1. Kapitel Bei Mutter Thick -20-



Von hoher, breiter und außergewöhnlich muskulöser Figur, trug er einen Hut auf dem glattgeschorenen Kopfe, dessen ungeheure Krempe hinten weit über den Nacken herunterschlappte, während ihr vorderer Teil über dem Gesichte einfach weggeschnitten war. Den Leib bedeckte ein kurzer, weiter Sackrock, dessen Aermel kaum bis über die Ellbogen reichten und erst die Aermelteile eines sauber gewaschenen Hemdes, dann die braun gebrannten Vorderarme und endlich zwei Hände sehen ließen, die einem vorsündflutlichen Riesentiere anzugehören schienen. Die Beine staken in einem Paar ebenso weiter Hosen von leichtem Zeuge, unter denen zwei Stiefel sichtbar wurden, deren Leder aus dem Rücken eines Elephanten herausgeschnitten sein mußte.


Der Mann sah in dem alten Hute, dem moosgrünen Rocke und den gelben Hosen einer Maskenballfigur ähnlich.

Er wollte aus dem Sattel steigen, aber sein Pferd schien damit nicht einverstanden zu sein; es ging mit allen vieren in die Luft.“

„Have care – Achtung – attention – hopp, du falscher Racker!“ schrie er es zornig an, indem er ihm mit der gewaltigen Faust einen Hieb zwischen die Ohren versetzte. „Da hast du eins, wenn du meinst, daß der Peter Polter ein Seiltänzer sei oder ein ähnliches halsbrecherisches Individuum! Wirft mir die Bestie den Schwanz in die Höhe wie die Sternflagge eines Dreimasters und schlägt mit dem Gehör um sich, als wolle sie Seekrebse damit fangen! Hätte ich dich nur zwischen Vor- und Mittelmast eines guten Oceaners, so wollte ich dir zeigen, was ein Steuermann zu bedeuten hat! Grace à dieu – heigh-day, da ist ja die Kabine, in der Master Winklay, der Irishman, vor Anker liegt. Herunter von der Raae, Peter Polter; und du, Teufelsgaul, dich werde ich hier mit dem Riemen an die Fenzlatte sorren, damit dich die Strömung nicht hinaus in die See treibt! Steigt ab, Master Treskow und Herr Wallerstone, wir sind im rechten Hafen!“

Sie stiegen ab und banden draußen ihre Pferde an. Er trat mit weit auseinander gespreizten Beinen auf, als habe er vom Reiten die Seekrankheit bekommen, und schob sich dann vorsichtig durch den Flur und die offenstehende Thür in den Boarraum des Irländers.

„Good day, alter Marsgast!“ grüßte er diesen. „Schaff’ etwas Nasses zur Stelle, sonst segle ich dich über den Haufen, so liegt mir der Durst in der Kehle!“

Die beiden andern zeigten weniger Redseligkeit; sie nahmen schweigend Platz und überließen ihrem Gefährten die Einleitung zu dem beabsichtigten Gespräch.

„Helà, my good Haggler, kennst du den Peter Polter noch?“ fragte dieser.

Der Wirt zog sein Gesicht in schmunzelnde Falten und antwortete:

„Kenn’ dich schon noch. Wer so trinken kann wie du, den vergißt man nicht so leicht!“

„Well done – bon! Hätte dir aber einen solchen Merks kaum zugetraut! Weißt noch, als ich mit Dik Hammerdull, Pitt Holbers und noch einigen hier Ab schied trank und doch zwei Tage länger warten mußte, weil die andern gar nicht wieder aufwachen wollten?“

„Yes, yes, das war ein ‚Drink‘, wie ich noch keinen erlebt hatte und wohl auch keinen wieder mitmachen werde. Wo bist du denn herumgestiegen?“

„Bin nach dem Osten und zur See, habe hierhin geguckt und dorthin und will nun wieder auf eine Woche oder zwei zum alten Fire-gun. Ist doch noch zu haben, der alte Trapper, he?“

„Meine es! Den löscht so leicht kein Indsman aus, und die bei ihm sind, wissen sich und ihn zu halten. Dick Hammerdull ist hier gewesen vor nicht gar langer Zeit; der lange Pitt war auch bei ihm. Sind dann fortgegangen und auf die Roten gestoßen, wie ich mir denke. Man sagt, die Ogellallahs hätten einen Zug überfallen und von Sam Fire-gun und Winnetou eine gute Portion Blei und Eisen erhalten.“

„Winnetou? Ist der Apatsche auch wieder zu haben?“

Der Irländer nickte.

„Freilich; war sogar hier bei mir und hat mich bei der Gurgel gehabt, daß mir beinahe der Atem ausgegangen ist.“

„Alas, alter friend, bist ihm wohl quer durch den Kurs gerudert?“

„War so etwas! Kannte ihn nicht und wollte ihm keine Munition verkaufen, kam aber da verdammt an den Unrechten. Willst du Bill Potter sehen?“

„Bill Potter? Ist er hier an Bord?“

„Meine es! Ist nur ein wenig in den Wald gegangen und hat sein Pferd hinter dem Hause stehen.“

„Lack-a-day, das paßt sich gut! Wie segelt er, von oder zu dem Colonel?“

„Zu – zu ihm; ist einige Zeit da unten in Missouri gewesen, wo er Verwandte hat, und will nun wieder hinauf nach den Bergen.“

„Wann macht er sich an die Ankerwinde?“

„Wie? Rede doch so, wie einem ehrlichen Manne der Schnabel gewachsen ist. Wer soll denn dieses schauderhafte Zeug verstehen?“

„Bist ein dull-man, ein Dummkopf, wie er im Buche steht, und wirst auch einer bleiben! Wann er fortgeht von hier, meine ich!“

„Kann es nicht sagen, wird aber nicht in alle Ewigkeit hier liegen bleiben.“

„Hat er abgesattelt?“

„Nein.“

„So wird er sich vielleicht noch heut in die Ruder legen und wir machen mit!“

Der Wirt schien wirklich sehr freundschaftliche Gesinnungen für den originellen Kauz zu hegen, denn der sonst so schweigsame und zurückhaltende Mann hatte sich wohl seit Jahren zu keinem so langen Ge spräche herbeigelassen, wie das gegenwärtige war.

Jetzt machte sich der Feine zu einer Frage bereit. Er griff in die Tasche und zog eine Photographie hervor.

„Wollt Ihr mir nicht sagen, ob vor kurzem bei Euch zwei Männer vorgesprochen haben, zwei Deutsche, Master Winklay, die sich Heinrich Sander und Peter Wolf nannten?“

„Heinrich Sander – Peter Wolf? Hm, ich will mein ganzes Schießpulver verschlucken und eine Portion Schwamm und Feuerzeug dazu, wenn das nicht die beiden Greenhorns waren, die zu Sam Fire-gun wollten!“

„Wie sahen sie aus?“

„Grün, sehr grün, Mann; mehr kann ich nicht sagen. Der eine – Heinrich Sander glaube ich, war es – machte uns den Spaß und ging mit seiner Mückenflinte dem dicken Hammerdull zu Leibe, wurde aber ganz gehörig heimgeschickt. Ich glaube, Dick hätte ihm einige Zoll Eisen zu kosten gegeben, wenn er nicht gesagt hätte, daß der Colonel sein Oheim sei.“

„Gefunden!“ meinte der Fremde freudig. „Wo sind die beiden dann hin?“

„Fort mit dem Langen und Dicken, hinaus in die Savanne. Mehr weiß ich nicht.“

„Seht Euch doch einmal dieses Bild hier an, Ma ster! Kennt Ihr den Mann?“

„Wenn das ein andrer ist, als der Heinrich Sander, so sollt Ihr mich auf der Stelle teeren und federn!“

Dann aber trat er, wie unter einem plötzlich in ihm auftauchenden Gedanken, um einen Schritt zurück und fragte in zurückhaltendem Tone:

„Sucht Ihr den Mann, Sir?“

„Warum?“

„Hm! Ein Westmann trägt niemals so ein Konterfei mit sich herum, und Ihr seht – seht so nett und sauber aus, daß – daß – –“

„Nun, daß – –“

„Daß ich Euch einen guten Rat geben möchte!“ verbesserte er den beabsichtigten Satz.

„Welchen?“

„Was hier bei mir vorgeht, das kümmert mich nichts; so lange man mir meine guten Hausrechte läßt. Ich frage niemanden und antworte auch keinem. Euch aber habe ich Rede gestanden, weil Ihr mit Peter Polter gekommen seid, sonst hättet Ihr nichts von mir erfahren. Aber zeigt niemand das Bild wieder vor, und erkundigt Euch nicht eher nach irgend wem, als bis Ihr ein wenig mehr nach der Savanne ausseht, denn sonst – sonst – –“

„Weiter! Sonst –?“

„Sonst hält man Euch gar für einen Policemann, für einen Detektive, und das ist oft sehr schlimm. Der Westmann braucht keine Polizei; er richtet selber, was es zu richten giebt, und wer sich da hineinmengt, den weist er mit dem Bowiekneif zurück!“

Der Feine wollte eben antworten, da aber öffnete sich die Thür, und ein Mann trat ein, bei dessen Anblick Peter Polter sich mit lautem Zurufe erhob.

„Bill Potter, alter Swalker, bist du’s wirklich? Komm her und trink; ich weiß noch ganz genau, daß deine kleine Kehle ein ganz verteufelt großes Loch ist!“

Der Angeredete war ein winziges, dürftiges Männlein, an dessen Körper sich kaum ein halbes Pfund Fleisch vermuten ließ. Er sah den Sprecher verwundert an, wobei sich sein kleines Gesichtchen in hundert lachende Falten und Fältchen legte.

„Bill Potter –? Swalker –? – trinken –? großes Loch –? Hihihihi, wo hab’ ich nur den Kerl gesehen, der mir so bekannt vorkommt!“

„Wo du mich gesehen hast? Hier, natürlich hier. Streng nur dein Gehirnchen ein bißchen an!“

„Hier? Hm! Kann mich doch nicht gleich besinnen. Bin so oft hier gewesen und mit so verschiedenen Männern, daß ich den einzelnen nicht so schnell aus dem Haufen finden kann. Wie klingt dein Name, he?“

„Donnerwetter, hat der kleine Junge hier bei Master Winklay an meiner Seite gesessen und dabei getrunken, daß er zwei Tage lang mit keinem Finger wackeln konnte, und fragt mich jetzt, wie mein Name klingt! Und noch dazu bin ich mit ihm in den Bergen gewesen, wo wir bei Sam Fire – –“

„Stopp, Alter! Hihihihi, jetzt kenne ich dich!“ fiel ihm der Kleine hier in die Rede. „Heißest Peter Folter oder Molter, oder Wolter, oder – –“

„Polter, Peter Polter, zuerst Hochbootsmannsmaat auf ihrer englischen Majestät Kriegsschiffe Nelson und dann Steuermann auf dem Vereinigten-Staaten-Klipper ‚Swallow‘, wenn du dir es merken willst! Sodann wurde ich ein wenig Westmann und bin – – –“

„Weiß – weiß – weiß! Bist ja mit bei uns gewesen und hast mir zu guter Letzt beinahe noch den Tod an den Hals getrunken. Hihihihi, hast eine Gurgel, wie ich noch keine gesehen habe, und kannst trinken wie – wie – wie der alte Vater Missisippi selber. Wo warst du denn nachher, und wo willst du hin?“

„War ein weniges in der Welt herum, und will jetzt wieder zu euch, wenn es dir recht ist.“

„Zu uns? Weshalb?“

„Diese Gentlemen hier haben mit eurem Kapitän oder Colonel zu reden. Wird er auch daheim zu finden sein?“

„Denke es. Wann wollt ihr fort von hier?“

„So bald als möglich. Reitest doch mit, he?“

„Möchte schon, wenn ihr mich nicht zu lange warten laßt!“

„Je eher, desto lieber ist es uns. Iß und trink, alter Schießprügel, und dann mag es vorwärts gehen!“

Ihr könnt euch denken, Mesch’schurs, daß mich diese sonderbaren Männer und Gestalten lebhaft interessierten. Ich hätte gern näheres über sie erfahren, doch ist es im Westen nicht immer geraten, neugierige Fragen auszusprechen. Von Peter Polter hatte ich einmal gehört. Er war, ganz nur zum Zeitvertreib, den Arkansas heraufgekommen und hatte hier bei Winklay die Bekanntschaft einiger Trapper gemacht, denen es ein Spaß gewesen war, den eigentümlichen Kerl mit in die Prairie zu nehmen. Er hatte sich da gar nicht übel benommen und trotz manchen Ulkes, der von ihm losgelassen war, sogar die Teilnahme Old Fire-guns gewonnen. Man hatte ihm trotz seiner Schrullen gut sein müssen und ihn dann, als er wieder nach dem Osten ging, nur ungern fortgelassen.

Jetzt saßen die vier Männer essend und trinkend in meiner Nähe, und ich hörte, daß der Feine den Wirt leise fragte, wer ich sei. Als er Auskunft erhalten hatte, drehte sich Peter Polter, der mit dem Rücken nach mir saß, zu mir um und sagte:

„Ich höre, daß Ihr Indianeragent seid, Sir. Kommt Ihr von den Roten, oder wollt Ihr hin?“

„Ich will hin, Mr. Polter,“ antwortete ich.

„Allein?“

„Nein. Diese Boys hier begleiten mich.“

„Den Arkansas aufwärts?“

„Auch nicht. Wir wollen zunächst in die Berge zu Sam Fire-gun reiten.“

„Halloo! Da haben wir ja gleichen Weg! Wollt Ihr mit uns?“

„Ganz gern.“

„So habt die Güte, Euch hier an unsrem Tische vor Anker zu legen! Als Indianeragent seid Ihr ein Gentleman, der den Westen kennt und dem wir Vertrauen schenken können. Wenn Ihr mit uns reitet, müßt Ihr wissen, weshalb wir hier sind und was wir bei Sam Fire-gun wollen. Also kommt herüber und staut Euch fest bei uns!“

Ich setze mich zu ihnen und erfuhr nun folgendes: Derjenige von den dreien, nämlich der Blonde, den ich sogleich für einen Deutschen gehalten hatte, war unten in Van Buren mit einem gleichalterigen Manne zusammengetroffen, der ebenso wie er nach dem Westen wollte; er hatte Wohlgefallen an ihm gefunden und ihm in unvorsichtigem Vertrauen alle seine Verhältnisse und Absichten mitgeteilt. Beide hatten zwei Tage lang zusammen gewohnt und in demselben Zimmer miteinander geschlafen; als Heinrich Wallerstein, denn dieser war es, am dritten Morgen erwachte, war sein neuer Bekannter fort, aber nicht allein, denn er hatte während der Nacht alle Taschen Wallersteins ausgeleert und nicht nur seine Legitimationen und Briefe, sondern auch sein ganzes Geld, seine Uhr und was sonst noch Wert hatte, mitgenommen. Wallerstein war von allen Mitteln entblößt, konnte also nicht weiter, konnte nicht einmal den Wirt bezahlen und wendete sich in seiner Aufregung an die Polizei, deren Bescheid in einem mitleidigen Achselzucken bestand. Als er enttäuscht in sein Gasthaus zurückkehrte, machte ihn der Wirt auf einen Fremden aufmerksam, der eben angekommen war und ihn vielleicht irgendwie unterstützen werde, weil er auch ein Deutscher sei. Dieser Mann war Peter Polter, der Steuermann, der jetzt wieder nach dem Arkansas kam, um sich abermals das Vergnügen zu machen, den Westmann zu spielen. Kaum hörte der brave Seebär von der Not, in welcher sich Wallerstein befand, so war er zu aller möglichen Hilfe bereit, und als er gar das Nähere erfuhr und daß Sam Fire-gun der Oheim Wallersteins sei, da war er ganz entzückt über seinen neuen Bekannten und versprach, den Neffen so schnell wie möglich zu Old Fire-gun zu bringen; denn daß der Dieb auch zu diesem sei, um sich für seinen Neffen auszugeben, daran war nicht zu zweifeln. Eben bestimmten die beiden, daß sie sogleich aufbrechen wollten, als ein Herr eintrat und sich bei dem Wirte nach dem bestohlenen Mr. Wallerstein erkundigte. An diesen gewiesen, brachte er eine Photographie zum Vorschein, zeigte sie ihm und fragte ihn, ob er den Mann kenne; es war das Bild des Diebes. Dieser war ein von der Polizei schon längst und mit Eifer gesuchter Gauner, Fälscher und Betrüger, dessen Spur vor einem halben Jahre nach dem Arkansas geführt hatte, dann aber nicht weiter zu verfolgen gewesen war. Vorgestern sollte er hier in Van Buren wieder gesehen worden sein, und wenn Wallerstein vorhin von der Polizei kurz abgewiesen worden war, so hatte diese doch gleich nach seinem Fortgange das Wiederauftauchen des Verfolgten mit dem neuen Diebstahle in Verbindung gebracht und einen ihrer Beamten mit der Photographie hergeschickt. Dieser Beamte war ein geborener Deutscher, Namens Treskow, der feine Gentleman, den ich vorhin erwähnt habe. Die Unterredung zwischen ihm, Wallerstein und Peter Polter hatte zur Folge, daß der Polizist sich für kurze Zeit entfernte und dann mit der Nachricht zurückkehrte, daß er mit ihnen nach Fort Gibson fahren und dann zu Sam Fire-gun reiten werde, um dem Originale seiner Photographie einen amtlichen Besuch abzustatten. So kamen diese drei nach dem Store und Boardinghouse des Irländers Winklay.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand II