Kapitel Schahko Matto -12-



Er meinte das natürlich nur im Scherze; mochte nun der Fremde dies so nehmen oder nicht, aber er warf einen verächtlichen Blick auf die alte, haarlose Stute Hammerdulls und rief, indem er ein lautes La chen hören ließ, aus:


„Lack-a-day! Mit dieser Pfefferkuchenziege soll ich umgeritten werden? Die würde doch sofort aus allen Knochen fallen. Versucht es doch einmal! Come on!“

Der Dicke hielt so große Stücke auf sein Pferd, daß ihn nichts so schnell in Harnisch bringen konnte, als wenn man sich über das häßliche Aeußere desselben lustig machte. So auch hier. Seine gute Laune war wie weggeblasen, und kaum hatte der Fremde die Aufforderung ausgesprochen, so ertönte die zornige Antwort:

„Sogleich, sogleich! Go on!“

Die Stute hörte das bekannte Wort; sie fühlte den Schenkeldruck und die Zügelhilfe und gehorchte augenblicklich. Sie rannte mit einem Satze, den ihr jeder, der sie nicht kannte, nie zugetraut hätte, das Pferd des Fremden an, welches zunächst in das Straucheln kam und nach einem zweiten Angriffssprunge der Stute sich hinten niedersetzte. Das geschah so rasch und unerwartet für den Reiter, daß er, ohne Zeit zum Parieren zu finden, die Bügel verlor und aus dem Sattel flog. Nun war die Reihe, zu lachen, an Dick Hammerdull. Er warf seine kurzen, dicken Arme triumphierend in die Luft und rief:

„Heigh-day! Da fliegt er hin, der Pfefferkuchenmann! Wenn er nur nicht zerbrochen ist! Hat das die alte Ziege nicht gut gemacht, Pitt Holbers, altes Coon?“

Der Lange antwortete in seinem gewöhnlichen Gleichmute:

„Wenn du denkst, daß sie dafür einen Sack voll Hafer verdient hat, so magst du recht haben, lieber Dick.“

„Ob Hafer oder nicht, daß bleibt sich gleich; es giebt hier leider nur Gras zu fressen!“

Der Fremde rappelte sich empor, hob sein Gewehr auf, welches ihm entfallen war, und stieg mißmutig wieder in den Sattel. Um aus dem derben Scherze nicht völlig Ernst werden zu lassen, richtete nun ich selbst das Wort an ihn:

„Ihr seht, daß es selbst dem besten Cow-boy einmal geschehen kann, daß er ein fremdes Pferd unter-und das seinige überschätzt. Ganz ebenso scheint Ihr Euch auch in den Reitern geirrt zu haben. Daß ein Roter unser Gefangener ist, giebt für Euch keinen Grund, uns für Leute zu halten, denen Ihr nicht trauen dürft. Wir sind ehrliche Westmänner, und da wir wissen, daß dort oben im Norden, woher Ihr kommt, sich Tramps herumtreiben, die wir vermeiden wollen, so möchten wir so ungefähr wissen, wer und was Ihr seid.“

Daß er ein Cow-boy war, sagte mir seine Kleidung und Ausrüstung. Er antwortete jetzt bereitwillig:

„Diese Tramps sind es eben, wegen denen ich euch mißtraute und eigentlich noch jetzt mißtrauen muß.“

„Hm, mag sein! Ich hoffe, Euer Vertrauen sogleich zu erlangen, falls Euch nämlich der Name Winnetou nicht unbekannt ist.“

„Winnetou? Wer sollte diesen Namen nicht kennen!“

„Wißt Ihr, wie er gewöhnlich gekleidet und bewaffnet ist?“

„Ja. Er geht in Leder, mit einer Sandillodecke um die Hüften, das Haar lang herab und die Silberbüchse an – – –“

Er hielt inne, fixierte den Apatschen einen Augenblick, schlug sich dann mit der Hand an die Stirn und rief:

„Wo habe ich doch nur meine Augen gehabt! Das ist er ja selbst, der berühmte Häuptling der Apatschen! Da ist ja alles gut. Ihr andern mögt nun meinetwegen sein, wer ihr wollt. Wo Winnetou dabei ist, da giebt’s nur Ehrlichkeit und keine Schelmerei. Jetzt weiß ich, daß ich Euch alles sagen darf, was Ihr wissen wollt.“

„Well! Ihr habt schon wiederholt gehört, daß wir erfahren möchten, wer Ihr seid.“

„Ich heiße Bell und bin bedienstet auf Harbours Farm.“

„Wo liegt diese Farm?“

„Zwei Meilen südwärts von hier am Flusse.“

„Die kann erst seit kurzem gegründet sein. Früher hat es keine da gegeben.“

„Das ist richtig. Harbour ist erst seit zwei Jahren hier.“

„Er muß ein mutiger Mann sein, daß er es gewagt hat, sich in dieser Einsamkeit niederzulassen.“

„Auch wieder richtig. Wir fürchten uns nicht. Mit den Indsmen sind wir bisher fertig geworden; die Tramps aber sind ernster zu nehmen. Als wir hörten, daß sich eine solche Schar oben am Nordfork herumtreibt, bin ich hingeritten, um zu erfahren, was sie vorhaben. Ich weiß jetzt, daß wir uns nicht zu sorgen brauchen, denn sie haben es auf Nebraska abgesehen. Wollt ihr heut noch weit, Mesch’schurs?“

„Wir reiten noch eine Stunde, ehe wir Lager machen.“

„Wo?“

„Wo wir eine passende Stelle dazu finden.“

„Darf ich da eine Frage aussprechen?“

„Welche?“

„Wollt Ihr nicht lieber auf unserer Farm einkehren, als daß Ihr im Freien bleibt?“

„Wir kennen den Besitzer nicht.“

„Ich sage Euch, der ist ein Gentleman durch und durch und dazu ein großer Verehrer von Winnetou, den er schon einigemal gesehen hat. Er erzählt oft von ihm und von Old Shatterhand, welche mit ihren beiden herrlichen Rappen – –“

Er hielt wieder inne, warf einen Blick auf mein Pferd, welches er noch gar nicht beachtet zu haben schien, und fuhr dann schnell und in freudigem Tone in seiner Rede fort:

„Da spreche ich von Old Shatterhand und sehe einen Rappen, der demjenigen von Winnetou wie ein Ei dem andern gleicht! Ihr habt zwei Gewehre, Sir. Ist das eine ein Bärentöter?“

„Ja.“

„Das andere ein Henrystutzen?“

„Ja.“

„Thunder-storm! So seid Ihr wohl gar Old Shatterhand?“

„Allerdings.“

„Dann, Sir, dann müßt Ihr meine Bitte erfüllen und mit mir zu Harbour kommen! Ihr glaubt gar nicht, was für eine große Freude Ihr ihm und seinen Leuten damit machen würdet! Ein Nachtlager in einer Farm ist doch jedenfalls angenehmer als eines auf offener Prairie und unter freiem Himmel. Eure Pferde finden ein gutes Futter, welches sie vielleicht nötig haben, und Ihr, na Ihr werdet auch ein besseres Essen haben, als Ihr da in der Savanne finden könnt.“

Der Mann bat so herzlich; seine Einladung war ehrlich gemeint. Er hatte recht. Unseren Pferden war ein kräftiges Körnerfutter zu gönnen, und uns bot die Farm Gelegenheit, unsern fast auf die Neige gegangenen Proviant zu erneuern. Konnten wir uns mit neuem Vorrate versehen, so war das, wie bereits einmal gesagt, besser, als wenn wir gezwungen waren, uns durch die Jagd zu ernähren und dabei eine Menge Zeit zu versäumen. Ich warf, um Winnetous Ansicht kennen zu lernen, diesem einen fragenden Blick zu; er antwortete mit einem Senken der Augenlider und indem er dann seinen Blick auf den Osagen richtete. Ich verstand diese stumme und doch so beredte Weisung und sagte zu dem Cow-boy:

„Ihr seht, daß wir einen Gefangenen haben. Es ist uns von großer Wichtigkeit, daß er uns nicht entkommt. Können wir darauf rechnen, daß man auf der Farm nichts unternehmen wird, ihn zu befreien?“

„Ich versichere Euch, Sir,“ antwortete er, „daß er Euch bei uns grad so sicher ist wie im tiefsten Verließe einer alten Ritterburg!“

„Well, so sollt Ihr Euren Willen haben. Wir werden mit zu Harbour reiten. Hoffentlich sind wir ihm so willkommen, wie Ihr uns versprochen habt.“

„Keine Sorge, Mr. Shatterhand! Eure Ankunft wird den heutigen Tag zum Festtag für ihn machen. Darauf könnt Ihr Euch verlassen!“

Wir standen also im Begriff, die Stelle, an welcher wir gehalten hatten, wieder zu verlassen. Schahko Matto war mit den Füßen an sein Pferd gebunden, konnte es aber mit den Händen lenken, weil wir ihm die Arme freigelassen hatten. Er hielt es zurück und zögerte, uns zu folgen. Ueber den Grund zu diesem Verhalten befragt, erklärte er uns:

„Der Häuptling der Osagen wünscht, Old Shatterhand und Winnetou etwas zu sagen, bevor wir weiterreiten.“

„Er mag sprechen!“ forderte ich ihn auf.

„Ich weiß, daß ihr mir nicht nach dem Leben trachtet, sondern mich freilassen werdet, sobald wir weit genug geritten sind, daß es mir unmöglich wird, schnell heimzukehren und euch mit meinen Kriegern zu verfolgen. Ich habe Honskeh Nonpeh den Befehl über die Söhne der Osagen erteilt, weil ich nicht wollte, daß sie euch folgen sollten. Er war gegen den Kampf und gegen den Ueberfall der Bleichgesichter, und daß ich grad ihm den Befehl überlassen habe und ihm dabei sagen ließ, er werde schon wissen, was er zu thun habe, wird ihm meinen Willen erraten lassen, daß er von allen Feindseligkeiten absehen soll. Werden Old Shatterhand und Winnetou mir diese meine Worte glauben?“

„Wir schenken dir weder Vertrauen noch Mißtrauen; wir werden dich prüfen. Ein Feind wird nicht so schnell zum Freunde!“

„So hört, was ich euch jetzt noch sage! Wenn ich jetzt die Freiheit von euch zurückerhielte, ich würde doch nicht von euch gehen.“

„Uff!“ antwortete Winnetou.

„Der Häuptling der Apatschen mag sich wundern; es ist doch so, wie ich gesprochen habe: ich würde wirklich mit euch weiterreiten.“

„Aus welchem Grunde?“ erkundigte ich mich.

„Wegen Tibo taka.“

„Wegen diesem? Diese Ursache will mir sehr unklar erscheinen.“

„Weil Old Shatterhand bisher angenommen hat, daß ich gestern abend etwas nicht beobachtet habe, was mir doch außerordentlich wichtig war.“

„Was meint der Häuptling der Osagen?“

„Es wurde gesagt, daß Tibo taka jetzt Medizinmann der Naiini sei. Ich habe dazu geschwiegen, um darüber nachzudenken. Heut bin ich zum Entschluß gekommen: Ich werde mit euch reiten, auch wenn ich frei geworden bin, denn ich will mir die Freundschaft von Apanatschka, dem Häuptling der Komantschen, erwerben.“

„Warum das?“

„Wenn er mein Freund geworden ist, wird er mir behilflich sein, den Medizinmann der Naiini-Komantschen in meine Hand zu bekommen.“

Da warf Apanatschka die Hand wie zum Schwure empor und rief aus:

„Nie werde ich das thun, niemals!“

Ich streckte meine Hand gegen ihn aus und rief in demselben Tone:

„Du wirst es thun!“

„Niemals!“ behauptete er.

„Sehr gern sogar!“ antwortete ich bestimmt.

„Lieber sterbe ich! Ich hasse ihn, aber er ist mein Vater!“

„Er ist es nicht.“

„So ist doch seine Squaw meine Mutter!“

„Auch sie ist das nicht!“

„Welch ein Wort Old Shatterhand da sagt! Kann er beweisen, was er jetzt behauptet hat?“

„Nein, aber ich fühle in meinem Innern, daß es die Wahrheit ist.“

„Hier bedarf es der Beweise, doch nicht der Gefühle!“

„Du bist ein geraubtes Kind. Tibo taka und Etters sind die Räuber; das steht bei mir fest. Tibo wete ist mitschuldig an dem Raube; das vermute ich jetzt nur; aber ich denke, es wird die Zeit kommen, in welcher du mir glauben wirst. Ich bin bereit, mit dir und dem Häuptling der Osagen zu den Naiini zu reiten, um den Medizinmann dieser Indianer zu entlarven. Jetzt wollen wir nicht mehr darüber sprechen, sondern lieber weiterreiten!“

Der Cow-boy setzte sich als Führer an unsere Spit ze, und wir folgten ihm. Schon nach einer halben Stunde ersahen wir aus der kräftigeren Vegetation, daß wir uns dem Flusse näherten. Sträucher und Bäume traten auf, erst vereinzelt, dann in Gruppen, zwischen denen Rinder, Pferde und Schafe weideten. Wir erblickten sogar mehrere große Mais- und andere Felder, und dann lag das Gebäude vor uns, welches uns heut beherbergen sollte.

Als ich es sah, wäre ich, einer unbestimmten Regung folgend, am liebsten umgekehrt. Es lag da, ganz ähnlich wie Fenners Farm, nur sehr viel westlicher und an einem andern Flusse. In Fenners Farm hatte mir der Tod gedroht, und hier durchfuhr mich ein, ich möchte sagen, warnendes Empfinden, welches, wenn ich ihm gehorchen wollte, mich am Betreten des Hauses hindern mußte. Ich schrieb die Schuld der gleichen Lage der Farmen zu. Wenn man an einem Orte etwas Unangenehmes erlebt oder gar eine Gefahr bestanden hat und man kommt dann an einen andern Ort, welcher dem ersteren ähnlich liegt und sieht, so ist es freilich begreiflich, wenn da infolge der bösen Erinnerung ein Gefühl aufsteigt, welches zur Umkehr mahnt.

Ich konnte auf diese Empfindung natürlich keine Rücksicht nehmen; ich durfte nicht einmal von ihr sprechen, wenn ich mich nicht der Gefahr aussetzen wollte, ausgelacht oder wenigstens mit Kopfschütteln bedacht zu werden. Bell, der Cow-boy, war uns eine Strecke vorausgeritten, um unsere Ankunft anzumelden. Darum fanden wir den Besitzer der Farm zu unserm Empfang bereit. Seine Familie bestand außer ihm und seiner Frau aus drei Söhnen und zwei Töchtern, lauter kräftigen, sehnigen Hinterwaldsgestalten, denen man es ansah, daß sie sich vor einigen Indianern nicht fürchteten und wohl auch nicht zu fürchten brauchten. Wir merkten es diesen sieben Personen an, daß wir ihnen wirklich willkommen waren. Ihre Freude war eine aufrichtige und hatte sich auch den Hands 18) mitgeteilt, welche vor dem Hause standen, neugierig, den berühmten Häuptling der Apatschen kennen zu lernen. Er nickte ihnen stolz und leutselig wie ein König zu, der er ja auch in Beziehung auf seine Thaten und Gesinnungen war, wenigstens meiner Ansicht nach.

Die Farm glich mehr einer südlichen Hazienda, nur daß sie ganz aus Holzbau bestand, weil Steine am Salmon-River eine Seltenheit sind. Die weite, aus starken, hohen Planken bestehende Umzäunung schloß einen großen Raum ein, an dessen Nordseite das Wohnhaus stand. Die Südseite war mit einem Dache zum Schutze für das Vieh versehen. An den beiden andern Seiten lagen die einfachen Wirtschaftsbauten und die Aufenthaltsräume für das Gesinde und die gewöhnlichen Gäste. Außerhalb der Umzäunung gab es einige Korrals für die Pferde, Rinder und Schafe, dabei ein besonderer für die Reitpferde Harbours und seiner Familienglieder. In dieser letzterwähnten Umfriedung wurden auch unsere Pferde untergebracht und auf Winnetous und meinen Wunsch von zwei Peons 19) bewacht. Wir wollten sie nicht der Gefahr, gestohlen zu werden, aussetzen, welcher sie auf Fenners Farm kaum entgangen waren. Das Wohnhaus bestand aus drei Räumen. Die eine, vordere Hälfte nahm, über die ganze Breite des Hauses, die Thür abgerechnet, gehend, das Wohnzimmer ein. Es hatte drei Fenster, welche mit Glasscheiben versehen waren. Das Meublement war mit eigener Hand einfach und durabel hergestellt. Jagdtrophäen und Waffen hingen rundum an den Wänden. Die hintere Breite des Hauses nahmen dann die Küche und die Schlafstube ein, welche an uns abgetreten werden sollte. Wir nahmen das aber nicht an und erklärten, uns später bei offenen Fenstern im Wohnzimmer niederlegen zu wollen.

Nachdem der herzliche Empfang vorüber war und die Peons unsere Pferde unter unsern Augen in dem erwähnten Korral untergebracht hatten, erforderte es unsere Sicherheit, zu fragen, ob außer den Bewohnern der Farm noch andere Leute anwesend seien. Der Besitzer gab die uns gar nicht beunruhigende Antwort:

„Es kam vor einer Stunde ein Arzt mit einer Kranken an, die er nach Fort Wallace zu begleiten hat.“

„Woher kommen sie?“ erkundigte ich mich.

„Aus Cansas-City. Sie leidet an einem unheilbaren Uebel und will zu ihren Anverwandten zurück.“

„Alt oder jung?“

„Das konnte ich nicht sehen. Ihre Krankheit ist eine krebsartige und hat das Gesicht so zerstört, daß sie einen dichten Schleier tragen muß. Sie kamen auf zwei Pferden mit einem Packpferde an.“

„Mit Begleitung?“

„Nein, ohne.“

„So ist der Arzt entweder ein sehr kühner oder ein sehr unvorsichtiger Mann. Ich bedaure die Dame, eine so lange Reise im Sattel zurücklegen zu müssen. Es giebt doch andere Gelegenheiten.“




18) Dienerschaft, Angestellte.
19) Pferdeknechte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand III