Die Bewohner

Die Bewohner

Sämtliche Inseln an der deutschen Nordseeküste werden von Friesen bewohnt, unter welchen sich einige Eingewanderte, zum Beispiel die Dänen auf der Westhälfte der Insel Föhr, niedergelassen haben. Die Inselfriesen unterscheiden sich wenig von den übrigen Friesen des Festlandes, nur dass sie bezüglich des Erwerbes fast ausschliesslich auf Fischerei und Seeschifffahrt angewiesen sind. Auf den Inseln, auf denen zugleich etwas Ackerbau betrieben wird, ist der seemännische Beruf höher geschätzt. Auf den besuchten Inseln haben sich manche nationale Eigentümlichkeiten verloren, nur auf den wenig von Fremden aufgesuchten Eilanden sind dieselben erhalten geblieben. Hierzu gehört die Bauart der Häuser, welche manches Abweichende von der im übrigen Deutschland gebräuchlichen aufweist. Das Dach eines solchen Gebäudes ist auf der einen Seite der vorderen Front ziemlich tief herabgebaut und bedeckt dadurch die kleine, an das Haus gebaute Stallung, in welcher gewöhnlich einige Schafe gehalten werden. Letztere sind namentlich auf der Insel Sylt ihrer weichen, seidenartigen Wolle wegen berühmt. Die Haustür wird durch eine vorspringende Bedachung geschützt, ostfriesisch „Leife“, unter welcher Sitzbänke angebracht sind. Ein schmaler Gang führt durch das Haus bis zur Hintertür. An diesem Gang ist auf der einen Seite die grosse Küche mit dem geräumigen Kamin, die zugleich die Wohnstube bildet. Oftmals sind hier Bretterverschläge angebracht, in denen sich, wie auf den Schiffen die Kojen, die Betten befinden; durch Vorschieben der Bretter können die Betten schrankartig geschlossen werden. Um alles in einem Raume zu haben, ist der Keller, in welchen man durch eine Luke im Fussboden hinabsteigen kann, in manchen kleinen Häusern gleich unter der Küche angebracht. Hinter der Küche dient ein kleines Gemach zur Aufnahme von Gästen, doch wird dasselbe auch als Vorratskammer benutzt. Die Fenster können nicht wie die im Binnenlande gebräuchlichen geöffnet werden, sondern müssen in die Höhe geschoben oder niedergelassen werden. Die Einlagen der Betten sind mit Seegras gefüllt, welches den nicht daran Gewöhnten reichlich hart erscheint. Altertümliche Möbel, Schiffsmodelle oder Gegenstände aus fernen Weltteilen, welche die seefahrenden Insulaner von ihren Reisen mitbrachten, dienen häufig zur Ausschmückung der Wohnräume. Auf den besuchten Inseln sind solche Gebäude sehr selten geworden und dem modernen Baustile des Festlandes gewichen, auch die Einrichtungen in Wohnstuben und Kammern den Anforderungen der Neuzeit gemäss hergestellt. Vor den sauberen, massiv gebauten Häusern befinden sich Veranden mit freundlichen Blumengärten. Die Wege sind mit Backsteinen gepflastert und in Norderney ist Strassenbeleuchtung eingeführt.

Eine andere Eigentümlichkeit besteht in der friesischen Sprache, welche sich wesentlich von dem Plattdeutschen und Hochdeutschen unterscheidet; dagegen hat dieselbe mehr Ähnlichkeit mit der holländischen, dänischen, schwedischen und englischen Sprache und bildet den Übergang von dem Plattdeutschen zu diesen Sprachidiomen. Da sich auf allen Inseln Schulen befinden, in welchen Hochdeutsch gelehrt wird, können sich die Insulaner ganz gut mit den Fremden verständigen. Zur Beurteilung der friesischen Mundart wird es nicht uninteressant sein, hier eine kleine Probe aus Uald Söld 'ring Tialon fan C. P. Hansen üp Söld zu geben:


En Uurd fuarof. (Ein Vorwort). Ön ualding Tid liift em, (In alter Zeit glaubten sie) dat er Geister ön de Loght, (dass es Geister in der Luft) ön dit Waater en önder de Öörd wiar, (in dem Wasser und unter der Erde wären) en diar hersket, (und da herrschten) ark ön sin Element (ein jeder in seinem Element); dat de Mensken fan jam ofhinget, (dass die Menschen von ihnen abhingen) dats jam harke (dass sie ihnen gehorchen) en jam aawere maast (und ihnen opfern mussten).

Auch die Familiennamen hatten in früheren Jahren ihre Eigentümlichkeit, indem es üblich war, die Vornamen als Rufnamen zu gebrauchen und zur näheren Bezeichnung die Namen des Vaters und des Grossvaters beizufügen, welches dann bei den Namen der folgenden Generation wieder umwechselte. Seit dem Anfange dieses Jahrhunderts haben die Insulaner jedoch die Familiennamen in ähnlicher Weise wie die der Bewohner des Festlandes angenommen. Dagegen unterscheiden sich die friesischen Taufnamen von den im übrigen Deutschland gebräuchlichen noch sehr bedeutend.

Die Beschäftigung besteht auf den meisten Inseln im Fischfange, Seefahrten auf grossen Schiffen und während der Sommermonate im Verdienst durch die Badesaison. Der Ackerbau kann der Bodenverhältnisse wegen in grösserem Massstabe nur auf einigen schleswigschen Inseln betrieben werden, dagegen ist hier die Fischerei sehr unbedeutend. Die Helgoländer besitzen ausser in der Schellfischfischerei auch im Hummerfang eine zuträgliche Erwerbsquelle. Auf den meisten ostfriesischen Inseln wird der Fischfang mit kleinen Schaluppen in ausgedehnter Weise betrieben, während die Bewohner der noch nicht stark besuchten Inseln mehr auf grösseren Schiffen dienen. Die Bauart einer solchen Fischerschaluppe erinnert an den Körper eines Schwimmvogels, namentlich in der Weise wie die Rippen sich verbreitern und verkürzen. Einer der hauptsächlichsten Unterschiede zwischen einer Schaluppe und einem Segelschiffe, welches auf einem Flusse oder Binnensee fährt, besteht in dem Kiel. Mit diesem Ausdruck bezeichnet man eine Balkenlage, welche vom Vordersteven unter dem Schiffe hin bis zum Steuerruder angebracht ist. Auf diesen Kiel ist das Fahrzeug mit seinen Rippen und Planken aufgebaut und hat derselbe den Zweck, das Umschlagen des Schiffes bei bewegter See zu verhüten und den Segeln desselben das stetige Einhalten des Kurses zu erleichtern. Da jedoch bei heftigem Winde dies nicht ausreichen würde, ist auf jeder Seite ein „Schwert“ angebracht. Dasselbe besteht aus starken Brettern, welche durch eiserne Bänder und Halter unter sich fest verbunden sind, und kann sich das Schwert um eine am oberen Teile befestigte Achse drehen. Kommt nun der Wind auf die Steuerbordseite, das ist die Seite, welche man, am Ruder stehend, zur Rechten hat, so lässt der Schiffer das Schwert auf der entgegengesetzten Seite mittelst eines Taues herab, so dass das Schwert aus der bisherigen horizontalen in eine senkrechte Lage hinabsinkt. Die Schaluppe hat ferner einen schräg liegenden, am Vorderteil des Schiffes befestigten kurzen Mast, den Klüverbaum, welcher den Fahrzeugen auf dem Binnenlande fehlt. Auch die Segel unterscheiden sich von denen der letzteren. Am Mast ist das grosse oder Gaffelsegel mit Bingen befestigt, welche das Aufziehen und Herablassen ermöglichen. Dies beinahe viereckige Segel wird am oberen Teil durch den Gaffelbaum gehalten, der sich gabelartig an den Mast schliesst und am unteren, breiteren Teile durch den Giekbaum in die Richtung gestellt wird, welche zum Segeln erforderlich ist. Ausserdem sind zwischen dem Hauptmast und dem Klüverbaum zwei dreieckige Segel angebracht, deren Spitzen sich am oberen Teile des Mastes befinden. Diese Segel heissen das Fock- und Klüvfocksegel, doch ist häufig nur das erstere im Gebrauch. Ferner führen die Schaluppen das Toppsegel, welches oberhalb des Gaffelsegels aufgezogen wird, jedoch nur bei schwachem Winde Verwendung findet.

Die Segel und Schwerter würden jedoch dem Schiffe nicht immer die erforderliche Richtung zu geben vermögen; es ist dazu noch das am Heck der Schaluppe befindliche, in Angeln gehaltene Steuerruder erforderlich, welches von einem Platze auf dem Verdeck mittelst der Ruderpinne sich bewegen lässt. Bei dem Steuern ist zu beachten, dass jede Bewegung mit dem Ruder dem Laufe des Schiffes die entgegengesetzte Richtung gibt. Ist daher zum Beispiel die Ruderpinne nach Steuerbord gerichtet, so wendet das Schiff nach Backbord. Beim Kreuzen wird das Umlegen des Schiffes in eine zu der bis dahin inne gehaltenen, einen stumpfen Winkel bildende Fahrlinie mit dem Zurufe „Ree“ bezeichnet. Die auf dem Verdeck sitzenden Fahrgäste haben sich alsdann davor zu hüten, dass sie nicht von dem mit dem Segel auf die andere Seite des Schiffes rasselnden Giekbaum getroffen und schwer verletzt oder gar über Bord geworfen werden.

Die Luken auf dem Verdeck, welche in den inneren Raum führen, können bei schlechtem Wetter geschlossen werden. Der Rand oder der Bord des Schiffes ist nicht hoch und daher das Gehen auf dem Verdeck, wenn das Fahrzeug stark rollt, stampft oder slingert, oder durch den Wind bzw. durch die Wellen heftig bewegt wird und sich auf die Seite neigt, nicht ohne Gefahr. Beiläufig bemerkt versteht man unter Luvseite diejenige, woher der Wind kommt, während im Gegensatz dazu die Unterwindseite, wo Stille und Ruhe herrscht, als „Lee“ bezeichnet wird.

Soll das Schiff anlegen, werden die Segel herabgelassen, wobei der Gaffelbaum am Mast ebenfalls herunterkommt und der Anker in den Grund gesenkt wird. Das Fischen geschieht auf den ostfriesischen Inseln mittelst Angelschnüren und Schleppnetzen, sog. Kurren, auf Borkum dagegen ausschliesslich mit Schleppnetzen. Jeder Fischer, deren drei auf einer Schaluppe fahren, hat drei Back Angelschnüre, Want genannt, deren jedes aus vier aneinander geknüpften Schnüren oder Leinen besteht, die zusammen etwa 350 Meter lang sind. Die drei Back haben also eine Länge von über 1000 Meter. Da nun an dieser Schnur in Zwischenräumen von etwa einem Meter die Angeln hängen, so hat jeder Fischer 900 bis 1000 Angeln und jedes Schiff 2.700 bis 3.000 Angeln. Jede derselben muss mit einem Köder versehen werden, wozu die Sandwürmer, Arenicola piscatorum, dienen. Jeder Fischer erhält von dem Verdienst des Fahrzeuges ein Viertel, während das vierte Viertel für das Schiff in Anrechnung kommt. Eine solche Fischerschaluppe kostet 3.000 bis 3.600 Mark. Oftmals werden auf einer Fahrt 500 Fische und noch mehr gefangen, zuweilen weniger oder gar keine.

Die Helgoländer fischen ebenfalls mit Angeln und benutzen die auf der Düne gegrabene Sandspiere, Ammodytes Tobianus, als Köder. Die Schellfische werden hier Wetleng genannt. Zum Hummerfange bedienen sich die Helgoländer grosser Körbe, welche an der oberen Seite einen eng zulaufenden Eingang haben. Diese Körbe werden mit Tauen in tiefe Stellen des Meeres hinabgelassen und durch Steine am Boden gehalten, während ein am oberen Ende des Taues befestigtes Stück Kork die Stelle angibt, wo der Korb versenkt ist. Kriecht nun der Hummer in den Eingang, um das als Köder darin befestigte Stück Fisch zu bekommen, so stürzt er in den Korb hinab, aus welchem er sich nicht wieder befreien kann.

Die Borkumer lassen auf den fischreichen Stellen grosse Schleppnetze von den Schiffen hinab, welche von den weitersegelnden Schiffen fortgezogen werden.

Am Strande der Inseln wird ausserdem die Butt- und Schollenfischerei eifrig betrieben. Hierzu bedienen sich die Insulaner eines langen, nicht sehr breiten Netzes, Sööl genannt, welches einer derselben an einem starken Stabe hält, während der andere das Netz im seichten Wasser weiterführt. Zu der Garnelenfischerei benutzen die Fischer ein grosses Netz, Schüfham, welches zwischen einer Querstange und einem im Halbkreis laufenden Bügel befestigt ist. Die kleinen Sandspierlinge, welche gegessen werden, graben die Insulaner mit gabelartigen Schaufeln, den Gräpen, im feuchten Sande des Strandes. Die Gefässe, in welche die Spierlinge gelegt werden, heissen Püss. Auf den Sandbänken im Watt werden die Mies- oder Pfahlmuscheln gegraben, die ein schmackhaftes Essen geben. Die Schalen derselben, sowie der Herzmuscheln liefern einen ausgezeichneten Muschelkalk, welcher bei den Bauten der Insulanerhäuser Verwendung findet. Austern werden bei Helgoland und Sylt gefischt, sowie in grossen Bassins bei Husum an der westschleswigschen Küste künstlich gezüchtet.

Die Jagd auf Seehunde ist zwar nicht mehr so ergiebig wie früher, sie wird aber von eifrigen Sportsmen noch sehr gern getrieben. Die Jagd ist am aussichtsreichsten auf den Seehundplatten bei Juist, Spiekeroog, Langeoog und Helgoland. Die Jagdmethode ist folgende: Die Schaluppe, auf welcher sich die Jäger befinden, muss auf der Leeseite der Seehundplatte bleiben, um den Robben, die eine sehr feine Witterung haben, die Ankunft der Jäger nicht zu verraten. Von dem Schiffe wird die Jagdgesellschaft unter Führung der Insulaner mit einem Boote auf die aus dem Wasser hervorragende Platte befördert. Sollten die Tiere dadurch verjagt werden, so müssen die Jäger sich flach auf den Sand legen und die Rückkehr derselben erwarten. Alsdann sucht ein Insulaner, der mit altem Segeltuch bedeckt ist, die Bewegungen der Robben nachzuahmen und dieselben dadurch heranzulocken, wobei die übrigen Jäger, ebenfalls liegend, auf die Tiere schiessen, sobald sich dieselben genähert haben. — Auf Langeoog legen die Insulaner Bretter mit grossen Nägeln an die Stellen hin, wo die Seehunde vom Strande nach dem Meere kriechen, damit sie, von den Jägern verfolgt, in die Nägel getrieben werden und sich darin festrennen. Gelingt es, einem Seehunde den Rückweg zum Wasser abzuschneiden, so kann man ihn entweder lebendig fangen, wobei man sich allerdings vor dem Beissen in acht nehmen muss, oder ihn durch einen Schlag auf die Nase töten. — Die Jagd auf Delphine ist nur im Watt von Erfolg, weil die vom Boot aus geschossenen Tiere in dem tiefen Wasser sinken und den Jägern verloren gehen würden.

Bei solchen Fahrten auf dem Meere lassen sich am besten die Eigenschaften der Insulaner für ihren seemännischen Beruf erkennen. Die Gelenkigkeit in den Bewegungen kontrastiert dann auffallend mit der früheren phlegmatischen Ruhe, welche man häufig bei den Insulanern auf dem Lande wahrnimmt. Der scharfe Blick des für die Fernsicht von Jugend auf geübten Auges, die sichere Bestimmtheit in Wort und Tat, in allem, was sich auf maritime Gegenstände bezieht, sind sehr charakteristische Eigentümlichkeiten sämtlicher Inselfriesen.

Die Kleidung ist dem Klima und dem Beruf der Männer gemäss. Wollenes Unterzeug und blaues Oberzeug aus demselben Stoff, geölter Hut, sogen. Südwester und geölter oder Gummiregenrock, hohe Seestiefel, wasserdicht eingeschmiert und dicke, warme Haidschnucken-Wollstrümpfe, die möglichst hoch hinaufreichen, dienen zum Schutz gegen Sturm und Wetter.

Die Trachten der Frauen haben nur in Helgoland und Föhr besondere Eigentümlichkeiten behalten, während sie auf den übrigen Inseln sich wenig von der des Festlandes unterscheiden. Auf ersterer Insel ist der Helgolander Hut aus Pappe mit einem Tuch darüber, welches bis auf den Nacken lose herabfällt, sowie das rote Unterkleid mit breitem gelbem oder grünem Saum, und auf Föhr die fast vollständige Bedeckung des Gesichtes mit Tüchern, aus welcher nur die Augen hervorsehen, sowie der silberne Filigranschmuck als nationale Eigentümlichkeit erhalten.

Die Lebensweise ist einfach, da die Mittel der Insulaner nicht gross sind und fast alles vom Festlande herübergeschafft werden muss; doch lässt sich nicht leugnen, dass in den Mortalitätstabellen die Bezeichnung Potator [Trinker] sehr häufig vorkommt. Abgesehen hiervon und wenn nicht Unglücksfälle zur See die männliche Bevölkerung frühzeitig fortraffen, erreichen die Bewohner ein hohes Alter. Die ihnen drohenden Gefahren des Meeres sind unstreitig sehr bedeutend, weil nicht allein die Fischerei im Frühling und Herbst betrieben wird, wo besonders viele Stürme vorkommen, sondern auch die Schifffahrt auf der mit Sandbänken stark durchzogenen deutschen Nordseeküste sehr beschwerlich ist und Gelegenheiten zu Unglücksfällen bietet. Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger hat deshalb auf allen Nordseeinseln Rettungsstationen eingerichtet, deren Beschreibung bei den einzelnen Inseln gegeben wird. An dieser Stelle möge uns gestattet sein, die Unterstützung des humanen Unternehmens, für welches in vielen öffentlichen Gebäuden, in Wirtshäusern etc. Sammelbüchsen aufgestellt sind, warm zu empfehlen.