1. Kapitel Bei Mutter Thick -22-



„Wenn du denkst, Dick, daß er ihn holen soll,“ antwortete der Lange, „so habe ich nicht das mindeste dagegen!“


„Well done,“ antwortete der Jäger mit zornigem Leuchten seiner Augen; „so mögen euch die Roten spießen und braten, ganz wie es euch beliebt! Aber um euch eine Freude zu machen, will ich euch sagen, daß ihr uns euer verstecktes Lager gar nicht zu zeigen braucht. Wir haben es entdeckt.“

Er ließ sich bei den Indianern nieder, um ihnen das Ergebnis der Verhandlung mitzuteilen.

Während dieser letzteren hatte im Schutze des Farngestrüpps bei uns ein leises aber außerordentlich bewegtes Gespräch stattgefunden.

„Also der, welcher jetzt spricht, ist Euer Colonel?“ fragte Wallerstein Bill Potter.

„Ja, Sir, Euer Onkel, wenn das wahr ist, was Ihr mir erzählt habt.“

„Er ist’s, Ihr könnt es glauben. Er ist dem Vater so ähnlich, daß kein Zweifel übrig bleibt. Und nun ich ihn endlich treffe, ist er verloren! Giebt es keine Hilfe, Bill?“

„Hört, Sir, wenn Ihr denkt, daß ich meinen Colonel stecken lasse, so habt Ihr Euch in mir verrechnet. Kann ich auf Euch zählen, Mesch’schurs?“

Wir nickten nur; Peter Polter aber meinte:

„Ich will hier liegen bleiben und verhungern wie ein altes Wrack, wenn ich den Kerl da unten, der mit dem Colonel spricht, nicht zwischen meine zehn Finger nehme und zu Hafergrütze quetsche. Aber nehmt doch einmal die Photographie aus Eurem Beutel, Master Lieutenant! Das Feuer brennt hell genug zu einem Blick darauf. Ich lasse mich auf der Stelle kielholen, wenn er nicht genau so ein Gesicht macht wie Euer Bild!“

„Ich brauche die Photographie nicht, Peter; er ist’s; ich habe ihn erkannt,“ antwortete Treskow. „Sehen Sie sich den Kerl einmal an, Herr Wallerstein, ob er es nicht ist!“

„Er ist es! Es ist kein Zweifel möglich; aber so nahe am Ziele, wird er uns doch entgehen!“

„Das wartet ab, Sir!“ antwortete Potter. „Der Colonel hat mein Zeichen gehört und weiß, daß Hilfe in der Nähe ist. Hat er nur erst die Hände frei, so sollt Ihr sehen, was die Schurken zu schmecken bekommen!“

Da raschelte es leise hinter uns. Die geschmeidige Gestalt des Apatschen schob sich zwischen uns herbei.

„Winnetou hat vernommen die Grille und erkannt das Gesicht von Bill, dem Manne seines weißen Bruders. Er wird schleichen zum Gutter und lösen die Bande seiner Freunde. Dann mögen meine Brüder hier hinunterspringen und sich stürzen auf die Jäger und Ogellallahs, um zu folgen Sam Fire-gun nach seinem Wigwam!“

So schnell er gekommen, so behend war er auch wieder fort. Mit scharfem Auge bewachten wir das feindliche Lager und hielten uns zum eigentlichen Angriffe bereit.

Jetzt erhob sich der feindliche Anführer wieder und mit ihm die sämtlichen Weißen und Wilden. Aber ehe er noch ein Wort gesprochen hatte, schnellte sich eine dunkle Gestalt durch das ringsum wuchernde Gestrüpp und Gedorn bis zu den Gefangenen. Das war Winnetou.

Drei Schnitte – und ihre Hände waren von den Fesseln befreit – acht Schüsse krachten von uns oben herab – noch acht – Sam Fire-gun hatte keine Zeit, das weitere zu beachten; er entriß dem ihm zunächst stehenden Indianer den Tomahawk und stürzte sich in den Schwarm der tödlich überraschten Feinde.

„Come on, drauf, drauf!“ klang seine Stimme, während Winnetou an seiner Seite unter den Ogellallahs mähte.

„Pitt Holbers, altes Coon, siehst du den Kerl dort, der meine Büchse hat?“ rief Dick Hammerdull triumphierend. „Komm, ich muß sie haben!“

Die beiden Unzertrennlichen drangen vor, bis der Dicke seinen geliebten Schießprügel zurückerobert hatte. Peter Polter, der Steuermann, war wie eine Lawine mitten unter die erschrockenen Gegner hineingekracht. Er wollte sein Wort halten. Mit seinen Bärenfäusten faßte er ihren Anführer bei Schenkel und Genick, hob ihn hoch in die Luft empor, schmetterte ihn zur Erde, daß es dröhnte, und stieß ihm dann das Messer in die Brust.

„Bounce, abgethan! Weiter, ihr Männer, schlagt, haut, stecht, schießt, prügelt sie, werft sie über Bord, daß sie ersaufen, quetscht sie tot, hurra – hurra!“

Während der wackere Seemann in dieser Weise seinem Herzen Luft machte, thaten auch Wallerstein und Treskow ihre Schuldigkeit. Es war der erste Kampf, an dem sie teilnahmen, und zwar zugleich ein furchtbarer, der ihnen das Leben im wilden Westen von der dunkelsten Seite zeigte. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich und meine Boys auch thaten, was wir konnten, denn wir waren ebenso schnell wie die andern hinunter in das Gutter gesprungen und gebrauchten unsre Waffen nach Kräften.

Die Feinde waren an Zahl fast fünffach überlegen, aber durch die Ueberraschung zu Schaden gekommen, denn ehe sie sich auf den Widerstand besannen, lag bereits die Hälfte von ihnen am Boden. Wie in jener Nacht des Ueberfalles an der Eisenbahn wütete der Tomahawk Sam Fire-guns unter den Gegnern; Winnetou fand nicht weniger Opfer, und Hammerdull stand Rücken an Rücken mit Pitt Holbers im dichtesten Gewühl. Der Steuermann fuhr in der Schlucht herum wie eine losgelassene Furie; der kleine Bill Potter hatte sich am Eingange derselben zwischen die Büsche gesteckt, aus welchen er, jede Flucht zurückweisend, seine Schüsse sandte, und Treskow und Wallerstein zeigten sich nicht weniger mutig.

Nach wenigen Minuten des Kampfes waren die Angreifer Sieger; sämtliche weiße Gegner lagen tot an der Erde, und nur einigen gewandten Indianern war es gelungen, zu entkommen.

Sam Fire-gun war nicht der Mann, lange Fragen über seine wunderbare Rettung auszusprechen, wo es jetzt galt, den Sieg zu benutzen.

„Vorwärts, Leute, zu den Pferden,“ rief er, „damit sie uns nicht verloren gehen! Die Indsmen haben Wächter bei den Tieren, die wir überrumpeln müssen. Aber nicht alle sind nötig; einige von euch können hier bleiben!“

Er eilte mit denen, die ihm folgten, fort. Wir andern setzten uns nieder. Unsre Lage war keineswegs sicher, denn die entflohenen Roten konnten zurückkehren und sich aus sicherer Entfernung mit Schüssen rächen. Aber es geschah nichts dem Aehnliches. Wir horchten gespannt in die Nacht hinaus; es ließ sich nichts Verdächtiges vernehmen, und das erste Geräusch, welches die nach dem Kampfe eingetretene Stille störte, war ein freundliches: Die Büsche raschelten; Aeste krachten und Zweige knickten; die Gefährten kehrten mit ihren und den erbeuteten Pferden zurück, nachdem sie die bei den letzteren zurückgebliebene Wache überwunden hatten. Bill Potter hatte auch sein eignes Tier und die unsrigen nicht vergessen und sie mit herbeigebracht.

„Pitt Holbers, altes Coon, siehst du, daß ich meine alte Stute wieder habe?“ fragte der glückliche Hammerdull.

„Hm, wenn du denkst, daß ich sie sehe, so habe ich nichts dagegen; aber by god, es hätte nicht viel gefehlt, so wäre es mit dir und ihr ausgewesen!“

„Ob aus oder nicht, das bleibt sich gleich; aber ich möchte doch nur wissen, wer die Männer sind, die mit dem kleinen Polter uns – – ’sdeath, ist das nicht der verteufelte Steuermann aus Germany da drüben, der so große Fäuste hat und so fürchterlich trinken kann?“

„Freilich bin ich’s, alte Schmertonne du! Kennst mich also doch noch, he? Bin mit Master Treskow und Master Wallerstein wieder herübergekommen, weil – –“

„Master Wallerstein?“ fragte da rasch Sam Fire-gun. „Peter Polter –? Wahrhaftig, du bist’s wieder! Was willst du wieder in der Savanne, und was ist es mit deinem Master Wallerstein?“

„Das ist dieser Sir hier, Colonel, der mit dem Herrn Treskow gekommen ist, um seinen Onkel aufzusuchen!“

„Dieser Sir –?“

Er trat einen Schritt zurück, warf einen langen, forschenden Blick auf seinen Neffen, streckte ihm dann beide Arme entgegen und rief aus:

„Das ist kein Falscher, nein; ich kenne diese Züge. Heinrich, mein Neffe, willkommen, tausendmal willkommen!“

Die beiden so nahen und einander doch so entfernt gewesenen Verwandten lagen einander lange, lange in den Armen, und die andern standen schweigend in der Nähe, bis der Colonel, der für sich keine Furcht kannte, durch die Gegenwart des teuren Befreundeten auf die Gefahr hingewiesen wurde, in der sie noch immer standen. Er ließ ihn frei und gebot:

„Hier ist nicht der Ort zu Fragen und Erklärungen. Auf, nach dem Lager, das ganz in der Nähe liegt. Dort können wir das Willkommen samt unsrer Rettung feiern und die Wunden verbinden, die wir davongetragen haben!“

„Ja, auf nach dem Lager!“ rief auch der Steuermann. „Dort wird sich wohl ein guter Tropfen finden lassen, nicht nur für unsre Wunden, sondern auch für meinen Magen, dem er wahrscheinlich noch viel nötiger ist!“ – – –

„Wir nahmen die Pferde bei den Zügeln, jeder so viele, daß wir sie alle fortbrachten. Wir mußten sie führen, denn reiten konnten wir bei der jetzt herrschenden Dunkelheit im Walde nicht. Diejenigen, welche hier bekannt waren, gingen voran; wir andern folgten hinterdrein, immer zwischen den weit auseinanderstehenden Riesenstämmen und unter dem dich ten Wipfeldach dahin. Dann wurden wir zwischen vielgewundenen Felsenkrümmungen, die ein Labyrinth bildeten, hindurchgeführt, in dem sich selbst am Tage nur jemand, der es genau kannte, zurechtfinden konnte, und endlich gelangten wir in einen runden Felsenkessel, welcher den geheimen Lagerplatz der Trapper- und Goldsuchergesellschaft des Colonel bildete.

Dieser Ort war außerordentlich gut für einen solchen Zweck geeignet, sehr, sehr schwer zu finden und dabei ebenso leicht gegen einen Angriff zu verteidigen. Es brannten da mehrere Feuer, um welche eine ganze Anzahl von Westmännern saß, die zur Gesellschaft gehörten und uns hoch erfreut willkommen hießen. Sie hatten keine Ahnung davon, was ihr Colonel und die mit ihm kommenden Kameraden und andern Männer in den letzten Tagen erlebt hatten. Wir wurden, so weit es hier möglich war, im höchsten Grade gastfreundlich bewirtet, und dabei hörten sie, was geschehen war und was für eine Gefahr ihrem Lager gedroht hatte. Sie nahmen sich vor, gleich mit Tagesanbruch nach dem Gutter zu gehen, die Gefallenen noch einmal genauer zu untersuchen und dann die ganze Umgegend von den etwa da noch umherstreifenden Roten zu befreien. Die ganze Gesellschaft des ‚Kapitäns‘ hatte ein grausiges Ende gefunden und mit ihr er selbst durch das Messer des Steuermannes. Es blieb Treskow nichts andres übrig, als nach Van Buren mit dem Bescheide zurückzukehren, daß er den so lange Gesuchten zwar gefunden habe, aber ihn nicht mitbringen könne, weil er ‚ausgelöscht‘ worden sei.

Es versteht sich ganz von selbst, daß Wallerstein seinem toten Doppelgänger gleich nach dem Kampfe alles abgenommen hatte, was ihm von demselben gestohlen worden war. Was weiter geschah, gehört nicht hierher. Meine Geschichte ist zu Ende.“ – – –

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand II