1. Kapitel Bei Mutter Thick -11-



„Durch einen weißen Jäger, einen Freund von ihm, mit dem er sich in den Diggins befand.“


„Wie hieß dieser?“

„Old Shatterhand.“

„Ah – – – –!“

Dieser arglose Eduard bemerkte gar nicht, welchen Eindruck diese beiden Namen auf White machten, er fuhr ganz unbefangen fort:

„Ich traf diesen Old Shatterhand zufällig. Er fragte mich nach meinen Verhältnissen, denn er mochte sehen, daß ich kein Digger bin und nicht in die Minen paßte. Ich erzählte ihm alles aufrichtig und natürlich; auch, daß ich gekommen sei, um mir in sechs Monaten dreitausend Dollars zu erarbeiten. Erst lachte er darüber; dann wurde er ernst und sagte mir, daß er mir einen Mann bringen wolle, der mir wahrscheinlich einen guten Rat geben könne. Am nächsten Tage kam er mit Winnetou, der mich ansah, als ob er mir durch und durch blicken wolle. Dann nickte er Old Shatterhand still zu, und ich mußte mit ihnen gehen. Wir wanderten und stiegen fast den ganzen Tag umher, wobei Winnetou überall die Beschaffenheit des Bodens, der Erddecke untersuchte. Endlich, es war schon fast Abend, blieb er an einer Stelle stehen und sagte:

‚Hier muß mein junger Bruder graben, aber allein, mit keinem andern; da wird er Nuggets und goldenen Sand finden.‘

Ich löste mir den betreffenden Klaim und grub. Winnetou hatte recht gehabt; ich fand Nuggets. Ich mußte mich zwar sehr vor den andern Diggers in acht nehmen und meinen Fund verheimlichen, denn das ist meist räuberisches Gesindel, und es wäre mir vielleicht auch noch übel ergangen, wenn nicht in den letzten Tagen Old Shatterhand wiedergekommen wäre, um sich nach meinen Erfolgen zu erkundigen.“

„War Winnetou wieder bei ihm?“

„Nein; er hatte sich für einige Zeit von ihm getrennt, um erst nach Sacramento und dann nach San Francisco zu gehen. Er blieb bei mir, bis ich die Minen verließ, und sorgte dafür, daß mir kein Digger nahe kam. Dann fuhr er mit mir hierher.“

„Heut?“

„Ja.“

„So ist er mit Euch hier angekommen?“

„Natürlich! Wir saßen miteinander in einem Wagen.“

„Als Ihr ausgestiegen waret, spracht Ihr noch einmal in den Wagen hinein, wohl mit ihm?“

„Ja. Er stieg nicht gleich mit mir aus, weil er noch mit einem andern Passagier zu reden hatte. Ich sagte ihm guten Abend und bat ihn, Wort zu halten.“

„Welches Wort?“

„Er hat mir versprochen, mich morgen auf der Mission zu besuchen.“

„Teufel! Ist’s wahr?“

„Ja,“ antwortete Eduard, der nicht sah, in welcher Aufregung sich der Doktor jetzt befand. Dieser hatte große Angst vor Old Shatterhand; er versuchte, sich zu beherrschen, und erkundigte sich:

„Könnt Ihr denn auch beweisen, daß Ihr die drei tausend Dollars habt? Das müßt Ihr natürlich gleich heut abend beweisen können!“

„Das kann ich. Ich habe den ganzen Goldstaub in gute Papiere umgetauscht, die ich bei mir habe.“

Da blieb White stehen, zog den Hahn des Revolvers leise auf und sagte:

„Wißt Ihr, das Glück, daß Ihr Old Shatterhand und Winnetou getroffen habt, ist groß; noch größer, noch viel, viel größer aber ist die Dummheit, daß Ihr mir das alles erzählet!“

„Dummheit? Warum?“

„Weil Ihr nun das Mädchen nicht bekommt und auch das Geld nicht behaltet.“

„Wieso?“

„Wieso, fragt Ihr? Ihr werdet es sogleich erfahren.“

Im nächsten Augenblick krachte sein Schuß, und Eduard stürzte zu Boden, wo er lag, ohne sich zu rühren. White hob ihn auf, trug ihn ein Stück vom Wege seitwärts fort und legte ihn dort nieder. Dort wollte er ihn einstweilen liegen lassen, um ihn später in der Nacht irgendwo einzuscharren; vor allen Dingen mußte er ihm die Taschen leeren. Eben als er damit beginnen wollte, hörte er Schritte, welche sich rasch näherten; er huschte fort, um sich ja nicht sehen zu lassen. Der Tote lag ja gut, und er konnte ihm das Geld ebenso später wie jetzt nehmen. Er ging gar nicht erst in seine Wohnung, sondern gleich zu Wer ner, um dort Punkt zwölf Uhr seine Ansprüche geltend zu machen.

Der Erzähler hielt jetzt wieder inne, um seine Zuhörer zu fragen:

„Nun, ist die Geschichte jetzt interessanter als vorher?“

„Viel, viel interessanter!“ wurde ihm geantwortet. „Aber wo bleibt denn Old Shatterhand?“

„Er ist ja schon da!“

„Ja, auf dem Bahnhofe!“

„Nein, sondern viel näher!“

„Wo?“

„Auf dem Wege nach der Mission. Er ist es ja, dessen Schritte White kommen hörte.“

„Ah so!“

„Ja. Nämlich als Old Shatterhand aus dem Bahnwagen stieg, suchte sein Blick nach seinem jungen Reisegefährten. Er sah ihn bei White stehen und stutzte. Wer war nur dieser Mann? Er mußte ihn kennen; er hatte ihn gesehen. Er sann und sann, und da fiel es ihm endlich ein: dieser Mann, mit dem Eduard gesprochen hatte, war der Kanada-Bill! Beide waren schon fort. Old Shatterhand eilte ihnen nach, sah sie aber in der nächsten Straße nicht. Wo der Kanada-Bill auftritt, giebt es stets eine Teufelei. Hatte er eine solche mit Eduard vor? So fragte sich Old Shatterhand. Er mußte ihn warnen. Er wußte, daß er nach der Mission gehen wollte, erkundigte sich bei einem Vorübergehenden nach ihr und ging nach.

Als er die Stadt verlassen hatte, war der Weg dunkel; er mußte langsam gehen, um ihn nicht zu verlieren. Da hörte er vor sich einen Schuß und eilte auf die Stelle zu, wo er gefallen war. Da blieb er stehen und lauschte. Es war ihm, als ob sich jemand leise entferne. Er suchte, ob jemand getroffen sei und vielleicht an der Erde liege. Er fand niemand. Da aber hörte er von der Seite her einen klagenden Ton. Er ging der Richtung dieses Tones nach und fand Eduard, der sich halb aufgerichtet hatte und die Hände auf die Gegend des Herzens drückte.“

„Ihr seid es?“ fragte er erschrocken, da er ihn trotz der Dunkelheit erkannte.

„Ja, Sennor Shatterhand,“ antwortete Eduard leise.

„Seid Ihr getroffen?“

„Ja.“

„Wo?“

„Ins Herz, grad ins Herz.“

Das Sprechen fiel ihm schwer; der Atem fehlte ihm.

„Ins Herz? Das ist nicht möglich!“ sagte Old Shatterhand.

„Wenn man Euch ins Herz getroffen hätte, wäret Ihr tot. Bleibt still! Ich werde Euch untersuchen.“

Er öffnete ihm den Rock, die Weste, das Hemde – keine Spur von Blut, von einer Wunde! Er suchte weiter, kam an die Brusttasche, befühlte diese und erklärte dann erfreut:

„Gott sei Dank! Ihr habt in dieser Tasche den großen Beutel mit Nuggets 6), welche die Kugel aufgefangen haben. Hier fühle ich das kleine Loch im Tuche. Der Schuß hat Euch umgeworfen und den Atem genommen; aber die Kugel ist in den Nuggets stecken geblieben. Wohnt nicht der Arzt, Euer Rivale, da in der Mission?“

„Ja.“

„Zu dem werde ich Euch führen oder tragen. Er wird Euch – – –“

„Um Gottes willen, nein!“

„Warum nicht?“

„Der ist es ja, der auf mich geschossen hat!“

„Ah! War er am Bahnhofe?“

„Ja.“

„War es der Mann, mit dem Ihr von dort gegangen seid? Und wie heißt er? Oder vielmehr, wie heißt er jetzt?“

„White, Doktor White.“

„Ein Doktor, ein Arzt! Welch verschiedene Karrieren dieser Schurke doch schon eingeschlagen hat; es soll aber seine letzte sein. Dieses Mal werde ich ihm das Handwerk legen, und zwar für immer!“

„Kennt Ihr ihn denn?“

„Nur zu gut! Aber das ist jetzt Nebensache. Haupt sache ist, wie Ihr Euch befindet.“

„Es ist mir leichter; ich habe wieder Atem.“

„Und schmerzt die Brust?“

„Nicht sehr.“

„So wollen wir versuchen, ob Ihr aufstehen und gehen könnt. Stützt Euch auf mich!“

Der Versuch gelang; es ging langsam, aber doch. Unterwegs erzählte Eduard das Gespräch, welches er mit White gehabt hatte. In der Nähe der Mission angekommen, mußte er sich seitwärts an einer versteckten Stelle niedersetzen. Old Shatterhand ließ sich die Wohnung und das Hospital beschreiben und ging dann in das Haus, um White aufzusuchen. Die Wohnung war verschlossen; da stieg er die schlecht erleuchteten Treppen bis zum Bodenraum hinauf, dessen Thür er öffnete, ohne anzuklopfen. Da standen die Betten der Patienten, und an einem kleinen Tischchen saß der Assistent. Dieser stand auf, nicht wenig erstaunt über den späten Besuch. Und als er gar denselben genauer betrachtete und die zwei Gewehre sah, die Old Shatterhand auf der Schulter hängen hatte, und das Messer, die Revolver, welche in seinem Gürtel steckten, da wollte er beinahe erschrecken.

„Wer seid Ihr? Was wollt Ihr hier?“ fragte er.

„Ich suche Doktor White.“

„Der ist nicht hier.“

„Wo sonst?“

„Er wird unten bei Sennor Werner sein.“

„Und wer seid Ihr?“

„Ich heiße Gromann und bin der Assistent.“

„So kommt einmal her, Mr. Gromann; ich muß Euer Gesicht sehen!“

Er zog ihn zum Lichte, betrachtete ihn und sagte, indem seine ernsten, ja strengen Züge einen milden Ausdruck annahmen:

„Ihr scheint kein Halunke zu sein.“

„Bin auch keiner, sondern stets ein ehrlicher Mensch gewesen. Wie aber kommt Ihr zu Eurem befremdlichen Verhalten und diesen sonderbaren Worten, Sir?“

„Das will ich Euch sagen. Ist Euch vielleicht der Name Old Shatterhand bekannt?“

„Ja.“

„Dieser Mann bin ich.“

„Was – –? Wie – –? Ihr seid Old Shatterhand?“

„Ja. Und habt Ihr vielleicht einmal den Namen Kanada-Bill gehört?“

„Auch.“

„Wißt Ihr, was dieser Kerl für ein Mensch ist?“

„Der größte Halunke weit und breit.“

„Wißt Ihr das genau?“

„Ja. Es kann es niemand besser wissen, als ich, denn – – denn – – – hm!“

„Was hm?“

„Es ist eigentlich ein Geheimnis; aber da Ihr Old Shatterhand seid, kann ich es Euch sagen. Ich bin nämlich jetzt Detektive.“

„Geheimpolizist? Als Assistent dieses Doktor White?“

„Grad als dieser!“

„Ach! Ich beginne zu erraten! Da will ich Euch eine Bemerkung machen, die Euch wahrscheinlich außerordentlich interessieren wird. Euer sogenannter Doktor White ist nämlich der Kanada-Bill.“

„Zounds! Ist’s wahr?“

„Wenn ich es sage, könnt Ihr es ruhig glauben.“

„Kennt Ihr den Kanada-Bill?“

„Sehr genau. Er ist lange verschwunden gewesen, mir aber heut über den Weg gelaufen. Soeben erst hat er einen Mordversuch begangen.“

„Was Ihr sagt! Wo? An wem?“

Old Shatterhand erzählte ihm die Sache, und da hielt denn auch Gromann nicht länger hinter dem Berge und sagte:

„Da muß ich aufrichtig mit Euch sein. Ich war früher Pharmaceut und als solcher bei Mr. Cleveland in Norfolk, Nordkarolina, in Kondition. Da trat bei ihm ein gewisser Walker ein, welcher engagiert wurde, weil er gute Zeugnisse besaß, die aber, wie wir uns später überzeugten, gefälscht waren. Bald stellte es sich heraus, daß er von der Pharmacie fast weniger als ein Anfänger verstand; es gab sehr ernste Scenen zwischen ihm und dem Prinzipal, und dann verschwand er plötzlich und mit ihm der Inhalt der Kasse mit dem ganzen Vermögen Clevelands. Ich liebte meinen Prinzipal; er war mein Wohlthäter gewesen. Der Verlust richtete ihn vollständig zu Grunde; die Polizei fand keine Spur von dem Verbrecher, und so nahm ich mir vor, ihm privatim nachzuspüren. Indem ich nach ihm suchte, kam ich auf die Fährte anderer Personen, die ebenso wie er gesucht und nun durch mich der Gerechtigkeit überliefert wurden. Das verschaffte mir einen guten Ruf bei der Polizei, und ich wurde als Detektive engagiert. Nun standen mir weit mehr materielle und geistige Mittel zu Gebote, mit deren Hilfe es mir gelang, einen Anhalt zu gewinnen. Auf diesem fußte ich weiter, bis ich endlich eine sichere Spur entdeckte, die mich hierher führte.“

„Zu White?“

„Ja.“

„Er ist jener Walker?“

„Ja.“

„Er muß Euch aber doch erkannt haben!“

„Natürlich; aber ich machte ihm die Sache so plausibel, daß er mich engagierte, natürlich nur, um mich zum Schweigen zu bringen. Nun bin ich als Assistent bei ihm, aber meines Lebens keinen Augenblick sicher, denn ich muß zu jeder Stunde gewärtig sein, daß er mich auf irgend eine Weise aus dem Wege räumt, um einen Zeugen seiner Vergangenheit zu beseitigen. Welche Vorsicht und Aufmerksamkeit das meinerseits erfordert, könnt Ihr Euch kaum denken!“

„Warum macht Ihr ihn nicht unschädlich?“

„Auf welche Weise könnte ich das thun?“

„Indem Ihr ihn arretiert.“

„Das kann ich nicht.“

„Warum?“

„Weil ich keinen Beweis gegen ihn habe. Ich weiß, daß er das Vermögen Clevelands gestohlen hat, aber überführen kann ich ihn nicht. Ich habe ihn Tag und Nacht beobachtet, habe alle seine Geheimnisse zu ergründen versucht, habe in jedem Winkel, in jeder Ecke, die mir zugänglich war, nachgeforscht; es ist alles vergeblich gewesen.“




6) Große Goldkörner.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand II