Kapitel Schahko Matto -1-



Wie oft sind mir von den Gefährten meiner Erlebnisse und später von den Lesern meiner Bücher Vorwürfe darüber gemacht worden, daß ich schlechte Menschen, welche uns nichts als Feindschaft erwiesen und nichts als Schaden bereiteten, dann, wenn sie in unsere Hände gerieten und wir uns also rächen konnten, zu mild und nachsichtig behandelt habe! Ich bin objektiv genug gewesen, diese Vorwürfe in jedem einzelnen Falle auch von der Seite aus zu betrachten, von welcher aus sie berechtigt zu sein schienen, habe aber stets gefunden und finde auch heute noch, daß mein Verhalten das richtige gewesen ist. Es ist ein großer Unterschied zwischen Rache und Strafe. Ein rachsüchtiger Mensch ist kein guter Mensch; er handelt nicht nur unedel, sondern verwerflich; er greift, ohne irgend ein Recht dazu zu besitzen, der göttlichen und der menschlichen Gerechtigkeit vor und läßt dadurch, daß er seinem Egoismus, seiner Leidenschaft die Zügel überwirft, nur merken, wie verächtlich schwach er ist. Ganz anders steht es um die Strafe. Sie ist eine ebenso natürliche wie unausbleibliche Folge jeder That, die von den Gesetzen und von der Stimme des Gewissens verurteilt wird. Nur darf nicht jedermann, auch nicht einmal derjenige, an dem sie begangen wurde, denken, daß er zum Richter berufen sei. Sie kann in dem einen Falle unerlaubt sein, in dem andern leicht den Charakter eines ebenso verwerflichen Racheaktes annehmen. Welcher Mensch ist so rein, so frei von Schuld und sittlich so erhaben, daß er sich, ohne von der Staatsgewalt dazu berufen zu sein, zum Richter über die Thaten seines Nächsten aufwerfen darf?


Dazu kommt, daß man sich wohl hüten soll, denjenigen, der einen Fehler, eine Sünde, ein Verbrechen begeht, für den allein Schuldigen zu halten. Man forsche nach der Vorgeschichte jeder solchen That! Sind nur körperliche und geistige Mängel angeboren? Können nicht auch sittliche es sein? Sodann bedenke man wohl, welche Macht in der Erziehung liegt! Ich meine da die Erziehung im weiteren Sinne, nicht bloß die Einwirkung der Eltern, Lehrer und Verwandten. Es sind die tausend und abertausend Verhältnisse des Lebens, welche oft tiefer und nachhaltiger auf den Menschen wirken als das Thun oder Lassen derjenigen Personen, welche nach landläufiger Ansicht seine Erzieher sind. Ein einziger Abend im Theater, das Lesen eines einzigen schlechten Buches, die Betrachtung eines einzigen unsittlichen Bildes kann alle Früchte einer guten, elterlichen Erziehung in Fäulnis überge hen lassen. Welche Menge, ja Masse von Sünden hat die millionenköpfige Hydra, welche wir Gesellschaft nennen, auf dem Gewissen! Und gerade diese Gesellschaft ist es, welche mit wahrer Wonne zu Gerichte sitzt, wenn der Krebs, an dem sie leidet, an einem einzelnen ihrer Glieder zum Ausbruche kommt! Mit welch’ frommem Augenaufschlage, mit welchem abweisenden Nasenrümpfen, mit welcher Angst vor fernerer Berührung zieht man sich da von dem armen Teufel zurück, der das Unglück hatte, daß die allgemeine Blutentmischung grad an seinem Körper zur Entzündung und zur Eiterung führte!

Wenn ich da von den Verhältnissen der „civilisierten“ Gesellschaft spreche, so muß meine Ansicht in Beziehung auf die sogenannten halb und ganz wilden Völker noch viel milder sein. Der wilde oder verwilderte Mensch, der nie einen rechten, sittlichen Maßstab für sein Thun besaß oder dem dieser Maßstab abhanden gekommen ist, kann für seine Gebrechen natürlich noch viel weniger verantwortlich gemacht werden als derjenige Sünder, welcher ins Straucheln kam und fiel, obgleich ihm alle moralischen Stützen unserer vielgerühmten Gesittung zur Verfügung standen. Ein von den Weißen abgehetzter Indianer, der zur Verteidigungswaffe greift, ist des Mitleides aber nicht der Peitsche wert. Ein wegen irgend eines Vergehens von der very moral and virtuous society für immer ausgestoßener Mensch, der nur im „wilden Westen“ Aufnahme findet und dort immer tiefer sinkt, weil es ihm da an allem Halt gebricht, steht als Westläufer zwar unter den strengen, blutigen Gesetzen der Prairie, ist aber in meinen Augen der Nachsicht und Entschuldigung bedürftig. Auch Winnetou, der stets groß- und edelmütige, versagte so einem Entarteten die Schonung nie, wenn ich ihn darum bat. Ja, es kam sogar vor, daß er sie aus eigenem Antriebe und Entschlusse übte, ohne meine Bitte erst abzuwarten.

Diese Milde hat uns zuweilen in spätere Verlegenheiten gebracht; das gebe ich wohl zu; aber die Vorteile, welche wir indirekt durch sie erreichten, wogen das reichlich wieder auf. Wäre es auch nur gewesen, um andern ein Beispiel zu geben, so hätten wir viele und erfreuliche Erfolge zu verzeichnen. Wer sich uns anschließen wollte, mußte auf die Grausamkeiten und Härten des Westens verzichten und wurde, ohne es eigentlich zu wissen und zu wollen, dann wenn nicht in Worten, so doch in Thaten ein Lehrer und Verbreiter der Humanität, welche er bei uns, sozusagen, eingeatmet hatte.

Old Wabble war auch einer jener Entarteten, dem wir mehr Nachsicht schenkten, als er an uns verdient hatte. Hieran war neben der von uns grundsätzlich und allgemein geübten Milde der erste Eindruck, den seine ungewöhnliche Persönlichkeit besonders auf mich gemacht hatte, schuld. Sein hohes Alter trug auch dazu bei, und zudem hatte ich in seiner Gegenwart stets ein ganz eigenartiges Gefühl, welches mich abhielt, ihn nach seinen Thaten und seiner so frech gezeigten Gottlosigkeit zu behandeln. Es war, als ob ich nach einem von mir unabhängigen und doch in mir wohnenden Willen handeln müsse, welcher mir verbot, mich an ihm zu vergreifen, weil er, wenn er sich nicht bekehre, für ein ganz besonderes göttliches Strafgericht aufgehoben sei. Darum hatte ich ihn auch am Morgen nach dem versuchten Morde und Pferdediebstahle auf Fenners Farm wieder freigelassen und damit, wie es schien, auch ganz nach dem Willen Winnetous gehandelt. Dick Hammerdull und Pitt Holbers waren freilich nicht damit einverstanden und Treskow als Polizist noch weniger als sie. Doch wurden mir von diesen dreien wenigstens nicht die Vorwürfe gemacht, welche ich von dem Besitzer der Farm zu hören bekam, der gar nicht begreifen konnte, daß ein Mensch, vor dessen Kugel mich nur die scharfen Augen des Apatschen errettet hatten, ohne alle Strafe von uns entlassen worden war. Eine solche Dummheit, wie er es nannte, war ihm in seinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen, und er schwur, daß er die Rache in seine Hände nehmen und Old Wabble wie einen Hund niederschießen werde, wenn der Alte es wagen sollte, sich noch einmal auf der Farm sehen zu lassen. Im übrigen aber zeigte Fenner uns auch heut, wie willkommen ihm unser Besuch gewesen war; er versah uns so reichlich mit Proviant, daß wir, als wir von ihm Abschied nahmen, dies mit der Ueberzeugung thun konnten, daß wir wenigstens für fünf Tage zu essen hatten und also ebensolange davon befreit waren, unsere Zeit auf das Fleischmachen durch die Jagd zu verwenden. Was das zu bedeuten hat, merkt man erst dann, wenn man wegen der Nähe roter oder weißer Feinde nicht schießen darf und also entweder hungern muß oder Gefahr läuft, sich zu verraten. Der Umstand, daß wir mit Speisevorrat versehen waren, kam uns auch schon deshalb gelegen, weil wir, ohne uns aufhalten zu müssen, schnell reiten konnten, um Old Surehand einzuholen.

Eigentlich hätten wir gleich nach dem Aufbruche von der Farm nach der Spur Old Wabbles suchen müssen. Er hatte uns gezeigt, was von ihm für uns, besonders aber für mich, zu erwarten war, und wenn man einen Feind in der Nähe weiß, dem man den Kopf zum Ziele für seine Kugel bieten soll, so ist es immer vorteilhaft, zu wissen, wo man ihn zu suchen hat. Aber wir wollten Old Surehand so schnell wie möglich einholen, denn wir hatten den „General“ und Toby Spencer vor uns, die mit ihren Leuten auch hinauf nach Colorado ritten, und so mußte uns der alte „König der Cowboys? jetzt eine Person untergeordne terer Bedeutung sein.

Da der Republikan-River hinter Fenners Farm einen großen Bogen beschreibt, den wir abschneiden wollten, verließen wir seine Nähe und ritten grad in die Rolling-Prairie hinein, um ihn später wieder zu erreichen. Wir sahen da die Spuren der Cow-boys, welche während der letzten Nacht nach Old Wabble und seinen Begleitern gesucht hatten, ohne sie zu finden. Später hörten diese Fährten auf, und wir fanden bis gegen Abend keine Spur eines menschlichen Wesens mehr.

Um diese Zeit mußten wir auf das andere Ufer des Flusses hinüber, und obgleich der Republikan-River, wie alle Flüsse von Kansas, breit und seicht ist und also fast überall unschwer übersetzt werden kann, so hatte uns Winnetou doch nach einer Furth gelenkt, welche er von früher her kannte. Sie war so seicht, daß ihr Wasser in seiner ganzen Breite den Pferden nicht bis an die Leiber reichte.

Am andern Ufer angekommen, durchquerten wir den Saum des Gebüsches, welches sich am Flusse hinzog, und gelangten dann wieder auf die offene Prairie. Kaum hatten wir das Gesträuch hinter uns, so erblickten wir eine Fährte, welche sich in einer Entfernung von vielleicht fünfhundert Schritten in zu dem Flusse paralleler Richtung hinzog. Dick Hammerdull deutete mit dem Finger auf sie hin und sagte zu sei nem hagern Freunde:

„Siehst du den dunkeln Strich da drüben in dem Grase, Pitt Holbers, altes Coon? Was meinst du, was das ist? Bloß ein Gedankenstrich oder eine menschliche Fährte?“

„Wenn du meinst, daß es eine Fährte ist, so habe ich nichts dagegen, lieber Dick,“ antwortete der Gefragte in seiner trockenen Weise.

„Ja, es ist eine Spur. Wir müssen hin, um zu sehen, aus welcher Richtung sie kommt und nach welcher sie führt.“

Er glaubte, daß wir derselben Ansicht seien und hinreiten würden; aber Winnetou lenkte, ohne ein Wort zu sagen, nach rechts und führte uns, ohne sich um die Spur zu kümmern, dem nahen Ufer entlang. Hammerdull konnte das nicht begreifen und wendete sich deshalb an mich:

„Warum wollt ihr denn nicht hin, Mr. Shatterhand? Wenn man im wilden Westen eine unbekannte Fährte sieht, muß man sie doch lesen; die Sicherheit gebietet das!“

„Allerdings,“ nickte ich zustimmend.

„Also! Wir müssen unbedingt erfahren, welche Richtung sie hat!“

„Von Ost nach West natürlich.“

„Wieso von Ost nach West? Das kann kein Mensch wissen, bevor er sie genau untersucht hat. Sie kann auch von West nach Ost gehen.“

„Wenn kein Mensch das wissen kann, so sind wir beide, Winnetou und ich, keine Menschen, denn wir wissen es.“

„Unmöglich, Sir!“

„Pshaw! Wir haben jetzt einige Tage lang den Wind aus West gehabt, und ihr könnt euch überzeugen, daß infolgedessen alles Gras mit den Spitzen nach Osten liegt. Jeder gute Westmann weiß, daß eine Fährte mit diesem Striche nicht so deutlich ist als eine solche gegen denselben. Die Spur da drüben ist wenigstens fünfhundert Schritte entfernt; daß wir sie trotz dieser weiten Entfernung sehen, ist ein Beweis, daß sie gegen den Strich, also von Osten nach Westen geritten ist.“

„All devils, ist das scharf gedacht! Darauf wäre ich nicht gekommen! Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Wenn du denkst, daß ich dich für dumm genug halte, nicht auf diesen pfiffigen Gedanken zu verfallen, so hast du recht,“ nickte Holbers.

„Recht oder nicht, das bleibt sich gleich. Jedenfalls hast du die Klugheit auch nicht schockweise von den Bäumen geschüttelt; das merke dir! Aber, Mr. Shatterhand, wir müssen die Fährte dennoch untersuchen, denn es gilt, zu erfahren, von wem und von wie viel Personen sie kommt.“

„Warum deshalb fünfhundert Schritte weit aus unserer Richtung abweichen? Ihr seht doch, daß wir sehr bald mit ihr zusammentreffen werden!“

„Richtig! Auch daran habe ich nicht gedacht. Da hat man sich so viele Jahre lang für einen guten Westmann gehalten und muß nun hier am alten Republikan-River einsehen, daß man noch viel zu lernen hat! Ist das nicht wahr, Mr. Shatterhand?“

„Lobenswerte Selbsterkenntnis! Aber wer seine Fehler und Mängel erkennt, befindet sich schon auf dem Wege der Besserung; das ist ein Trost für jeden Menschen, der sich sagt, daß er noch fern vom Meister stehe.“

Wir hatten uns noch nicht weit von der Furt entfernt, so machte der Fluß einen scharfen Winkel nach Norden und gab die Prairie nach Westen frei. Ein grüner Streifen, welcher aus dieser letzteren Richtung kam und im Norden auf den Buschsaum des Republikan-River stieß, ließ einen kleinen Wasserlauf vermuten, der sich rechts, weit von uns, mit dem Flusse vereinigte. Dieser Bach wand sich in vielen Krümmungen seinem Ende zu. Der äußerste Punkt des letzten Bogens, den er schlug, war durch ein Wäldchen bezeichnet, welches, vielleicht eine englische Meile weit, uns gegenüber lag. Wir hielten an, denn die Fährte, von welcher wir gesprochen hatten, kam plötzlich von links herüber an die Ecke des Flusses, an welcher wir uns befanden. Es war die Spur eines einzelnen Reiters, welcher hier eine kurze Zeit gehalten hatte. Er war nicht abgestiegen. Die Stapfen der Vorderhufe seines Pferdes bildeten einen Halbkreis, auf dessen Mittelpunkte die Hinterhufe gestanden hatten. Daraus war zu schließen, daß der aus Osten gekommene Mann sich nach den drei andern Himmelsrichtungen umgesehen, also wohl irgend etwas gesucht hatte. Hierauf war er in schnurgeradem Galoppe nach dem vorhin erwähnten Wäldchen geritten. Folglich mußte dieses der Ort sein, den er gesucht hatte. Dieser Gedanke lenkte unsere Blicke in die angegebene Richtung. Wenn ich sage „unsere Blicke“, so meine ich Winnetou und mich, denn unsere drei Gefährten dachten nicht so scharf wie wir.

Eigentlich konnte es uns sehr gleichgültig sein, wer der Reiter gewesen war, und zunächst bot das Wäldchen auch gar keinen Grund zur besondern Aufmerksamkeit; aber die Fährte war kaum eine halbe Stunde alt, und das war für uns Grund genug, die gebotene Vor- oder vielmehr Umsicht walten zu lassen.

„Uff! Wo-uh-ke-za!“ ließ sich da der Apatsche hören, indem er den Arm hob, um mir einen ganz bestimmten Punkt des Wäldchens zu bezeichnen.

„Wo-uh-ke-za“ ist ein Dakota-Wort und bedeutet eine Lanze. Warum bediente sich Winnetou nicht des betreffenden Apatschenwortes? Ich sollte den Grund sehr bald erfahren und da wieder einmal, wie schon oft, bemerken, was für scharfe Augen er besaß. Der Richtung seines ausgestreckten Armes folgend, bemerkte ich am Rande des Wäldchens einen Baum, welcher einen seiner Aeste weit vorstreckte; auf diesen Ast war senkrecht eine Lanze befestigt; das sah auch ich, obgleich weder Hammerdull noch Holbers oder Treskow sie erkennen konnten. So weit von uns entfernt, glich sie einem Bleistiftstriche am von der untergehenden Sonne rot gefärbten Himmel. Wären wir nicht durch die Fährte auf das Wäldchen aufmerksam gemacht worden, so hätte keiner von uns diese Lanze bemerkt. Sie mußte jedem entgehen, der nicht ganz nahe am Wäldchen vorüberkam. Als Dick Hammerdull von ihr hörte, sagte er:

„Ich kann sie nicht sehen; aber wenn es wirklich so ein Spieß ist, wie ihr denkt, so weiß jedermann, daß Lanzen nicht auf Bäumen wachsen. Es muß also ein Zeichen sein!“

„Das Zeichen eines Dakota,“ nickte Winnetou.

„So ist es eine Dakota-Lanze?“ fragte der Dicke im höchsten Grade erstaunt.

„Ja; nur weiß ich noch nicht, von welchem Volke der Dakota.“

„Ob Volk oder nicht, das bleibt sich ganz egal! Es ist schon überhaupt ein staunenswertes Wunder, daß es Augen giebt, die auf eine Meile hin diese Lanze als Spieß erkennen können. Die Hauptsache ist die Frage, ob wir etwas mit ihr zu schaffen haben.“

Da diese Worte an mich gerichtet waren, so antwortete ich:

„Sie kann uns natürlich nicht gleichgültig sein. Es giebt außer den Osagen hier keine Dakota, und weil wir wissen, daß die Osagen jetzt die Kriegsbeile ausgegraben haben und diese Lanze ein Zeichen für irgend jemand bildet, so versteht es sich ganz von selbst, daß wir die Bedeutung dieses Zeichens kennen lernen müssen.“

„So reiten wir hinüber?“

„Ja.“

„So kommt!“

Er wollte seine alte Stute in Bewegung setzen; ich griff ihm aber in die Zügel und warnte:

„Wollt Ihr Eure Haut zu Markte tragen? Die Lanze hat als Zeichen sehr wahrscheinlich zu bedeuten, daß Osagen da drüben stecken und auf irgend jemand warten oder vielmehr gewartet haben, denn der Reiter, dessen Spuren wir hier sehen, ist zu ihnen hinübergeritten und scheint sich vorher nach der Lanze umgeschaut zu haben. Wenn wir ihm direkt auf seiner Fährte folgen, müssen wir gesehen werden. Hoffentlich seht Ihr das ein, Dick Hammerdull!“

„Hm! Ob ich es einsehe oder nicht, das bleibt sich gleich; aber richtig ists, was Ihr da sagt, Mr. Shatter hand. Meint Ihr denn, daß sie uns noch nicht gesehen haben?“

„Ja, das meine ich. Wir stechen von dem Gesträuch, an dem wir uns hier befinden, nicht im geringsten ab und können also noch nicht bemerkt worden sein. Dennoch müssen wir schleunigst von hier fort. Kommt also; Ihr seht, das Winnetou diese Stelle schon verlassen hat!“

Der Apatsche, wie stets ein Mann der That, hatte nicht auf unsere Rede geachtet und war, sich vorsichtigerweise nordwärts wendend, fortgeritten. Wir folgten ihm, bis wir das Wäldchen aus den Augen verloren hatten, und wendeten uns dann nach Westen, um den Bach zu erreichen. Als wir bei ihm angekommen waren, brauchten wir ihm nur aufwärts zu folgen, um im Schutze der Büsche von Norden her an das Wäldchen zu kommen. Da hielt Winnetou an, stieg vom Pferde, gab mir seine Silberbüchse aufzuheben und sagte:

„Meine Brüder werden hier warten, bis ich wiederkomme und ihnen sage, wen ich am Baume der Lanze gesehen habe!“

Er hatte also vor, als Kundschafter nach dem Wäldchen zu gehen, und kroch in das Gesträuch, um die Lösung seiner nicht leichten Aufgabe anzutreten. Er nahm dergleichen Obliegenheiten am liebsten in seine eigene Hand, und man hatte auch allen Grund, sie ihm zu überlassen, da er im Anschleichen und Kundschaften ein geradezu unerreichbarer Meister war. Wir trieben unsere Pferde, nachdem wir abgestiegen waren, in das Gebüsch bis an den Bach, wo sie trinken konnten, und setzten uns da nieder, um auf die Rückkehr des Apatschen zu warten. Seine Abwesenheit konnte, falls wirklich Osagen in dem Wäldchen waren, mehrere Stunden dauern; doch war höchstens eine halbe vergangen, als er wieder bei uns erschien und uns meldete:

„Ein Bleichgesicht sitzt unter dem Baume der Lanze und wartet auf die Rückkehr eines roten Kriegers, welcher einen halben Tag lang dort gewesen und dann fortgeritten ist, um Fleisch zu machen.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand III