Das Meer

Das Meer

Die weite, unendliche Fläche des Meeres, aus welcher die kleinen Nordseeinseln hervorragen, macht beim ersten Anblick einen geradezu überwältigenden Eindruck! Von den etwa 6 Millionen Quadrat Meilen, welche auf dem Erdball vom Wasser bedeckt werden, kommen beinahe 9000 Quadrat Meilen auf die Nordsee.

Das Wasser der Nordsee ist kein gewöhnliches Wasser wie in den Teichen, Seen und Flüssen des Festlandes. Das Wasser des Meeres enthält eine grosse Menge mineralischer Bestandteile, wodurch dasselbe ganz besondere Eigenschaften besitzt, die von grossem Einfluss auf alles werden, was damit in Verbindung kommt. Den Hauptbestandteil der Mineralien im Seewasser bildet Chlornatrium oder Kochsalz mit 2 ½ Prozent, dazu kommen Chlormagnesium mit beinahe ½ Prozent, schwefelsaurer Kalk, Kali und Magnesia, sowie Brom und Jod, so dass die Gesamtmenge der mineralischen Stoffe etwa 3 ½ Prozent beträgt.


Ausserdem sind im Meerwasser unzählige Mengen von Tieren, sowie die verschiedensten Pflanzen enthalten, welche darin leben und sterben und das Wasser mit organischen Stoffen erfüllen, so dass das Seewasser in Folge davon sehr leicht schäumt.

Wie bereits in dem vorigen Artikel dargelegt wurde, teilt sich der Salzgehalt auch der Luft über dem Meere mit, sodass nicht allein die in dem salzigen Wasser lebenden Tiere und Pflanzen von anderer Beschaffenheit sind, sondern auch die Vögel und die an dem Ufer des Meeres wachsenden Pflanzen, welche zum Teil aus der Luft ihre Nahrung ziehen, besondere Eigentümlichkeiten dadurch erhalten.

Der Ursprung dieses Salzgehaltes wird dadurch erklärt, dass sich aus der ursprünglich glühenden Erdrinde grössere Mengen mineralischer Stoffe aufgelöst und mit dem Seewasser vereinigt haben, indem angenommen werden kann, dass auch die grossen Flächen und Tiefen, welche jetzt vom Wasser bedeckt sind, in ähnlicher Weise wie die aus den Fluten des Meeres hervorragenden Kontinente grosse Salzlager enthalten haben. Hierfür spricht auch der Umstand, dass schon zur silurischen Zeit sehr viele Mollusken, z. B. Trochus, Turbo, Natica und Cardium existierten, die sich bis zur Jetztzeit erhalten haben; dies würde gewiss nicht geschehen sein, wenn das Meer in jener frühen Zeit ganz andere oder gar keine Salze enthalten hätte. Hierzu kommen die vielen mineralischen Bestandteile, welche dem Meere durch die Flüsse zugeführt werden, sowie die Niederschläge aus der Luft, welche Ammoniak enthalten.

Der Salzgehalt des Meerwassers bewirkt, dass dasselbe erst bei einer Temperatur von 2 Grad unter Null zu frieren beginnt; wegen der Bewegung durch Ebbe und Flut wird die Nordsee niemals ganz vom Eise bedeckt. Auch das spezifische Gewicht des Nordseewassers wird durch den Salzgehalt verändert, indem dasselbe bei 0 Grad 1,025 durchschnittlich beträgt. Es ist daher weit befähigter, grosse Lasten zu tragen, als Süsswasser, was jeder Badegast beim Schwimmen in verhältnismässig seichtem Wasser wahrnehmen kann.

Der Grund der Nordsee flacht ziemlich regelmässig von Süden nach Korden und Nordwesten ab. Die kleinere südliche Hälfte besitzt kaum an einer Stelle mehr als dreissig Faden, also etwa 160 Meter Wassertiefe, während weiter nördlich die Tiefe allmählich bis auf hundert und mehr Faden zunimmt. Die Doggerbank trennt die flache, von Sandbänken bedeckte und die tiefere Hälfte der Nordsee. Diese Bank, welche sich von der englischen Küste bis zur Spitze von Jütland erstreckt, nimmt fast zwei Fünfteile des ganzen Nordseebodens ein und ist bekannt durch ihren grossen Fischreichtum. — Auch die Temperatur des Seewassers richtet sich nach der grösseren oder geringeren Tiefe des Meeres. Im ersteren Falle ist das Wasser kühler als an der Oberfläche, während es auf dem flachen Strande oftmals eine Temperatur von 20 Grad und mehr erreicht. Durchschnittlich hält sich die Temperatur des Wassers am Badestrande der Insel in der warmen Jahreszeit zwischen 13 bis 15 Grad R. und sinkt gegen Ende derselben bis auf mehr oder weniger als 10 Grad, dagegen kommt die Temperatur im Winter bis auf 4 Grad unter Null. Doch erscheint das Seewasser während des Baden bei sonst gleicher Temperatur im Vergleich mit dem Flusswasser immer wärmer als letzteres, indem der lebhafte Wellenschlag und der Salzgehalt eine demgemässe Wirkung hervorbringen. Diese gleichmässige Temperatur des Seewassers, welche sich im Sommer so wenig verändert, gehört zu den grossen Vorzügen desselben im Vergleich zum Flusswasser. Allerdings erwärmen sich die ungeheueren. Massen des Meeres schwerer als die Flüsse mit weit geringerer Tiefe, dagegen bewahrt das Meer die Temperatur länger als die Flüsse und Seen, welche sich beim Herannahen des Herbstes rasch abkühlen.

Eine höchst merkwürdige Erscheinung in der Nordsee besteht darin, dass die Höhe des Wassers am Ufer nicht immer dieselbe ist. Bald fluten die Wogen mit ihrem sprudelnden Schäumen bis an den Fuss der Dünen oder Deiche, bald liegen weite Strecken des flachen Ufers, des Watts und des Strandes trocken. Die Wogen, welche im ersten Falle bei entsprechendem Winde oftmals eine sehr bedeutende Höhe haben, werden niedriger und weichen allmählich weiter vom Ufer zurück, so dass der Wanderer an den Stellen, wo vor wenigen Stunden riesige Wogen brandeten, trocknen Fusses gehen kann. Aber nur kurze Zeit dauert dieser Rückgang, denn nach Ablauf weniger Stunden beginnt das Wasser wieder zu steigen, und die Wellen rollen auf das Ufer, welches kaum abgetrocknet war. Der aufmerksame Beobachter wird bald finden, dass sich diese Veränderungen in ganz bestimmten Zeitabschnitten wiederholen, und dass die Erscheinung der höchsten Flut mit den Berechnungen in den Fluttabellen nahe zusammentrifft; ein Zutreffen auf Minuten und Sekunden ist natürlich nicht möglich, weil Wind und Wetter oft beschleunigend, oft verzögernd auf die Flutwelle einwirken.

Es sind zur Erklärung dieser Erscheinung sehr viele Hypothesen aufgestellt, die sich jedoch nicht als vollkommen richtig erwiesen haben. Auch die folgende Erklärung, welche sich auf das von Newton entdeckte Gravitationsgesetz gründet, und nach welcher die Ebbe- und Fluttabellen errechnet sind, ist durch die neuere Wissenschaft stark erschüttert. Es würde den Zweck dieses Buches weit überschreiten, den Gegenstand ausführlich zu erörtern, und wird es daher genügen, hier eine Darstellung in kurzen Zügen zu geben, wie ältere und neuere Theorie die Ebbe und Flut erklären. Nach der Newtonschen Theorie übt der Mond, welcher der Erde am nächsten steht, vermöge seiner Schwere eine Anziehung auf das leicht bewegliche Wasser aus und werden dabei die näheren Punkte desselben von dem Monde stärker angezogen als die entfernteren. Wenn man nun annimmt, die Erde sei ringsum von Wasser umgeben, so werden die Wassermassen, welche den Mond im Zenith haben, durch diesen mit einer gewissen Stärke angezogen; weniger stark wird der Erdmittelpunkt angezogen und am wenigsten die Wassermassen auf derjenigen Seite der Erde, welche dem Monde abgewandt ist. Die Folge davon wird sein, dass das Wasser auf der dem Monde zugewandten Erdseite um etwas gegen den Erdmittelpunkt zurückbleibt. Es muss also an den beiden hier bezeichneten Stellen das Niveau des Wassers mehr als gewöhnlich sich vom Erdmittelpunkt entfernen, d. h. Hochwasser eintreten, während auf der ganzen Peripherie der Erde, welche den Mond im Horizonte hat, das Niveau unter das gewöhnliche herabsinkt, d. h. Niedrigwasser entsteht. Dadurch, dass die Erde binnen 24 Stunden sich einmal um ihre Achse dreht, rücken die Stellen, welche Hoch- und Niedrigwasser haben, nach und nach von Osten nach Westen weiter, und es folgt daraus, dass an einem und demselben Punkte der Erde täglich zweimal Flut und Ebbe stattfinden wird, indem der Mond der Reihe nach über sämtlichen Meridianen kulminiert. Da ferner der Mond in seiner Bahn am Fixsternhimmel täglich um etwa 13 Grad nach Osten zurückbleibt, so erfolgt seine Kulmination an jedem Punkte der Erde täglich um etwa 50 Minuten später. Dieselbe Verspätung tritt aber auch von Tag zu Tage bei der wiederkehrenden Flut und Ebbe ein, so dass z. B., wenn an irgend einem Tage Flut um 10 Uhr morgens beginnt, sie am folgenden Tage um 10 Uhr 50 Minuten stattfindet.

In Norderney ist zur Zeit des Neu- und Vollmondes um 10 Uhr, zur Zeit der Mondviertel um 4 Uhr höchste Flut. Das Hochwasser in Borkum ist 8 ½ Stunden früher, in Norderney 7 Stunden früher, in Helgoland 6 Stunden früher, in Emden, Wangerooge und bei der Roten Tonne an der Grenze der Nordsee und der Elbe 5 ½ Stunden früher, in Bremerhafen 3 ½ Stunden früher und in Bremen 1 Stunde später als in Hamburg.

Diese Verzögerungen werden durch den Einfluss und die Gestalt der Kontinente bedingt, welche die Wassermassen streng hindern, der Anziehung des Mondes gesetzmässig zu folgen. Die Flutschwingungen, nicht die Wassermassen, kommen aus dem Grossen Ozean, wo sich die grösste Wasserfläche auf der Erde befindet. Der dazwischen liegenden Kontinente wegen ist jedoch die Flutwelle genötigt, um das Kap der guten Hoffnung und durch den atlantischen Ozean sich fortzupflanzen, bevor sie teils durch den britischen Kanal, teils um die Nordspitze Schottlands sich in die Nordsee ergiessen kann. Man hat berechnet, dass auf diesem Wege etwa 2 ½ Tage verloren gehen. Ausser dem Monde übt auch die Sonne eine Attraktion auf die Wassermassen der Erde aus, deren Einfluss auf Ebbe und Flut jedoch der grossen Entfernung wegen viel geringer ist. Zur Zeit des Voll- und Neumondes trifft die Anziehung der Sonne mit der des Mondes zusammen, demzufolge während dieses Zeitraumes höhere Flut, sogen. Springflut, und tiefere Ebbe als gewöhnlich stattfindet. Stehen jedoch Sonne und Mond in einem Winkel von 90 Grad, also beim ersten und letzten Viertel, so wirken sich beide entgegen, und es tritt alsdann niedrigere Flut und höhere Ebbe als im Durchschnitt ein.

Eine andere Theorie wird in dem höchst interessanten Buche „Ebbe und Flut, deren Ursache und Wirkung: experimental nachgewiesen“ von Karl Schwarz (München. 1881, Kellerer) aufgestellt.

Für das allgemeine Verständnis möge es gestattet sein, eine kurze Übersicht über das Wichtigste derselben, hier anzugeben.

„Wir halten die Ebbe und Flut, und zwar beide unabhängig von einander, für eine Folge der dreifachen Bewegung der Erde: Der Bewegung: um ihre Achse, der Bewegung um die Sonne und der Bewegung um den mit dem Monde gemeinschaftlichen Schwerpunkt — welche Bewegungen, in ihrer Kombination alle Punkte der Erde zu wechselnder Geschwindigkeits- Zu- und Abnahme bringen, so dass der flüssige Teil der Erde, — bei seiner leichten Beweglichkeit dieser Geschwindigkeits- Änderung nur teilweise folgend — ins Schwanken kommt, während der feste Teil derselben — durch Kohäsion und Reibung verbunden — jedem Bewegungswechsel folgen muss“.

Bekanntlich ist unser Erdkörper wie die übrigen Planeten in fortwährender Bewegung. Seine Laufbahn führt ihn schwingend um die Sonne, wobei er sich um die eigene Achse schiebt, die schräg zur Erdbahn gestellt ist. Die dadurch entstehende Störung bringt für die Erde eine Kreiselbewegung hervor. Sodann schwingt sich der Mond um die Erde in der einfachsten Form der Revolution eines Himmelskörpers, während die Rotation desselben mit der Zeit seiner Bewegung um die Erde zusammenfällt. Bei dem Monde stellt sich das Verhältnis der Rotation zur Revolution ganz gleich wegen seiner unveränderlichen Stellung zur Erde. Die Rotation des Mondes entzieht sich daher der direkten Beobachtung. In der Verbindung nun der sichtbaren mit der unsichtbaren Rotation ist die Ursache der Ebbe und Flut der Wassermassen auf der Erde begründet.

Die Erde bewegt sich bekanntlich mit sehr grosser Geschwindigkeit. Wenn es möglich wäre, sich in derselben Weise zum Beispiel in einem Luftballon über dem Äquator schwebend, im gleichen Schritt mit fortzuschwingen, so müsste man, wie das schon Bürger in seiner bekannten Ballade „Der Kaiser und der Abt,“ durch den klugen Schäfer beweisen lässt, in 24 Stunden die Reise um den ganzen Erdball in seiner grössten Ausdehnung gemacht haben. Der schnellste Eisenbahnzug kann sich damit nicht im entferntesten vergleichen. Es ist klar, dass alle festen Körper der Erde diese Reise unbemerkt jeden Tag mitmachen, weil sie ihren Standpunkt nicht verändern, während alle luftförmigen und flüssigen Massen beweglich sind und dadurch in Schwankungen versetzt werden. Für beide Elemente gibt es jedoch Konzentrationspunkte, gegen welche und von welchen die Beschleunigung zu- oder abnimmt. Für die gewöhnliche periodische Bewegung der Luftmassen, welche sich wie Ebbe und Flut des Meeres von 6 zu 6 Stunden verändern, sind hinreichende barometrische Beobachtungen als Beweise gefunden. Nach der hierauf bezüglichen Theorie muss die grösste tägliche Barometerschwankung in jene Zeit fallen, in welcher der Unterschied zwischen der äusseren und inneren Revolutions-Geschwindigkeit der Erdpunkte am grössten ist. Die Ebbe und Flut des Meeres, als Folge der Doppelbewegung der Erde um ihre Achse und um die Sonne ist zusammengesetzterer Art als die der Atmosphäre. — Besonders wichtig ist auch hier die Lage und Gestalt des Landes, durch welches das Meer begrenzt wird. Hätte das Wasser eine gleichmässige Verbreitung über die ganze Erdoberfläche, so würde der Wechsel der Revolutions-Geschwindigkeit, welcher so wie in der Luft durch Verdichtung und Verdünnung, im Wasser durch Steigen und Fallen zur Erscheinung kommen muss — so würde diese Ursache bewirken, dass mit dem Zeitpunkt des höchsten (täglichen) Barometerstandes die höchste Flut und mit dem Zeitpunkt des niedrigsten Barometerstandes die tiefste Ebbe eintreten müsste. Da aber das feste Land dabei hinderlich ist, so wird Ebbe und Flut dadurch beeinflusst werden und nur da zur vollen Geltung kommen, wo sich das Meer in der Richtung der Rotation der Erde ausdehnt. Es ist dies ebenfalls ein sehr wesentlicher Unterschied gegen die zuerst beschriebene Erklärung der Ebbe und Flut und ihrer Folgen. Aus dem obigen Grunde würde auch in einem breiten und tiefen Kanale, welcher von Ost nach West läuft, Ebbe und Flut ebenso zur Geltung kommen, wie im Meere, dagegen bei der Richtung von Süd nach Nord ohne Einfluss sein. Es kann demnach in einem Meere von der letztgenannten Richtung nur eine Seitwärtsbewegung der Flut stattfinden, mit welcher eine Veränderung der Verhältnisse verbunden ist. Bewegt sich nach ihrer Ablenkung die Flut gegen den Äquator, so wird ihre Rotationsgeschwindigkeit für die niederen Breitenlagen immer unzureichender werden; und da die Flut, wie sie am Lande erscheint, in der Hauptsache als ein Zusammenstoss zu betrachten ist zwischen der in der Rotation zurückgebliebenen Flutwelle und der schneller rotierenden Küste, so muss ihre Ablenkung von höheren in niedere Breitelagen die Vehemenz dieses Zusammenstosses steigern, — dagegen abschwächen oder ganz aufheben oder nach Umständen in einen Zusammenstoss mit der Westküste verwandeln, wenn die Ablenkung von niederen in höhere Breitenlagen stattfindet. Nun ist aber die wechselnde Seitenströmung des Meeres — als Folge der Revolutionsbewegung Erde-Mond — abhängig von der Lage der betreffenden Revolutionsachse, wie von der Stellung des Mondes gegen die beiden Pole der Erde; es ist demnach die stärkere Flutentwickelung auf der nördlichen oder südlichen Erdhälfte abhängig von der nördlichen oder südlichen Deklination des Mondes, insoweit dieselbe eine Folge der Revolutionsbewegung Erde-Mond ist. Da aber die Bewegung der Erde um die Sonne die angeführten analogen Folgen haben muss, so wird man mit zwei Seitenströmungen des Meeres zu rechnen haben, welche sich entweder verstärken, oder abschwächen — mit all der Mannigfaltigkeit, welche bei der Kombination der beiden Fluten (Sonnen- und Mondflut) selbst auftritt; es wird demnach die einseitige Entwicklung der Ebbe und Flut abhängig sein von der Deklination des Mondes und der Sonne; letztere hat ebenfalls vermöge der stärkeren Gravitation bedeutenderen Einfluss auf die Flut, als der Mond.

Die höchste Entwicklung der Ebbe und Flut fällt aber nicht mit der Sonnennähe, sondern mit der Tag- und Nachtgleiche zusammen. Es kann nach dem Wesen der Newtonschen Theorie die höchste Flut nur in die Zeit des genauesten Zusammenwirkens von Sonne und Mond fallen, d. i. in die Zeit der Eklipsen, und da letztere um Monate von den Aequinoktien entfernt liegen, so müsste ihr Einfluss längst unzweifelhaft feststellen; das ist aber nicht der Fall. Nach der hier geschilderten Theorie ist jedoch zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche der Unterschied zwischen äusserer und innerer Revolutions-Geschwindigkeit der Erde am grössten, womit, sowie in der Atmosphäre, so auch im Meere eine grössere Schwankung verbunden sein muss.

Die Ursache der hohen Springflut während der Tag- und Nachtgleiche ist demnach in der verstärkten Sonnenflut zu suchen. Ein Beweis hierfür wird die der Springflut zunächst folgende Nippflut sein, ferner da die Nippflut eine Kombination Sonnenebbe-Mondflut ist, sowie die Springflut eine Kombination Sonnenflut-Mondflut, so muss offenbar der grössten Springflut die kleinste Nippflut folgen, und umgekehrt, da die höchste Sonnenflut in die Aequinoktien, die kleinste in die Sommer-Sonnenwende fällt, so folgt, dass in die Zeit der Tag- und Nachtgleichen die grösste Springflut und die geringste Nippflut, in die Zeit der Sommer-Sonnenwende die kleinste Springflug und die grösste Nippflut fallen muss. —

Aus der obigen Auseinandersetzung folgt daher auch, dass der Wellenschlag und die Bäder im ersten Teil der Badesaison nicht so kräftig sind, als gegen Ende derselben, in welches die Herbst- Tag- und Nachtgleiche fällt.

Die Wellenbewegung entsteht dadurch, dass eine in Bewegung gesetzte Luftmasse einen Druck auf die Oberfläche des darunter befindlichen Wassers ausübt, welches sich demzufolge hier vertieft und die auf solche Weise verdrängte Wassermenge weiterwälzt, so dass ringsherum eine Erhöhung entsteht. Alsbald drückt die Schwerkraft auf die einzelnen Wasserteilchen, um die horizontale Ebene wieder herzustellen; da die Teile jedoch unter sich keinen festen Zusammenhang haben und der sie niederziehenden Kraft keinen Widerstand entgegensetzen können, so sinken sie herab und pflanzen den auf sie ausgeübten Druck nach allen Seiten weiter fort. Hierdurch wird ein neuer Wasserwall gebildet, während hinter diesem eine ähnliche Erhöhung entsteht, welche der ersten Welle nachfolgt, worauf an dem Anfangspunkte ein neuer Wasserwall sich bildet. Bei den Wellen am flachen Ufer kann man besonders bei hochgehender See und ruhigem Wetter, welche Erscheinung nach einem Sturm häufig eintritt, folgende Arten der Bewegung unterscheiden. Beim ersten Tempo sieht man in einiger Entfernung vom Strande einen Wasserwall sich erheben, dessen Kamm an verschiedenen Stellen ein Überspritzen einzelner Wasserteilchen zeigt; beim zweiten Tempo stösst diese Welle mit dem vom Strande zurücklaufenden Wasser einer bereits zerschellten Woge zusammen, wodurch erstere aufgehalten wird, jedoch durch die nachrückende, schwerere und grössere Masse die Oberhand gewinnt. Es entsteht dadurch die dem Strande zugekehrte konkave Fläche der Welle, wobei das Schäumen der oberen Kante stärker wird. Beim dritten Tempo stürzt dann die Woge wie ein Wasserfall im Bogen auf den Strand nieder, um vom jähen Sturze hoch aufschäumend in die Höhe zu spritzen, wieder niederzufallen, hüpfend, sprudelnd, schäumend weiter zu rollen, bis endlich das Ufer erreicht ist und das Wasser sich breit über den Strand ergiesst, um dann wieder zurück zu fliessen und die erwähnten Vorgänge zu wiederholen.

In stürmisch bewegter See kommen selten zwei gleich hohe Wellen dicht hinter einander, indem gewöhnlich eine oder zwei niedrige dazwischen liegen; ferner bilden sich auf den grossen Wellen oftmals kleinere, auch holen sich die einzelnen Wogen von den Seiten her ein, so dass dadurch eine bedeutende Mannigfaltigkeit entsteht. Bei mässigem Winde und nicht allzu starken Brandungswellen, deren Höhe von der Tiefe zwischen zwei Wellen bis zur Spitze gerechnet, etwa 1/7 — 1 Meter beträgt, während dieselben bei Sturm eine Höhe von etwa 3 ½ Meter und mehr erreichen, ist es für den Badenden am besten, das zweite Tempo der Wogen abzuwarten, um, mit dem Rücken der Welle zugekehrt, den Sturz des schäumenden Wassers aufzufangen. Weht jedoch ein heftiger Wind, oder ist die Flut sehr hoch, so begnügt man sich damit, die bereits gebrandete Woge an einer Stelle heranbrausen zu lassen, wo man noch einen festen Standpunkt behaupten kann. Da das Wasser bei Eintritt der Ebbe nach dem Meere hinauszieht, ist letztere Vorsicht um so mehr geboten. So gut das Seewasser den geübten Schwimmer trägt, so darf der Badegast niemals vergessen, dass der Mensch wehrlos ist gegenüber der furchtbaren Gewalt der Wassermassen, die grosse Schiffe im Strudel mit fortreissen und durch eine starke Brandungswelle den schönsten Dreimaster zertrümmern können.

Vom Strande aus erscheint das fortwährende Wellenspiel durch die wechselnden Formen sowohl wie durch die herrlichen durchsichtigen Farben in oftmals entzückender Schönheit.

Obwohl im allgemeinen das Wasser der Nordsee in grösserer Menge betrachtet blaugrün erscheint, namentlich, wo der Einfluss des Landes und der Flüsse aufhört, so ist die glatte Fläche des Meeres das Spiegelbild des Sonnen- oder Mondlichtes, ferner des Himmels und der Wolken; ausserdem haben die Bodenbestandteile, die in den Wogen des Meeres suspendiert sind, grossen Einfluss auf die Farben, so dass man schon daraus erkennen kann, ob man sich, auf dem klaren Wasser der tieferen Nordsee oder im trüben Wasser des flacheren Teiles, bzw. des Watts oder der Flussmündungen befindet.

Wenn man bei stürmischem Wetter die Grossartigkeit: und das Wilde der Elemente mit Staunen und Bewunderung betrachtet hat, wo ringsum das ganze Meer in Schaum gehüllt scheint und am Ufer zahllose Brandungswellen in langen Reihen auf einander folgen, kann man sich kaum vorstellen, dass dieses wildtobende Meer in lieblicher Ruhe die entzückendsten Farbenspiele entwickeln kann.

Eine der schönsten Erscheinungen in dieser Weise tritt nur unter ganz bestimmten Verhältnissen und Beleuchtungen auf, kann jedoch dann ganz sicher beobachtet werden. Dazu ist Folgendes erforderlich: Erstlich muss die Richtung des Strandes mit dem westlichen Horizonte nicht parallel, sondern in einem spitzen Winkel laufen; ferner muss die Sonne etwa zwei Stunden vor dem Untergange an dem wolkenlosen Himmel stehen, und endlich müssen die Wellen höchstens bis zu einem halben Meter vom Fusspunkt derselben gerechnet, sich erheben.

Wenn nun der Beschauer am Strande der Sonne gegenüber steht, so wird von dort der Lichtglanz der Sonne auf dem Meere in gerader Richtung nach dem Fusspunkt der Sonne am Horizonte sich erstrecken. Auf der Seite des Meeres, welche mit dem Strande und dem Lichtglanz einen spitzen Winkel bildet, werden die brandenden Wellen die herrlichsten Reflexe zeigen, während auf der anderen Seite, welche mit dem Lichtglanz und dem Strande einen stumpfen Winkel darstellt, dieser transparente Reflex fehlt..

Der obere Teil der zum Sturz sich neigenden kleinen Wellen ist goldig durchleuchtet und reflektiert wieder auf den Fuss der Welle, so dass dieser ganz besonders schön transparent erleuchtet wird und wie flüssiges, durchsichtiges Gold erscheint. Je tiefer der obere Teil der Welle nach dem Strande überstürzt, desto weiter steigt der Reflex an der konkaven Seite in die Höhe. Immer rötlicher bis purpurnfarbig werden die Töne, sobald die Sonne sich zum Untergange neigt, während der Schaum der brandenden Wellen wie zartes flüssiges Silber dazwischen sprudelt und im Gegensatz dazu das Blau des Himmels auf die ebene Fläche des Meeres reflektiert und den Effekt verschönert.

Für alle, welche das Farbenspiel des Meeres bewundern, ist kaum ein herrlicherer Anblick zu finden.

Auch am Strande, von dem die Wellen zurückgeflossen sind und auf dem sie eine feuchte Schicht zurückgelassen haben, spiegelt der höchste Rand derselben den rötlichen Ton am Horizonte wider. Darauf folgt der gelbliche Schein, welcher dem Gelb über dem Horizonte entspricht, bis das Blau an der flachen Stelle das Blau des oberen Himmelsgewölbes widerspiegelt. Dieses Farbenspiel auch auf dem Wasser ist sogar nach Sonnenuntergang eine -Zeitlang in wunderbarer Pracht bei klarem Himmel zu sehen, indem sich dasselbe in den glänzendsten und feinsten Veränderungen wiederholt, bis der letzte Schimmer des Abendrotes verblichen ist.

Sinkt nun die Nacht auf das Meer herab, so entwickelt sich ein neues wunderbares Schauspiel, welches unter dem Namen „Seeleuchten“ berühmt ist. Obwohl die Beschreibung und Erklärung desselben eigentlich in den Artikel über das Tierreich gehört, so halten wir doch die eigentümlich magische Erscheinung für interessant genug, um derselben einen besonderen Artikel zu widmen.