1. Kapitel Bei Mutter Thick -10-



„So will ich Euch Sicherheit geben! Ich kann ohne Frau mein Geschäft nicht länger mehr fortsetzen, und Eure Tochter hat ein verteufelt einnehmendes Gesicht, so daß ich glaube, ich bin ihr gut über alle Maßen. Gebt sie mir zum Weibe, und ich versichere Euch, ich mache sie zu meinem Buchhalter und gebe ihr sogar die Kasse über. Ist Euch das nicht genug?“


„Hm, ja. Aber habt Ihr denn schon mit dem Mädchen gesprochen?“

„Nein, scheint mir auch nicht nötig zu sein. Der Doktor White ist schon der Mann, ein Mädchen zu bekommen, wenn er sie überhaupt haben will, und gegen Euern Willen wird sie auf keinen Fall schwimmen können.“

„Das ist wohl wahr, aber ich denke, daß sie bei so einer wichtigen Sache ihren Willen ebenso gut haben muß wie ich den meinigen, und so gern ich ja sage, wenn sie dagegen ist, so unterbleibt’s. Also sprecht vorher mit ihr, Doktor, und kommt dann wieder!“

„Soll gleich geschehen; habe nicht viel Zeit zu solchen Sachen übrig, habe einundzwanzig Patienten oben liegen, die mir viel zu schaffen machen. Wo ist sie?“

„Weiß nicht; vielleicht draußen vor dem Thore.“

„Schön! Muß sie finden; werde nach ihr suchen!“

Er wandte sich nach der Thür, blieb aber überrascht stehen, denn vor ihm standen Anitta und Eduard, die in diesem Augenblicke aus der Küche getreten waren.

„Hier ist sie, die Ihr sucht, Master Doktor,“ meinte der junge Mann, „und die Angelegenheit, die Ihr mit ihr besprechen wollt, wird nicht viel Zeit wegneh men.“

„Wieso, wie meint Ihr das, Sennor Edouardo?“ fragte White, welcher seinen Nebenbuhler wohl kannte, da er ihn fast täglich bei den Eltern Anittas getroffen hatte.

„Ich meine, daß Ihr zu spät kommt, da ich soeben mit Anitta einig geworden bin. Sie hat keine Lust, Frau Doktorin zu werden, und will es lieber einmal mit mir versuchen!“

„Ist das wahr, Anitta?“ fragte Werner, vor Ueberraschung sich erhebend und die ausgeglimmte Cigarette aus der Hand werfend.

„Ja, Vater. Oder ist es dir nicht recht so?“

„Recht? O, recht würde es mir schon sein, denn ich habe den Jungen selber lieb; aber was thut ihr mit der bloßen Liebe in einem Lande, wo Weg und Steg mit blanken Dollars bepflastert sind? Sennor Edouardo ist noch jung; er kann es noch zu etwas bringen, wenn er sich nicht vorzeitig an ein Mädchen hängt. Der Doktor aber weiß schon längst, was er hat; das ist der Unterschied, Anitta; er will mit nach Deutschland gehen und – –“

„Eduard geht auch mit,“ unterbrach ihn das Mädchen; „er will – –“

„Kann er denn? Es gehört mehr dazu als der gute Wille.“

„Sennor Carlos,“ meinte Eduard jetzt, „es ist jetzt nicht der Augenblick, uns in der richtigen Weise auszusprechen. Aber sagt mir einmal aufrichtig: Würdet Ihr mir Anitta geben, wenn ich weniger arm wäre als jetzt?“

„Ja.“

„Und wie viel müßte Ich haben?“

„Hm, das ist schwer zu sagen! Je mehr, desto besser; wenigstens aber müßte es zulangen, um die Heimat erreichen und dort ein Gütchen oder so etwas kaufen zu können.“

„Und werdet Ihr mir Zeit geben, so viel zu erwerben?“

„Zeit? Wie lange meint Ihr denn?“

„Sechs Monate!“

„Hm, das ist nicht übermäßig lang. Was sagt Ihr dazu, Doktor?“

„Damn it, das klingt grad wie ein trockenes, regelrechtes Geschäft; erlaubt, daß ich mit beitrete!“

„Das sollt Ihr!“

„So will ich Euch einen Vorschlag machen, Master Carlos!“

„Welchen?“

„Ihr wollt doch wohl hinauf nach den Minen, Master Edouardo?“ fragte er höhnisch, sich zu dem jungen Manne wendend.

„So ist es.“

„Well, Sir; wir geben Euch sechs Monate Zeit. Kommt Ihr bis dahin mit dreitausend Dollars zurück, so ist Miß Anitta Euer, und ich sage kein Wort dagegen. Kommt Ihr aber nicht, oder mit weniger, so ist die Miß mein. Seid Ihr einverstanden, Master Carlos?“

„Vollständig, vorausgesetzt, daß Eure Verhältnisse so sind, wie Ihr sie mir beschrieben habt!“

„Sie sind so! Also wir sind einig. God bye; ich muß zu meinen Fieberkranken.“ – – –

Es vergingen Monate und wieder stieg ein junger Mann die Anhöhe nach der Mission herauf und wandte sich am Mezquitegebüsch nach der hinter ihm liegenden Landschaft um. Es war nicht Eduard, obgleich die ausbedungenen sechs Monate bis auf einige Tage vergangen waren, sondern ein anderer.

Nachdem er sein Auge an dem sich ihm bietenden Panorama gesättigt hatte, ging er durch das Portal über den Hof und traf unter dem Eingange des Seitenflügels mit Anitta zusammen. Er fragte sie:

„Könnt Ihr mir vielleicht sagen, Sennorita, ob hier der Doktor White zu finden ist?“

„Er wohnt hier. Steigt hinauf bis unter das Dach; dann seid Ihr in seinem Hospital, wo Ihr ihn sicher treffen werdet!“

Er folgte der Weisung und stieg höher und immer höher empor, bis er auf den Bodenraum gelangte, wo er zwei Reihen Betten erblickte, zwischen denen sich die Gestalt des Doktors bewegte. Der Raum war ein an und für sich nicht sehr heller, und da es draußen bereits zu dunkeln begann, so ließen sich die Gegenstände nicht genau unterscheiden.

White bemerkte den Fremden und trat herbei.

„Was wollt Ihr, Sennor?“ fragte er.

Der Gefragte horchte bei dem Klange dieser Stimme auf und fragte gespannt:

„Ihr seid Master White, der Doktor, Sir?“

„Ja.“

„Ich bin Pharmaceut, habe mein Glück in Kalifornien aus der Erde graben wollen, aber nichts gefunden, und bin dann zum Vermittlungsbureau gegangen, um mir ein Placement zu suchen. Dort wurde mir gesagt, daß Ihr einen Krankenwärter braucht, und so bin ich zu Euch heraufgestiegen, um zu sehen, ob die Stelle noch offen ist.“

„Sie ist noch unbesetzt. In welchem Orte und welcher Offizin habt Ihr gearbeitet?“

„Hm,“ antwortete der Fremde bedächtig, indem er rasch über die ersten Namen hinwegging, auf den letzten aber eine hörbar absichtliche Betonung legte. „In New-York, Pittsburg, Cincinnati und zuletzt in Norfolk, Nordkarolina, bei Master Cleveland.“

„In Norfolk bei Master Clev – – –“

Er trat rasch näher, um das Gesicht des Fremden besser sehen zu können, und fuhr dann erschrocken zurück:

„Bei allen Teufeln, der verdammte Deutsch – – wollte sagen, Master Gromann, der mit mir zu gleicher Zeit dort – – aber kommt doch einmal mit herunter in meine Wohnung, Sir! Es freut mich wirklich unendlich, daß ich das Vergnügen habe, so unerwartet einen Kollegen zu finden, der mit mir an einem und demselben Platze war!“

Er konnte das sehr zweideutige Lächeln in den Zügen des anderen nicht sehen und stieg eine Treppe tiefer, wo er ein kleines Zimmer betrat und Licht machte. Der kleine Raum bildete augenscheinlich Wohn- und Schlafzimmer mit alles in allem.

„So, setzt Euch nieder, oder, um das Vergangene festzuhalten, setz’ dich nieder! Wie ist es in Norfolk gegangen, nachdem ich fort war? Ich hatte einen kleinen Zwist mit dem Prinzipal, weshalb ich im Aerger ohne Kündigung und Abschied fortging. Ich hoffe, es geht dem alten Master Cleveland gut!“

„Gut? Es hat überhaupt bei ihm aufgehört, zu gehen. Als du fort warst, hatte sich unbegreiflicherweise auch die Kasse samt sämtlichen Wertpapieren, die in besonderer Verwahrung lagen, entfernt. Der Mann war dadurch ruiniert und hat sich nicht darüber wegsetzen können. Er ist tot!“

„Ist’s möglich! Was du sagst! Hm, der Alte hat niemals so recht fest gestanden und niemand in seine Verhältnisse blicken lassen. Ich glaube daher sehr, daß die Entfernung der Kasse nur ein kleines Arrangement von ihm selbst gewesen ist. Daß ich hier als Arzt etabliert bin, darf dich nicht wundern. Es fragt hier kein Mensch nach dem Diplom, und die Sache ernährt ihren Mann. Also du kommst nach der Stelle?“

„Ja; aber sag mir, Walker, wie du zu den Mitteln kamst, ein solches Etablissement zu gründen, und warum du nicht deinen richtigen Namen beibehältst!“

„Hm, die Mittel habe ich mir droben in den Minen geholt, und der Name wurde umgeändert, weil White gelehrter klingt als Walker. Aber um wieder auf die Stelle zu kommen, so sollst du sie haben, vorausgesetzt, daß du mir keine Veranlassung zur Klage giebst. Arbeitest du dich gut ein, so ist es sogar möglich, daß ich dich mir assistiere und vielleicht gar dir die Compagnie antrage.“

„Hast du Wohnung für mich?“

„Es wird sich wohl Rat schaffen lassen. Also, schlägst du ein?“

„Natürlich; topp!“

„Topp!“

„Sollst dich nicht über mich zu beklagen haben. Bin auch genugsam herumgeworfen worden, so daß mir nicht viel daran liegt, an die Vergangenheit zu denken.“

Gromann wurde angestellt und nach und nach in die verschiedenen Geheimnisse der Hospitalverwaltung eingeweiht. Der Doktor war gezwungen gewesen, ihn zu engagieren, beruhigte sich aber bei der Beobachtung, daß sein Assistent selbst solche Vorkommnisse ganz an ihrem Platze fand, die der Oeffentlichkeit vorsichtig entzogen werden mußten.

White hatte jetzt mehr Muße, und benutzte dieselbe zu häufigen Besuchen bei Sennor Carlos, in dessen Vertrauen er sich mit schlauer Berechnung einzuarbeiten wußte. Der Vater berücksichtigte auch nicht im mindesten, daß der Arzt viel, viel älter war als seine Tochter, und ein Wesen und Auftreten besaß, welches jedermann abstoßen mußte.

Endlich waren die sechs Monate vergangen, ohne daß Eduard sich sehen ließ. Daß weder eine briefliche Nachricht noch sonst ein Lebenszeichen von ihm gekommen war, hatte Anitta wenig beunruhigt; sie wußte, daß die Postverbindung mit den Minen eine äußerst unvollkommene war und fast in Privathänden ruhte, so daß man auf den richtigen Empfang eines Briefes nie rechnen konnte. Es kam sogar häufig vor, daß Leute, welche die Besorgung von Briefen und Geldsendungen übernommen hatten, entweder unterwegs überfallen, beraubt und totgeschlagen wurden oder auch selber mit den ihnen anvertrauten Geldern ein Schiff suchten und durchgingen.

Heut aber war der letzte Abend, und Eduard kam noch immer nicht. Das Mädchen wurde von einer fürchterlichen Unruhe hin und her getrieben. Auch dem Doktor ging es so. Bis jetzt noch hatte er alle Chancen für sich, aber sein Nebenbuhler konnte jeden Augenblick noch kommen, und das – das mußte verhütet werden. Er übergab die Patienten dem Assistenten und verließ die Mission.

Die Kranken konnten mit der Anstellung Gromanns sehr zufrieden sein, der den Hilflosen als ein rettender Engel erschienen war. Dem Doktor gegenüber sich vollständig gehorsam und willenlos zeigend, handelte er hinter dem Rücken desselben ganz nach eigenem Ermessen und hatte die Ueberzeugung, daß ihm mancher Patient, der von White dem Tode geweiht war, das Leben und Eigentum zu verdanken haben werde. – – –

Wieder machte der Erzähler eine Pause und sah seine Zuhörer rundum an. Wahrscheinlich erwartete er, ein Lob zu hören, doch blieb dies aus, weil seine Erzählung bisher nicht genug interessant und spannend gewesen war. Da that er einige lange Züge aus seiner Cigarre und sagte:

„Die Geschichte scheint euch nicht zu gefallen; aber ich sage euch, daß die Hauptsache nun erst kommt.“

„Und diese Hauptsache ist wohl Old Shatterhand?“ fragte einer.

„Yes! Ihr habt es erraten, Sir. Dieser berühmte weiße Jäger wird sofort auftreten. Ich habe euch gesagt, daß Doktor White die Patienten seinem Assistenten übergeben habe und fortgegangen sei. Die Unruhe ließ ihn nicht bleiben, denn obgleich es bereits der Abend des letzten Tages und die sechsmonatliche Frist bis auf wenige Stunden verstrichen war, konnte sein Nebenbuhler doch noch kommen. Es trieb ihn also von der Mission fort, nach der Stadt und nach dem Bahnhofe, wo er den bald fälligen letzten Abendzug erwarten wollte, der aus den Minen kam.“

Es dauerte auch gar nicht lange, so kam er, und wer stieg aus? Mister Eduard, der sich also doch noch zur rechten Zeit einstellte. Als er schon vor dem Wagen stand, drehte er sich noch einmal um und grüßte hinein, als ob er sich von jemandem verabschiedete; dann schritt er fort. White ging kurz entschlossen sofort auf ihn zu und sagte zu ihm:

„Wahrhaftig, da kommt Ihr doch noch angefahren! Schon glaubten wir, Ihr würdet die Frist nicht innehalten. Die Hauptsache ist nun, ob Ihr auch glücklich gewesen seid und Gold gefunden habt.“

„Ich war glücklich, über alles Erwarten glücklich,“ lautete die frohe Antwort.

„Habt Ihr dreitausend Dollars?“

„Mehr, noch viel mehr!“

„Das ist kaum zu glauben! Andere arbeiten jahre lang in den Diggins und setzen die Gesundheit und das Leben daran, ohne etwas zu finden; Ihr aber geht nur auf einige Monate hin und kommt gesund und reich zurück! Doch, das ist nun nicht zu ändern, und ich muß zurücktreten. Geht Ihr gleich von hier nach der Mission?“

„Ja.“

„Ich auch. Wir gehen also miteinander. Kommt!“

Sie entfernten sich, ohne daß White auf den Mann achtete, mit welchem Eduard noch zuletzt gesprochen hatte und der inzwischen auch ausgestiegen war. Eduard hatte Sehnsucht, zu Anitta zu kommen und sie von der Sorge zu befreien, die sie wohl gewiß um ihn hatte; darum ging er sehr schnell. So durcheilten sie rasch die Stadt, und als sie dieselbe hinter sich hatten, war es dunkel um sie her. White konnte also, ohne daß sein Begleiter es bemerkte, einen Revolver aus der Tasche ziehen und die Sicherung daran zurückschieben.

„Also glücklich seid Ihr gewesen?“ sagte er. „Wer hätte das gedacht! Nun habe ich freilich das Nachsehen, denn Ihr habt mich aus dem Felde geschlagen. Habt Ihr allein in den Minen gearbeitet, oder hattet Ihr Kollegen?“

„Allein.“

„Was? Ihr versteht doch nichts von der Sache! Da ist es freilich ein großes Glück, ein ganz außerordent licher Zufall, daß Ihr gleich auf eine Stelle geraten seid, wo Ihr einen solchen Fund machtet.“

„Es war kein Glück und kein Zufall, denn die Stelle wurde mir gezeigt.“

„Gezeigt? Unmöglich! Es wird niemals einem Digger einfallen, einem andern eine Fundstelle zu verraten.“

„Der es that, war kein Digger, kein Goldgräber.“

„Was denn?“

„Er war ein Roter, ein Indianer.“

„Wirklich? Dann ist es erst recht verwunderlich. Ja, es giebt Indianer, welche wissen, wo Gold liegt; aber es fällt ihnen nicht ein, dies einem Weißen zu sagen.“

„Dieser Indianer brauchte kein Gold; er war ein großer und berühmter Häuptling der Apatschen.“

„Wie hieß er?“

„Winnetou.“

„Alle Teufel! Winnetou! Wie seid Ihr denn mit diesem zusammengekommen?“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand II