Juist

Juist

Seebade-Anstalt. Badearzt: Medizinalrat Dr. Lohmann aus Hamburg. Frequenz im Jahre 1883: 900.


Literatur: Brandt, Insel und Seebad Juist, Norden 1883, Soltau 1. 20. — Gerhard, Die Insel Juist, Schreiberhau im Selbstverlage. 1881.— 25.

Reise. Der zweckmässigste Weg nach Juist führt über Norden, Station der ostfriesischen Küstenbahn, deren Beschreibung man in dem Artikel über Norderney genauer angegeben findet. Der Abfahrtsort nach Juist ist Norddeich, eine halbe Stunde von Norden gelegen. Von diesem Punkte fahren ebenfalls die Schiffe nach Norderney, so dass auch hier auf den Artikel über Norderney zu verweisen ist. Die Überfahrt erfolgt mit dem Segelschiffe „Möwe“, Kapitän Onnen, und dauert bei günstigem Wind und Wetter 2 ½bis 3 Stunden. Sind die Flutverhältnisse sehr günstig, so ist es möglich, noch rascher die Reise zu vollenden. Die Abfahrtszeit des Schiffes von Norddeich findet man in den Gasthöfen, in der Post und im Bahnhofe Nordens angeschlagen; ausserdem wird der Fahrplan in den in Norden erscheinenden Lokalblättern veröffentlicht. Der Preis der Überfabrt beträgt 1 Mark a` Person, Kinder die Hälfte. Das Gepäck wird nach einem amtlichen Tarife berechnet.

Das Schiff fährt regelmässig wöchentlich dreimal von Norddeich, am Dienstag, Donnerstag, Sonnabend, von Juist am Sonntag oder Montag, Mittwoch und Freitag zurück. Liegt die Flutzeit besonders günstig, so macht das Schiff Doppelfahrten. Sehr häufig hat man jedoch auch Gelegenheit, während der Saison an andern Tagen als den dem Postfährschiffe vorgeschriebenen nach Juist zu gelangen, da fast immer Schaluppen am Norddeich liegen, die die Überfahrt für ein Billiges unternehmen. Auskunft darüber erhält man in den Fährhäusern zu Norddeich. Da das Schiff der seichten Reede wegen nicht ganz an die Insel gelangen kann, so werden die Reisenden vom Schiffe mit Leiterwagen abgeholt. Früher, ehe die dortige Landungsbrücke fertig gestellt war, geschah dieselbe Beförderung auch für die Passagiere nach Norderney. Nach einer kurzen Fahrt von 10 — 15 Minuten gelangt man zumDorfe. Von 1884 ab werden auch die von Leer aus eine tägliche Verbindung mit Norderney unterhaltenden Dampfer „Victoria“ und „Leda“ auf allen Wattfahrteu bei Juist Passagiere absetzen und aufnehmen, wenn solche vorher bei Herrn. Russell in Leer angemeldet sind. Billets 10 Mk., Kinder unter 10 Jahren und Dienstboten 6 Mk. Gewöhnliches Reisegepäck frei.

Gasthöfe und Wohnungen:
Sind die Reisenden im Dorfe angelangt, so finden dieselben in den beiden Gasthäusern von Itzen und Rose Unterkommen, um sich bei längerem Aufenthalte im Orte nach einer freundlichen Privatwolmung umzusehen.

Eine Wohnung aus einer Stube, Kammer mit 2 bis 3 Betten bestehend, kostet wöchentlich 12 bis 15 Mk., einfaches Zimmer nebst Bett 8 bis 9 Mk. Volle Pension ohne Getränk im Hotel Itzen und Hotel Rose von 21 Mk. an. Mittagessen an der Wirtstafel 1 Mk. 50 Pf., abends nach der Karte. Wohnungsbestellungen übernimmt die Badekommission in Juist, welche von den Badegästen eine Kurtaxe erhebt, die für eine Familie 3 Mk., für 1 Person 2 Mk., bei vierwöchentlichem Aufenthalt für eine Familie 2 Mk., und 1 Mk. für den einzelnen Badegast beträgt.

Die Saison dauert vom 15. Juni bis zum 15. September, während denselben ist Medizinalrat Dr. Lohmann aus Hamburg anwesend. Auch ist im Schulhause eine kleine Apotheke eingerichtet, um erforderlichen falls schnell Hilfe zu schaffen.

Bäder: Gebadet wird an der Nordseite im offnen Meere, wo sich ein ausgezeichneter Strand an der ganzen Küste hinzieht, der durch keine Buhnen festgehalten wird. Zum Badestrande gelangt man auf zwei mit Backsteinen gepflasterten Wegen. Der eine führt zum Herren-, der andere zum Damenstrande. Der erstere liegt östlich, der letztere westlich. Auf dem Wege nach dem Herrenstrande kommt man zu einem Pavillon, auf welchem die Badeflagge aufgezogen wird. Am Strande befinden sich mehrere mit Segeltuch überzogene Buden, die mit Tragegriffen versehen, von zwei Badewärtern nach dem Stande des Wassers versetzt werden können. Diese Einrichtung dient zum An- und Auskleiden. Ein Bad kostet für einen Erwachsenen 50 Pf., für ein Kind unter 12 Jahren 25 Pf. Die Badekarten werden von der Badekommission aussgegeben und sind auch käuflich in den beiden Wirtshäusern. Die Insel Juist ist für die Geschichte der Seebadeanstalten auf den deutschen Nordseeinseln insofern von Bedeutung, als der dortige Pastor Jani 1783 die erste Anregung zum Gebrauch der Seebäder gab, indem derselbe, gestützt auf beobachtete Heilwirkungen, sich mit einem Gesuch an die ostfriesische Provinzialregierung wandte, doch ohne den gewünschten Erfolg zu erlangen. Der Wellenschlag an der dortigen Küste mag schon seit langer Zeit ein besonders günstiger gewesen sein, indem derselbe auch jetzt zu den bedeutendsten an der ostfriesichen Küste gehört.

Ortsbeschreibung: In einem langgestreckten Bogen zieht sich zwischen Borkum und Norderney Juist hin, die zweite der ostfriesischen Inseln, von West nach Ost gerechnet. Ihre Länge beträgt etwa 11 km, während die Breite nur 1 km misst. Mit den übrigen Inseln verglichen, nimmt sie die dritte Stelle ein, wenn man vom Strande absieht; rechnet man denselben mit, so haben Norderney und Juist denselben Flächeninhalt, da Norderney einen geringeren Strand hat wie die Insel Juist. Ordnen wir die ostfriesischen Inseln nach der Grösse ohne Strand, so ist die Reihenfolge Borkum, Norderney, Juist, Langeoog, Spiekeroog und Baltrum; wird der Strand mit in Rechnung gezogen, so haben wir die Reihe: Borkum, Langeoog, Juist, Norderney, Spiekeroog und Baltrum.

Unzweifelhaft hat Juist früher mit Borkum zusammengehangen. Wahrscheinlich fand die Trennung durch die grosse Sturmflut um 1159 oder etwas später statt, wo die Inseln Juist, Buyse und Bant sich bildeten. Die beiden letzteren sind jetzt auch verschwunden, Buyse im 17. Jahrhundert, Bant etwas später und nur ihre Namen sind im Buyserdeep und Bantbalge erhalten. Dagegen hat sich zwischen Borkum und Juist wieder eine neue Insel gebildet, der Memmert, der bereits einige Dünen enthält und auf den neuesten Karten bereits als Insel angegeben wird. Juist selbst besteht aus zwei grösseren Teilen, Ost- und Westland. Das letztere wird Bill genannt und zerfällt in die grosse und kleine Bill, nach der Grösse der Dünen so genannt. Kein Teil der Insel ist dem Anprall der Wogen so ausgesetzt wie die Bill, so dass ihre Grösse beständig abnimmt, während die Osthälfte von Juist sich verlängert, eine Erscheinung, die wir bei allen west- und ostfriesischen Inseln bemerken, jedoch besonders hier bei Juist. Auf der Bill, deren südlichster Teil eingepoldert und von der Regierung an den Pächter Claassen verpachtet ist, befindet sich leichter Marschboden. Bill und Ostland sind durch eine weite Sandfläche, Hammrich genannt, getrennt, die zur Zeit der Ebbe passierbar ist. Die Fluten haben auch hier mächtig gewütet und alle Anstrengungen der Regierung, durch Helm-Anpflanzungen den endlichen Durchbruch zu verhindern, sind vergeblich. Schliesslich wird die Bill vollständig vom Ostlande getrennt werden, sodass wir dann als zu Juist gehörig, Memmert, Bill und das eigentliche Juist haben.

Wie bei allen andern friesischen Inseln, so läuft auch bei Juist die Ostspitze in eine grosse Sandfläche aus, die jährlich zunimmt an Ausdehnung; dicht mit Muscheln und Schneckengehäusen besät, ist sie von Norderney durch das Buyserdeep oder Seegat getrennt und bereits Norderney so nahe gerückt, dass man die Häuser von Norderney sehr gut erkennen kann. Die Sandfläche selbst wird Kalfamer genannt.

Es stehen auf dem Ostende etwa 50 Häuser, die von ca. 170 Insulanern bewohnt werden, zur Aufnahme der Fremden grösstenteils eingerichtet. Die Lage der Häuser hat sich im Laufe der Zeit geändert. Ursprünglich lag der Ort auf der Bill, wo auch eine grosse Kirche sich befand. Die im Jahre 1779 erbaute Kirche, in welcher lutherischer Gottesdienst gehalten wird, steht ziemlich in der Mitte des Ortes, neben derselben ist unter einer Bedachung die Glocke aufgehängt, welche die Insulaner nicht allein am Sonntage zum Gottesdienste, sondern auch zu Gemeindeversammlungen ruft.

Bis 1651 blieb der Ort auf der Bill, als die gewaltige Sturmflut (Petri-Flut) die Einwohner zwang, nach Osten hin weiter sich anzubauen, und zwar im Loog, wo noch heute einige Häuser stehen, die ebenfalls zur Aufnahme von Fremden eingerichtet sind, und auch benutzt werden, wenn der Zudrang von Fremden so stark ist, dass sogar das letzte Zimmer der weiter östlich gelegenen Häuser in Beschlag genommen wird. Die Einrichtung der Gebäude ist zum Teil in niederländischer Weise recht malerisch, indem sich in dem Wohnraume der grosse Kamin mit glasierten Fliesen und Geräten befindet, ferner sind zuweilen altertümliche Möbel und Gegenstände aus fernen Ländern daneben aufgestellt. Auch findet man hier noch die alte Einrichtung der Wandkojen beibehalten; doch sind für die Fremden besondere Schlafkammern mit Bettstellen vorhanden.

Die Insulaner, welche zum Teil auf grossen Kauffahrteischiffen oder in der Kriegsmarine dienen, besitzen z.Zt. 8 Segelschiffe: 2 Tjalks, 1 Ewer und. 5 Schaluppen. Von letzteren wird eine als Fährschiff und eine andere, dem Seehundsjäger Altmanns gehörig, zu Seehundsjagden benutzt. Schellfischfang und Transport von Schill (Muscheln, die zum Kalkbrennen auf dem Festlande benutzt worden), wird ebenfalls betrieben. Da der Boden, welcher in früheren Zeiten etwas ertragsfähig war, durch die Sturmfluten (die letzte grosse von 1825) mächtig versandet ist, so kann ausser in dem Polder auf der grossen Bill kein Ackerbau betrieben werden. In den sogenannten Gärten, die wegen des starken Windes tief liegen, werden Kartoffeln, Bohnen etc. gebaut. Besonders zeichnen sich durch Güte die Kartoffeln aus, welche viel nach dem Festlande verkauft werden. Die Insulaner erzielen für ihre Kartoffeln einen höheren Preis wie die Bewohner der Marschen und der Geest. Die Kartotfelkrankheit blieb diesem Eilande bislang fern.

Auf Juist sind zwei Normal-Boote der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger neuester Konstruktion, auf teilweiser Selbstentleerung und zum Segeln sowohl als Rudern eingerichtet, in geräumigen Schuppen stationiert.

Das Rettungsboot „Magdeburg“ steht auf der Bill des Westlandes und das Boot „Leer“ auf dem Ostland. Hier befindet sich auch eine Raketen-Station, doch ist dessen anderweitige Benutzung beim Vorstande in Bremen beantragt, da eine solche bei den dortigen flachen weit ausstreckenden Sanden und Platen keine Verwendung finden kann.

Die in Juist angelegte Station hat bereits günstige Erfolge erzielt; es wurden seit 1862 bis 1884
90 Schiff'brüchige gerettet.

Wer Ruhe und Stille vor dem Getümmel der Welt sucht, dem ist Juist zu empfehlen. Die meisten Besucher der Insel haben mit Befriedigung von dem dortigen Aufenthalte gesprochen und dies wiederholt in kleinen Aufsätzen in den verschiedensten Zeitungen dargelegt, sogar einzelne Spezialschriften sind erschienen. Dem Naturfreunde bietet die Insel so manches. Nicht allein das Meer wirft seine Tierschätze dem Forscher an den Strand, sondern auch die Flora gehört mit zu der reichsten der ostfriesischen Inseln. Besonders interessant an Pflanzen ist die Bill, sowohl die grosse wie die kleine; das Loog und auch der Wattstrand enthält manche seltsame Pflanze, die dem Binnenländer vollständig fremd erscheint. In der Broschüre von Gebhardt werden der Insel nur einige Lauche und Labkräuter und ein paar andere Pflanzen zugeschrieben. Es ist dies ein grosser Irrtum. Zahlreiche Dünentäler enthalten die schönsten Orchideen, Pirola u.s w. Das Tausendgüldenkraut, hier Aurin genannt, kommt in verschiedenen Arten, nicht in einzelnen Exemplaren, sondern massenhaft vor. Ausflüge nach dem Loog, nach der Bill werden von den Besuchern vielfach unternommen und gehören zu den angenehmsten Erinnerungen, die der Badegast mit von Juist in die Heimat nimmt.