Das Schiffsmaterial der heutigen Kriegsflotten (Benennung und Klassifikation).

Bekanntlich enthalten unsere Kriegsflotten heutzutage hauptsächlich vier Elemente: erstens eine Anzahl von Segelschiffen, welche sich noch aus den Zeiten erhalten haben, wo die Kriegsschiffe ausschließlich von Holz gebaute Segelschiffe waren und die gegenwärtig teilweise noch als Übungsschiffe benutzt werden; sodann eine Anzahl hölzerner Raddampfer, welche ebenfalls für den wirklichen Kriegsgebrauch fast ganz veraltet sind; ferner als das Gros unserer Flotten die Schraubendampfer; und zwar Holzschiffe für das Gefecht bestimmt, oder aber Transportschiffe von Holz oder Eisen. Als vierte Klasse endlich kommen dazu die von Holz oder Eisen gebauten Panzerschiffe, Konstruktionen neuester Erfindung. Während für große Seeschlachten diese vierte Abteilung, die Klasse der Panzerschiffe, eine sehr hohe Bedeutung beansprucht, besteht doch der Hauptteil unserer Flotten, der Zahl nach und was den überseeischen Dienst anlangt auch der Wichtigkeit nach, aus den Schiffen der dritten Kategorie. Diese letzteren, die hölzernen Schraubenschiffe, sind stets zugleich Segelschiffe mit vollständiger Takelage, nur unter Wasser noch mit einer Schraube, wie innen mit der Maschine versehen und von etwas längerem Bau des Rumpfes: sonst aber sind sie den Schiffen der ersten Klasse, den Segelschiffen der Kriegsmarine, gänzlich gleich und sie haben deshalb auch dieselbe Klassifikation und Benennung der einzelnen Arten, wie diese und wie die Schiffe der Handelsmarine, welche ja auch bei weitem zum größten Teil Segelschiffe sind; selbst auf die Panzerschiffe hat sich dieselbe Klassifikation zum großen Teil ausgedehnt. Man kann deshalb wohl sagen, dass die Benennung fast aller einzelnen Arten unserer heutigen Kriegsschiffe noch aus den Zeiten stammt, wo die Kriegsschiffe ausschließlich Segelschiffe waren: wir haben im Grunde trotz aller Veränderungen der Technik noch dieselben Namen, wie sie im Anfang dieses Jahrhunderts, in den Flotten von Abukir, von Trafalgar, von Navarin gebräuchlich waren.

Beim Segelschiffe beruht die ganze Manövrierfähigkeit (auch die Steuerfähigkeit) und damit seine Tauglichkeit für den Seekrieg auf der Takelage, d. h. seiner Bemastung mit den verschiedenen Raaen und Segeln, die sie trägt, und da außerdem die Form der Takelage das Augenfälligste und äußerlich am besten Unterscheidende für die verschiedenen Schiffe ist, so lag es nahe, dass man die verschiedenen Klassen der Kriegsschiffe nach der Verschiedenheit ihrer Takelage bestimmte, ebenso wie dies mit den Schiffen der Handelsmarine heute noch der Fall ist. (Aus diesem Grunde entsprechen auch Klassifikation und Benennung der Handelsschiffe derjenigen der Kriegsschiffe von etwa gleicher Größe.) Das Prinzip, welches für die Takelung der Schiffe aller, auch der verschiedensten Klassen gleiche Geltung hat, beruht nun darin, dass man über der Mitte des Schiffs Raasegel anbringt, d. h. viereckige Segel, welche in normaler Lage querschiffs, parallel einem senkrechten Querschnitt des Schiffes, stehen und die besonders geeignet sind, das Schiff vor dem Winde (d. h. wenn dieser von hinten her weht) mit größtmöglicher Kraft vorwärts zu schieben. Am vorderen und am hinteren Ende des Schiffs aber sind stets Schratsegel angebracht, d. h. Segel, welche in normaler Lage längsschiffs, parallel einem senkrechten Längendurchschnitt des Schiffs stehen und bei Seitenwind vorzüglich geeignet sind, das Schiff zu drehen und zu wenden: es sind dies vorn am Bugspriet die Klüver oder Vorstagsegel, dreieckige, mit ihrer Vorderseite an den Stagen, an starken Tauen, welche den Mast nach vorn halten, befestigte Segel; und hinten ist es ein Gaffelsegel, ein am hintersten Mast befestigtes Segel von trapezoidischer Form. Will man das Schiff nach der Seite hindrehen, woher der Seitenwind kommt, so wird das hintere Gaffelsegel gesetzt und die Klüver vorn werden weggenommen; will man nach der andern Seite hin wenden, so wird das Gaffelsegel weggenommen, und die Klüver gesetzt: in beiden Fällen dreht dann der Wind das Schiff ganz von selbst nach der gewünschten Richtung. Übrigens lassen sich alle diese Segel auch so stellen, dass sie das Schiff mit vorwärts treiben helfen. Je nachdem nun das eben erklärte Prinzip der Takelung sich bei Schiffenkmit einem, mit zwei oder mit drei Masten durchgeführt findet, entstehen die verschiedenen ‘ Schiffsklassen.


Ein Fahrzeug mit einem Mast, an welchem sich ein Raasegel oder mehrere solche über einander befinden, das aber zugleich am Mast hinten noch ein Gaffelsegel und vorn mehrere Klüver führt, heißt ein Kutter (in gewissen Gegenden als Handelsfahrzeug auch Yacht oder Schlupe.) Die „Schlupen“ dieser Art (nicht zu verwechseln mit den kleinen Schlupen oder Schaluppen, welche als Boote größerer Schiffe dienen) sind in unseren nordischen Meeren die kleinsten Fahrzeuge der Handelsmarine, wenn man von den Fischerbooten absieht, während in der Mittellandsee die „Tartanen“, Fahrzeuge mit einem großen dreieckigen lateinischen Segel, ihre Stelle einnehmen. Die Kutter aber, d. h. besonders scharf gebaute*), also zum Schnellsegeln eingerichtete Fahrzeuge der beschriebenen Takelage, sind eigentlich Kriegsfahrzeuge und waren als solche gegen Ende des vorigen und im Anfang dieses Jahrhunderts mit einer Ausrüstung von 4, 6 oder 8 leichten Kanonen auf dem Oberdeck ungemein beliebt, während sie heutzutage bei der Kriegsmarine durch die kleineren Avisodampfer ersetzt sind, und sich nur noch als Zoll- oder Lotsenwachtschiffe (Zollkutter oder Lotsenkutter) oder aber als Lustyachts erhalten haben, deren Wettfahrten in England keine geringere Bedeutung haben als die berühmten Pferderennen. Übrigens sind diese eigentlichen Kutter, Schiffe mit Kuttertakelage, nicht mit den gleichnamigen Booten größerer Kriegsschiffe zu verwechseln, welche jetzt meistens gar keine Kutterbemastung haben.

Die nächstgrößere Klasse von Schiffen bilden diejenigen, welche zwei Masten führen: hat bei denselben bloß der vordere Mast Raasegel, der hintere dagegen bloß das Gaffelsegel (oder auch zwei solche über einander, während am Bugspriet sich natürlich die Klüver befinden), so heißt das Schiff beiden nordischen Seevölkern ein Schooner**) und bei den romanischen Seevölkern eine Goëlette; hat aber das Schiff außer den eben angegebenen Segeln am Hintermast noch Raaen, so dass also jeder der beiden Masten mehrere (drei bis vier, oder auch fünf) Raasegel über einander führt, so heißt es in den nordischen Seesprachen eine Brigg, in den romanischen eine Brigantine***). (Von kleinen Variationen der Takelage und der Nomenklatur dürfen wir hier absehen.) Die Schooner, meist mit einer Tragfähigkeit von etwa 150 bis 300 Tons (zu 20 Zentner), und namentlich die Briggs, gewöhnlich von etwa 250—500 Tons Lastigkeit, bilden der Zahl nach den größten Bestandteil unserer Handelsmarine; sie sind schon Hochseeschiffe, Schiffe, welche die Fahrten nach den entferntesten Gewässern machen. Als Kriegsschiffe dagegen finden sich jetzt beide Klassen wenig mehr benutzt, während sie im Anfang dieses Jahrhunderts die gewöhnlichsten Kriegsschiffe niederen Ranges waren, und dann die Schooner gewöhnlich mit 3—8, die Briggs mit 8-18 Kanonen. Doch werden Segelbriggs noch heutzutage in manchen Flotten, so namentlich in der englischen, der französischen und unserer norddeutschen Marine, als Übungsschiffe zur Ausbildung der jungen Mannschaft im Manövrieren mit der Takelage benutzt, und die kleineren Avisodampfer sind namentlich in der französischen Marine fast durchgängig als Schooner oder als Briggs getakelt.

*) Sie sind offenbar deshalb englisch cutter vom Durchschneiden des Wassers genannt, wie auch die vorderste Schärfe jedes Schiffs, das Scheg, im Englischen cut-water, französisch taille-mer heißt: der französische Name côtre ist anscheinend eine Umbildung des Englischen. Dagegen ist Yacht häufig auch bloß die Benennung eines Lustfahrzeugs, ohne Rücksicht auf die Takelage, so oft bei den Engländern und beispielsweise auch bei unserer „Grille“, welche drei niedrige Masten mit je einer Gaffel führt.

**) Der Name Schooner (in manchen Seestädten Schoner, in anderen Schuner gesprochen) ist nach unserer Ansicht deutsch und daher zu erklären, dass wohl ursprünglich die von den deutschen Küsten nach der schwedischen Landschaft Schonen fahrenden Schiffe hiernach benannt wurden, wie jetzt die Grönlandfahrer und Ostindienfahrer auch nach ihrem gewöhnlichen Ziele benannt sind. Auch heißen diese Schiffe nur dann Schooner, wenn der hintere Mast größer ist als der vordere: ist er kleiner, so wird das Fahrzeug Galeasse oder Galiote genannt, je nachdem der Rumpf hinten rund oder platt gestaltet ist.

*) Der Name Brigantine scheint uns mittelländischen Ursprungs zu sein und Seeräuberschiff (brigante) zu bedeuten, da vermutlich diese Takelage bei den Seeräubern besonders beliebt war; die germanischen Sprachen haben ihn dann abgekürzt, wie es oft vorkommt.


Seeschiffe größter Art sind endlich diejenigen, welche drei Masten führen. Hat bei einem Schiff dieser Art bloß der vorderste Mast Raasegel, die beiden hinteren Masten dagegen Gaffelsegel, während vorn natürlich die Klüver nicht fehlen, so heißt das Fahrzeug ein Dreimastschooner (Schoonerbark); haben der vorderste und der mittlere Mast Raasegel und der hintere bloß ein Gaffelsegel, wobei natürlich vorn auch die Klüver vorhanden sind, so heißt das Schiff eine Bark (englisch barque, französisch troismâts-barque); führt endlich auch der hinterste Mast außer seinem Gaffelsegel noch Raasegel, so dass also neben den Klüvern und dem hinteren Gaffelsegel alle drei Masten je vier bis fünf Raasegel führen, so heißt das Schiff ein Vollschiff (englisch einfach ship, seltner fullrigged ship, d. h. voll getakeltes Schiff, französisch troismâts carré) und bei sehr scharfem, für schnelle Fahrten besonders berechnetem Bau des Rumpfes ein Klipper (englisch clipper oder clipper-ship, französisch auch clipper; über diesen Namen in der Russischen Kriegsmarine vgl. den zweitfolgenden Absatz).

Von den genannten drei Hauptarten der dreimastigen Schiffe (der Ausdruck „Dreimaster“ wird von Seeleuten kaum gebraucht) sind die Dreimastschooner die seltensten; in der Handelsmarine sind sie als Segelschiffe etwa von gleichem Tonnengehalt wie die Briggs, nur bei einigen englischen und auch bei hamburgischen Reedern für den Handel mit Südamerika und mit China beliebt; sehr häufig dagegen ist diese Takelage bei den Dampfern der Handelsmarine und ebenso in den Kriegsflotten nicht selten für Avisos, für die neuen Schraubenkanonenboote größerer Art und auch für manche Panzerschiffe, namentlich die zuerst gebauten in Frankreich und Italien.

Weit häufiger sind in der Handelsmarine die Barks und die Vollschiffe, welche das Gros der großen Schiffe für weite Fahrten, der Ostindienfahrer, Grönlandfahrer u. s. w. ausmachen, und zwar die Barks meist mit einer Tragfähigkeit von 500—800 Tonnen, die Vollschiffe (in manchen Seestädten auch Fregattschiffe genannt), gewöhnlich mit einer Lastigkeit von 600—-1.000 Tonnen, während die größten englischen Klipper sogar bis zu 1.200, 1.500, 1.800 Tons und noch darüber aufsteigen. Früher waren die Vollschiffe, wenigstens im deutschen Handel, vorzugsweise beliebt: seit einigen Jahren aber haben sie den Barks (die selbstverständlich von den Barken Italiens, kleinen Booten, durchaus verschieden sind) gegenüber bedeutend an Terrain verloren, schon weil die Barks weniger Bedienung erfordern, so dass z. B. im Anfang 1864 (wir nehmen absichtlich den Zeitpunkt vor den Kriegen der letzten Jahre, welche Preußen berührten) unter 946 preußischen Segelschiffen 359 Barks und nur 42 Vollschiffe waren. Auch die großen Dampfer der bedeutenderen Linien, z. B. die der Hamburg-Amerikanischen Packetschifffahrts-Aktiengesellschaft oder die der großen englisch-indischen Linie (Peninsular und Oriental Steam Navigation Company, gewöhnlich kurz P. und O. Company genannt) sind neuerdings meist als Barks getakelt. In der Kriegsmarine ist allerdings die Barktakelage viel spärlicher vertreten als die Vollschifftakelage, und zwar sind es unter den Holzschiffen fast ausschließlich die amerikanischen und englischen Sloops (mit etwa 8—18 Geschützen auf ihrem Oberdeck), welche als Barks, als Dreimaster ohne Raasegel am hintersten Mast getakelt sind und hierdurch sich von allen anderen Kriegsschiffen unterscheiden; ebenso sind die „Klipper“ der Russischen Kriegsmarine in Wahrheit solche Schraubensloops. Von den Panzerschiffen aber führen namentlich die französischen und die italienischen, sowie einige englische und gewisser Maßen auch die österreichischen die in Rede stehende Barktakelage. Die Vollschifftakelage dagegen mit drei Masten und Raasegeln an allen drei Masten ist in der Kriegsmarine am allerhäufigsten vertreten: sie ist ausschließlich die Takelage für alle einigermaßen größeren Kriegsschiffe, für alle Schiffe, die mehr als etwa zwanzig Kanonen führen, mögen dieselben nun die enorme Größe des 131-Kanonenschiffs oder die bescheidenen Verhältnisse der Glattdeck-Korvette von 14 Geschützen haben; bei allen diesen Kriegsschiffen ist die Takelage in allen Einzelheiten genau dieselbe, einzig abgesehen von den Dimensionen der einzelnen Teile, die bei den kleineren Schiffen natürlich geringer sind als bei den größeren.

Mehr als drei Masten, eine umfänglichere als die Vollschifftakelage, führt kein Schiff, von einzelnen ganz seltenen, besonderen Ausnahmen abgesehen, wie einigen viermastigen Klippern der amerikanischen Kauffahrteiflotte, einzelnen italienischen Passagierdampfern, sodann der ursprünglich viermastigen englischen Panzerfregatte „Achilles“, den fünfmastigen englischen Panzerschiffen größter Klasse „Minotaur“, „Agincourt“ und „Northumberland“, und endlich dem sechsmastigen weltberühmten englischen Riesenpassagierdampfer „Great Eastern“.