1. Kapitel Bei Mutter Thick -18-



Einem der Seinen das Beil entreißend, stürzte er sich auf den Apatschen, welcher ihn stehenden Fußes erwartete. Die Augen der beiden starken Männer bohrten sich mit fürchterlichem Blicke ineinander; das Beil des Ogellallah schwirrte um das Haupt desselben und fuhr dann mit fürchterlicher Wut hernieder. Winnetou parierte den Hieb mit einer Leichtigkeit, als sei er von dem Arme eines Knaben geführt; nun auch seine Waffe schwingend, wollte er den Schlag erwi dern, wurde aber von hinten gepackt und daran verhindert. Zwei Ogellallahs hatten sich auf ihn geworfen. Blitzschnell drehte er sich um; die Feinde sanken, von ihm getroffen, nieder, aber schon schwebte das Beil Matto-Sihs wieder über seinem Haupte.


Sam Fire-gun, der alle überragte, hatte den Freund in Gefahr gesehen. Die Indianer wie Grashalme auseinanderschlagend, sprang er mitten durch sie hindurch, faßte mit den beiden riesenstarken Fäusten ihren Anführer bei Hüfte und Genick, hob ihn hoch in die Luft empor und schmetterte ihn zur Erde nieder, daß es krachte. Sofort kniete Winnetou über dem Besinnungslosen, senkte ihm das Messer in die Brust, faßte mit der Linken das reiche, dunkle Haar zusammen – drei Schnitte, kunstgerecht geführt – ein kräftiger Ruck – und der Skalp war gelöst. Er schwang ihn hoch um den Kopf und ließ jenen fürchterlichen Siegesruf hören, welcher Mark und Bein erschütternd auf den Gegner zu wirken pflegt.

Als die Ogellallah die Kopfhaut ihres Anführers erblickten, stießen sie ein erschütterndes Geheul aus und wandten sich zur Flucht.

Dik Hammerdull stand wieder bei Pitt Holbers; sie waren die beiden Unzertrennlichen und suchten jetzt die Fliehenden zurückzuhalten.

„Pitt Holbers, altes Coon, siehst du, wie sie laufen, he?“ rief Hammerdull.

„Hm, wenn du denkst, Dick, so sehe ich es!“

„Ob ich es denke oder nicht, das bleibt sich gleich, aber ich möchte – – Zounds, Pitt, guck dir einmal den Kerl an, der dort zwischen den beiden Männern aus Germany hindurch will! Holla, der Mensch wird ausgelöscht!“

Mehr sich kugelnd als laufend, eilte er hinzu, wo mehrere der Indianer sich anstrengten, an den beiden Deutschen, welche sie aufhalten wollten, vorbei zu kommen. Holbers folgte ihm; sie warfen sich auf die Roten und schlugen sie nieder.

In kurzem war der Sieg vollständig errungen, und was vom Feinde nicht tot oder verwundet am Boden lag, das hatte fliehend das Weite gesucht.

Am östlichen Horizonte wurde nun auch das scharfe Licht der nahenden Maschine sichtbar. Der Heizer hatte den Schein der Feuer bemerkt, sie für das verabredete Zeichen gehalten und nun den Zug in langsame Bewegung gesetzt.

Der Ingenieur, welcher zu der Abteilung Winnetous gehört hatte, trat zu dem Apatschen und fragte ihn:

„Ihr seid Master Winnetou?“

Der Indianer neigte, den Skalp Matto-Sih’s an sich hängend, zustimmend das Haupt.

„Wir haben Euch die heutige Rettung zu verdanken. Ich werde einen Bericht schreiben, der bis hinauf zum Präsidenten geht; dann wird der Lohn nicht ausbleiben!“

„Der Häuptling der Apatschen bedarf des Lohnes nicht; er liebt die weißen Brüder und giebt ihnen seinen Arm im Kampfe, aber er ist stark und reich, reicher als der große Vater der Bleichgesichter. Er bedarf weder Gold noch Silber, weder Hab noch Gut; er will nicht nehmen, sondern er giebt. Howgh!“

Der Zug hielt kurz vor den aufgerissenen Schienen an.

„Donnerwetter, Sir,“ rief der herabspringende Feuermann dem herbeitretenden Vorgesetzten entgegen, „muß es hier Arbeit gegeben haben. Das ist ja, bei Gott, die reine Schlächterei!“

„Sollst recht haben, Mann, – ist heiß hergegangen heute abend, und ich habe mir auch ein kleines Loch geholt, wie du hier sehen kannst! Aber nun vor allen Dingen das Werkzeug herunter und die Schienen in Ordnung, damit wir baldigst weiter können! Versorge das; ich will jetzt mit nach den Gefallenen sehen!“

Er wollte eben zurücktreten, da schnellte hart neben ihm aus dem tiefen Grase der Dammböschung eine dunkle Gestalt empor und eilte an ihm vorüber. Es war einer der Ogellallahs, der keine Gelegenheit zur Flucht gefunden und sich hier versteckt hatte, um einen geeigneten Augenblick abzuwarten.

Der Arbeiter, welchem die Pferde anvertraut waren, war natürlich dem Zuge gefolgt und stand jetzt mit ihnen in der Nähe der haltenden Wagen. Der Indianer, dem der Anblick der Tiere Hoffnung auf das Entkommen gegeben hatte, eilte auf ihn zu, riß ihm den Zügel eines der Pferde aus der Hand, schwang sich in den Sattel und wollte davonjagen.

Hammerdull hatte die flüchtige Gestalt des Roten sofort bemerkt. Er rief seinem von ihm unzertrennlichen Kameraden zu:

„Pitt Holbers, altes Coon, siehst du den Roten springen? Alle Teufel, er geht nach den Pferden!“

„Wenn du denkst, Dik, daß er eins bekommen wird, so habe ich nichts dagegen, denn der Mann, der sie hält, sieht mir grün genug dazu aus!“

„Ob er grün sieht oder nicht, das bleibt sich gleich, denn – – Pitt Holbers, schau – er reißt ihm die Zügel aus den Fingern, er springt auf, er – – good lack, es ist meine Stute, auf die er sich gesetzt hat! Na, Bursche, das ist der gescheiteste Einfall, den du in deinem ganzen Leben gehabt hast, denn nun wirst du das Glück haben, mit meiner Flinte reden zu können!“

Wirklich hatte sich der Indianer auf die alte Stute geworfen und schlug ihr die Fersen in die Seiten, um so schnell wie möglich das Weite zu gewinnen. Er hatte sich jedoch verrechnet, denn Dick Hammerdull schob den gekrümmten Zeigefinger in den Mund und ließ einen schrillen, weit hin tönenden Pfiff erschal len. Sofort fuhr das gehorsame Tier herum und galoppierte trotz aller Anstrengung des Wilden grad auf seinen Herrn zu. Der Indianer sah keine andre Rettung, als sich noch zur Zeit herabzuwerfen; da aber nahm der dicke Trapper die Büchse an die Backe; der Schuß krachte, und der Indsman fiel, durch den Kopf getroffen, zu Boden.

„Hast du es gesehen, Pitt Holbers, was die Stute für ein wackeres Viehzeug ist? Ich möchte nur wissen, ob er auch ohne sie glücklich in seine ewigen Jagdgründe kommen wird! Was meinst du, he?“

„Ich habe nichts dagegen, Dick, wenn du denkst, daß er den richtigen Weg gefunden hat. Willst du dir nicht seine Haut nehmen?“

„Ob ich sie nehmen will oder nicht, das bleibt sich gleich, aber herunter muß sie, das ist sicher!“

Um zu dem Gefallenen zu gelangen, mußte er an den zwei Deutschen vorüber, welche, von der Anstrengung des Kampfes ausruhend, neben einander standen.

„So wahr ich Jean Letrier heiße, Kapitän, das war ein Rencontre, wie man es nur im wilden Westen erlebt!“ hörte er französisch sagen. Aber er war zu sehr mit seiner Absicht beschäftigt, als daß er für den Augenblick auf diese Worte einen Wert gelegt hätte.

Als er dem Toten den Skalp abgezogen hatte und wieder in die Nähe des haltenden Zuges zurückkehrte, sah er Sam Fire-gun in der Nähe dieser beiden Männer.

„Dick Hammerdull,“ fragte dieser, „ist’s nicht so, daß du die zwei deutschen Gentlemen bei Master Winklay getroffen hast?“

„Well, so ist es, Colonel.“

„Sie haben sich gut gehalten und machen dir Ehre. Aber wie kommt es, daß du sie mitgenommen hast? Du kennst ja meinen Willen in Beziehung auf neue Bekanntschaften! Ich will keine neuen Gesichter bei uns sehen.“

„All right, Sir, aber der eine, der sich Heinrich Sander nennt, meinte, daß Ihr sein Oheim wäret.“

„Sein Oheim? Bist du toll?“

„Hm, ob ich toll bin oder nicht, das bleibt sich gleich; aber wir kamen in einen kleinen Handel und ich hatte da schon die Messerspitze an seiner Kehle, als er sagte, Ihr würdet es mir schlecht danken, wenn ihm die Klinge um ein weniges zu tief in die Wolle gehe. Machts mit ihm selber ab, Colonel!“

Der berühmte Tracker 11) trat an die Deutschen heran und fragte sie:

„Ihr seid von drüben herüber aus Germany, wie man mir sagt?“

„Ja,“ antwortete Sander.

„Was sucht ihr in der Prairie?“

„Euch, Sir.“

„Mich? Weshalb?“

„Oheim, willst du noch fragen?“

Sam Fire-gun trat um einen Schritt zurück.

„Oheim? Ich kenne keinen Verwandten mit Namen Sander!“ erklärte Sam Fire-gun erstaunt.

„Das ist richtig! Doch nannte ich mich so, weil ich nicht wußte, ob dir der Name Wallerstein lieb sein würde. Es handelt sich um Geld, um viel Geld, wie du schreibst. Da muß man vorsichtig sein, und darum habe ich mir einen andern Namen beigelegt.“

„Wall – –. Ist es denn möglich, daß du es bist, Heinrich?!“

„Nicht möglich, sondern wirklich, Onkel. Hier ist dein Brief, in welchem du schreibst, daß ich kommen soll. Die andern Papiere kannst du ja morgen lesen!“

Er langte unter den Jagdrock und zog ein sorgfältig verwahrtes Papier hervor, welches er ihm überreichte. Der alte Jäger warf bei dem noch immer hellen Feuerscheine einen Blick auf die Zeilen, zog ihn dann an seine Brust und rief aus:

„Es ist wahr! Gott segne meine Augen, daß es ihnen noch vergönnt ist, einen der Meinigen zu sehen. Wie geht es deinem Vater? Warum schrieb er mir nicht? Ich hatte ihm doch die Adresse für Omaha angegeben?“

„Ja, aber du beschriebst in diesem Briefe zugleich auch den ganzen Weg am Arkansas hinauf nach Fort Gibson, nach dem Hause des Irländers Winklay und weiter westlich aufwärts bis zu der Stelle, wo du mit der Schar deiner Westmänner für längere Zeit kampierst. Da wir dachten, du könntest diesen Ort verlassen, hielten wir es für das Beste, daß ich mich selbst auf den Weg machte und dir den Brief des Vaters überbrachte. Morgen früh, wenn es hell ist, werde ich ihn dir geben. Du hast mich, seit du in Amerika bist, nicht gesehen und wirst mich also nicht mehr kennen; desto besser aber kenne ich deine Güte, mit welcher du die Eltern stets unterstützt und mich nun schließlich gar eingeladen hast, herüber zu kommen.“

„Well! Es freut mich, daß du dieser Einladung so schnell gefolgt bist. Ich schrieb euch auch den Grund. Ich habe in den Big-horn-Bergen Gold gefunden, viel Gold, welches ich euch geben wollte, denn ihr seid arm, und ich brauche es nicht. Mit dem Schicken ist es eine sehr unsichere Sache, und so wünschte ich, daß du persönlich kommen möchtest. Was ich dir geben will, ist ein Reichtum für euch, und ich hoffe, daß es euch glücklich macht. Aber du kommst nicht allein. Wer ist denn dein Begleiter?“

„Auch ein Deutscher. Er heißt Peter Wolf und wollte auch gern nach dem Westen. Da schloß ich mich ihm an.“

„Schön! Wir sprechen weiter über unsre Angelegenheit, lieber Heinrich. Jetzt giebt es keine Zeit dazu. Du siehst, daß ich anderweit gebraucht werde.“

Es erscholl nämlich jetzt die Stimme des Zugführers, welcher zum Aufbruche drängte, denn durch den unerwarteten Aufenthalt hier war viel Zeit verloren gegangen, die wieder eingeholt werden mußte.

Die toten und verwundeten Weißen wurden in die Wagen gebracht und die umherliegenden Waffen zusammengelesen. Die Passagiere sagten ihren Rettern herzlichen Dank, und da der Defekt im Geleise nun ausgebessert worden war, konnte der Zug die Weiterfahrt antreten. Die Zurückbleibenden sahen ihm nach, bis seine Lichter in der Ferne verschwunden waren.

Nun war die Frage, ob sie während der Nacht hier Lager machen sollten oder nicht. Es war anzunehmen, daß die flüchtigen Ogellallahs sich bald wieder sammeln und nach dem Orte des Kampfes zurückschleichen würden. Das konnte gefährlich werden, und darum wurde beschlossen, von hier aufzubrechen und an einem entfernten Orte zu übernachten, wo von seiten der Indianer kein Ueberfall zu erwarten war. Sam Fire-gun, der Colonel, bestieg eins der erbeuteten Indianerpferde, und dann wurde aufgebrochen.

Während der Colonel mit seinem ‚Neffen‘ sprach, hatte Hammerdull in der Nähe gestanden und fast alles gehört. Nun, als die Reiter den Ort des Ueberfalles schon weit im Rücken hatten, ersah er einen Augenblick, an welchem dieser Neffe nicht neben dem Onkel ritt, lenkte seine Stute neben Sam Fire-guns Pferd und sagte mit vorsichtig unterdrückter Stimme:

„Wenn Ihr es mir nicht übel nehmt, möchte ich Euch etwas sagen, Sir.“

„Uebel nehmen? Sprich nicht so dummes Zeug! Was ist’s?“

„Was Ihr jedenfalls für eine Dummheit halten werdet, Sir. Es betrifft die beiden Männer, welche behaupten, von drüben aus dem alten Germany zu sein.“

„Das sind sie doch auch!“

„Ob sie es sind oder nicht, das bleibt sich gleich; aber ich denke, daß sie es nicht sind.“

„Unsinn! Mein Neffe ist ein Deutscher; das muß ich doch wissen!“

„Ja, wenn er wirklich Euer Neffe ist, Sir!“

„Zweifelst du daran?“

„Hm! Kennt Ihr Euern Neffen?“

„Ich konnte ihn nicht erkennen, weil er noch ein Knabe war, als ich ihn zum letztenmal sah.“

„Ich glaube, Ihr habt ihn überhaupt noch nicht gesehen. Euer deutscher Name ist Wallerstein. Warum hat er diesen Namen nicht beibehalten und sich anders genannt?“

„Aus Vorsicht, nämlich weil er – – –“

„Ich weiß, ich weiß!“ fiel ihm der Dicke in die Rede. „Ich habe ja gehört, welchen Grund er dafür angab; aber mir scheint dieser Grund ein wenig faden scheinig zu sein. Sagt mir einmal, ist er Kapitän?“

„Nein.“

„Aber der andre hat ihn doch so genannt!“

„Wirklich? Was du sagst!“

„Ja, er hat ihn Kapitän genannt; ich habe es ganz deutlich gehört, sogar mit allen beiden Ohren. Sie sprachen nämlich französisch.“

„Französisch?“ fragte der Colonel verwundert. „Das wäre freilich sehr auffällig!“

„Ob es auffällig ist oder nicht, das ist gleichgültig; das ist sogar egal; aber mir ist es zunächst nicht aufgefallen. Doch als ich dann hörte, daß es sich um Euer Gold handelt, da kamen mir Bedenken. Warum nennt sich der andre uns gegenüber Peter Wolf – ein schrecklicher Name, bei dem man die Zunge brechen kann! – und zu Heinrich Sander sagte er, daß er Jean Letrier heiße?“

„Bezeichnete er sich mit diesem Namen?“

„Ja. Ich ging grad an ihnen vorüber und hörte es; ich verstand es auch, obgleich er französisch sprach. Ich achtete in diesem Augenblicke nicht darauf, weil ich grad Eile hatte, mir den Skalp eines Roten zu holen; aber später fiel es mir wieder ein und machte mich mißtrauisch. Spricht dieser Sander die deutsche Sprache gut und rein?“

„Allerdings mit einem fremden Accent; aber wahrscheinlich kommt mir das nur so vor; ich habe kein Urteil mehr darüber, weil es so lange Jahre her ist, daß ich Deutschland verlassen habe.“

„Ob Ihr es verlassen habt oder nicht, das bleibt sich ganz gleich; aber ich sage Euch, daß mir die Sache nicht gefällt. Wir nennen Euch als unsern Anführer Colonel, obgleich Ihr diesen militärischen Grad nicht besitzet. Warum wird dieser Sander Kapitän genannt? Ist er der Anführer von irgend welchen Leuten? Wer und was sind diese Leute? Ehrliche Menschen wohl kaum! Seht Euch vor, Colonel, und nehmt mir meine gut gemeinte Warnung ja nicht übel!“




11) Pfadfinder.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand II