Fortsetzung 2 - Nach diesem kurzen Überblick über den äußeren Entwicklungsgang und den Schauplatz der nordeuropäischen Seeschifffahrt im früheren Mittelalter wenden wir uns der technischen Seite derselben zu und betrachten zunächst die Schiffe. ...

Es stehen uns drei Arten von Quellen zu Gebote, um die Gestalt, Einrichtung und Bezeichnung der alten Schiffe zu erkennen. Die erste Quelle sind Funde von alten Schiffen selbst, die zweite bildliche Darstellungen jeder Art, die dritte literarische und urkundliche Nachrichten. Leider muß ich bemerken, daß unser Wissen von den Schiffen des früheren Mittelalters im ganzen recht dürftig ist. Nur von den skandinavischen Schiffen besitzen wir eine etwas eingehendere Kenntnis. Diese werde ich daher im folgenden hauptsächlich zu beschreiben suchen und werde daran einige Bemerkungen über die Schiffe der Angelsachsen, Franken und Friesen knüpfen.

Vorausschicken möchte ich jedoch einiges über zwei sehr altertümliche Arten von Schiffen, nämlich die Einbäume und die sogenannten Curachs oder Coracles, d. h. Schiffe aus Flechtwerk und Leder.


Der Einbaum war die älteste Schiffsform der Germanen und zu der Zeit, als die Römer mit ihnen in Berührung kamen, allgemein bei den Nordseegermanen in Brauch. Ein eigentliches Seefahrzeug ist der Einbaum aber seiner Form wegen nie gewesen — eine Erfindung wie der Auslieger, durch den die Alalayo-Polynesier ihre Einbäume seefähiger gemacht haben, war in Nordeuropa nicht bekannt, hätte wohl auch in der stürmischen Nordsee wenig genützt. Zu unserer Zeit war der Einbaum als Seeschiff’ jedenfalls schon eine veraltete Form und stand auf dem Aussterbeetat. Immerhin bediente man sich seiner noch mit Nutzen als Beiboot, sowie in Buchten und Flüssen, und die skandinavischen Waräger in Rußland fuhren mit Einbäumen auf den russischen Strömen, ja sogar nach Konstantinopel. Im übrigen bestehen auch unter den Einbäumen große Unterschiede hinsichtlich der Größe und der Feinheit der Bearbeitung.

Man braucht sich darunter durchaus nicht, wie Phantasiebilder sie häufig zeigen, elende Kähne vorzustellen, die kaum zwei Personen aufnehmen können. Man hat z. B. in England einen Einbaum von fast 15 Meter Länge gefunden, in dem 30 Personen gut Platz fanden, und ähnliche Funde sind nicht selten (Fig. 1).

Die andere altertümliche Schiffsform, das Coracle , ist eine britische Eigentümlichkeit und findet sich in Irland und Wales bis auf den heutigen Tag. Die neueren Fahrzeuge dieser Art, wie sie noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts z. B. in Nordirland gebräuchlich waren, stellten eigentlich nichts anderes dar als große Körbe aus Weidenruten mit einem hölzernen Kiel und Spantengerüst, von länglich runder Gestalt, etwa 6 bis 8 Fuß lang, 3 Fuß breit und 2 Fuß tief. Inwendig waren sie mit ungegerbten Rinderhäuten überzogen, von außen mit Teer überstrichen; zwei bis drei Personen fanden darin Platz.*) Die alten Coracles der Iren und Briten werden nicht wesentlich von dieser Form abgewichen sein, wenn sie auch zum Teil wohl größer waren. Sie wurden gerudert, führten aber oft auch einen Mast mit viereckigem Rahsegel; große Segelkünste konnten damit freilich nicht vollbracht werden, und es scheint, daß sie nur vor dem Wind, nicht aber mit Seitenwind segeln konnten. Die

*) Jetzt ist diese altertümliche Form in ganz Irland verschwunden; nur im Boyne-Fluß werden noch ähnliche Coracles, doch von fast kreisrunder Gestalt, zum Salmfang verwendet (Fig. 2). In Donegal, auf der Insel Aran und in Kerry sind sie durch verbesserte Formen ersetzt, welche eine mehr längliche, vorn zugespitzte Gestalt besitzen und meist mit geteertem Segeltuch oder Manchester Shirting-Calico überzogen sind. Auch wird bei einigen der Überzug nicht mehr durch Flechtwerk, sondern durch ein Gerüst von Holzlatten gestützt. Namentlich die Boote von Kerry und von der Insel Aran sind fest gebaut und zeigen fast elegante Formen (nach Mitteilung von Herrn R. Welch in Belfast).

Coracles waren bei den Iren anscheinend die gebräuchlichste Schiffsform; man könnte überhaupt bezweifeln, daß sie vollkommenere Fahrzeuge kannten. Die Auffindung zweier altertümlichen Plankenboote bei Glasgow scheint jedoch darauf hinzudeuten, daß die Iro-Scoten auch größere Plankenschiffe verwendeten, was man für ihre Handelsfahrten nach Südwestfrankreich ohnehin annehmen möchte. Die Iren benutzten aber die Coracles nicht etwa nur an der Küste, sondern führten ihre weitesten Fahrten damit aus, z. B. nach den Färöern und selbst nach Island. Uns erscheint dies heutzutage ganz unglaublich, aber es besteht kein Zweifel darüber. Uebrigens sollen die Iren auch jetzt noch eine staunenswerte Geschicklichkeit in der Handhabung dieser Fahrzeuge an den Tag legen.

Für die skandinavischen Schiffe stehen uns sowohl Funde wie Abbildungen und literarische Nachrichten zu Gebote. Zur Zeit der Völkerwanderung waren die Skandinavier bereits bedeutend über so primitive Schiffsformen, wie Einbaum und Coracle, fortgeschritten. Beweis dafür ist das Nydamer Boot (Fig. 3), ein 1863 im Nydamer Moor an der Ostküste Schleswigs gefundenes, wohlerhaltenes Fahrzeug aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. (jetzt im Schleswig-Holstein. Museum vaterl. Altertümer in Kiel). Es ist aus elf mächtigen Eichenplanken auf Klinker gebaut (d. h. jede Planke greift über die nächst untere nach Art von Schuppen oder Dachziegeln etwas hinweg), besitzt eine Länge von fast 24 Meter, eine Breite von 3 1/3 Meter in der Mitte und ist ausschließlich zum Rudern mit 28 Riemen eingerichtet. Von Mast und Segeleinrichtung ist keine Spur vorhanden: zum Segeln wäre das Boot auch wenig geeignet gewesen, da seine Länge mehr als das Siebenfache der Breite beträgt. Diese Tatsache stimmt mit der Nachricht des Tacitus von den Schiffen der Schweden (Suiones) überein, daß sie nur zum Rudern eingerichtet waren. Auch die bildliche Darstellung eines Schiffes auf dem Stein von Häggeby in Schweden (Fig. 4), die etwa aus derselben Zeit wie das Nydamer Boot stammt, zeigt nur Ruder, aber keine Segel, ebenso ein Boot auf dem Bildstein von Bro in Gotland (um 700). In den folgenden Jahrhunderten, jedenfalls noch vor 800, muß dann die Erfindung des Segels in Skandinavien gemacht oder eingeführt worden sein. Die Wikingerschiffe des 9. Jahrhunderts waren zum Rudern und Segeln eingerichtet. Das beweisen nicht nur geschichtliche Nachrichten, sondern vor allem die Funde von solchen Schiffen aus dem 9. und 10. Jahrhundert selbst, die in den letzten 40 Jahren in Norwegen (Tune, Gokstad, Oseberg), Schweden (Vendel und andere Orte) und Norddeutschland (Baumgart, Frauenburg, Charbrow) gemacht worden sind. Die schönsten Funde stammen aus Norwegen. Schon das 1867 bei Tune im südlichen Norwegen gefundene Boot zeigt eine aus schwerem Eichenholz konstruierte Mastspur, war also zum Segeln bestimmt.

Die beste Aufklärung gewährt das 1880 bei Gokstad (ebenfalls in Südnorwegen) gefundene, erstaunlich gut erhaltene Boot, das etwa der Zeit um 900 entstammen mag (Fig. 5). Das Fahrzeug, welches jetzt in der Universität zu Christiania aufgestellt ist, besitzt eine Länge von 20,10 Meter am Kiel und von 23,80 Meter zwischen den äußeren Rändern der Steven, mittschiffs eine Breite von 5,10 Meter, und ebenda eine Tiefe (von der Reling bis zur Oberfläche des Kiels gemessen) von 1,75 Meter; der Tiefgang beträgt bei normaler Belastung ungefähr 115 Zentimeter. Die Reling, mittschiffs etwa 92 Zentimeter über Wasser, verläuft zum größten Teil parallel mit der Wasserlinie, um vorn und hinten ziemlich plötzlich zu etwa 2 Meter Höhe an den Steven emporzusteigen. Diese Höhe ist für die Seefähigkeit des Schiffes von großem Vorteil. Bug und Heck sind völlig gleichgebaut, beide spitz zulaufend und ziemlich stark ausladend. Das Verhältnis der Länge zur Breite (etwa 4:1) gibt dem Schiff genügende Stabilität, um auch seitlichen Wind mit Vorteil und ohne Gefahr benutzen zu können. Anderseits mußten seine scharfen, eleganten Formen bewirken, daß das Schiff’ mit großer Leichtigkeit die Wogen durchschnitt. Mit voller Ausrüstung und etwa 40 Mann Besatzung hatte es eine Wasserverdrängung von etwa 30 Tonnen. — Der Bootskörper, bestehend aus Kiel, Vorder- und Achtersteven, Spanten, Querbalken und Planken, ist aus Eichenholz hergestellt und klinkergebaut, wie wohl bei allen Plankenschiffen des früheren Mittelalters im nördlichen Europa. Auf den Querbalken liegende lose Planken bilden einen Fußboden; ein festes Deck existierte nicht.

Durch die dritte Planke von oben sind beiderseits je 16 Löcher gebohrt, durch welche die Riemen gesteckt wurden. Die Riemen haben eine Länge von 5,30 bis 5,85 Meter und wurden von je einem Mann in sitzender Stellung gehandhabt. Die Ruderer saßen beiderseits auf niedrigen Querbänken oder Kisten, zwischen denen über die ganze Länge des Schiffes hin ein breiter Mittelgang freiblieb. Der einzige Schiffsmast ruhte etwas vor der Mitte des Schiffes in einer schweren Mastspur und ging außerdem in der Höhe der Querbalken durch einen dicken, fischschwanzartig zugehauenen Holzklotz, den sogenannten ,,Mastfisch“. Die Höhe des Mastes läßt sich nicht genau bestimmen, da nur der untere Teil erhalten ist; sie mag ungefähr 13 Meter betragen haben. Der Mast trug eine große Querrahe mit einem viereckigen Segel. Die Takelage war ziemlich einfach und bestand im wesentlichen aus mehreren Wanten (doch ohne Webeleinen) und einem Stag, das zum Vordersteven lief. Durch ein Loch im oberen Teile des Mastes lief ferner ein Fall zum Aufheißen der Rahe, die außerdem durch eine Tauschlinge, ein Rack, am Mäste befestigt war. Die Rahe wurde durch Brassen, die unteren Enden des Segels durch Schoten dirigiert; auch Halsen und Bulinen brachte man an, sobald man am Winde zu segeln lernte (s. unten). Ebensowenig fehlte es schließlich an den nötigen Vorrichtungen zum Verkleinern der Segelfläche durch Reefen und zum völligen Einziehen (Aufgeien) des Segels.

Das Steuerruder ist nicht, wie in neuerer Zeit gebräuchlich, am Achtersteven, sondern an der rechten Seite des Hecks angebracht; daher der Name Steuerbord für die rechte Seite des Schiffes. Es besteht aus einem ziemlich breiten Ruder, das mit Tauen und Bändern in etwas schräger Stellung so am Schiffsbord befestigt ist, daß es um seine Vertikalachse gedreht werden kann. Die Ruderpinne steht senkrecht zum Ruderblatt und liegt quer vor dem Steuermann.

Das Schiff hatte mindestens einen eisernen Anker von der heute gebräuchlichen Form. Das Ankertau war, wie fast alle Taue an Bord, aus Bast gefertigt; doch wissen wir, daß auch Taue aus Walroß- und Seehundshaut hergestellt wurden. Wenn man ankerte, so wurde nachts, nachdem der Mast niedergelassen, ein dachförmiges Zelt über die ganze Länge des Schiffes gespannt. 32 kreisrunde Schilde aus Lindenholz, abwechselnd schwarz und gelb bemalt, schmückten die Bordwände, solange man segelte oder vor Anker lag. Im Seekampf konnten sie da nicht bleiben, weil man im Kampfe stets ruderte und die Schilde in dieser Stellung die Ruderlöcher verdeckten (in Fig. 5 sind die Schilde in die Höhe geschoben, um die Auslage der Riemen zu zeigen). — Schließlich ist noch zu bemerken, daß sich keine Spur einer Feuerstelle im Schiffe befand. Wir wissen auch aus den geschichtlichen Nachrichten, daß auf den skandinavischen Schiffen des Mittelalters nicht Feuer angemacht werden konnte. Gekocht wurde nur an Land. — Bei dem Schiff fanden sich drei Boote. Mindestens eines führte jedes in See gehende Schiff mit sich, und zwar wurde das Boot entweder im Schlepptau nachgeführt oder, bei Handelsschiffen wenigstens, hinter dem Mast quer auf die Ladung gesetzt.

Alles in allem ist das Gokstader Schiff ein wohleingerichtetes, vortrefflich gebautes Fahrzeug, das den populären Vorstellungen von der Unkultur und technischen Unvollkommenheit des früheren Mittelalters wenig entspricht. Norwegische Sachverständige haben erklärt, daß ein solches Fahrzeug, namentlich was die Formen und Linien des Rumpfes betrifft, heutzutage auch nicht besser oder vollkommener ausgeführt werden könnte.

Unsere Kenntnisse von den nordischen Seeschiffen werden nun durch einige bildliche Darstellungen sowie durch literarische Nachrichten ergänzt. Unter den Bildern sind namentlich einige Bildsteine von der Insel Gotland zu ererwähnen, die wahrscheinlich aus dem l0. Jahrhundert stammen und ganz prächtige Segelschiffe von der Art des Gokstader Schiffes zeigen (Fig. 6 und 7), ferner die Tapete von Bayeux, ein Teppich, auf welchem die Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer dargestellt ist; die Tapete wurde wahrscheinlich kurz nach diesem Ereignis, noch vor Ablauf des 11. Jahrhunderts verfertigt. Auch die auf ihr dargestellten normannischen Schiffe zeigen eine unverkennbare Ähnlichkeit mit dem Gokstadschiff (Fig. 8).

Wir können daher gewiß den Bau und die Einrichtung des Gokstadschiffes als typisch für Skandinavien ansehen. Das Gokstadschiff ist jedoch ziemlich klein; es eignete sich wohl mehr für Fahrten längs der norwegischen Küste, innerhalb der Schären. Ob daher die eigentlichen Wikingerschiffe, die nach Frankreich, Britannien und Island fuhren, genau die gleiche Beschaffenheit hatten, darüber können Zweifel entstehen; daß sie ebenfalls Ruder-Segelschiffe waren, steht fest. Werftdirektor Tuxen in Kopenhagen hat jedoch die Ansicht ausgesprochen, daß sie größeren Tiefgang und eine kürzere, dafür vollere Form besaßen, etwa wie die späteren nordischen Handelsschiffe, von denen noch zu reden sein wird; er begründet dies u. a. damit, daß die Schiffe größere Ladungen von Vieh, Hausrat, Beute usw. aufnehmen mußten, als im Gokstadschiff möglich gewesen wäre. Tatsächlich haben die normannischen Heere bisweilen die Pferde ihrer gesamten Reiterei über den Kanal gebracht (Fig. 9). Ich glaube jedoch, daß die Wikingerschiffe, die im 9. Jahrhundert nach Frankreich und England fuhren, nicht wesentlich von der Form des Gokstadschiffes abgewichen sein werden. Einen bedeutend größeren Tiefgang anzunehmen, verbietet schon der Umstand, daß die Schiffe weit stromaufwärts fuhren, z. B. auf der Loire über Orleans hinaus, im Flußsystem der Seine bis Novon an der Oise, bis Sens an der Yonne und bis in den Loing. Nach Island und den Färöern hingegen müssen wohl Schiffe von etwas anderer Bauart gesegelt sein; das Gokstadschiff und selbst ein größeres Fahrzeug gleicher Form wären kaum geeignet gewesen, eine Ladung lebendes Vieh glücklich nach Island zu bringen — was doch tatsächlich vorgekommen ist.

Etwa seit dem Ende des 10. Jahrhunderts kennen wir genauer die verschiedenen Typen der skandinavischen Seeschiffe, und dadurch fällt auch auf die frühere Zeit etwas Licht in der Typenfrage. Man unterschied seitdem zwei Hauptarten: Langschiffe und Handelsschiffe. Die Langschiffe dienten hauptsächlich kriegerischen Zwecken. Sie waren vergrößerte Kopien des Gokstadschiffes. Man unterschied sie zunächst nach der Zahl der Ruderbänke auf einer Seite: ein Zwanzigsitzer, die gewöhnlichste Form, hatte also 20 Ruderbänke auf jeder Seite und 40 Riemen im ganzen; es gab aber auch Dreißigsitzer und selbst noch größere Schifife. Die Langschiffe von der Größe der Zwanzigsitzer und darüber hatten in der Regel ein festes Deck. — Neben dieser Einteilung kannte man spätestens seit dem 11. Jahrhundert noch andere Unterscheidungen: die größeren Langschiffe, von den Zwanzigsitzern aufwärts, nannte man bald Drachen, bald Skeide oder Bussen (vgl. unser ,,Heringsbüse“). Diese Bezeichnungen schwanken etwas, und es kommt vor, daß dasselbe Schiff bald Busse, bald Skeid oder Drache genannt wird. Die Namen bezeichneten also wohl keine scharf unterschiedenen Schiffstypen, sondern waren mehr oder weniger Geschmackssache, bezogen sich höchstens auf gewisse Unterschiede in den Linien des Schiffes, der Ausstattung und dergleichen. Drachen hießen vielleicht die besonders großen und schön ausgestatteten Schiffe, Skeide solche mit scharfen Linien, also Schnellruderer, Bussen solche mit etwas volleren Formen (so Tuxen; doch ist diese Erklärung anfechtbar). Alle drei Namen stammen wohl ursprünglich aus dem Griechischen und sind auf verschiedenen Wegen, teils durch Vermittlung des Altenglischen oder Irischen, teils des Romanischen, teils vielleicht auch des Altrussischen, nach dem Norden gelangt. Die gewöhnlich ausgesprochene Ansicht, daß die Drachenschiffe ihren Namen von den geschnitzten Drachenhäuptern an ihrem Vorsteven erhielten, ist für die ältere Zeit jedenfalls nicht richtig, da der Name ,,Dreki“ (Drache) vielmehr bereits in der Bedeutung „Schiff“ von den Skandinaviern übernommen zu sein scheint, und da auch andere Schiffe, sogar Handelsschiffe (Knorren), solche geschnitzten Tierhäupter trugen. Später freilich scheint man der Figur am Vordersteven, die ursprünglich eine reine Verzierung war, eine mystische Bedeutung beigelegt und diese dann auf das ganze Schiff übertragen zu haben: so verglich König Olaf Tryggvason von Norwegen (999) das Segel seines Langschiffes ,,Ormr“ (Wurm), welches ein solches Drachenhaupt führte, mit den Flügeln des Drachen.

Kleinere Langschiffe von mindestens 13 bis zu 20 Ruderbänken hießen Snekken und Skuten (unser „Schute“), später auch Jachten; alle drei Namen sind germanischen Ursprungs. Bei diesen Schiffen wurde besonders auf Schnelligkeit gesehen; das Gokstadschiff, ein Sechzehnsitzer, wäre später etwa als ,,Skuta’’ bezeichnet worden. Karfen waren ebenfalls kleinere, und zwar nur zum Rudern eingerichtete Schiffe, die keinen kriegerischen Zwecken, sondern nur friedlichen Reisen an der Küste dienten. Mit dem Namen Asken, d. h. Eschen, wurden die Wikingerschiffe seit dem Ende des 9. Jahrhunderts in Deutschland und England öfter bezeichnet; wahrscheinlich nannten die Normannen ihre Schiffe nicht selbst so, sondern die Sachsen in Deutschland und England bezeichneten mit diesem einheimischen Worte die Fahrzeuge ihrer Feinde.

Im Gegensatz zu allen diesen Langschiffen der Skandinavier standen die Handelsschiffe. Die größeren Handelsschiffe scheinen den Namen Knorr (Mehrzahl Knerrir), die kleineren den Namen Byrding geführt zu haben; dies sind jedenfalls die alteinheimischen Bezeichnungen. Über ihre Form sind wir nur mangelhaft unterrichtet. Es scheint jedoch, daß sie gegenüber dem Gokstadschiff und den Langschiffen kürzer, dafür tiefergehend und vollbauchiger waren und höheren Freibord besaßen. Ihre sonstigen Einrichtungen ähnelten wohl denen der Langschiffe. Das einzige Segel war das Haupttriebmittel, doch führten viele Handelsschiffe anscheinend auch Riemen. Der mittlere Raum, um den Mast, war ohne Verdeck und diente als Laderaum. Es war daher nur auf dem vorderen und hinteren Halbdeck möglich zu rudern. Wäre es sicher bezeugt, daß die Knorren durchgängig auch gerudert werden konnten, so würde meines Erachtens daraus hervorgehen, daß sie, wenn auch höher als die gewöhnlichen Langschiffe, doch keine eigentlichen Hochbordschiffe waren. Es läßt sich nicht bestimmt sagen, wann die Schiffsgattung der Knorren aufkam. Daß sie aber bereits im 9. Jahrhundert existierten, wird dadurch bewiesen, daß nach einem Lied des Skalden Thorbjorn Hornklofi, eines Zeitgenossen der Schlacht im Hafrsfjord 872, Knorren schon in dieser Schlacht kämpften. Ferner hören wir ausdrücklich, daß Knorren als besonders zur Fahrt nach den Färöern und Island geeignet galten, wohin man sich mit Langschiffen nicht getrauen durfte. Vielleicht haben gerade die Fahrten nach Island, die ersten Fahrten der Skandinavier über den weiten, offenen Ozean, dazu beigetragen, diese Schiffsart auszubilden. Mehrere Örtlichkeiten an der isländischen Küste sind nach dem Knorr benannt, so Knarrarnes, Knarrarsund. Auf einem Knorr konnten im Durchschnitt wohl 40 Mann, bisweilen auch 50 bis 60 Mann untergebracht werden; die Zahl der Besatzung hing natürlich ganz vom Zweck der Reise ab. Den Raumgehalt eines solchen Islandfahrers schätzt Tuxen auf 40 Registertons, was etwa dem der kleinsten Segelschiffe entspricht, die jetzt zwischen Dänemark und Island verkehren.

Bei den Schiffen der nichtskandinavischen Völker kann ich mich kurz fassen. Die der Ostseevölker, welche ja erst spät eine Rolle zu spielen begannen, waren wohl nichts als Kopien der skandinavischen. Was die der Sachsen, Friesen, Franken und Engländer betrifft, so sind unsere Kenntnisse davon bisher sehr gering. An Funden ist außer spärlichen Resten nichts zutage getreten. An Abbildungen kommen einige Schiffsbilder auf der Bayeux-Tapete, also aus dem 11. Jahrhundert, in Betracht, erst vom 13. Jahrhundert an auch Siegelbilder. Handschriften-Miniaturen dürfen nur mit großer Vorsicht benutzt werden und werden am besten überhaupt nicht herangezogen, bevor nicht eine systematische Durchsicht und Vergleichung vorgenommen worden ist. Auch die schriftlichen Quellen sind bisher noch nicht genügend für die Schiffskunde der hier behandelten Zeit durchsucht worden.

Von den Schiffen der alten Sachsen zur Zeit der Eroberung Englands und später ist wenig Sicheres bekannt. Man hat das Nydamer Boot aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. gelegentlich als altsächsisches Fahrzeug angesehen, doch war es wohl eher skandinavischen (nordgermanischen ) Ursprungs. Daß aber die Boote der Angeln und Sachsen dem Nydamer Boot nicht unähnlich waren, ist wahrscheinlich. Bei Snape in Suffolk fand man 1862 die Reste, d. h. eigentlich nur die eisernen Nägel eines Bootes aus angelsächsischer Zeit (wie beigegebene Urnen beweisen); die Nägel hatten, obwohl das Holz vermodert war, ihre Lage fast unverändert beibehalten, so daß sich die ungefähre Form des Bootes noch feststellen ließ: es war etwa 14 3/4 Meter lang, mittschiffs 3 Meter breit und 125 Zentimeter tief. Aus dem Verhältnis der Länge zur Breite (5:1) scheint hervorzugehen, daß es mehr zum Rudern als zum Segeln (dies jedenfalls nur vor dem Wind) geeignet war. Das Heck war nicht, wie beim Nydamer Boot, dem Buge gleich spitz zulaufend, sondern abgerundet (Fig. 10). Die Fahrzeuge der englischen Sachsen hießen ,,Kiele“ (Ciulae). Die Angaben über Größe und Besatzungszahl der Ciulae sind fabelhaft; die Fahrzeuge waren zum Rudern und (spätestens seit dem 7. Jahrhundert) auch zum Segeln eingerichtet. Ich möchte annehmen, daß sie ungefähr dem Boote von Snape glichen. In der Wikingerzeit war das englische Seewesen sehr verfallen. Erst König Aelfred gab ihm einen neuen Aufschwung: er erbaute eine Art von Langschiffen oder Galeeren, die weder den dänischen Wikingerschiffen noch den friesischen Schiffen glichen. Sie waren doppelt so lang als die damals gebräuchlichen Wikingerschiffe, höher und stabiler, und führten 60 Riemen oder mehr, waren also nach nordischer Ausdrucksweise Dreißigsitzer. Man könnte vielleicht in den 1875 in der Nähe von Southampton entdeckten Resten eines alten Schiffes, welches die außerordentliche Länge von fast 40 Metern hatte, die Überbleibsel eines solchen Aelfredschen Langschiffes erkennen; doch sind die darüber bekannt gewordenen Angaben zu unbestimmt. Aus dem 10. Jahrhundert kennen wir eine Reihe altenglischer Namen für Schiffstypen; die wichtigsten, welche größere Seeschiffe bezeichnen, sind folgende: der schon erwähnte Name „Aesc“ (wird mit dem griech.-lat. ,,Dromo“ übersetzt, also nach damaligem Sprachgebrauch ein schweres Ruder-Kriegsschiff), dann der jedenfalls von den Dänen übernommene ,,Scegd“ (altnord. Skeid, lat. ,,Trieris“, also ebenfalls ein Ruder-Langschiff), endlich ,,Hulc“ (wahrscheinlich ein größeres Frachtschiff; das lat. ,,Liburna“, womit es übersetzt wird, hatte damals wohl nur die allgemeine Bedeutung ,,Schiff“, nicht mehr die spezielle „Schnellsegler“). Über die genauere Gestalt und die Unterschiede dieser Schiffstypen sind wir jedoch im unklaren. Auf der Bayeux-Tapete sind fünfmal Schiffe des englischen Königs Harald († 1066 bei Hastings) abgebildet (Fig. 11). Sie gleichen im allgemeinen den normannischen, zeigen aber im vorderen und hinteren Teil eine Erhöhung der Bordwände, etwa nach Art der späteren Back und Schanze. In diesen erhöhten Teilen sind Ruderlöcher angedeutet, was auf eine gewisse Verwandtschaft mit den skandinavischen Handelsschiffen hinweist (vgl. das oben über die ,,Knorren“ Gesagte). Ob einer der eben genannten altenglischen Schiffsnamen, und welcher, auf diese Schiffe zu beziehen ist, bleibt einstweilen eine unentschiedene Frage.

Noch weniger wissen wir von den fränkischen und friesischen Schiffen. Wie z. B. die Schiffe, welche Karl der Große 810 gegen die Normannen erbauen ließ, aussahen, darüber ist schlechterdings gar nichts bekannt. Ein im Westfrankreich frühzeitig öfter vorkommender Name ist „Barca“, und zwar nannten die Westfranken so ihre großen Schiffe. Schon Adamnan erzählt, daß der hl. Columba von Jona Ende des 6. Jahrhunderts eine gallische ,,Barke“ bei Cantyre in Schottland traf. Daß die Schiffe der Franken zur Karolingerzeit Mast und Segel führten, kann nicht bezweifelt werden. Ob auch schon gedeckte Schiffe vorhanden waren, ist unsicher. Wir hören allerdings, daß der hl. Anskar 826 in einem ihm vom Kölner Erzbischof geschenkten Schiffe mit zwei Kajüten nach Dänemark fuhr; aber darunter sind wohl eher hüttenartige Aufbauten, die in dem sonst offenen Schiffe, wahrscheinlich vorn und achtern, errichtet waren, als richtige Unterdeckskajüten zu verstehen.

Von den friesischen Schiffen wissen wir zunächst aus der oben erwähnten Nachricht über die Langschiffe König Aelfreds, daß sie von den skandinavischen verschieden waren, also offenbar nicht zu dem niedrigen, langen Galeerentypus, wie z. B. das Gokstadschiff, gehörten. Ferner aber haben es neuere Untersuchungen höchst wahrscheinlich gemacht, daß schon in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts bei den Friesen in der Gegend der Zuidersee die Schiffsart der „Koggen“ aufkam. Die „Kogge“ war eines der bekanntesten Schiffe des späteren Mittelalters und wurde besonders von den Seefahrern der Hanse und den Niederländern gebraucht. Die Herkunft des Namens ,,Kogge“ steht noch nicht fest; gewöhnlich wird er vom griechischen „Muschel“, abgeleitet, würde also ,,muschelförmiges Schiff’’ bedeuten. Aber diese Etymologie ist wohl sicher zu verwerfen, da wir von einer griechischen Schiffsart dieses Namens im Mittelmeer nicht die geringste Kenntnis haben, vielmehr bestimmt wissen, daß die Koggen erst im 14. Jahrhundert von Westeuropa her im Mittelmeer Eingang fanden. Wahrscheinlich ist der Name vielmehr, wie die Schiffsart selbst, friesischen Ursprungs. Im späteren Mittelalter waren die Koggen breite und verhältnismäßig tiefgehende, vorn und hinten abgerundete, hochbordige und vollgedeckte Segelschiffe (Fig. 12). Daß die Koggen des 9. und 10. Jahrhunderts bereits dieselben Grundeigenschaften besaßen, können wir nicht mit voller Sicherheit behaupten, es ist aber natürlich das Wahrscheinlichste, wenn auch, gewisse Einzelheiten, z. B. das hohe Vorder- und Hinterkastell, erst später hinzugekommen sein mögen. Diese Schiffsart stand also im entschiedensten Gegensatze zu den langen, niedrigen, oft nur teilweise gedeckten, skandinavischen Ruder-Segelschiffen und wies auch noch bedeutende Unterschiede auf gegen die vermutete, sich dem Typus der Rundschiffe etwas annähernde Form der skandinavischen Handelsschiffe (Knorren). Die Friesen können daher aller Wahrscheinlichkeit nach den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, das hochbordige, ausschließliche Segelschiff in die nordeuropäische Seeschiffahrt eingeführt zu haben, von dem das ausgebildete Segelschiff der neueren Zeit direkt herzuleiten ist.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nordische Seefahrten im früheren Mittelalter.
Fig. 1. Einbaum, 1886 gefunden zu Brigg, Lincolnshire. (Nach Boehmer, Prehistoric narval architecture.)

Fig. 1. Einbaum, 1886 gefunden zu Brigg, Lincolnshire. (Nach Boehmer, Prehistoric narval architecture.)

Fig. 2. Coracle auf dem Boyne-Fluß, Irland. (Photographie von R. Welch, Belfast.)

Fig. 2. Coracle auf dem Boyne-Fluß, Irland. (Photographie von R. Welch, Belfast.)

Fig. 3. Boot von Nydam. (Nach Engelhardt, Nydam mosefund.)

Fig. 3. Boot von Nydam. (Nach Engelhardt, Nydam mosefund.)

Fig. 4. Bildstein von Häggeby. (Original in Statens Historiska Museum, Stockholm.)

Fig. 4. Bildstein von Häggeby. (Original in Statens Historiska Museum, Stockholm.)

Fig. 5. Schiff von Gokstad. (Modell im Museum für Meereskunde.)

Fig. 5. Schiff von Gokstad. (Modell im Museum für Meereskunde.)

Fig. 6. Bildstein von Högbro. (Nach F. Nordin, Till fragan om de gottlandska bildstenarnas utvecklingsformer.)

Fig. 6. Bildstein von Högbro. (Nach F. Nordin, Till fragan om de gottlandska bildstenarnas utvecklingsformer.)

Fig. 7. Bildstein von Stenkyrka. (Nach F. Nordin, Photographie von R. Cederström.)

Fig. 7. Bildstein von Stenkyrka. (Nach F. Nordin, Photographie von R. Cederström.)

Fig. 8. Schiff Wilhelms des Eroberers ,,Mora“‘ auf der Tapete von Bayeux. (Nach Jubinal.)

Fig. 8. Schiff Wilhelms des Eroberers ,,Mora“‘ auf der Tapete von Bayeux. (Nach Jubinal.)

Fig. 9. Normannisches Schiff mit Pferden auf der Tapete von Bayeux. (Nach Jubinal.)

Fig. 9. Normannisches Schiff mit Pferden auf der Tapete von Bayeux. (Nach Jubinal.)

Fig. 10. Reste des Bootes von Snape. (Nach Boehmer, Prehistoric naval architecture.)

Fig. 10. Reste des Bootes von Snape. (Nach Boehmer, Prehistoric naval architecture.)

Fig. 11. Schiff König Haralds auf der Tapete von Bayeux. (Nach Jubinal.)

Fig. 11. Schiff König Haralds auf der Tapete von Bayeux. (Nach Jubinal.)

Fig. 12. Hansische Kogge des 15. Jahrhunderts. (Modell im Museum für Meereskunde, Rekonstruktion von L. Arenhold.)

Fig. 12. Hansische Kogge des 15. Jahrhunderts. (Modell im Museum für Meereskunde, Rekonstruktion von L. Arenhold.)

alle Kapitel sehen