“

„Er soll nicht gehängt werden sondern eines zehnfachen Todes sterben!“ knurrte der Osage.

„Ob einfach sterben, ob doppelt oder sechsfach, das bleibt sich gleich; das ist auch ganz egal; er wird aber doch gehängt. Für so einen Kerl giebt es keinen schöneren Tod als den durch den Strick. Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Yes, lieber Dick,“ antwortete der Lange. „Du hast doch immer recht!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand III