Das Klima

Das Klima

Abgesehen von der allgemeinen Einwirkung des Golfstromes wird das Klima der Nordseeküste durch die grossen Verdunstungsflächen des Meeres beeinflusst, welche der Luft Eigenschaften mitteilen, wodurch sich das Klima sehr wesentlich von dem auf dem Festlande unterscheidet. Hierzu gehören die bereits in dem ersten Artikel dargelegten Gründe für die Heilwirkungen der Seeluft, also die Feuchtigkeit, Reinheit, Dichtigkeit, der Salzgehalt und Ozonreichtum. Als besondere Unterschiede des Klimas zwischen dem des Festlandes sind die starke Bewegung der Luftströmungen und die grosse Gleichmässigkeit in der Temperatur der Jahreszeiten zu bezeichnen. Letztere entsteht dadurch, dass das Meer wegen der Durchsichtigkeit der Wassermassen und der im Vergleich zum Süsswasser bedeutenderen spezifischen Wärme sich nicht so schnell erwärmt wie das Land, dann aber die einmal erlangte Wärme auch nicht so rasch wieder abgibt.

Danach richten sich ebenfalls die Witterungsverhältnisse auf dem Festlande im Innern Deutschlands, indem gewöhnlich von Mitte Juli bis Ende August kühles, regnerisches Wetter eintritt, weil das Festland bis Ende Juli wärmer geworden ist als das Meer, dagegen bleibt die Temperatur im Herbst und Winter höher an der See als auf dem Festlande. Während im Frühling auf der Insel Norderney nur +5 Grad Reaumur. und im Sommer +12 — 13 Grad sind, erreicht die durchschnittliche Temperatur in diesen Jahreszeiten auf dem Festlande zum Beispiel in Dresden die Höhe von beinahe 7 bzw. 14 ½ Grad R. Dagegen ist dieselbe im Herbst beinahe 8 und im Winter 1 Grad über Null auf Norderney und in Dresden nur + 6,71 bzw. — 0,61 Grad in den genannten Jahreszeiten. Für die Insel Helgoland, welche am weitesten im Meere liegt, ergab sich im Jahre 1874 für die mittlere Temperatur im Winter -+2,12; im Frühling 5,37; im Sommer 12,08 und im Herbst 8,38 Grad Reaum., oder für die Badesaison im Juli 13,53; August 12,22 und September 11,60 Grad; dagegen in Wyk auf Föhr, welches seines milden Klimas wegen berühmt ist, im Jahre 1882 für den Juli 15,2, August 13,4 und September 12,9 Grad R.


Eine andere wesentliche Eigenschaft der Seeluft besteht, wie bereits erwähnt, in den starken Luftströmungen und der fortwährenden Wärmeentziehung, welche auf den menschlichen Körper eine andere Wirkung hat, als die durch ein kaltes Bad, leichte Bekleidung und Aufenthalt in kühlen Zimmern hervorgebracht wird.

Die westlichen Winde sind an der Nordseeküste vorherrschend. Im Durchschnitt hat man beobachtet: 14 Tage Windstille oder sehr schwachen Wind, 34 Tage gelinden Wind, 130 Tage mässige oder frische Kühle. 112 Tage lebhaften bis sehr lebhaften Wind, 54 Tage starken bis sehr starken Wind, 17 Tage Sturm und 4 Tage schweren Sturm oder Orkan.

Obgleich die Luftströmungen an einzelnen Tagen bereits im August oder Sept. sehr stark werden können, so treten die wirklichen Stürme doch erst im Spätherbst ein. Wer letztere aus eigener Erfahrung kennen gelernt hat, wird zwischen stürmischem Wetter im Sommer, wo der Wind mit einer Geschwindigkeit von höchstens 20 Meter in der Sekunde dahineilt, und dem Herbststurme mit etwa 35 Meter per Sekunde, welcher die Häuser und die schwersten Gegenstände in denselben erzittern macht, zu unterscheiden wissen. Nach Aufzeichnungen in Helgoland, wo der Wind den freiesten Spielraum auf der Höhe des Felsens hat, betrug die Geschwindigkeit des Sturmes am 6. Aug. 1874, morgens 6 Uhr beinahe 10 Meter per Sekunde und abends 10 Uhr etwa 17 ½ Meter; dagegen am 22. Okt. desselben Jahres abends 10 Uhr über 24 Meter und am 8. Dez. 1873 um 6 Uhr morgens über 34 Meter in der Sekunde.

Von grosser Bedeutung für die Seefahrer und Fischer sind die Vorzeichen des Sturmes. Den besten Aufschluss gibt ein gutes Barometer, doch kann der aufmerksame Beobachter oftmals schon aus der Gestalt der Wolken oder Farbe des Himmels den Schluss ziehen, wie sich das Wetter gestalten wird. Besonders gilt dies von den kleinen weissen Wölkchen, welche wie lange weisse Fasern aussehen und durch die oftmals bogenförmige Stellung angeben, aus welcher Richtung der Wind wehen wird. Der regelmässige See- und Landwind entsteht aus der verschiedenen Erwärmung des Landes und des Meeres. Wird eine Insel während des Tages, an welchem keine anderen Luftströmungen stattfinden, von der Sonne beschienen, so nimmt das Land die Wärme auf und teilt sie der darüber befindlichen Luftschicht mit, welche dann vermöge der grösseren Leichtigkeit sich erhebt, während in die unteren luftverdünnten Schichten die Luft vom Meere oder der Seewind nach dem Land strömt. — Geht ferner die Sonne abends hinter dunkeln Wolken mit schönem Rot unter, so kann man annehmen, dass es Regen gibt, dem schönes Wetter folgt; geht sie dagegen am übrigens klaren Himmel gelblich rot unter, so deutet dies auf kühles Wetter mit Ostwind. Ein Kranz oder ein Hof um die Sonne zeigt Sturm an, ebenso die runden Köpfe der Haufenwolken, welche am Horizonte aus einer dunklen Bank hervorragen. Nördlicher Wind bringt klares, trockenes Wetter mit Wellenschlag, südlicher und südwestlicher Wind trübes, regnerisches Gewölk.

Die absolute und relative Feuchtigkeit der Luft ist für das Seeklima sehr wichtig. In Norderney betrug im Jahre 1868 die durchschnittliche jährliche Regenmenge 28“8,4“ in Berlin 21“11,3“ in Frankfurt a. M. 22“6,0“, während für Mittel- und Norddeutschland sich dieselbe auf 19“11“ und in Süddeutschland auf 25“00“ stellt. Die relative Feuchtigkeit auf Helgoland schwankte im Jahre 1874 zwischen 74,0 im April und 50,3 im September. Die Niederschläge waren im August, September und Dezember am stärksten. In Föhr betrug der mittlere Feuchtigkeitsgehalt der Luft im Jahre 1882 im Juli 78, im August 87 und im September 89 Prozent.

An schwülen Sommertagen stellen sich häufig Gewitter ein, bei welchen jedoch das Einschlagen des Blitzes auf den Inseln zu den Seltenheiten gehört, indem das Meer die elektrischen Entladungen gewöhnlich ableitet. In den meisten Fällen geht dem Gewitter eine geheimnisvolle Ruhe der Luft und des Meeres voraus, während das Wasser durch die Beleuchtung einen oftmals unheimlichen Eindruck macht. Der zuerst in der Ferne dumpfrollende Donner scheint aus der Tiefe des Meeres ein Echo wachzurufen,, während die Blitze in der feuchten Seeluft viel rötlicher gefärbt sind als auf dem Festlande. Mit zunehmender Heftigkeit des Gewitters verwandelt sich dann plötzlich die Stille in einen oftmals kurzen aber heftigen Kampf der Elemente, welcher das vorher ruhige Meer weithin mit unzähligen schäumenden Wellen bedeckt.

Der durch den starken Wind mit ungehemmter Gewalt niederströmende Regen macht den Gebrauch eines Schirmes sehr häufig zur Unmöglichkeit. Es verdient daher das Tragen von schützender Kleidung (Regenmänteln, Regenkappen etc.) nicht unwesentliche Beachtung.

Sehr lehrreich sind die wissenschaftlichen Experimente, welche Professor Beneke in seiner Schrift: „Zum Verständnis der Wirkungen der Seeluft und des Seebades'' veröffentlicht hat.

Darnach erlitt eine mit Schirting rockähnlich bekleidete Flasche bei einer Lufttemperatur von 16 Grad Reaum. einen Wärmeverlust von 10 Grad Celsius in 82,5 Minuten. Ferner eine mit feinem gewaschenen Leinen bekleidete unter den gleichen Verhältnissen in 91,5 Minuten und eine mit grobem neuen Leinen bekleidete Flasche in 107,5 Minuten. Eine Bekleidung mit weissem dichten Flanell ergab beinahe dieselben Resultate wie eine Schirting- Bekleidung, indem die 10 Grad Celsius in ersterer Bekleidung in 83,5 Minuten und bei Schirting in 75 Minuten entwichen.

„Die Versuche, wie sich die Wärmeverluste bei durchnässten Oberkleidern verhalten, wurden in der Weise angestellt, dass die Flasche mit trocknem Schirting und trocknem feinen, weissen Flanell, darüber aber mit einem durchnässten, dicken roten Flanell bekleidet wurde. (Der Flanell wurde in Wasser getaucht und dann fest ausgewrungen). Die in dieser Weise bekleidete Flasche verlor 10 Grad Celsius Wärme in 93,75 Minuten bei 15,5 Grad Reaum. Lufttemperatur, während für diesen Wärmeverlust, wenn alle drei Kleider trocken waren, bei 16 Grad R. Lufttemperatur 143,25 Min. erforderlich waren. Wir ersehen hieraus, wie es uns ergeht, wenn unser Oberzeug vom Regen durchnässt wird. Der Körper muss die Wärme hergeben, um es zu trocknen. — Darüber, dass durchnässter Flanell das Wasser langsamer wieder abgibt als Leinwand, hat Pettenkofer in der Zeitschrift für Biologie, Bd. 1. S. 187 so schlagende Versuche beigebracht, dass ich eigene bestätigende Versuche nicht aufführe.“

„Dagegen habe ich mir noch die Frage gestellt, wie sich der Wärmeverlust verhält, wenn das Schirtinghemd nass ist und der Flanelloberrock trocken. Es ergab sich, dass die Versuchsflasche in diesem Falle bei 11 Grad Lufttemperatur 10 Grad Celsius in 44,25 Minuten verlor, während sie bei der Bekleidung mit trocknem Schirting und trocknem Flanell bei 13,5 Grad Lufttemperatur 99 Minuten für den gleichen Wärmeverlust bedurfte. Schlagen wir für die um 2,5 Grad höhere Lufttemperatur in letzterem Versuche selbst 10 Minuten Verzögerung der Wärmeabgabe an (was nach den früheren Versuchen sicher zu viel ist), so ergibt sich doch, dass der Wärmeverlust bei durchnässtem Unterkleide um das Doppelte gesteigert wird. Nach Beendigung dieses Versuches war das trockne Flanell-Oberkleid leicht durchfeuchtet; bei der niedrigen Lufttemperatur bildeten sich an den Fäserchen des Flanells kleinste Wasserperlen. Man ersieht daraus, wie die aus unseren durchnässten Unterkleidern verdunstende Feuchtigkeit die Oberkleider durchdringt und dieselben durchfeuchtet und wie der Körper auch hier die Wärme hergeben muss, um sie zu trocknen.“

Diese Funktionen unserer Kleidungsstücke dürfen beim Aufenthalt am Seestrande nicht ausser Acht gelassen werden, denn hier ist der Körper den Einflüssen durch Regen oder starke Transpirationen trotz des Salzgehalte“ der Luft und deren grosser Dichtigkeit in nicht zu unterschätzender Weise ausgesetzt. Die Insulaner tragen daher, wie alle Seeleute, wollene Unterkleider und erreichen, wenn nicht Unglücksfälle oder besondere Ursachen störend eintreten, in dem herrlichen Seeklima ein hohes Alter.