1. Kapitel Bei Mutter Thick -4-



Die Thüre war nur angelehnt. Ehe ich eintrat, wollte ich erst sehen, mit wem ich es zu thun bekam, und warf einen Blick durch die Spalte. Inmitten des Zimmers stand eine roh zubehauene Tafel, an welcher vielleicht zehn Offiziere verschiedener Grade saßen und bei dem Lichte von einigen Hirschtalgkerzen Karten spielten. Und grad gegenüber dem Colonel, wahrhaftig, er und kein anderer war es, da saß der Kanada-Bill vor einem mächtigen Haufen von Geld, Goldstaub und Klumpen und warf die drei Blätter hin und her, daß es eine Art hatte.


Sie spielten ‚three carde monte‘.

Keiner von den Männern konnte mich sehen; ich zögerte, einzutreten, und überlegte eben noch, wie ich den Bill begrüßen solle, als ich dieselbe blitzschnelle Bewegung bemerkte, mit welcher er schon damals die vierte Karte in den Aermel geworfen hatte. Im Nu stand ich hinter ihm und hatte seinen Arm erfaßt.

„Verzeihung, Gentlemen, dieser Mann spielt falsch!“ sagte ich.

Er wollte aufspringen, kam aber nicht dazu, denn während meine Linke seinen Arm gefaßt hielt, hatte ich ihm die Rechte so fest um den Hals geschnürt, daß ihm der Atem verging und er keine Bewegung erzwingen konnte.

„Spielt falsch?“ fuhr der Oberst auf. „Beweist es! Wer seid Ihr, und was wollt Ihr hier? Wie kommt Ihr in diesen Raum?“

„Ich bin ein Trapper, Sir, und komme, mir einiges aus Eurem Store zu nehmen. Ich kenne diesen Menschen sehr genau; er heißt William Jones oder, wenn Euch der andre Name vielleicht geläufiger ist, der Kanada-Bill.“

„Der Kanada-Bill? Ist’s wahr? Er nannte sich hier Fred Fletcher. Laßt ihn doch einmal los!“

„Nicht eher, als bis Ihr Euch überzeugt habt, daß ich die Wahrheit rede. Er spielt nicht mit drei, sondern mit vier Blättern.“

„Wo ist das vierte?“

„Nehmt es ihm hier einmal aus dem Aermel!“

Einer der Lieutenants griff zu und brachte die Karte zum Vorschein.

„Zounds, Ihr habt recht, Mann, und wir sind Euch allen Dank schuldig, denn der Kerl hat uns ausgesogen beinahe bis auf den leeren Tisch. Laßt ihn nun los; jetzt hat er es mit uns zu thun.“

„Und auch so ein wenig mit mir, Gentlemen. Er hat mir zwei Personen erschossen, die mir die liebsten waren in meinem ganzen Leben, und soll jetzt still halten, bis ich mit ihm abgerechnet habe.“

„Steht es so? Wenn Ihr Eure Behauptung beweisen könnt, so ist es um ihn geschehen!“

Ich ließ die Hand von ihm. Er war beinahe erwürgt und sog die Luft in hastigen, kurzen Zügen ein, ehe ihm das volle Bewußtsein seiner Lage zurückkehrte. Dann sprang er auf.

„Was wollt – – –“

Er hielt mitten in seiner Frage inne; denn erst jetzt bekam er mich vor die Augen und hatte mich sofort erkannt.

„Was dieser Mann von Euch will, werdet Ihr zu hören bekommen,“ meinte der Colonel. „Ihr seid William Jones, der Kanada-Bill?“

„Damn! Geht mir mit Eurem Kanada-Bill! Ich kenne ihn nicht und heiße Fred Fletcher, wie ich Euch ja längst gesagt habe.“

„Auch gut! Der Name ist uns gleichgültig, denn nicht er, sondern die That wird gerichtet. Ihr habt falsch gespielt!“

„Ist mir nicht eingefallen, Sir! Oder haltet Ihr Euch oder diese Gentlemen etwa für Leute, bei denen man dergleichen Kunststücke riskieren kann?“

„Wir sind ein ehrliches Spiel gewohnt, und in der Voraussetzung, daß Ihr kein Gauner seid, haben wir Euch nicht auf die Finger gesehen. Hätten wir gewußt, wen wir vor uns haben, so wäre Euch der Streich nicht gelungen.“

„Hier kann von keinem Streiche die Rede sein. Ich habe ehrlich gespielt.“

„Und die Karte in Eurem Aermel?“

„Geht mich nichts an; ich habe sie nicht hineingesteckt. Oder habt Ihr dies vielleicht gesehen, Colonel?“

„So ist sie Euch von selbst hineingeflogen!“

„Oder hineingesteckt worden. Wer mir den Arm gehalten hat, wird wohl wissen, wie sie hineingekommen ist!“

Ich konnte nicht anders, ich erhob den Arm und schlug ihm die Faust auf den Kopf, daß er auf den Stuhl niederfiel.

„Ihr führt einen guten Hieb, Master,“ meinte der Oberst lachend; „aber laßt das lieber sein; es gehört nicht notwendig zur Sache. Wir werden ihn schon zwischen die Hände nehmen, daß er genug be kommt.“

„Ich verlange, daß Ihr mich gegen solche Angriffe schützt, Sir,“ meinte Jones, indem er sich langsam wieder empor zu richten versuchte. „Ich klage diesen Menschen an, mir die Karte in den Aermel eskamotiert zu haben!“

„Ja, ganz dieselbe Karte, welche Ihr uns einige Sekunden früher vorzeigtet. Laßt Euch wenigstens nicht auslachen! Was meint ihr, Kameraden: erkennt ihr diesen Master Jones oder Fletcher für schuldig?“

„Er hat falsch gespielt; daran ist kein Zweifel!“ erklang es rund im Kreise.

„So laßt uns ihm sein Urteil geben, und das auf der Stelle!“

Sie traten beiseite, um zu beraten. Der Kanada-Bill verriet sich. Er warf einen Blick auf den noch vor ihm liegenden Geldhaufen und einen zweiten nach dem offen stehenden Fenster. Mit einem raschen Griffe erfaßte er von der Münze so viel, als er in der Schnelligkeit zu erlangen vermochte, dann sprang er zum Fenster. Aber schon hatte ich die Büchse erhoben.

„Stopp, Master Jones! Noch einen Schritt und Ihr seid kalt!“ rief ich ihm zu.

Er blickte sich um, sah, daß es Ernst war, und blieb stehen.

„Ich zähle bis drei; liegt dann das Geld nicht wieder an seinem Platze, so gebe ich Feuer. Eins –“

Er setzte den Fuß zögernd zum Tische retour.

„Zwei – –!“

Er legte das Geld zu dem andern.

„So, jetzt setzt Ihr Euch nieder, und wartet ruhig, was geschieht!“

Ich ließ den Lauf des Gewehres sinken. Die Offiziere waren mit ihrer Beratung fertig; sie hatten natürlich den Vorgang beobachtet und traten nun wieder herbei. Der Oberst reichte mir, abermals lachend, die Hand.

„Ihr seid ein ganzer Kerl, Master – – ja, wie nennt Ihr Euch denn eigentlich?“

„Tim Kroner ist mein Name, Sir!“

„Also, Master Kroner, Ihr seid ein ganzer Kerl. Schade, daß Ihr nicht eine Stelle oder so etwas bei meinem Regimente habt!“ Und sich zu Jones wendend, fuhr er fort: „Ihr werdet für Eure Posse fünfzig gute Streiche auf die glatte Haut erhalten, Gem’man, und ich hoffe, daß sie Euch gut bekommen!“

„Fünfzig Streiche? Ich bin unschuldig und erkenne sie nicht an!“

„Well, Mylord, so erhaltet Ihr sie unschuldig, und wenn Ihr sie habt, werdet Ihr sie wohl anerkennen müssen. Wollt Ihr aber nachher beim Präsidenten der Vereinigten Staaten dagegen appellieren, so will ich Euch zu diesem Zwecke einen Kreditbrief auf weitere fünfzig oder hundert schreiben. Lieutenant Welhurst, nehmt den Mann hinaus auf den Hof, und sorgt dafür, daß er auch ganz und voll erhält, was er zu beanspruchen hat!“

„Ihr dürft Euch da ganz gehörig auf mich verlassen, Cornel!“ meinte der junge Offizier, indem er auf Jones zutrat. „Go on, Mann; die Fünfzig warten draußen!“

„Ich gehe nicht von der Stelle. Ich will mein Recht!“ rief Jones.

Da fuhr der Oberst auf den Absätzen herum.

„Er ist nicht zufrieden mit seiner Ration, Lieutenant. Gebt ihm zehn mehr, also sechzig! Ich kann das wohl sagen, weil ich die Verantwortung auf mich nehme. Und geht er auch nun nicht mit, so erhält er für jede Minute weitere zehn mehr!“

„Nun?“ fragte der Lieutenant mit drohendem Blick.

„Ich muß gehen; aber dieses ‚three carde monte‘ werdet Ihr vielleicht nicht vergessen, denn ich werde mich an einen Richter wenden, an den jetzt keiner von euch denkt!“

Er schritt voran, und der Lieutenant folgte mit gespanntem Revolver. Jetzt wandte sich der Oberst wieder zu mir.

„Was ist’s mit dem Morde, Sir? Wenn Eure Beweise gut sind, so bilden wir auf der Stelle eine Jury und geben ihm den Strick. Ihr wißt, auf welchem Territorium wir uns befinden, und daß ich das Recht habe, kurzen Prozeß zu machen!“

Ich erzählte ihm das Nötige.

„Da steht Ihr auf schwachen Füßen, wie ich höre,“ meinte der Offizier. „Wir müssen entweder sein Geständnis oder wenigstens einen guten Zeugen haben, auf den man sich verlassen kann. Ich gebe Euch mein Wort: wenn ich ihn verhöre, so heißt er Fred Fletcher und kennt Euch nicht. Und gesehen habt Ihr ja gar nicht, daß der Kanada-Bill derjenige war, welcher geschossen hat; ja, Ihr könnt gar nicht einmal beweisen, daß er bei den Bushheaders gewesen ist. Ich werde mein möglichstes versuchen; das verspreche ich Euch; aber ich weiß genau, daß wir ihn laufen lassen müssen. Das andere ist dann allerdings Eure Sache. Sobald er und Ihr das Fort im Rücken habt, könnt Ihr ja ganz ungestört in Eurer Weise mit ihm sprechen!“

Nach einer Weile wurde der Kanada-Bill wieder hereingebracht. Sein Aussehen war ein entsetzliches. Mit blutunterlaufenen Augen stierte er im Kreise umher und schien die Züge eines jeden Einzelnen seinem Gedächtnisse einprägen zu wollen. Der Oberst begann das Verhör; es führte allerdings zu dem vorausgesagten Resultate.

„Gebt dem Manne alles wieder, was er bei sich trug, und schickt ihn dann unter sicherer Bedeckung stromabwärts fünf Meilen von dem Fort hinweg. Mag er Fred Fletcher oder William Jones heißen; er soll keinen Augenblick länger in unsern Grenzen bleiben!“

So lautete der Schlußbescheid des Colonel. Dann wandte er sich zu mir:

„Ihr seid unser Gast, so lang es Euch beliebt, Master Kroner, und nehmt dann aus unserm Magazine unentgeltlich alles, was Ihr braucht. Oder wollt Ihr dem Manne sofort nach?“

„Ja, wenn Ihr ihn nach einer anderen Richtung geschickt hättet. Aber mein Maat wartet zwei Tagereisen stromauf von hier auf mich; ich muß zu ihm und werde, da die Sachen nicht anders gefallen sind, aufbrechen, sobald ich eine gute Axt und einige Munition bekommen habe. Der Kanada-Bill, so rechne ich, wird meine Spur schon wieder kreuzen!“

„Well, Sir, laßt ihn laufen! Solch’ Ungeziefer kommt sicher wieder vor den Schuß. Die Axt und Munition sollt Ihr haben, und weil Ihr unser Geld gerettet habt, werde ich Euch ein Kanoe mit sechs Ruderern zur Verfügung stellen, welche Euch bis morgen früh wohl über den Halbstrich Eueres Weges hinausbringen werden. Das ist für Euch ein Vorteil und für sie eine Uebung, die ihnen bei dem faulen Leben hier recht gut bekommen wird. Doch, nehmt Euch vor den Indsmen in acht! Ich habe weite Außenposten stehen, welche mir melden, daß unsre guten roten Brüder das Kriegsbeil ausgegraben haben.“

Er war also schon gewarnt, und ich konnte meine Bemerkungen sparen. Kaum eine Viertelstunde später saß ich, mit allem Nötigen wohl versehen, schon in der Pirogue und ließ mich von den sechs Männern im schnellsten Tempo gegen die Wogen des alten Arkansas rudern. Der Kanada-Bill war mir so schnell entgangen, wie ich ihn gefunden hatte, doch lag mir der brave Lincoln jetzt mehr am Herzen als er, und, wie ich ja auch bereits zum Colonel gesagt hatte, ich hoffte, ihn schon noch einmal wiederzusehen.

Ich bedurfte der Ruhe und schlief die ganze Nacht im Boote bis weit in den Morgen hinein, und als ich erwachte, bemerkte ich, daß die gute Hälfte meines Weges bereits zurückgelegt sei. Trotz meiner Mahnung setzten mich aber die Ruderer nicht eher an das Ufer, als bis ich ihnen sagte, daß ich unsern Lagerplatz nun noch am heutigen Tage erreichen werde. Dann kehrten sie um, und ich trat schwer bepackt meine Wanderung an.

Am späten Abend traf ich bei Lincoln ein. Er war überrascht über meine schnelle Rückkehr und hörte meinem Berichte über das Geschehene mit außerordentlicher Teilnahme zu.

„Recht so, Tim Kroner, daß Ihr den Jones gehen ließet,“ sagte er. „Ihr trefft schon noch bei einer besseren Gelegenheit auf ihn. Wundern freilich sollte es mich, wenn er die Schläge hinnähme, ohne wenig stens einen Racheversuch zu machen. Es wird mir hier zu schwül; wir wollen fest an die Arbeit gehen, damit wir baldigst von hier wegkommen!“

Wir arbeiteten nun wie die Bären; Stamm um Stamm mußte fallen, und als die Woche vergangen war, hatten wir nur noch das Schlußfeld an das Floß zu fügen.

Ich war eine ziemliche Strecke landeinwärts gegangen, um gute, haltbare Bandruten zu schneiden. Ich hatte ein hinreichendes Bündel zusammen bekommen und streckte mich zu einer kurzen Ruhe auf den Boden nieder. Es war so still rundum, daß ich jedes Blatt fallen hören konnte.

Da vernahm ich aus einiger Entfernung ein leises, ganz leises Rascheln. Es war nicht in den Zweigen, sondern auf dem Boden. War es eine Schlange, ein sonstiges Reptil oder ein Mensch? Nur mit den Finger- oder Zehenspitzen den Boden berührend, kroch ich geräuschlos auf die Stelle zu, und was meint ihr, Gentlemen, was ich sah? Einen Indianer in voller Kriegerrüstung. Es war ein Choctaw, noch jung, denn ihr wißt ja, daß manche Stämme nur die jungen Leute, um deren Mut und ihre List zu erproben, zu Kundschaftern verwenden. Jedenfalls hatte er den Auftrag, das Ufer des Flusses abzusuchen. Er hatte noch keine von unsern Spuren bemerkt und wand sich mit ziemlichem Geschicke durch die Büsche. Ich hatte nicht nur einmal schon eine rote Haut geritzt und wußte, daß ich ihn nicht entkommen lassen durfte, wenn ich nicht unser Leben auf das Spiel setzen wollte. Da galt kein Zögern. Ich zog das Messer, zwei Sprünge – er wandte sich nach mir, gab dadurch die Brust frei, und in demselben Augenblick fuhr ihm die Klinge in das Herz.

Der arme Bursche konnte mich eigentlich dauern; er war ohne Kampf und auf seinem ersten Kriegspfade gefallen. Aber die Prairie ist eine grausame, unerbittliche Herrin, die keine andere Schonung kennt, als nur die eigene. Er war so gut getroffen, daß er nicht den geringsten Laut hatte ausstoßen können. Ich ließ ihn liegen, nahm mein Bündel und eilte zu Lincoln.

„Habt Ihr ein wenig Zeit, Sir?“ fragte ich ihn.

„Wozu?“

„Einen Indsman in das Wasser zu schaffen; ich traf ihn zwei Gänge von hier beim Spionieren und gab ihm das Messer.“

Ohne ein Wort zu sagen, ergriff er die Büchse und folgte mir. Bei der Leiche angekommen, bog er sich zu ihr nieder.

„Tim Kroner, Ihr habt einen famosen Stoß. Hättet Ihr den Spion nicht getroffen, so wären wir verloren gewesen. Ich sehe nun, Ihr seid wirklich ein ganzer Mann geworden. Hier meine Hand; wir sagen Du!“

„Topp! Für diese Ehre lasse ich sogar den Kanada- Bill laufen. Aber was nun?“

„Was nun? Sag’ deine Meinung, Tim; ich möchte sehen, ob du das Richtige triffst!“

„Wir machen das Floß, so weit wir es fertig haben, ganz fertig; das erfordert keine halbe Stunde; dann sehen wir uns nach den Indsmen um, damit wir wissen, woran wir sind. Es ist möglich, daß sie das Fort überfallen wollen, und dann müssen wir den Colonel warnen.“

„Richtig! Greif’ zu!“

Die Waffen des Indianers wurden unter Moos und Laub versteckt und er dann selbst so unter das Wasser befestigt, daß der Leichnam nicht emporsteigen und vor der Zeit zum Verräter werden konnte. Dann ging es über das Floß her. Die Stämme des Schlußfeldes lagen bereit. Sie bekamen einstweilen Notbänder, da wir diese später mit festeren vertauschen konnten; die bereits fertigen Ruderstangen wurden befestigt; dann brachten wir alles auf Vorrat geschossene Wild nebst den vorhandenen Kien- und Feuerspänen auf das Floß und waren nun, wenn die Not eine schnelle Abfahrt erforderte, zu derselben bereit.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand II