Das Seeleuchten

Das Seeleuchten

Unübertrefflich schön und herrlich sind die Lichtwirkungen und Farbenspiele, welche durch Sonnen- oder Mondenschein auf dem Meere hervorgebracht werden; aber hierbei sieht alles natürlich aus, es ist eine ähnliche, wenngleich viel grossartigere Erscheinung wie auf den Seen und Strömen des Festlandes — geradezu unglaublich, an das Wunderbare grenzend erscheint jedoch das nächtliche Leuchten im Meere, welches ohne alle Einwirkung des Lichtes von Aussen entsteht! Diese zauberhafte innere Erleuchtung tritt nur in dem salzhaltigen Wasser des Meeres auf, fehlt jedoch im Süsswasser, obwohl ähnliche Erscheinungen in kleinerem Massstabe auch an anderen Orten vorkommen, von denen später die Rede sein wird.

Auch an der Nordseeküste wird diese merkwürdige Erscheinung während der Badesaison nur an einzelnen, besonders günstigen Abenden in ihrer vollen Pracht beobachtet, dagegen tritt dieselbe im Spätherbste häufiger auf. Zur Zeit des Neumondes, bei bedecktem, gewitterschwülem Himmel, wenn man kaum den Weg zum Strande bei der nächtlichen Dunkelheit findet, erblickt man draussen auf dem Meere, noch bevor man das Ufer erreicht hat, hell leuchtende breite Furchen, welche den mit einem Phoshorhölzchen auf einer dunkeln Fläche hervorgebrachten Strichen ähnlich sehen; je mehr man sich dem Strande nähert , desto häufiger und grösser werden diese beweglichen, leuchtenden Streifen. Am felsigen Ufer von Helgoland oder an den Buhnen sprühen und glühen unzählige Sterne und Funken, welche durch hineingeworfene Steine oder Sand unendlich vermehrt werden können. Sogar der feuchte Sand, über welchen der Fuss des Wanderers schreitet, wird durch die Erschütterung mit einer zahllosen Menge phosphorartig glänzender Sterne bedeckt. An einzelnen Stellen scheinen sich diese Sternchen auf dem Ufer sogar selbstständig fortbewegen zu können. Dies Phänomen erklärt sich dadurch, dass kleine Tiere, Meerflöhe genannt, vom feuchten Seetang des Strandes, wo sie sich während der Ebbe aufhalten, verscheucht werden und forthüpfen. Einen prachtvollen Anblick gewährt es, wenn ein Raddampfer durch das leuchtende Seewasser fährt und die Schaufeln der Räder bläulichgrün leuchtende Feuermassen aufwühlen, die sich weit hinter dem Schiffe hinziehen; aber auch ein Boot verursacht bei jedem Ruderschlage ein herrliches Schauspiel.


Seltsamerweise kann man diesen leuchtenden Zauber greifen. Wenn man eine Flasche mit Seewasser füllt und nach Hause trägt, sieht man noch lange Zeit beim Schütteln der Flasche in dem dunkeln Zimmer die hellglänzenden Sterne im Wasser glühen; sogar in einem angefeuchteten Taschentuche lassen sich noch kurze Zeit die schimmernden Punkte wahrnehmen. Betrachtet man am folgenden Tage das Wasser in der Flasche, so sieht man nur einen schwachen, etwas schleimigen Überzug auf einigen Stellen des übrigens ganz klaren Wassers. Der Zauber hat aufgehört und lässt sich nicht wieder hervorrufen.

Es ist begreiflich, dass solche Erscheinungen zu vielen wunderbaren Anschauungen Veranlassung gegeben und die Weisen aller Zeiten sich die Köpfe zerbrochen haben, bis es endlich den Forschungen der neueren Gelehrten mit Hilfe ihrer ausgezeichneten Instrumente gelungen ist, den wahren Grund dieser herrlichen Erscheinung zu entdecken.

„Um das Leuchten des Meeres zu erklären, — heisst es in Nr. 34 vom Jahre 1874 in der Zeitschrift Europa — stellte man die seltsamsten Theorien auf, bis man die wirkliche Ursache fand. Im Jahre 1586 verfocht ein Geistlicher, namens Tachard, die Ansicht, dass der Ozean bei Tage das Sonnenlicht einschlucke und bei Nacht wiederausstrahle! Etwa in derselben Zeit versuchte Robert Boyle es durch die Reibung zu erklären, welche der Umlauf der Erde um ihre Achse zwischen dem Wasser und der Luft erzeuge. Schliesslich wurde das Problem 1749 durch die Entdeckung leuchtender Tiere im Wasser des adriatischen Meeres gelöst und jetzt weiss man, dass ein grosser Teil der unteren Klassen der Seetiere die Eigenschaft der Phosphoreszenz in höherem oder in geringerem Grade •besitzt.

Bei der tierischen Phosphoreszenz, wie bei allen ihren Werken, gefällt sich die Natur in einer unendlichen Mannigfaltigkeit der Formen, in denen sie ihre Kraft zeigt. Bei einem Tiere ist es eine flüssige Absonderung, welche leuchtet, bei einem anderen entsteht das Licht durch die Tätigkeit eines kleinen und verwickelten Organs. Eine Tierart verbreitet ein gelbes Licht, eine zweite strahlt ein .glänzendes Grün aus, eine dritte ein Lila und es kommt sogar vor, dass das Licht der Reihe nach durch die Hauptfarben des Regenbogens hindurchgeht Über die Ursachen, welche diese Erscheinungen hervorrufen, ist ein tiefes Dunkel gebreitet. Obgleich man viele Lebensformen kennt, bei denen die Eigenschaft des Leuchtens vorhanden ist, streiten die Männer der Wissenschaft darüber, wovon dieselbe abhängt. Ebenso wenig kennt man die Zwecke, denen das Licht im Haushalte der Tierwelt dient. Die Erscheinungen selbst sind häufig merkwürdigster Art.

Wir wollen jetzt die wirbellosen Geschöpfe des Tierreichs in ihrer regelmässigen Ordnung betrachten und aus jeder Klasse ein oder zwei Beispiele vorführen. Mit den einfachsten Lebensformen beginnend, finden wir bei den Protozoen wie bei gewissen Infusorien das kleine gallertartige Organ, dem die Naturforscher den Namen Noctiluca gegeben haben und dessen Phosphoreszenz man an allen deutschen Küsten beobachten kann.

Die im Meere lebenden Strahlentiere besitzen eine grosse, Leuchtkraft. Seesterne, Seefedern, Seenesseln und ähnliche Tiere mehr können als Beispiele der Phosphoreszenz in der Klasse der Strahltiere betrachtet werden. Bei den Fahrten der Porkupina, über die Professor Thomson in seinen „Tiefen der See“ berichtet hat, machte man merkwürdige Erfahrungen. Als man das Schleppnetz einmal spät Abends heraufholte, waren die Knoten desselben über und über mit Seetieren vom glänzendsten Grün bedeckt. Bei den jüngeren und kleineren Exemplaren trat das Leuchten am stärksten auf. Das Licht war nicht beständig und dehnte sich auch nicht gleichmässig über den ganzen Stern aus. Zuweilen lief eine Feuerlinie rund um das Tier und leuchtete gegen die Mitte hin am stärksten. Dann verblich sie und ein scharf begrenzter Fleck von der Länge eines Zentimeters leuchtete in der Mitte eines Fangarmes auf und bewegte sich langsam gegen die Spitze hin, oder die sämtlichen fünf Fangarme leuchteten gleichzeitig und verbreiteten ihr Feuer nach Innen. Ohne Frage muss die Phosphoreszenz in einem Meere, das von gefrässigen Krustaceen wimmelt, eine höchst verhängnisvolle Gabe sein. Ein anderes Mal kam das Schleppnetz mit den langen blassroten Armen einer Art von Seefeder herauf, die ein blasses Lilalicht verbreiteten. Dasselbe schwankte nicht wie das Licht eines Seesternes, sondern war fast beständig, wenn es an einem Punkte zuweilen auch heller aufleuchtete und dann wieder schwach wurde. So hell war es immer, dass jeder Teil des Tieres, der in den Maschen stecken geblieben war oder am Raum haftete, vollständig sichtbar blieb. An manchen Stellen schien alles, was aus der Tiefe heraufkam, Licht auszustrahlen und der Schlamm blitzte von leuchtenden Funken. Einige Arten von Strahltieren hatten ein so helles Licht, dass man dabei auf der Uhr die Stunden deutlich erkennen konnte.

„Einige der schönsten Erscheinungen des Meerleuchtens werden durch Tiere erzeugt, die zu den Mollusken gehören, die jedoch nicht im Wasser der Nordsee leben. Die Gliedertiere des Meeres besitzen die Eigenschaft des Leuchtens nicht häufig, nur bei einigen wurmartigen Tieren, die zu der Klasse der Anneliden gehören und bei einer ziemlich grossen Anzahl der kleineren Krustaceen kommt dieselbe vor.“

Herr Dr. Karl Möbius gibt in seiner Schrift „Das Meerleuchten“ (Hamburg, Perthes, Besser & Mauke, 1861) folgende Seetiere als leuchtend an: „Sapphirina fulgens, das Silberpl?ttchen; Nereis, Seeskolopender; Syllis und Polynoe fulgurans, blitzender Schuppenwurm; Pholas dactylus, Bohrmuschel; Salpa africana maxima, grosse afrikanische Salpe; Byrosoma giganteum, grosse Feuerwalze; Ophiura fragilis, zerbrechlicher Schlangenstern; Pelagia noctiluca, Leuchtqualle; Oceania conica, kegelförmige Qualle; Beroe Forskalii, Forskais Melonenqualle; Cydippe ^ileus, Kappenqualle; Hippopodius luteus, gelbe Pferdehufqualle, Peridinium tripos, dreihörniges Kranztierchen und Noctiluca scintillans, das funkelnde Leuchtbläschen.“

Das letztgenannte Tierchen ist so klein, dass dessen Leib, der nur eine einfache Blase bildet, kaum einen Millimeter im Durchmesser misst. In der inneren schleimigen Masse sieht man unter dem Mikroskope kleine Streifen, und Höhlungen, die sehr beweglich sind und als Sitz der Phosphoreszenz erscheinen. Durch diese unzählig im Meere verbreiteten Tierchen wird vorzugsweise das Seeleuchten in der Nordsee hervorgerufen. Die Stärke des Leuchtens fällt oder steigt, je nachdem äussere Ursachen die Lebenstätigkeit dieser Seetiere erhöhen oder schwächen.

„Eine ähnliche Erscheinung von leuchtenden Tieren — heisst es in der oben genannten Zeitschrift Europa weiter — finden wir bei den Bewohnern des festen Landes, jedoch in bei weitem geringerer Anzahl, da fast alle auf die beiden Familien der Lampyriden und der Elateriden beschränkt sind. Unser gewöhnlicher Glühwurm ist ein Mitglied der ersteren und die berühmte Feuerfliege, die bei den westindischen Damen die Stelle der Juwelen vertreten soll, der letzteren. Bei beiden sind die Organe, von denen das Licht ausgeht, einander höchst ähnlich. Schneidet man den Hinterleib eines Glühwurms auf, so sieht man zwei kleine sackförmige Zellengewebe, die längs den Seiten dicht unter der Haut liegen. Die Zellen sind mit einem Stoff gefüllt, der unter dem Mikroskop wie weiches gelbes Fett aussieht. Ist die Zeit vorüber, in der der Glühwurm leuchtet, so verschwindet dieser gelbe Stoff.

Ausserdem besitzen einige Arten Käfer, sodann der Vielfuss und der Erdwurm, in verschiedenem Grade diese Leuchtkraft. Zu einer endgültigen Entscheidung über das Wesen der letzteren ist die Wissenschaft noch nicht gelangt.

„Einige Forscher halten das Licht für das Resultat einer langsamen Verbrennung gewisser Phosphorverbindungen, die in den tierischen Ausscheidungen vorhanden sind. Andere sehen in ihm eine unmittelbare Kundgebung, die in bestimmten Organen sich etwa so äussert, wie die elektrische Kraft im Zitteraal. Bei Versuchen hat man gefunden, dass der leuchtende Stoff seine Eigentümlichkeit den flüssigen und festen Körpern mitteilt, die er berührt. Das Licht erlischt in der Kälte, in kochendem Wasser und nach starken Reizmitteln; auch im luftleeren Räume verschwindet es, wird aber durch Zutritt von Luft sofort wieder sichtbar und nimmt bei massiger Hitze und milden Reizmitteln zu. Beim Glühwurm besitzen die beiden Säcke mit gelbem Stoffe die seltsame Eigenschaft, das“ sie, wenn man sie von dem lebenden Körper trennt, noch einige Stunden ununterbrochen fortleuchten. Lässt man %rch Wasser, in dem Medusen enthalten sind, einen einfachen galvanischen Strom gehen, so zeigt sich keine Wirkung, aber ein elektromagnetischer Strom erzeugt binnen kurzem beständiges Leuchten des Wassers. Nach einer Viertelstunde verschwindet das Licht und lässt sich nicht wieder hervorrufen. Offenbar sind die Tiere jetzt tot, von denen es ausgegangen ist.“

Die Erscheinung des Leuchtens hat man bekanntlich schon seit sehr langer Zeit auch bei toten Körpern, nicht allein bei Steinen, zum Beispiel dem Schwerspat, wenn er dem Sonnenlichte ausgesetzt gewesen war, sondern auch bei toten Seelischen, Schellfischen, Heringen und Lachsen beobachtet. In neuerer Zeit hat sich dieselbe Erscheinung auch am Fleische warmblütiger Tiere gezeigt und mehrere berühmte Anatomen wollen dieses Leuchten auch mitunter an Leichen wahrgenommen haben. Die phosphoreszierenden Stellen waren dabei mit einer schleimigen Substanz überzogen, mit der man andere Körper leuchtend machen konnte. 1877 sah Dr. Nünsch Schweinskarbonaden in grünlichem Lichte leuchten, dann alle Fleischsorten im Lokale des betreffenden Fleischers. Fäulnispilze, Weingeist, Karbolsäure zerstörten die Leuchtmasse. 1881 wurde dieselbe Erscheinung in einem Berliner Fleischerladen gemacht. Dr. Ludwig in Greiz hat nun durch Kulturen nachgewiesen, dass das Phosphoreszieren der Fische und des gewöhnlichen Fleisches von einem und demselben, durch E. Pflüger 1875 entdeckten Spaltpilze herrührt, der nach dem Erfinder Micrococcus Pflügeri genannt wurde.

Wahrscheinlich sind die von Dr. K. Möbius in den Kohlengruben von Pilsen in Böhmen beobachteten leuchtenden Pilze auf dieselben Ursachen zurückzuführen.

Nicht unerwähnt möge bei dieser Gelegenheit die in der Neuzeit gemachte Erfindung bleiben, nach welcher aus den Schalen der essbaren Auster, Ostrea edulis, durch Glühen mit Schwefelblumen eine im Dunkeln leuchtende Anstrichfarbe hergestellt wird.

Der wunderbare Anblick, dass dieselben Wogen des Meeres, in welchen man am Tage gebadet hat, bei nächtlicher Weile durch die mit Phosphoreszenz begabten, unzähligen kleinen Geschöpfe in zauberhaftem Lichte glühen, wird aber, wie schon oben erwähnt, nicht allen Besuchern der Nordseeinseln zuteil, indem ein solches Phänomen nur selten in seiner vollen Pracht auftritt. Denen jedoch, welche Gelegenheit hatten, sich an dem Seeleuchten zu erfreuen, wird dieser Eindruck neben den übrigen grossartigen Erscheinungen des Meeres für immer unvergesslich bleiben.