Heilwirkungen der Seeluft und der Seebäder

1. Die Heilwirkungen der Seeluft und der Seebäder

Unter den Badeärzten, welche in neuerer Zeit über diesen Gegenstand in sehr gründlichen und lehrreichen Schriften sich ausgesprochen haben, ist besonders der seit 14 Jahren auf Norderney praktizierende Königl. Badearzt, Sanitätsrat Dr. Fromm, hervorzuheben, der sich durch seine demnächst in 4. Auflage erscheinende Schrift: „Über die Bedeutung und Gebrauchsweise der Seebäder in chronischen Krankheiten“ (Norden, Herm. Braams), welche als die beste „Monographie der Seebäder“ bezeichnet wird, nach dem Urteil der „Ostfriesischen Monatsblätter“ um die ostfriesischen Inseln in hohem Grade verdient gemacht hat. Nicht minder instruktiv sind die für den verlängerten Aufenthalt an der Seeküste plädierenden Schriften des leider für die Wissenschaft zu früh verstorbenen Professors Beneke zu Marburg, welcher sich das grosse Verdienst erworben hat, den Nutzen der Seeluft auch zum Kurgebrauch für den Winter darzutun und die Errichtung grossartiger Kinderheilstätten an der deutschen Nordseeküste anzustreben.

Die hierauf bezüglichen Schriften „die sanitäre Bedeutung des verlängerten Aufenthaltes auf den deutschen Nordseeinseln, insonderheit auf Norderney (Norden, Herm. Braams, 1881)“, sowie der Bericht über „die erste Überwinterung Kranker auf Norderney (Norden, in demselben Verlage, 1882)“ sind von der weittragendsten Bedeutung.


Unter den übrigen Schriften, die den Kranken Verhaltungsregeln geben, verdienen die der früheren Königl. Badeärzte in Norderney besonders hervorgehoben zu werden. Es sind dies die in sehr vielen Auflagen erschienenen kurzgefassten Schriften „Dic cur hic, Anweisung zu einem zweckmässigen Verhalten für die Badegäste Norderneys, von Sanitätsrat Dr. Riefkohl“ und „Verhaltungsmassregeln zum Gebrauch der Seebäder von Sanitätsrat Dr. Flügge“ (Norden, Herrn. Braams). Ausserdem ist noch die Schrift des seit zwei Jahren auf Norderney praktizierenden Badearztes Dr. Kruse „Seeluft und Seebad“ (Norderney 1883, Soltau) zu erwähnen. Unter den Badeschriften der übrigen Nordseeinseln ist das „Nordseebad Westerland-Sylt“ von Sanitätsrat Dr. Marcus (Tondern, F. Dröse) nicht uninteressant.

Aus den oben angeführten Werken, unter welchen uns besonders die Schrift des Sanitätsrat Dr. Fromm auf Norderney zur Richtschnur dient, möge nun das für den Zweck dieses Buches Erforderliche zusammengestellt werden, um den Beweis für die grossen Heilwirkungen der Seeluft und der Seebäder zu liefern.

Reine Luft gehört bekanntlich zu den einfachsten aber notwendigsten Lebensbedingungen. Nirgends ist dieselbe schöner als auf dem Meere! Nicht umsonst werden zwei Drittel unseres Erdballs von salzhaltigen Wassermassen bedeckt, welchen Sauerstoff und Wasserstoff in grossartigem Massstabe entsteigen. Das gerade Gegenteil davon ist die schlechte Luft auf dem Festlande, wo viele Menschen wohnen. Bereits auf einem Schiffe, welches sich inmitten der reinen Seeluft befindet, ist die Luft in den inneren Räumen nicht mehr so gut. Am schlimmsten ist dieselbe in grossen Städten, welche weit vom Meere entfernt liegen, wo Hunderte von Fabriken und Tausende von Schornsteinen die Luft mit Kohlendunst erfüllen. Dazu kommen die vielen Fäulnis- und Zersetzungsgase in den Wohnungen, sowie der kalte trockene Ostwind mit seinem tödlichen Hauche und den hoch aufwirbelnden Staubwolken. Alles dieses wirkt schon dahin, die Menschen allmählich, oft unmerklich fortschreitend, krank zu machen und schliesslich zu veranlassen, in der reinen herrlichen Seeluft den geschädigten Organen neuen Lebensstoff zuzuführen.

Die Seeluft ist frei von Staub, Kohlensäure und Zersetzungsstoffen, sie enthält dagegen Feuchtigkeit, Salzteile und besonders Ozon. Letzterer Stoff entsteht aus der Verdunstung grosser Massen Salzwassers und besitzt bekanntlich die Eigenschaft, alle Fäulnis- und Zersetzungsstoffe, sowie Schimmelpilze und Bakterien zu zerstören. Es können daher die vielen hierauf basierenden Krankheiten in der Seeluft nicht vorkommen.

Diese ausgezeichnete Eigenschaft der Luft wird ganz bedeutend durch die starken Luftströmungen unterstützt, indem nur durch fortwährende Erneuerung der ozonreichen Luft eine andauernd gute Wirkung hervorgebracht wird.

Neben dem Einfluss auf die Temperaturverhältnisse des menschlichen Körpers, durch die Entziehung und Entwicklung der Wärme, hat die kühle, feuchte Luft des Meeres eine direkte Einwirkung auf das Nervensystem.

Der grösste Vorzug der Seeluft, durch welchen sich dieselbe vor der reinsten Gebirgs- und Waldluft auszeichnet, besteht in der Dichtigkeit und dem Salzgehalt derselben. Durch die erstere Eigenschaft werden die Bewegungen des Körpers leichter als in der Luft auf dem Festlande; durch letztere wird vorzugsweise der schnelle Ersatz der verlorenen Wärme begünstigt; sie schützt daher nicht allein besser gegen Erkältungen, die sich der Körper in kalter, feuchter und starkbewegter Landluft, namentlich auch bei schnellem Temperaturwechsel, so leicht zuziehen kann, sondern heilt schon durch den einfachen Aufenthalt am Strande derartige Beschwerden.

„Aus dem Wasser des Meeres“, sagt Sanitätsrat Dr. Fromm[i] „werden bei seinem Branden und Wogen eine Menge kleinster Teilchen mit fortgerissen und durch die Winde in der Atmosphäre verteilt, hier verdunsten sie und hinterlassen eine Unzahl staubförmiger Reste von Salz, die suspendiert in der Luft schweben und deren Existenz sich durch das Mikroskop als massenhaft feststellen lässt. In diesem Gehalt an Kochsalz ist ebenfalls eine Bedingung zur Beschleunigung des Stoffwechsels gegeben, indem –dasselbe nämlich zunächst seinen wohltuenden, lösenden und anregenden Einfluss auf die Schleimhaut der Atemwerkzeuge ausübt, kommt es nicht bloss den an Katarrhen des Halses und der Lunge Leidenden zu gute, sondern die erleichterte Atem-Mechanik muss auch bei allen, die Seeluft einatmen, sekundär auf die Zirkulation des Blutes, die Oxydations-(Verbrennungs-) Prozesse der Säfte und Gewebe des Körpers beschleunigend wirken.

Die Luft an den Salinen, welche ebenfalls salzhaltig ist, kann wegen der geringeren Fläche des Raumes nicht in Betracht kommen. Ebenso besitzt die Luft der Ostsee nicht die Wirksamkeit zur Heilung wie die Nordsee, weil die starken Luftströmungen fehlen. Dies lässt sich oberflächlich dadurch wahrnehmen, dass hier grosse Waldungen gedeihen, während auf den Inseln der Nordsee nur einzelne Bäume oder Anpflanzungen bis zur Höhe der sie schützenden Gegenstände gelangen. Auch der salzige Geschmack an den Lippen, der den Besuchern der Nordseebäder bekannt ist, wird an der Ostsee nicht wahrgenommen.

Zu allen den bisher genannten Vorzügen der Seeluft, kommt die grössere Gleichmässigkeit derselben. „Abgesehen davon, heisst es in der obigen Schrift weiter, dass das Meer die Wärmeunterschiede zwischen den verschiedenen Jahreszeiten ausgleicht, im Sommer als Korrektiv gegen zu hohe, im Winter gegen zu niedrige Temperatur dient, verhütet es auch starke Schwankungen der Temperatur während des Tages, also namentlich zwischen Tag und Abend.

Diese grössere Konstanz in der Temperatur ist ebenfalls ein beruhigendes Moment für das Nervensystem und ausserdem der Grund, dass Erkältungen, wie sie auf dem Festlande an kühlen Abenden nach sehr heissen Tagen so häufig sind, am Meere zu den Seltenheiten gehören. Dass aus diesem günstigen Umstand der Vorzug möglichst ergiebigen Luftgenusses bis zu den späten Abendstunden erwächst, und dass dieser in so ausgedehntem Masse statthafte Aufenthalt im Freien wesentlich zur Gewöhnung an kühlere Temperatur, d. h. zur sogen. Abhärtung beiträgt, liegt auf der Hand. Letztere wird noch besonders gefördert durch eine Eigenschaft der Seeluft, die wir schon früher erwähnten, nämlich durch die starken Luftströmungen, insofern sie den Blutreichtum der Haut vermehren. Der Anprall der Luftwelle treibt das Blut aus den Kapillaren (Haargefässen der Haut), d. h. den Blutgefässen kleinsten Kalibers, zurück, im Moment des Nachlassens des Luftstosses aber füllen sich dieselben wieder und zwar vermöge der dem Organismus innewohnenden Reaktionskraft nicht bloss in demselben Grade wie vorher, sondern der Zufluss des Blutes fällt etwas grösser aus. Indem sich nun Luftwelle auf Luftwelle folgt und Blutleere mit Blutfülle fortwährend abwechselt, entsteht eine Art von Gymnastik der Blutgefässe, deren Endergebnis ein grösserer Blutreichtum der Haut ist, „welcher sich schon nach wenigen Tagen bei den meisten Kurgästen durch ein frischeres Kolorit auszusprechen pflegt. Die weitere Folge ist dann eine bessere Ernährung und ihre vermehrte Widerstandsfähigkeit gegen Temperatur-Einflüsse, mit einem Worte ihre Abhärtung.“ Die eben geschilderten günstigen Eigenschaften der Seeluft zeigen ferner, „dass überall am Strande des Meeres das Atmen leichter vonstatten geht und zu einem wahren Lebensgenuss wird, der Herzschlag langsamer, das Nervensystem widerstandsfähiger und energievoller, und dadurch, freilich oft nach vorhergegangener stärkerer Erregung, schliesslich beruhigt wird, und dass vor allem eine mächtige Hebung „des Stoffwechsels sich durch vermehrte Rückbildung, aber auch, unter Zunahme der Esslust, durch gesteigerte Ausbildung, d. h. durch Zunahme des Körpergewichts kundgibt.“

Auf Grund viel tausendfältiger Erfahrungen rät daher Dr. Fromm für folgende Leiden den Gebrauch der Strandluftkuren an: In Schwächezuständen, die ihren Grund in mangelhafter Blutbildung oder gestörter Nerventätigkeit haben, daher für Blutarmut bis Bleichsucht und die darauf beruhenden Nervenschmerzen, Krampfformen und beginnende Rückenmarksschwindsucht. Ferner gegen Ernährungsstörungen, die auf dem Darniederliegen des Stoffwechsels beruhen, Skrofelkrankheit; sodann gegen Neigung zu Erkältungen, chronische Katarrhe des Kehlkopfes und der Lungen bis Lungenschwindsucht und Emphysem, sowie als Nachkur nach schwächenden Brunnenkuren, erschöpfenden Krankheiten und zur Beschleunigung der Rekonvaleszenz nach Lungenkrankheiten u. s. w. Dagegen ist sie abzuraten bei Leiden wichtiger innerer Organe, deren Zerstörungsprozess schon zu weit vorgeschritten ist.

Im allgemeinen muss ein möglichst ausgiebiger Gebrauch der Seeluft bei allen Kurgästen empfohlen werden. Das beste Mittel dazu ist der Aufenthalt am Strande, der noch durch häufige Fahrten auf dem Meere unterstützt werden kann, falls nicht Neigung zur Seekrankheit dieselben verhindert. Kindern namentlich bekommen solche Strandkuren ganz ausgezeichnet, weshalb denn auch in Norderney und Wyk auf Föhr besondere Einrichtungen zur Aufnahme kränklicher Kinder gemacht sind. An dieser Stelle möge ein Passus aus dem trefflichen Artikel in der „Pos. Z“„Über den sanitären Wert der Seeluft-Heilstätten von Dr. Otto Zacharias“ nicht unerwähnt bleiben. — — „Es ist dringend nötig, dass Kinder mit skrofulösem Habitus“ baldigst dem Dunstkreise des grossstädtischen Häusermeeres entrückt und in die freie Landluft gebracht werden. Hierdurch ist oft der wunderbarste Erfolg zu erzielen. Frei sein von allem Schul- und Lernzwang versteht sich natürlich von selbst, wenn die Kur gelingen soll. Das sich mehr und mehr verbreitende Institut der Ferienkolonien beruht ja ganz und gar auf dem mit Händen zu greifenden und mit der Waage zu konstatierenden Einfluss, welchen der Aufenthalt in guter, sonniger Luft und in duftigen Wäldern auf das Ernährungsleben des jugendlichen Organismus ausübt. In neuerer Zeit ist nun auch die kühle, feuchte und stets bewegte Seeluft hinsichtlich ihrer Einwirkung auf die körperlichen Funktionen schwächlicher Personen wissenschaftlich untersucht worden, und hat es sich herausgestellt, dass in ihr ein Heilmittel ersten Ranges gegen Skrofulose zu erblicken ist. Herrn Professor F. W. Beneke zu Marburg gebührt (wie schon oben erwähnt) das Verdienst, die Heilwirkungen der Seeluft zuerst ins rechte Licht gestellt zu haben. Seine zahlreichen Aufsätze und Abhandlungen über dieses Thema sind in ihrem Werte nicht hoch genug anzuschlagen. Von Professor Beneke, der dazu auch die finanzielle Beihilfe aus dem Reichsdispositionsfond beim Kaiser ausgewirkt hatte, ist z. Z. der höchst menschenfreundliche Gedanke ausgegangen, grössere Seeluft-Hospize an unserer Küste zu errichten, „um so den eminenten Heilschatz, den wir bisher ungenützt gelassen haben, für die Gesundheit schwächlicher Kinder in Anwendung zu bringen.“

In Folge davon ist im Frühjahr 1882 ein provisorisches Kinderhospiz zu Norderney eröffnet, welches unter ärztlicher Leitung des Dr. Boekmann steht. Die Pflege der Kinder und die Besorgung der Wirtschaft liegt in den Händen von Diakonissen des Henriettenstifts zu Hannover. Ausserdem ist die Errichtung eines grösseren Hospizes mit 250 Betten projektiert, dessen Kosten von etwa 300,000 M. teils von Sr. Maj. dem Kaiser für diesen Zweck gestiftet, teils durch Beiträge aufzubringen sind. Ausserdem war auf derselben Insel seit 1876 eine Pflegeanstalt für skrofulöse Kinder durch den Grafen zu Inn- und Knyphausen-Lütetsburg gegründet worden, die, durch milde Beiträge unterhalten, ebenfalls segensreiche Erfolge aufzuweisen hat. Auch in Wyk auf Föhr besteht seit 1882 ein solches Kinderhospiz zur Aufnahme von 60 bis 80 Pfleglingen.

Sämtliche Kinderheilstätten, die auch an der Ostsee an verschiedenen Orten errichtet sind, stehen unter dem Protektorate I. K. I. K Hoheiten des Kronprinzen und der Kronprinzessin des deutschen Reiches und von Preussen.

Nähere Angaben über die segensreichen Anstalten finden sich unter den betreffenden Artikeln über Norderney und Föhr.

Als geeignete Krankheitsformen für die Nordsee-Kur der Kinder in diesen Hospizen sind bis jetzt in erster Linie die Skrofulose in allen ihren Formen, ferner Bleichsucht, Blutarmut und Nervenschwäche — Schwindsucht nur in den Anfangsstadien — erwiesen. Ausserordentlich gute Resultate erzielen die Rekonvaleszenten von schweren Krankheiten, wie Lungen-, Brustfellentzündung, Typhus, sowie die Rekonvaleszenten nach schweren Operationen. Die erreichten Resultate stehen, wie aus den veröffentlichten ärztlichen Berichten hervorgeht, den besten bis jetzt bekannten nicht nach.

Nicht minder ist Erwachsenen der Aufenthalt am Strande anzuraten. Um sich vor allzu vermehrten Wärmeverlusten zu schützen, dienen massige Bewegung, Zelte und Strandkörbe, welche in den grösseren Seebadeanstalten der Nordseeinseln genügend vorhanden sind. Die Strandkörbe haben das Angenehme, dass sie sich leicht gegen jeden Wind stellen lassen. Wie alles Übermass schadet, so ist dies auch mit zu grossen Überanstrengungen bei Spaziergängen und Festlichkeiten der Fall, wodurch sehr leicht Kopfweh und Schlaflosigkeit entsteht. Letzteres Übel tritt ebenfalls häufig durch den grossen Lichtreiz ein, welchen das von der Sonne beschienene Meer und der weisse Seesand des Strandes und der Dünen im Anfange der Kur auf die Augennerven ausüben. Oftmals ist auch die Ursache des Kopfwehs Schlafen nach dem Baden mit feuchten Haaren, oder Überladung des Magens mit ungewohnten und schwer verdaulichen Speisen. Dauern die oben bezeichneten Übel zu lange, so muss der Badearzt zu Rate gezogen und in sehr schlimmen Fällen sogar die Kur aufgegeben werden. Wegen schlechten Wetters letzteres zu tun, ist dagegen nicht ratsam. Hierüber spricht sich Sanitätsrat Dr. Marcus, Badearzt in Westerland auf Sylt, sehr treffend aus:

„Die Inseln der Nordsee, also auch Sylt, werden häufig von Winden heimgesucht; dieselben sind aber durchaus nicht so empfindlich wie auf dem Kontinente. Auch Regenschauern kommen) vor; indessen, wenn jemand ohne Regenmantel davon überrascht wird, so empfindet er kein Kältegefühl. Viele Kurgäste aber, die verwöhnt sind, retirieren bei jedem ihnen nicht zusagenden Wetter in ihre Wohnungen; hält solche Witterung einige Tage an, dann werden sie kaprice, ja häufig genug reisen sie nach kurzem Aufenthalte ab. Während der vorletzten Saison, Anfang September, wurde die Unzufriedenheit fast endemisch, so dass an einem Tage viele Kurgäste die Insel verliessen; doch gleich hinterher hatten wir das herrlichste Wetter. Es ereignet sich indes auch, dass es Ostwind und nur wenig Wellenschlag ist, auch dann vernimmt man Stossseufzer genug.“

In der oben bezeichneten Jahreszeit kann es oftmals schon recht rau und stürmisch werden, so dass die Badegäste sich nach einem geheizten Ofen sehnen. Da die meisten Wohnungen nur zum Vermieten in der warmen Jahreszeit eingerichtet sind, muss man sich damit helfen, die Füsse einige Zeit auf ein sog. „Feuerstövchen“ zu halten, welches mit glühenden Torfstückchen gefüllt ist. Am besten erwärmt ein Seebad, welches jedoch nur von kurzer Dauer sein darf. Mit warmer wollener Kleidung kann man diese gute Wirkung für den übrigen Teil des Tages recht lange erhalten.

Bisher war die Ansicht verbreitet, der Aufenthalt im Winter sei auf den Nordseeinseln in keiner Weise auszuhalten und gehörten daher die Fälle eines Winteraufenthaltes zu den Seltenheiten. Seitdem jedoch Beneke zu Marburg durch längere Beobachtungen zu der Überzeugung gelangt war, dass die Seeluftkuren für manche Krankheitsfälle ebenso günstige Resultate liefern, wie die berühmten Luftkurorte in südlichen Gebirgen und diese Ansichten in der bereits erwähnten Schrift veröffentlicht hatte, wurde in Norderney -ein Versuch zur Überwinterung mit Kranken gemacht, der sehr günstige Resultate lieferte. In dem erstatteten ärztlichen Berichte heisst es:

1) Eine solche Kur ist von zweifellosem Nutzen für alle Schwächezustände, welche durch Überarbeitung in geschlossenen Räumen, schwere akute Erkrankungen und chirurgische Eingriffe, zu rasches Wachstum, schwere häusliche Sorgen, wiederholte Wochenbetten und Lactation usw. akquiriert werden.

2) Derselbe ist von, wie es scheint, unvergleichlichem Nutzen bei jener angeborenen, ererbten Schwäche, welche den Ausgangspunkt bald für die Formen des skrofulösen Erkrankens, bald für diejenigen des gelenkrheumatischen Leidens und bald für diejenigen des phthisisch Erkrankens, bald auch für anderweitigen Krankheitsformen bildet.

3) Unter den bereits im Anfange einer phthischen Lungenerkrankung befindlichen Kranken eignen sich die chronisch-pneunomischen Phthisiker mit geschwächtem erregbarem Nervensystem an erster Stelle für den verlängerten Aufenthalt an der Nordseeküste, während die katarrhalischen Phthisiker mit wenig oder gar nicht ausgesprochenem phthisichen Habitus voraussichtlich mehr Nutzen von einem Aufenthalt auf den Gebirgshöhen erfahren werden. Die fibromatösen Phthisiker werden nur unter bestimmten Kautelen in Bezug auf das gesamte diätetische Verhalten Nutzen von jenem Aufenthalt haben. In Bezug auf die tuberkulösen Phthisiker müssen auch für ein nur vorläufiges Urteil weitere Beobachtungen abgewartet werden.

4) Für Kranke, welche an bösartigen Neubildungen (Sarkom, Karzinom) leiden, oder zunächst durch eine Operation von derselben befreit sind, oder auch nur die Entwicklung einer solchen Neubildung befürchten lassen, eignet sich der Aufenthalt an der Nordsee nicht, und ein Gleiches scheint für diejenigen Konstitutionen zu gelten, welche primär an Hypertrophien der interstitiellen Bindegewebe und bindegewebigen Membranen (granulierte Niere und Leber, Pachymeningitis, chronische Pleuritis usw.) leiden.

5) Als ein sehr wertvoller Massstab für die Zuträglichkeit des Inselaufenthaltes für die einzelnen Kranken ist die regelmässige, mit aller Vorsicht, in bestimmten Zeitabschnitten, zu bestimmter Stunde und in bestimmter Kleidung vorzunehmende Körpergewichtsbestimmung derselben, zu betrachten. Es ist dabei zu erwägen, dass die Zunahme des Gewichts während des den Stoffwechsel beschleunigenden Aufenthaltes auf der Insel niemals so hoch steigen wird, wie solches ceteris paribus und unter gleichen Ernährungsverhältnissen auf dem Festlande sein würde. Man erwarte also nicht zuviel! Abnahmen des Körpepgewichtes werden, aber in der Mehrzahl der Fälle sofort ein Bedenken erregen müssen, ausgenommen bei pastosen Individuen, bei welchen in der ersten Zeit des Aufenthaltes ein Wasserverlust der Gewebe eine solche Abnahme fast regelmässig zu bedingen scheint.

6) Bei der Rückkehr derjenigen Kranken, welche längere Zeit auf den Nordseeinseln zugebracht haben, auf den Kontinent, sind besondere Vorsichtsmassregeln erforderlich, um die Akklimatisation an das kontinentale Klima ohne Rückgang des Befindens zu erreichen. Diese Periode der Akklimatisation scheint in der Regel binnen 2 bis 3 Wochen beendigt zu werden.

Im Vorstehenden wurden die Vorzüge der Seeluftkurse für Sommer- und Winteraufenthalt dargelegt. Folgen wir nun wieder der Fromm’schen Schrift und betrachten die Wirkungen der warmen Seebäder, so zeigt sich, dass dieselben nicht allein den Nutzen eines gewöhnlichen Wasserbades haben, sondern durch den Gehalt an Salzen eine besondere Wirkung hervorbringen, welche sich durch das Eindringen der Salze in die oberen Schichten der Epidermis zeigt, wodurch eine Erregung der Nerven bzw. des Gehirns und eine Steigerung des Stoffwechsels hervorgebracht wird. Durch die höhere oder niedrigere Temperatur des Bades kann dies gesteigert oder verringert werden, obwohl bei warmen Seebädern die Temperatur immer etwas niedriger sein kann, als bei gewöhnlichen warmen Bädern. Auch die kleinen Haargefässe füllen sich mit mehr Blut und entlasten dadurch die inneren Organe. Da die Menge des Salzgehaltes von Bedeutung ist, so verdient hervorgehoben zu werden, dass sich für das Nordseewasser ein sehr günstiges Resultat von 3 ½ Prozent ergibt. In Folge davon sind in einem gewöhnlichen Wannenbade von warmem Seewasser ca. 50 Pfd. Salze enthalten. Noch stärkere Solbäder regen zu heftig auf, während die Ostseebäder mit 1 — 1 ½ Prozent nur auf schwache Konstitutionen den erforderlichen Reiz ausüben können. Es muss Sache des Badearztes sein, dem Kranken entweder warme oder kalte Seebäder zu verordnen, oder erstere als Vorkur gebrauchen zu lassen, damit die richtigen Mittel angewendet werden, und der günstige Erfolg erreicht wird. Wenn auch Salzbäder in anderen Orten auf dem Festlande genommen werden können, 80 lassen sich dieselben als Vervollständigung der Seeluft-Kur mit dieser nur allein am Strande des Meeres gebrauchen.

Vorzugsweise ist für die Skrofulose (Drüsenkrankheit) nach den Erfahrungen Dr. Fromm's der Gebrauch der warmen Seebäder angezeigt, indem dieselben mehr wie jede andere Krankheit zur Exudatbildung, d. h. zur Ablagerung entzündlicher Produkte hinneigt. Desgleichen gehören hierher die Exudationen (Ausschwitzungen), die nicht auf skrofulöser Basis beruhen, sondern das Produkt einfacher Entzündungen sind. Auch rheumatische Leiden, sowohl der Muskeln wie der Gelenke, nebst den rheumatischen Ablagerungen werden durch die warmen Seebäder geheilt und der Körper durch die Seeluft sowie durch einige kalte Seebäder als Nachkur abgehärtet. Ausserdem finden verschiedene Unterleibskrankheiten, wie Hämorrhoiden, Verdauungsstörungen etc. durch diese Seewasserbäder Heilung. Auch Nervenkranke benutzen letztere mit gutem Erfolge.

Die Dauer der Kur und des Bades, sowie die Temperatur desselben, welche nicht unwichtig für die richtige Wirkung ist, hängen von dem Ermessen des Badearztes ab, ebenso die Bestimmung darüber, ob eine kalte Dusche nach dem Bade zu gebrauchen ist, sowie wann mit dem Baden ausgesetzt werden soll.

Für das allgemeine Verhalten beim Gebrauch der warmen Seebäder dient Folgendes: Während des Bades frottiere man die leidenden Teile gelinde mit der Hand; nach dem Bade ist körperliche Ruhe mit warmer Bedeckung, auch Schlaf, sehr zuträglich. Das Bad darf nur zwei Stunden nach einer grösseren Mahlzeit genommen werden, im übrigen ist die Zeit des Bades meist gleichgültig.

Wir kommen nun zu den Bädern in den schäumenden Brandungswogen des Meeres! Diese herrlichen Bäder sind durch nichts Anderes zu ersetzen. Sie gehören zu den heroischen Mitteln der medizinischen Wissenschaft und dürfen von Kranken nur nach Anordnung des Badearztes genommen werden, obwohl dieselben für Gesunde das beste Mittel sind, um durch Hebung der ganzen Ernährung die Widerstandskraft gegen künftige Krankheiten zu erhöhen.

Durch die kalten Seebäder wird die Wirkung der Seeluft, welche bereits geschildert wurde, viel schneller erreicht. -Ein hartnäckiger Katarrh mit Husten zum Beispiel, der nach achttägigem Aufenthalt in der Seeluft keine Veränderung zeigte, war nach dem zweiten Seebade im offenen Meere völlig verschwunden.

Über diese herrlichen Bäder und das Verhalten dabei mögen die Erfahrungen des Sanitätsrats Dr. E. Dürr zu Hannover, welcher eine lange Reihe von Jahren verschiedene Nordseebäder besuchte und die Heilerfolge an sich und an anderen beobachtete, hier mitgeteilt werden.

„Stärker als der Luftgenuss allein wirkt das Seebad. Wir haben hier als wirksam die Kälte, den Salzgehalt des Meeres und den Wellenschlag in Betracht zu ziehen, die zusammen ein sehr kräftiges Reizmittel darstellen. Beim ersten Eintritt in das Wasser macht sich sogleich die Wirkung der Kälte fühlbar; das Meerwasser mit starkem Salzgehalt absorbiert noch mehr Wärme als dies das Flusswasser vermag. Durch die Einwirkung der Kälte auf die Körperoberfläche entsteht eine Kontraktion der peripheren Blutgefässe der Haut und in Folge davon eine Hemmung des Blutlaufes, während die inneren Organe von Blut überfüllt werden. Man empfindet ein Beklemmungsgefühl und wird zu tieferen Atemzügen veranlasst. Die Haut wird blass und zieht sich zusammen; man empfindet unangenehm die Kälte des Wassers. Doch gleicht sich dies Gefühl bald wieder aus, wenn der Körper sich genügend abgekühlt hat; man wird unempfindlich und das Blut strömt von neuem in die jetzt nicht mehr krampfig zusammengezogenen Gefässe der Oberfläche. Man empfindet ein Gefühl von Behagen; die vorher erstarrten Muskeln bewegen sich wieder mit Leichtigkeit. Doch dauert dies nicht mehr lange; da das umgebende Wasser dem Körper fortwährend Wärme entzieht, tritt bald ein zweiter Frost ein. Es ist dies das sichere Zeichen, dass die Energie des Nervensystems zu erschlaffen beginnt und man das Bad -schleunigst beendigen muss. Verlässt man nun das Wasser, so fühlt man eine angenehme Empfindung der wiederkehrenden Wärme, die Haut beginnt von neuem ihre Tätigkeit zu entfalten, die Atemzüge gehen leicht und tief vonstatten und ein Gefühl von Wohlbehagen und Kraft stellt sich ein. Nach thermometrischen Messungen hat man gefunden, dass der Körper sich wirklich um nachweisbare Differenzen abkühlt, in der Mundhöhle bis zu 1 ½ Grad, an Händen und Füssen um 8 Grad. Nach dem Bade erreicht die allgemeine Temperatur nach einer Stunde wieder die frühere Höhe, überschreitet dieselbe und bleibt bis gegen Abend höher als die Morgentemperatur. Die Wärme der peripheren Teile dagegen gleicht sich erst nach mehreren Stunden wieder aus, steigt dann aber über den Morgenpunkt hinaus. Im Verlauf der Badezeit erhöht, sich die Temperatur der äusseren Teile und ist um mehrere Grade höher, als vor Beginn der Bäder. Es ist hierdurch der Beweis geliefert, dass das Seebad die Blutfüllung der Körperoberfläche bedeutend steigert. Aus dieser folgt aber eine vermehrte Wärmeabgabe und somit eine gesteigerte Wärmeproduktion. Diese kann aber nur stattfinden, wenn der Stoffumsatz im Körper erhöht wird. Es entsteht durch das Seebad ein lebhaftes Nahrungsbedürfnis. Die Nahrungsmittel werden kräftiger assimiliert, eine grössere Summe von Wärme wird gebildet und der gesamte Organismus nimmt zu, wie wir dies durch eine konstante Vermehrung des Körpergewichts während einer Badeperiode nachweisen können.“

„Dass es besonders die Haut ist, deren Tätigkeit bedeutend angeregt wird zur Ausdünstung gasförmiger Ausscheidungen, ist durch chemische Untersuchungen bestätigt. Die oben beschriebene Wirkung der Seebäder schliesst. aber nicht sogleich nach Aufhören des Bades ab, sondern dauert noch eine längere Zeit hindurch fort, besonders die Vermehrung des Körpergewichts.“

„Als drittes kräftiges Agens müssen wir den Wellenschlag betrachten. Es ist dies der zweite bedeutende Vorzug, den das Seebad vor den Flussbädern besitzt.. Durch das Überstürzen der Wellen werden wir schnell über das erste unangenehme Kältegefühl hinweggebracht und die Reaktion des Körpers wird stärker angeregt. Weiter wirkt die über uns stürzende Welle, indem sie eine starke Erschütterung verursacht, als Dusche auf uns ein, welche bekanntlich als sehr wirksames Belebungsmittel bei nervöser Erschlaffung der muskulösen Organe dient. Endlich fordert uns die Gewalt der andrängenden Welle zu lebhaften Kraftanstrengungen heraus, erzeugt in uns das Gefühl von grösserer Spannkraft und beschleunigt die Reaktion.“

„Was nun die Einwirkung der Salze des Meerwassers betrifft, so kommen sie wegen der Kürze des Bades nicht eben lange mit der Haut in Berührung. Dennoch üben sie auf die Körperoberfläche eine reizende Wirkung aus und vermehren dadurch die schon gesteigerte Hauttätigkeit. Indem die Salze die Oberhaut durchtränken und von. ihr aufgenommen werden, dauert die Reizwirkung auf die Hautnerven noch längere Zeit nach Beendigung des Bades fort. Einen Beleg für diese Ansicht bietet der sogenannte Badefriesel, ein mit Rötung der Haut verbundener Ausschlag, der zuweilen nach dem längeren Gebrauch der Bäder entsteht. Der einwirkende Reiz ruft in diesem Falle eine leichte Hautentzündung hervor, die in einigen 'Tagen von selbst wieder verschwindet. Als ein kritisches Zeichen der beginnenden Badewirkung kann der Badefriesel nach unserer Auffassung nicht angesehen werden.“

„Dann müssen wir noch die psychische Einwirkung erwähnen, die im Seebade bedeutender ausfällt als an anderen Badeorten. Der den meisten Badegästen ungewohnte Anblick des Meeres in seiner Erhabenheit und stets wechselnden Schönheit übt einen mächtigen Reiz aus und wirkt angenehm belebend und beruhigend. Wir müssen daher das Seebad als eines der stärksten Kräftigungs- und Belebungsmittel bezeichnen, das alle Teile des Körpers in ebenmässiger Weise zu einer erhöhten und vermehrten Tätigkeit anspornt.“

„Was nun das Verhalten im Seebadeorte betrifft, so ist -es zuerst erforderlich, dass man sich von der Reise erhole. Die Folgen der Seekrankheit, etwaige Störungen der Verdauung und Erkältungen müssen völlig beseitigt sein, bevor man zum ersten Bade schreitet. Das Tragen von Badeanzügen sowie Badekappen im Bade ist zu vermeiden, da sie die volle Einwirkung der Wellen hindern. Am besten geht man mit nüchternem Magen zum Strande. Empfindet man aber nach dem Aufstehen Hunger, so kann man ein leichtes Frühstück einige Zeit vor dem Bade einnehmen. Sehr zu widerraten ist es jedoch, wie es in manchen Bädern, wo nur bei Hochwasser gebadet wird, an einzelnen Tagen geschieht, wenige Stunden nach dem Mittagessen zu baden. Die Verdauung muss zuvor ganz vollendet sein, wenn das Bad gut bekommen soll. Da dieser Zeitpunkt aber individuellen Schwankungen unterworfen ist, liegt die Gefahr nahe, dass man durch ein zu frühes Baden der Verdauung schadet, die gerade im Seebade am wenigsten Störungen verträgt.“

„Vor dem Bade muss man nicht frostig sein, sondern eine allgemeine Wärme empfinden. Bei kaltem Wetter ist es daher gut, vor dem Eintritt in das Bad die Haut zu frottieren, bis sie warm geworden ist. Wenn aber •durch den Weg zum Strande das Blut in Wallung geraten, oder gar bei heissem Wetter Sehweiss ausgebrochen ist, warte man eine Zeit lang, bevor man sich in das Wasser begibt. Sobald man den Badekarren verlassen hat, tauche man sich rasch in das Wasser, oder lasse sich einen Eimer voll Seewasser über den Kopf giessen, dann gehe man rasch den Wellen entgegen, bis das Wasser über die Knie reicht und lasse die Wellen von rückwärts über sich hinweggehen. Niemals dürfen dieselben mit der Brustseite aufgefangen werden. Am besten ist es, durch Bücken oder weiteres Entgegengehen es so einzurichten, dass der obere Teil der übersteigenden Welle gerade mit den Schultern aufgefangen wird. Man läuft auf diese Weise weniger Gefahr, umgeworfen zu werden und empfängt am besten die kräftig erschütternde Wirkung der Wellen. Eine starke Anstrengung und Schwimmen bei unruhigem Wasser ist zu vermeiden, da es den Körper unnötig ermüdet. Bei ruhiger See hingegen, wenn die hohen brandenden Wellen fehlen, macht sich die Kälte des Wasser viel unangenehmer bemerkbar; dann ist es geraten, kräftige Bewegungen auszuführen oder zu schwimmen. Damen müssen die ersten Bäder an der Hand der Badefrauen durchmachen, später aber, wenn die Brandungswellen nicht zu stark sind, allein in das Bad gehen.“

„In jedem Falle ist es geraten, niemals tiefer in das Meer zu gehen, als bis das Wasser, nicht die einzelnen Wellen, die Hüften bedeckt, namentlich wenn bei eingetretener Ebbe, wo das Wasser nach dem Meere hinaustreibt, gebadet wird. Auch für die des Schwimmens Kundigen ist es alsdann besser, nicht tiefer in das Meer zu gehen, als bis zu dem Niveau des Wassers, wo man noch ganz bequem stehen kann und bei der grossen Tragfähigkeit des Seewassers die Richtung nach dem Ufer zu nehmen. Dasselbe gilt auch für die Damen.“

„Den Zeitraum von 3 bis 4 Minuten kann man ungefähr als die Dauer eines guten Bades bezeichnen, wenn das Wasser eine mittlere Temperatur besitzt. Für das erste Bad genügt es, etwa drei Wellen zu nehmen und die folgenden Bäder allmählich zu verlängern. Sehr zu tadeln ist es, wenn man sich so lange dem Vergnügen des Bades hingibt, bis der zweite Frost eintritt. Nach dem Bade trockne man sich rasch ab, und halte sich noch eine Zeit lang am Strande auf, vermeide es aber, bei Sonnenschein den Kopf unbedeckt zu lassen. Nach dem Baden sieh so lange ruhig hinsetzen, bis ein gewisses Unbehagen und Kältegefühl entsteht, ist ebenfalls zu vermeiden.“

„Wenn das Bad gut bekommen ist, muss man eine innere Wärme und ein eigentümliches Wohlbehagen empfinden. Ein Gefühl von Erschöpfung dagegen, Sehwindel, Kopfweh, Frösteln und weisse, kalte Fingerspitzen sind Zeichen, dass man zu lange im Bade verweilte. Kann man sich nach dem Bade nicht recht wieder erwärmen, so empfiehlt es sich, eine Tasse Tee, Kaffee, Bouillon oder ein Glas Wein zu trinken. Der Müdigkeit nach dem Bade dürfen sich nur schwache Konstitutionen überlassen. Zweimal an einem Tage darf niemand baden. Im Verlauf der Kur ist es nützlich, in bestimmten Zwischenräumen ein Bad auszusetzen. Störungen der Verdauung, Kopfweh, Zahn- und Gesichtsschmerz verlangen, dass man die Bäder unterbreche.“

„Im allgemeinen kann die Kleidung im Seebade etwas leichter sein, nur muss man in der kälteren Abendluft und bei Regenwetter die gewohnten Schutzmittel anwenden. Hat man den September zum Aufenthalt gewählt, in dem gewöhnlich westliche Winde wehen und häufig Regen und Sturm eintreten, so versehe man sich mit warmer wollener Bekleidung. Die freie Luft muss man in möglichst ausgedehntem Masse geniessen. Gegen das Blenden des hellen Sandes und des von der Sonne beleuchteten Meeres ist das Tragen von Brillen mit farbigen Gläsern sehr nützlich. Wichtig ist es, im Seebade für ruhigen Schlaf zu sorgen. Man vermeide daher alles, was denselben stören kann, u. a. aufregende gesellige Zusammenkünfte bis tief in die Nacht auszudehnen.“

„Eine häufige Folge des Seebades sind Verdauungsstörungen. Man muss, obgleich eine bestimmte Diät nicht vorgeschrieben ist, doch vorsichtig in der Wahl der Lebensmittel sein. Man hüte sich, den Magen zu überladen und im Anfange der Kur eine kräftigere Lebensweise zu führen als man gewohnt war. Hauptsächlich sei man vorsichtig im Genuss von Schwarzbrot, Austern, Seefisch und Krebsen, zumal wenn man einen empfindlichen Magen hat. Da man in solchen Seebädern, wo nur bei Hochwasser gebadet wird, bei dem Wechsel der höchsten Flut, in deren Nähe der Wellenschlag am kräftigsten ist, in der Diät nicht ganz regelmässig sein kann, so ist es angemessen, wenn die Badestunde spät fällt, zum ersten Frühstück kräftigere Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, dann aber bis zum Mittage nichts mehr zu geniessen. Das Mittagessen muss jedoch so viel wie möglich immer zu derselben Stunde genommen werden. Mit dem Genüsse des Weins und Kaffees sei man vorsichtiger als zu Hause, da das Blut schon durch die Bäder aufgeregt und der Körper reizbarer und empfindlicher wird. Am Abend empfiehlt es sich, nur leichte Speisen zu geniessen. Im Anfange der Kur entsteht häufig Diarrhöe, die aber bald verschwindet und durch Pfefferminztee oder Rotwein zu beseitigen ist, dann aber tritt oft Verstopfung ein. Gegen letztere muss man leicht abführende Mittel oder bei Hämorrhoiden Wasserklystiere gebrauchen; denn es kann sehr üble Folgen haben, wenn man bei Verstopfung, die länger als 24 Stunden andauert, das Baden fortsetzt.“

„In den Nordseebädern zeichnet sich die erste Hälfte der Saison durch wärmeres Wetter und geringeren Wellenschlag aus, während in der letzten Hälfte des August die Temperatur sinkt und westliche Winde häufiger werden, die den kräftigsten Wellenschlag erzeugen. Die Skrofulösen und Hautkranken tun gut, die erste Hälfte zu wählen, während für Nervenschwache und Blutkranke die letzte Hälfte der Kurzeit bei weitem zuträglicher ist.“

Für den Gebrauch der kalten Seebäder eignen sich nach den Ansichten der Badeärzte folgende Krankheiten: Nervenleiden aller Art, ferner Blutarmut bis Bleichsucht, dann Skrofulose, Krankheitszustände der Verdauungsorgane, sowie Frauenkrankheiten, denen ein mangelnder Tonus zu Grunde liegt und endlich Hautschwäche mit katarrhalischen und rheumatischen Zuständen. Zugleich wirkt das Seebad sehr günstig als Nachkur und Abhärtungsmittel, namentlich für Genesende und für Gesunde.

Krankheiten, welche den Gebrauch des Seebades verbieten, sind besonders entzündliche Zustände edler Organe, weil das Blut durch die Kälte des Wassers nach innen drängt und der Entzündung neue Nahrung zuführt; ebenso sind organische Herzkrankheiten, vorgeschrittene Lungenschwindsucht, Krebsleiden, Gehirnerweichung und Strukturveränderungen in Magen und Darmkrankheiten nicht geeignet für ein Seebad.

Die Nachwirkung der Seeluft- und Seebadekuren hängt wesentlich davon ab, ob das Heilmittel gegen die Krankheit angezeigt war und richtig angewendet wurde. Die Dauer der Kurzeit ist ebenfalls hierbei von Wichtigkeit, sowie mancher andere günstige oder ungünstige Einfluss, welcher ausserhalb der Kurmittel liegt. Jedenfalls ist es geraten, um den Erfolg zu sichern, die spätere Lebensweise so einzurichten, dass dieselbe nicht im Gegensatze zu der Kur steht. Es muss daher auf möglichst reine Luft, Bewegung im Freien, Regelmässigkeit in der Lebensweise und Hautpflege geachtet werden; zu letzterer eignen sich besonders Waschungen mit Salzwasser, welche am einfachsten dadurch hergestellt werden, dass man in einer Rheinweinflasche voll Wasser einen Esslöffel voll Kochsalz auflöst.

Wer jedoch einmal am Strande des herrlichen Meeres einige Zeit zugebracht hat, wird gern dorthin so häufig wie möglich zurückkehren, weil die schöne Luft, die schäumenden Wogen und die ganze Natur einen gewaltigen Zauber ausüben. — Es wird daher eine kurze Darstellung dieser Elemente, namentlich des Meeres und dessen Einflusses auf das Klima, die Bodenbeschaffenheit, Pflanzen- und Tierwelt nicht uninteressant sein und wesentlich zum Verständnis der Beschreibung der einzelnen Inseln beitragen. —