Spiekeroog

Spiekeroog

Seebadeanstalt, auch warme Bäder, Badearzt Dr. Nico. Frequenz im Jahre 1883: 790 Kurgäste.


Literatur: Voss, Die Nordseeinsel Spiekeroog und das dortige Seebad, Aurich 1850. Prätorius u. Heyde. 50 Pfg. — Wessel, A. W.: Die Nordseeinsel Spiekeroog. 1863, Aurich, Spielmeyer. 80 Pfg. — Die Nordseeinsel Spiekeroog, Wegweiser für Badegäste. Mit Plan, Emden, 1884. Haynel. 1 Mk. 50 Pfg.

Reise. Um die Insel Spiekeroog zu erreichen, fährt man auf der ostfriesichen Küstenbahn entweder von Sande, Jever, Wittmund nach Esens oder von Emden über Norden nach dieser Stadt. Von Esens ist
alsdann Postomnibusverbindung bis Neuharrlingersiel.

Für die Omnibusfahrt einschliesslich 50 Pfd. Freigepäck hat jeder Reisende 60 Pfg. und für jedes Kind 30 Pfg. zu bezahlen.

Am Bahnhofe der Stadt Esens ist ausserdem jederzeit Privatfuhrwerk nach Neuharrlingersiel zu erhalten; auch können die Reisenden beim Posthalter Welau, sowie bei den Wirten in Esens brieflich und telegraphisch Wagen im Voraus bestellen. Der Preis für einen viersitzigen Wagen von Esens nach Neuharrlingersiel beträgt 6 Mk., grössere Wagen sind entsprechend teurer.

Die Stadt Esens (Hotel zur Traube (Wessels), Deutsches Haus (Harms), zählt über 2.000 Einwohner und ist der Hauptort im Harrlingerlande, einer etwa 400 Quadrat-Kilometer grossen, fruchtbaren Marschgegend. Der Kirchturm von Esens, der 57 Meter über Hochwasser und 18 Seemeilen weit sichtbar ist, bildet eine gute Landmarke für die Seefahrer.

Von Neuharrlingersiel, einem freundlichen Hafenorte, segelt täglich das Postfährschiff „Venus“ während der Flut bei günstigem Winde in 1 ½ Stunden nach Spiekeroog hinüber.

Der Fahrpreis, einschliesslich Gepäck und Wagenbeförderungbeträgt für jeden Passagier 2 Mk., für Kinder unter 10 Jahren die Hälfte.

Da das Fährschiff gewöhnlich nur einmal am Tage die Fahrt nach der Insel macht, kann es vorkommen, dass man in Neuharrlingersiel bis zum andern Tage bleiben muss. In einem der drei kleinen Gasthäuser des Ortes, kann man in diesem Falle ein Unterkommen finden. Tritt zweimal während eines Tages die Flut ein, so macht auch das Fährschiff, welches bei halber Flut von der Insel abfährt, zweimal täglich die Fahrt zwischen Spiekeroog und der Küste.

Früher konnte man auch mit den zwischen Bremerhaven und Norderney kursiercnden Lloyddampfern nach Spiekeroog gelangen resp. von dort wieder zurückreisen. Seit 1884 lassen sich aber diese Dampfer, um keine Zeit zu verlieren, bei keiner Insel aufhalten.

Gasthöfe und Wohnungen. In Spiekeroog gibt es zwei Gasthäuser; Günsel's Hotel liegt am Südwestende des Dorfes an dem Wege, auf welchem die Passagiere von der Reede hereinfahren. Dasselbe enthält einen grossen Speisesaal und verschiedene Zimmer zur Aufnahme von Fremden. Janssen's Hotel (früherWillms) liegt weiter im Dorfe und ist ähnlich eingerichtet. Ausserdem ist am Strande ein Restaurationspavillon (Sanders) erbaut. Wann zu Mittag gespeist wird geben die in allen Wohnhäusern aufgehängten Tabellen an; es wird nur bei Hochwasser gebadet und die Essenszeit wird danach eingerichtet. Der Preis für 1 Kouvert beträgt in beiden Gasthäusern 2 Mk., doch werden auch Portionen aus dem Hause gegeben. Volle Pension (ohne Getränk) erhält man für 28 bis 38 Mk. wöchentlich, Je nach den Zimmern, Pension ohne Wohnung für ca. 25 Mk. Die Kurgäste nehmen fast ausnahmslos Pivatwohnungen im Orte.

Das Dorf, von den Insulanern „Loog“ genannt, liegt mehrere Fuss über dem sich nach Süden erstreckenden Wiesenlande und ist gegen etwaige Überflutungen aus dieser Richtung durch Dämme und Pfahlwerk geschützt. Die ungefähr in der Mitte des Ortes liegende kleine Kirche teilt denselben in das Wester- und in das Osterloog. Die meist einstöckigen Häuser sind mit den notwendigen Möbeln zur Aufnahme von Fremden hinreichend versehen.

Die Wohnungspreise stellen sich durchschnittlich pro Woche: für eine Stube und Kammer mit zwei Betten 15—16 ½ Mk., Stube und Kammer mit 1 Bett 10—12 Mk., für eine Stube mit 2 Betten 12—13½ Mk-, desgl, mit 1 Bett 7½— 12 Mk. — Eine Stube und Kammer mit 2 Betten einschliesslich dreimal täglich siedendem Wasser, Ess- und. Trinkgeschirr wird mit 21—24 Mk. bezahlt.

Sämtliche Häuser sind mit Veranden versehen, welche durch Leinendächer und Seitenwände Schutz vor zu heisser Sonne und heftigem Winde gewähren. Von vielen derselben eröffnet sich nach Süden hin die Aussicht auf das Meer zwischen der Insel und dem Festlande. Durch das ganze Dorf ziehen sich gepflasterte Fusswege. Die Einwohner sind wegen des bedeutenden Viehstandes in der Lage, stets frische Milch verabreichen zu können, welches für die Kur namentlich der Kinder von grossem Nutzen ist. Kartoffeln und einige Gemüse werden für den Bedarf gebaut, doch müssen alle übrigen Lebensmittel vom Festlande herübergeschafft werden. Das Brunnenwasser ist wie auf den übrigen Inseln mit Bodenbestandteilen vermischt, es wird daher meistens Regenwasser zum Kochen genommen. Soda- und Selterswasser sind selbstverständlich in den Gasthäusern zu haben.

Bäder. Ein gepflasterter Fussweg führt über den nördlichen Teil des Weidelandes durch die Dünen, bis sich, bevor man die letzten derselben erreicht, der Weg nördlich für die Damen und westlich für die Herren abzweigt. Die Entfernung vom Orte bis zum Badestrande beträgt 20 bis 30 Minuten. Auf den Dünen am Badestrande für Herren ist ein Restaurationspavillon angelegt. Am Strande sind zahlreiche, neu angeschaffte Strandkörbe zum Ausruhen und zum Genuss der Seeluft aufgestellt. Auf den Sandbänken, welche dem nordwestlichen Strande gegenüberliegen, sieht man häufig Seehunde während der Ebbezeit.

Das Baden findet wegen der nicht sehr starken Frequenz nur zur Hochwasserzeit statt. Letztere wird durch eine Badeflagge mitten im Dorfe und am Strande angegeben, ausserdem ist eine Fluttabelle in jedem Hause angeschlagen. Am Strande für Herren und am Badeplatze für Damen sind 36 Badekutschen aufgestellt. Dieselben ruhen auf vier Rädern und sind entweder teilweise oder ganz von Holz gebaut; in ersterem Falle bestehen die Wände aus Segeltuch. Nach der Seeseite sind diese Kutschen durch zwei kleine Flügeltüren, in welcher sich statt der Fenster zwei ovale Öffnungen befinden, verschliessbar. Am Herrenstrande versehen drei Badewärter und am Damenstrande fünf Badewärterinnen den Dienst.

Für ein Seebad mit Benutzung einer Kutsche hat der Badegast 60 Pfg. zu bezahlen, für ein Kind unter 10 Jahren kostet es die Hälfte. Die Badekarten sind beim Kaufmann Willms zu haben. Die Badeanstalt wird durch eine besondere Bade-Kommission verwaltet, welche auf Wunsch bereitwilligst gratis und franko Fahrpläne und Prospekte versendet, Auskunft erteilt und Wohnungen vermittelt. Einer der Badewärter ist beauftragt, den Badegästen das Fremdenbuch vorzulegen und die Kurtaxe, welche a` Person 1 Mk. 50 Pfp. und für Kinder die Hälfte beträgt, anzunehmen. Ein Drittel der Einnahmen für die Karten fliesst in die allgemeine Badekasse, während die übrigen zwei Drittel den Badewärtern und Badewärterinnen in der Weise zum Gehalt dienen, dass erstere einen Teil und die letzteren zwei Teile davon bekommen. Ausserdem werden dieselben bei der Abreise der Badegäste für das Trocknen und Aufbewahren der Laken oder sonstige kleine Dienstleistungen mit einem. Trinkgelde bedacht.

Der Badearzt, Herr Dr. Nicol, ist während der Saison auf der Insel stets anwesend.

Ausser den Bädern im offenen Meere kann man auch in dem kleinen Nebengebäude des an der Einfahrt gelegenen Gasthauses warme Seebäder für 1 Mk. 50 Pfg. (Kinder die Hälfte), sowie auch Mineralbäder erhalten.

Vergnügungen. Um die herrliche Seeluft so rein wie möglich zu geniessen, liegen für diejenigen, welche nicht durch Neigung zur Seekrankheit daran behindert werden, Segelboote und Schaluppen am Strande bereit. Auch können mit denselben Fahrten auf die Seehundsjagd und zum Fischfange gemacht werden. Eine solche Segelpartie nach Langeoog kostet 6 Mk., nach Wangeroog 9 Mk., nach Helgoland und Norderney 36 Mk.

Die Fahrten auf den Seehundsfang werden hier häufig mit günstigem Erfolge ausgeführt. Gewöhnlich fährt man des Morgens, wenn der Wind aus südlicher Richtung weht, mit der Ebbe von der Reede nach der nordwestlich von Spiekeroog, dem Badestrande gegenüber liegenden Robbenplate und kommt von der Nordseite heran. Das Weitere ist in dem Artikel „Die Bewohner“ an der betreffenden Stelle bereits angegeben. Zuweilen gelingt es auch wohl, am Strande der Insel einen Seehund zu fangen oder zu töten.

Bei den Gasthöfen befinden sich Kegelbahnen; für Musikfreunde sind Instrumente vorhanden. In der Leihbibliothek kann man für 10 Pfg. einen Band pro Woche erhalten. Für Gesellschaften ist ein Ausflug nach dem Friederikenthale, einem kleinen Gehölz von Kiefern etc., welche hier sehr gut angewachsen sind, in den östlich vom Dorfe gelegenen Dünen sehr beliebt.

In den Läden findet sich eine hübsche Auswahl von Bernsteinsachen und Muschelwaren, sowie von ausgestopften Seevögeln.

Die Insulaner treiben ausserhalb der Badezeit Fischfang. Auch werden Herz- und Miesmuscheln auf der südlich von der Robbenplate gelegenen Sandbank, die Schillplate genannt, mit Schaufeln und Netzen heraufgeholt und nach dem Festlande gebracht.
Grösse und Lage. Die Insel Spiekeroog gehört zum Amte Esens; der Flächeninhalt beträgt 0,094 geogr. Quadratmeile, oder den Strand und das Wattufer mitgerechnet, 0,183 geogr. Quadratmeile. Die Länge der Insel von Westen nach Osten ist etwa doppelt so gross wie ihre Ausdehnung von Norden nach Süden. Vom Dorfe aus lässt sich die östliche Hälfte der Insel in ca. 4 Stunden und die ganze Insel in etwa 6 Stunden umgehen. An der Seeseite ist Spiekeroog zum grössten Teil durch Dünen geschützt, doch hat das Meer an der westlichen Seite dieselben an einigen Stellen zerstört und durchbrochen, so dass starke Strandbefestigungsbauten von der Königl. Preussischen Regierung angelegt werden mussten. Durch das Seegat, die Harrle, wird Spiekeroog von der oldenburgischen Nachbarinsel Wangeroog und von der im vorigen Artikel beschriebenen Insel Langeoog durch die Otzumer Balje getrennt. Im Süden erstreckt sich das Watt bis zum ostfriesischen Festlande, während in nordwestlicher, nördlicher und nordöstlicher Richtung sich das offene Meer ausdehnt.

Spiekeroog steht mit dem Festlande durch das Fährschiff in täglicher Postverbindung. Ausserdem ist, ein Telegraphenamt im Orte.

Auf der Insel Spiekeroog ist ebenfalls eine Rettungsstation für Schilfbrüchige angelegt. Das alte, von der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger in einem massiven Schuppen nahe bei den westlichen Dünen stationierte Boot wurde 1884 zertrümmert, nachdem mit demselben kurz vorher noch 13 Schiffbrüchige gerettet waren. Dasselbe ist durch ein Normalboot von der grössten Dimension (8,4 M. Länge und 2,49 M. Breite) ersetzt und mit allem Zubehör wohl versehen.

In den Jahren 1864—1884 rettete die Spiekerooger Station 65 Menschen. Durch den ostfriesischen Bezirksverein, dessen Gebiet mit Spiekeroog schliesst und der im Ganzen 14 Stationen hat, wurden seit 1862 allein mittelst der Rettungsboote der Gesellschaft 441 Menschen vom sicheren Untergange gerettet.

Die Spiekerooger Seebadeanstalt besteht seit über 30 Jahren und wird von den Badegästen, welche einen ländlichen, gut eingerichteten Aufenthalt lieben, gern besucht.