Die Eroberung des Ostens

Neben der Eigenart des Landes- und Volks-Charakters muss die besondere Geschichte des Nordens in Kürze betrachtet werden, wenn man die bauliche Eigenart des Gebietes aus ihren Vorbedingungen heraus verstehen will.

Vor der Völkerwanderung ist Norddeutschland so gut wie rein germanisch bewohnt: Franken am Niederrhein, Friesen am Nordseestrand, Sachsen am Lauf, Langobarden an der Mündung der Elbe an der Ostsee Goten und Nordgermanen. Nach der Wanderung aber ist eine Grenze gezogen, die vorher nicht da war: Das Land westlich der Elbe ist deutsch, die ganze Küste entlang bis tief nach Frankreich hinein. Das Land östlich der Elbe aber ist slawisch, und von da ab währt, mit Unterbrechungen, bis heute die Arbeit, den alten Boden für das Deutschtum zurückzugewinnen.


Bis zur Eider und bis zur Elbe herrschte nnd behauptete sich Karl der Große. Seine bedeutende, mit wüster Grausamkeit durchgeführte Kulturarbeit im Sachsenlande ist bekannt. Die Bistümer Hamburg und Hildesheim, die Christentum und Kultur verbreiteten, stiftete Ludwig der Fromme. Heinrich I., der Städtebegründer, hat dem Reich mit Klugheit und Klarheit planmäßige Verwaltung gegeben und manche gute Entwicklung angebahnt. Im slawischen Wendenlande drangen seine Markgrafen vor bis zur Oder; die geraubte Mark Schleswig hat er zurückgewonnen, Brandenburg erobert.

An gleichen Aufgaben wirkten sein Sohn Otto der Große und dessen Markgrafen. Aber der Idealist Otto III. gewann nichts hinzu, eher verschuldete er Verluste. Ungestraft konnten unter seiner Herrschaft Slawen Hamburg und Brandenburg zerstören, Normannen die Küsten verwüsten, Friesen vom Reich abfallen. Bewundernd stieg er in die Gruft Karls des Großen, aber dessen praktische Arbeit nahm er nicht auf. Er stiftete in seiner Schwärmerei mitten in Polen das reiche Erzbistum Gnesen, das zum Mittelpunkt der später so deutschfeindlichen Kirche wurde.

Erst wieder Lothar von Sachsen wandte sich der Eroberung des Nordostens zu. Von seinem besten Helfer, dem Markgrafen Adolf von Holstein, erzählt eine alte Chronik:

,,Weil aber das Land verlassen lag, sandte Graf Adolf Boten in alle Gegenden, nach Flandern und Holland, nach Westfalen und Friesland, damit, wer immer dort Mangel habe, käme mit seinem Hausgesinde, um das beste Land zu empfangen, geräumiges Land, reich an Früchten, mit Überfluss an Fisch und Fleisch, und geeignet zur Zucht der Herden. Auf diese Rede erhob sich eine zahllose Menge, aus verschiedenen Stämmen, und sie nahmen ihr Hausgesinde mit ihrem Vermögen mit sich und kamen zum Grafen Adolf und nahmen das Land in Besitz, das er ihnen versprochen hatte.“

Da sangen holländische Bauern ein Lied, das bis zur Neuzeit lebendig geblieben ist:

Naer Ostland willen wy rejden - Ins Ostland wollen wir reiten
Naer Ostland wille wy mêe - Ins Ostland wollen wir hin
Al over die groene heiden - All über die grünen Heiden
Frisch over die heiden - Frisch über die Heiden
Daer ist een betere stêe. - Da ist ein besserer Stand.

Als wy binnen Ostland kommen - Als wir ins Ostland kamen
Al onder dat hooge huis - All unter das hohe Haus,
Daer worden qy binnen geladen - Herein da wurden wir geladen
Frisch over die heiden - Frisch über die Heiden
Zy beeten ons willkom zyn. - Sie hießen uns willkommen sein.

Unter jenen Siedelungen war ein Ort im innersten Winkel der Ostseeküste so günstig gelegen, dass er nach früherem, heidnischem Bestand und Untergang von Graf Adolf mit besonderer Gunst wieder aufgebaut und erhalten wurde und sich reich entfalten konnte. ,,Und es ward Friede im Land - auch der Markt Lübeck wuchs von Tag zu Tag, und es mehrten sich die Schiffe seiner Kaufleute.“

Auf das Glück dieser Stadt Lübeck wurde Heinrich der Löwe, der Herzog von Sachsen, so eifersüchtig, das ihm Graf Adolf schließlich gutwillig das Gebiet abtrat. Durch Feuer wieder zerstört, wurde sie von Heinrich zum drittenmal aufgebaut, er gab ihr Verfassung, Kirche, Beamte und Befestigung. Und diese dritte Gründung war fortdauernd glücklich. Lübeck wurde der wichtige Ausgangspunkt für das Deutschtum, als es nun noch weiter gegen Osten vordrang.

Heinrich der Löwe unternahm einen Kreuzzug gegen slawische Wenden, als andere ins ferne Morgenland zogen. Mit ihm führten Albrecht der Bär und Konrad von Wettin auch in Pommern Christen- und Deutschtum ein, wieder unter Hilfe aus Westfalen und Holland gerufener Ansiedler.

Und so war nach 1200 die Reichsgrenze von der Elbe fort bis zur Oder vorgeschoben. Man sieht als Vorposten Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald; heut noch charaktervolle deutsche Stadtbilder. Die Lande östlich der Oder blieben noch zu erobern, bewohnt von wilden und ungezügelten Völkern, die früher schon den ersten einbringenden Apostel, der von Bremen gekommen war, ihnen zu predigen, erschlagen hatten. Sie waren nicht durch Predigt, sondern nur entweder durch das Schwert oder durch praktische List und Kunst des Friedens für fremden Einfluss zu gewinnen. Dies geschah durch zwei Gemeinschaften, die für die Geschichte der norddeutschen Städte buchstäblich „grundlegende“ Bedeutung haben.

Die erste Gemeinschaft, zunächst nur aus dem Orden der Schwertbrüder bestehend, wurde von einem Bremer Bischof begründet.

Diese fauststarke Mission hatte manche Erfolge; Riga und Reval wurden als ihre Ausgangspunkte begründet. Sie saß jedoch als deutsche Insel bedenklich weit von der Heimat entfernt. Von den heidnischen Stämmen hart bedrängt, wandte sich der Bischof an den Orden der Deutschherren in Jerusalem, der aus dort gesammeltem Überfluss deutscher Abenteurerlust und Begeisterung gebildet war. Von einer misslungenen Arbeit in Siebenbürgen eben zurückgekehrt, wandte sich der Orden mit heftigem Eifer der neuen Aufgabe zu. Planvoll, Schritt vor Schritt ging er vor, zur Rückendeckung auf die vom Heinrich dem Löwen gewonnenen Gebiete gestützt, später mit den Schwertbrüdern ganz verschmolzen.

Kriegerische Gewalt hatte den Vormarsch. Hinter dem Heer aber wurde sofort die eroberte Strecke mit mehr als deutlichen Marksteinen gezeichnet und festgehalten, mit Burgen von barbarischer Festigkeit und Herbheit. Dann verbreitete sich der Bienenfleiß des Friedens, das Mutterland schickte in Scharen wandermutige Leute, Bauern zerstreuten sich über das Land, Städte wurden errichtet.

Das Land an der Weichsel war as zuerst und am festesten ergriffene Besitztum, dazu kamen weite Gebiete von Kurland, Estland, Livland, Litauen, dann wurde an der Niederweichsel als notwendige Ergänzung die Landschaft Pommerellen (mit Danzig) erworben. Das neue deutsche Land ging nun von der Oder bis zum finnischen Meerbusen: die slawischen Völkerschaften waren von der Ostsee abgeschnitten.

008. Kolberg – Marienstraße und Dom
009. Rostock, Altstädter Markt - Speicher
010. Bremen – Gasse beim Abenthorswall
011. Rostock – Blick vom Bliesathsberg nach der Marienkirche
012. Aachen - Hauptstraße in Burtscheid, Abteikirche
013. Osnabrück, Neustadt - Johannesstraße und –Kirche
014. Bremen - Liebfrauenkirche mit Küsterhaus
015. Thorn - Jakobikirche am Neustädter Markt
016. Thorn – Johanniskirche
017. Greifswald - Hunnenstraße, Nikolaikirche
018. Danzig - Frauengasse, Marienkirche


Unterstützung fand nun alle diese Arbeit des Ordens durch die zweite Gemeinschaft: norddeutsche Städte, die sich langsam aus einfacher gegenseitiger Hilfsbereitschaft und Geschäftsbeziehung zu einem und von fester Form und großer Macht zusammengetan hatten, zur Abwehr von Räubern zu See und zu Lande, zu gemeinsamer Geschäftsführung im Ausland und wo notwendig zu gemeinsamer Kriegführung. In erster Reihe standen die Küstenstädte, die ja draußen an der See die Aufgaben unmittelbar vor sich sahen; allen voran das mächtige Lübeck und Hamburg, dann Bremen, Rostock, Wismar, Greifswald, Stralsund; nach diesen eine lange Reihe solcher Binnenstädte, deren Leben durch den Handel eng mit dem der großen Häfen verbunden war: Köln, Osnabrück, Dortmund, Soest, Braunschweig, Magdeburg, Berlin, Breslau, Thorn und viele kleinere. Ältere Niederlassungen der deutschen Kaufmannschaft in Dänemark, Russland, England, Norwegen verschmolzen mit dem inländischen Bündnis, das, aus nüchternem und klugem Bürgersinn gewachsen, vom den heimatlichen Ufern her über die See hinüber in fremde Lande erst Geschäft, dann Macht und deutsche Kultur verbreitend, eine großartige Einheit wurde: die deutsche Hansa.

Zur selben Zeit, wo das deutsche Reich kläglich zersplittert und zerfahren war, wo es „Herrscher“ hatte, die nicht wie die alten deutschen Könige und Kaiser ihr Reich in einzelnen Marken den Herzögen und Grafen zu Lehen gaben, sondern geradezu umgekehrt, von der Gnade und Laune der Fürsten ihren Kaisertitel hinnahmen - zur selben Zeit, wo Kaiser Sigismund durch seine charakterlose Haltung verschuldete, dass das Deutschtum seine gute Stellung in Böhmen aufgeben musste, und sich die Loslösung der Schweiz und der Niederlande vom Reich vorbereitete, eroberten Hansa und Ritterorden, auf dem Gipfel ihrer Kraft angelangt, dem Reiche wertvollstes Neuland. Und die Hansa besiegte aus eigener Kraft das übermütige Dänemark, das immer voll neuem die Nordgrenzen und den Seehandel gefährdet hatte.

019. Perleberg – Roland auf dem Marktplatz
020. Stendal - Roland am Rathaus, auf dem Marktplatz


An der Ostsee hin lag nun eine lange Reihe deutscher Vorpostenstädte: Danzig, Königsberg, Memel, Goldigen, Windau, Mitau, Riga, Renal, Dorpat und dicht dahinter Kulm, Thorn, Elbing, Marienwerder, Marienburg und viele andere. Unter allen politischen Gesellschaftsformen war die der Stadt jetzt die glücklichste. Davon zeugt das bürgerliche Bauwesen jener Zeit. -

Fürchterliche Roheit hatte sich dem Orden entgegengestellt und war mit gleicher Waffe niedergeschlagen werden. In Wahrheit waren die Erobererzüge dieser christlichen Gemeinschaft alles andere als nur gerade christlich. Aber in der abenteuernden Masse herrschten straffe und denkende Persönlichkeiten und brachten zustande, dass durch zwei Jahrhunderte Gesetz und Maß hier walteten. Das Land war nicht nur groß, sondern auch klar verwaltet, planmäßig besiedelt, und es hatte eine gewaltige Heeresmacht.

021. Halberstadt am Harz - Roland am Rathaus, gegen den Holzmarkt hin.
022. Bremen – Roland auf dem Marktplatz, früher am Rathaus
023. Jüterbog – Blick vom Neumarkter Tor zum Mauerturm
024. Treptow an der Tollense
025. Greifswald – Kuhstraße, Marienkirche
026. Tangermünde – Kirchstraße, Stephanskirche
027. Emden - Brückstraße mit der Neuen Kirche
028. Tilsit – Stadtkirche an der Deutschen Straße
029. Braunschweig – Der Löwe auf dem Burgplatz


Doch war die zusammengewürfelte Menge nicht hinreichend von Leuten durchsetzt, die sich mit genügendem ethischen und praktischen Ernst der Riesenaufgabe zugewandt hätten, das weite Land nach blutiger Unterjochung bei aller notwendigen Strenge doch mit friedlich überlegener Kultur dermaßen zu überwinden, dass der Sieg für die Dauer und vollständig geworden wäre. Nach glänzender Zeit verfiel der Orden in faulen Niedergang, aus dem Volk wuchs kein Ersatz nach, Adel und Orden entzweiten sich, die Wehrkraft sank. 1410 musste sich der Orden unter polnischen Schutz stellen, 1466 wurden die besten Besitzungen, vor allem das Kernland Westpreußen, an Polen abgetreten.

Was der Orden behielt, war nun vom deutschen Stammland abgeschnitten; wie ein böser Keil steckte das polnische Westpreußen dazwischen. 1561 verlor der Orden Kurland und Livland andie Polen, Estland an Schweden.

Wenig später sank auch die Macht der Hansa mehr und mehr. Das Deutschtum im Nordosten wäre, trotz seiner herrlichen Jugend, damals leicht erstickt worden, wären nur Russland und Polen einig gewesen. Damit hätte das Reich die wichtigste Ostseeküste verloren. Aber zum Glück konnte die gefährliche deutsche Zersplitterung nicht ausgenützt werden, die Feinde waren selbst zersplittert.

Vom l6. bis zum 17. Jahrhundert geschahen die großen Wandlungen. Amerika war entdeckt, der Buchdruck erfunden, der Geldhandel anfgekommen, Martin Luther protestierte gegen die katholische Kirche, die Bauern standen auf und wurden geknechtet, der Dreißigjährige Krieg verdarb das ganze Land mit fürchterlicher Zerfleischung. In ungeheurem Wühlen und Gären voll Gut und Böse ging das Mittelalter zu Ende.

1415 erhielt der Burggraf von Nürnberg, Friedrich von Hoherrzollern, die Mark Brandenburg mit Kurfürstenwürde. Das kleine, verhältnismäßig unbedeutende Land wurde durch manche Erwerbungen vergrößert. Es litt schwer unter dem Dreißigjährigen Krieg, aber mitten in dieser Zeit grenzenloser Verwirrung besaß es einen charaktervollen Herrscher: Der Große Kurfürst hob sein Brandenburg innerlich und äußerlich und machte es zum unabhängigen und gesunden Staat. Er unternahm es, Schleswig-Holstein und Pommern von Schweden zu befreien. Er hat, zum Trotz allen diplomatischen Drohungen Frankreichs, die feingebildeten Hugenotten in sein Land aufgenommen. Er hat die erste deutsche Kolonie gegründet und die erste preußische Flotte. Sein wesentlichster äußerer Erfolg aber, und zwar ein bewußt angestrebter, war, dass er das alte Herzogtum Preußen, (Ostpreußen, das seine Vorgänger von Polen zu Lehen nahmen, frei machte. Der Schwerpunkt Preußens schob sich nach Osten.

Auf solchen Grundlagelt konnte sein Sohn Preußen zum Königreich, das unansehnliche Berlin zu einer königlichen Stadt ausbauen. - Der Enkel nahm 20.000 Salzburger Protestanten in Ostpreußen auf. Er besiedelte planmäßig öde Landesgebiete und kaufte Vorpommern von Schweden zurück. Dies alles neben der Arbeit, mit der er Preußen eine Verwaltung, eine gefüllte Kasse, ein stehendes Heer gegeben.

Und dann machte der alte Fritz Preußen zur Großmacht. Ostfriesland gewann er durch glückliche Erbschaft. Durch Polens Schwäche, mit List benutzt, nahm er die preußischen Gebiete, die beim Niedergang des Ritterordens an Polen verloren worden waren, zurück: Westpreußen, die glücklichste Landschaft des kolonisierten Ostens, das Bindeglied zwischen Pommern und Ostpreußen, das so schmerzlich gefehlt hatte. Es war das Eigentümliche, Hinreißende an seiner Persönlichkeit, dass er bei der Verfolgung seiner noch so weit gespannten Pläne imstande war, noch in tausend kleinen Einzelfällen unmittelbar mit seinem scharfen Verstande persönlich zu regieren; dies bestätigte sich, wie bei dem friedlichen Zueigenmachen des erst kriegerisch eroberten Schlesiens, so auch in der gründlichen Neubesiedelung Westpreußens. Noch heute wissen sich Enkel westpreußischer Gewerbetreibender deutlich zu erinnern, wie der alte Fritz ihren Großvätern geholfen hat. Andere bedeutende Kulturarbeit leistete er durch die Urbarmachung der sumpfig-unfruchtbaren Landstriche an Oder, Warthe und Netze.

Unter Friedrich Wilhelm II. bekam Preußen - mit Recht, mit List, mit Gewalt — zum übrigen Westpreußen nachträglich noch Danzig und Thorn von Polen zurück, dann die Landschaften Posen, Gnesen, Neuostpreußen und andere Brocken von Polen.

Das polnische Zeug, wie der alte Fritz die sozial, politisch und kulturell unreifen und zerfahrenen Bewohner des Königreichs Polen genannt hat, verscherzte selber sein Recht, zwischen Russland, Österreich und Preußen als ein eigener Staat zu bestehen. Rechtes Mitleid mit dem gewalttätig zerstücktenLand bringen wir nicht auf. Preußen mußte notwendig eine Verbindung zwischen seinem Estland und Schlesien haben. Die besteht nun leider heut noch aus polnischem Land ohne alteingewurzelte Bestandteile von Deutschtum und Kultur - was sich ja dort deckt.

Das alte Ordensland ist schließlich genau soweit deutsch geblieben, als der Zusammenhang mit dem Hauptlande unmittelbar und lebhaft war. Eine litauische Landschaft, ein Keil zwischen Ostpreußen und Livland, war unerobert. Bis 1795 wurden Livland, Estland und Kurland russisch, wie es bei ihrer Einfassung durch Russen, von allen Seiten her, und bei dem notwendigen Andrang auch dieses Volkes zur Küste der Ostsee, natürlich und kaum anders möglich war. Unter polnischer, schwedischer, russischer Hoheit hielt sich Deutschtum dort in Jahrhunderten tüchtig. Der russische Staat gewann in ihm die friedlichste, wertvollste Kulturkraft, die ohne Sonderpolitik Eigenart festhielt. Die Deutschenhetze 1906 war hiernach ein schnöder Undank.

Der großen Befreiungskriege geringer Erfolg für Preußen, unter seinem schwachen König, waren Westfalen und Rheinprovinz und die Zurückgabe der letzten schwedischen Teile Pommerns.

Schleswig-Holstein, als Verbindung von Nord- und Ostsee eine besonders wichtige Landschaft, wurde durch Bismarcks Politik, nachdem es in vielen Jahrhunderten immer wieder von Dänen beschlagnahmt worden war, preußisch.

Es steht noch frisch in der Erinnerung, wie Preußen zum Haupt des Norddeutschen Bundes wurde, und wie, aus der endlichen und glücklichen Vereinigung des stärksten und größten deutschen Staates mit dem schönen und an alter Kultur gesegneten Süddeutschland und mit dem lebendigen und vielformigen Mitteldeutschland das neue Kaiserreich gebildet wurde. Kaum geboren, war es umringt von Aufgaben, so groß und schwer sie nur ein Staat haben kann. Innerlich waren die eigenartigen und eigensinnigen Teile zu verschmelzen, äußerlich musste man sich, in die Reihe der Weltmächte eingetreten, sogleich als Ganzes behaupten; zugleich aber drängten Verkehr, Technik, Industrie, Wissenschaft mit rasender Geschwindigkeit zu neuen Zielen, breiten Arbeitsfeldern. Kein Wunder, wenn bei so plötzlicher und ungeheuerlicher Steigerung aller Bewegung die Kraft fehlte, den neuen Stoffen neue Gestalt zu geben; traurig aber, dass sogar die überlieferte Gestaltungskraft für die alten und bleibenden Aufgabelt in dieser fieberhaften Wandlung abstarb.

Für das Thema dieses Buches ergeben sich aus der angedeuteten Geschichte eine Reihe wichtiger Folgerungen.

Große Teile Norddeutschlands, die später dem führenden Staat entscheidenden Rückhalt gaben, sind slawisch gewesen, und manche von ihnen bis heute nur mangelhaft deutsch ge-worden. Das ist in Rechnung zu ziehen, wenn man mit dem gesegneten Süddeutschland vergleicht. Man wird dann nichtungerecht urteilen, vielmehr große Achtung gewinnen vor der ungeheuren Stoßkraft und Stanhaftigkeit, mit der sich, trotz allem, Deutschtum im Nordosten betätigt hat. Gerade dies eroberte Land stellt sich in den Vordergrund unseres Interesses. Was dort gebaut ist, das steht stolz für sich, es ist das am ausgeprägtesten Norddeutsche. Nicht zu vergessen ist die deutsche Arbeit im russischen Staat.

030. Lübeck - Der Dom überm Kleinen Bauhof
03l. Danzig - Goldschmiedegasse, Turm der Marienkirche
032. Danzig – Marienkirche über den Dächern der Rechtstadt
033. Lübeck – Freie und Hansastadt
034. Marienburg an der Nogat – Stadt und Schloss des Deutschen Ritterordens
035. Wismar – Hafen; Marien- und Georgenkirche
036. Marienwerder an der Liebe – Stadt mit Dom und Schloss des Deutschen Ritterordens
037. Greifswald – Marienkirche, über den Häusern der Hafenstraße längs dem Ryck
038. Münster – Türme der Überwasserkirche und des Domes


Dass in diesem Neuland trotz der rauhen Zeitumstände frühzeitig reife Kulturformen heimisch wurden, ist Westfalen und den Niederlanden zu verdanken. Sie haben Menschenmaterial, Rechtsformen und Künstler aus ihrem Reichtum abgegeben an die jungen, werdenden Gebiete. Sie gaben damit nichts Fremdes. Die Niederlande sind ja schließlich auch nur ein selbständiges und besonders eigengeartetes Stück Deutschtum, das uns immer nahe war und sein wird.

Ein kriegerisches Land ist der Nordosten. Der deutsche Ritterorden führt ein Heer, in dem zugleich Regierung und Kirche sich verkörpern. Man ist an der feindlichen Grenze, es ist Zwang, Wachen aufzustellen und Wehrmauern aufzubauen. Daher die Straffheit und Wucht der Bauten und ihre Riesenhaftigkeit.

Und bürgerliche Art verbindet sich der ritterlichen und reisigen. Die Hansa treibt Handel, Schifffahrt und Krieg zugleich, sie ist darin dem Orden verwandt. Aber sie treibt den Krieg nur des Friedens willen, und nicht der Kirche zu Ehren, sondern den Städten zunutze. Sie holt über das Meer herüber Reichtum und Bildung und Kunst und erfüllt damit die ernsten Ringe ihrer SchutzMauern. Fürsten und Kirchfürsten waren hier anders gestellt als im Süden und Westen. Sie konnten nicht in glücklicher Erbfolge an altem Sitze der Macht Fülle und Glanz der Schlösser und Klöster entfalten. Die Arbeit der slawenbekämpfenden Markgrafen und heidentaufenden Bischöfe war meist hart, oft blutig. Sprungbereit und wachsam, in jedem Glied voll Spannung, so steht der Löwe auf dem Burgplatz in Braunschweig, auf einem strengen steinernen Sockel. Er verkörpert gut die ernste Stimmung der Zeit. (Abb. 29.) Verwandt ist der Ausdruck der Rolandsäulen, die am Rathaus hochaufgerichtet mit gehobenem Richtschwert das Recht der Marktherren als düstere Mahnung versinnbildlichen; Abb. 19 – 22. Und auch was die Bischöfe bauten - vor allem der umfassend gebildete und persönlich hochbegabte Bernward von Hildesheim, das ist von jener ernsten Wach- und Kampfstimmung erfüllt: wie Burgen fest und straff stehen die Dome. Alle diese erzenen und steinernen herrischen Zeichen der Hoheit sagen bildlich, was später Friedrich Wilhelm I. einmal hinschrieb: ich stabiliere die Souveränität und setze die Krone fest wie ein rocher [Rock]von Bronze.

Als Siedelungen von Eingewanderten haben die Dörfer und Städte im Nordosten ein ganz anderes Gesicht, als im Süden und Westen, wo die ersten Ortsbegründer wohl auch einmal nur Einwanderer und Fremde waren, zur Zeit der Besiedelung des Ostens aber doch schon Alteingesessene. Ein Bauer, der den Hof von Großvater und Vater schon ausgebildet empfangen hat und daran weiter baut, gestaltet anders als der Mann, der kam, ,,um vom Grafelt Adolf das Land zu empfangen, das er versprochen hatten. Jener hat ein abgerundetes, geschichtlich zu Besonderheit gewordenes Eigentum, dieser übernimmt eine ihm unter vielen Gleichen zugemessene Parzelle. Es ist nur natürlich, wenn nicht das eigenartige Familienhaus als Einzelwesen, sondern das Haus als Typ, als Gattungsform auftritt. - Zu den eigentlichen „Kolonialstädten“, von denen das gilt, kommen aber noch, drei und vier Jahrhunderte später, die Neugründungen der Preußischen Könige.

Der preußische Staats-,,Haushalt“ und seine frühere Sparsamkeit sind sprichwörtlich geworden. Die besten Könige sorgten wie gute Hausväter für das anfangs so arme und kleine Land, zur gleichen Zeit, wo Frankreichs Herrscher auf Kosten ihres Landes prassten wie Schmarotzer. Dabei wußten sie, dass das bauliche Ansehen der Städte politische Bedeutung hat. Es musste gebaut werden, und es musste gespart werden. Aus dem peinlichen Zusammentreffen zweier so widersprechenden Umstände machte ihr klar und einheitlich gerichteter königlicher Willen eine Tugend. Wohl gab es auch, besonders unter Friedrich dem Großen, manche Entgleisung, wenn unbedeutenden Bauten, unter Anwendung minderwertiger Baustoffe, eine Maske von hohem klassizistischem Pathos aufgezwungen wurde. Aber im Großen gesehen ist hier doch viel süchtiges geschaffen. Die Baumeister hatten sich zu besinnen auf die grundlegenden einfachen Formwerte der Baukunst. Je weniger schmückender Überfluss ihnen gegeben war, desto mehr mussten sie die Mittel der Proportion und des Rhythmus anwenden. So entstand eine vortrefflich geschulte Bauweise in der letzten und darum uns sehr nahestehenden Gruppe guter Stadtbilder Norddeutschlands.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Norddeutschland
Kolberg – Marienstraße und Dom

Kolberg – Marienstraße und Dom

Rostock, Altstädter Markt - Speicher

Rostock, Altstädter Markt - Speicher

Bremen – Gasse beim Abenthorswall

Bremen – Gasse beim Abenthorswall

Rostock – Blick vom Bliesathsberg nach der Marienkirche

Rostock – Blick vom Bliesathsberg nach der Marienkirche

Aachen - Hauptstraße in Burtscheid, Abteikirche

Aachen - Hauptstraße in Burtscheid, Abteikirche

Osnabrück, Neustadt - Johannesstraße und –Kirche

Osnabrück, Neustadt - Johannesstraße und –Kirche

Bremen - Liebfrauenkirche mit Küsterhaus

Bremen - Liebfrauenkirche mit Küsterhaus

Thorn - Jakobikirche am Neustädter Markt

Thorn - Jakobikirche am Neustädter Markt

Thorn – Johanniskirche

Thorn – Johanniskirche

Greifswald - Hunnenstraße, Nikolaikirche

Greifswald - Hunnenstraße, Nikolaikirche

Danzig - Frauengasse, Marienkirche

Danzig - Frauengasse, Marienkirche

Perleberg – Roland auf dem Marktplatz

Perleberg – Roland auf dem Marktplatz

Stendal - Roland am Rathaus, auf dem Marktplatz

Stendal - Roland am Rathaus, auf dem Marktplatz

Halberstadt am Harz - Roland am Rathaus, gegen den Holzmarkt hin

Halberstadt am Harz - Roland am Rathaus, gegen den Holzmarkt hin

Bremen – Roland auf dem Marktplatz, früher am Rathaus

Bremen – Roland auf dem Marktplatz, früher am Rathaus

Jüterbog – Blick vom Neumarkter Tor zum Mauerturm

Jüterbog – Blick vom Neumarkter Tor zum Mauerturm

Treptow an der Tollense

Treptow an der Tollense

Greifswald – Kuhstraße, Marienkirche

Greifswald – Kuhstraße, Marienkirche

Tangermünde – Kirchstraße, Stephanskirche

Tangermünde – Kirchstraße, Stephanskirche

Emden - Brückstraße mit der Neuen Kirche

Emden - Brückstraße mit der Neuen Kirche

Tilsit – Stadtkirche an der Deutschen Straße

Tilsit – Stadtkirche an der Deutschen Straße

Braunschweig – Der Löwe auf dem Burgplatz

Braunschweig – Der Löwe auf dem Burgplatz

Lübeck - Der Dom überm Kleinen Bauhof

Lübeck - Der Dom überm Kleinen Bauhof

Danzig - Goldschmiedegasse, Turm der Marienkirche

Danzig - Goldschmiedegasse, Turm der Marienkirche

Danzig – Marienkirche über den Dächern der Rechtstadt

Danzig – Marienkirche über den Dächern der Rechtstadt

Lübeck – Freie und Hansastadt

Lübeck – Freie und Hansastadt

Marienburg an der Nogat – Stadt und Schloss des Deutschen Ritterordens

Marienburg an der Nogat – Stadt und Schloss des Deutschen Ritterordens

Wismar – Hafen; Marien- und Georgenkirche

Wismar – Hafen; Marien- und Georgenkirche

Marienwerder an der Liebe – Stadt mit Dom und Schloss des Deutschen Ritterordens

Marienwerder an der Liebe – Stadt mit Dom und Schloss des Deutschen Ritterordens

Greifswald – Marienkirche, über den Häusern der Hafenstraße längs dem Ryck

Greifswald – Marienkirche, über den Häusern der Hafenstraße längs dem Ryck

Münster – Türme der Überwasserkirche und des Domes

Münster – Türme der Überwasserkirche und des Domes

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