Obstbäume.

Schon der Name sagt, daß ihre Bedeutung nicht in ihnen selbst, sondern vielmehr in der Frucht liegt. Ihr opfern sie in der Tat Schönheit und Größe, wie ja das Nützliche nur seltener auch das Schöne ist. Einen ästhetischen Stoff können diese Bäume daher nicht bieten, und es gehört zu den Seltenheiten, wenn Maler sie als Staffage verwenden. Viel trägt zu dem nüchternen Eindruck derselben unstreitig schon der Umstand bei, daß wir sie nicht in der Freiheit der Natur erblicken. Der Poesie von Wald und Feld entrissen, stehen sie als Diener und Nährer des Menschen in der Umzäunung seiner Gärten, von seiner Kunst »gezogen« und »geschult«. Aber auch abgesehen davon ist die Gestaltung wirklich das Unscheinbarste an den Obstbäumen. Ohne kräftigen Stamm, ohne augenfällige Höhe, ohne malerisch ineinander greifende Verzweigung gleichen sie morschen Holzgestellen, und ihr trübes, graugrünes Laub ist nicht geeignet, sie zu beleben.

Am unbedeutendsten ist die Kirsche. Sie tritt oft kaum aus einer gewissen strauchartigen Dürftigkeit heraus, und selbst die durchsichtige beerenähnliche Frucht, wie schön immer, scheint diesen Eindruck nur zu verstärken. Dies fühlt man auch noch im Anblick jener gewaltigen Bäume, welche in den Voralpen so häufig an Straßen und Dörfern stehen. Es sind starke Bäume, mit deren Höhe die winzige »Vogelkirsche«, aber auch die feingraue, oft seidenglänzende Rinde einen sonderbaren Kontrast bildet. Hingegen machen nun allerdings Birn- und Apfelbaum zuweilen eine Ausnahme. Der erstere namentlich erhebt sich öfter zu bedeutender Größe, seine Blätter haben einen frischen Glanz, die Zweige schließen sich zu runden Wipfeln. Zugleich ist er der einzige Fruchtbaum, der hier und da noch verwildert umhersteht. Aus den Kornfeldern ragen sie dann mächtig empor; ungleich jenem sagenhaften Birnbaum im Walserfeld, dessen Wiederaufgrünen den letzten großen Weltkampf verkündet, deuten sie den stillen Segen des Anbaues: trauliche Sammelplätze der Schnitter und der Alten, wie das Goethe in Hermann und Dorothea schön gezeichnet hat. Der Apfelbaum ist niedriger und flacht seine Zweige meist zu Schirmdächern ab; man erkennt die Vorsorge, mit welcher er die sonnenbedürftige Frucht dem reifenden Strahl entgegenhält. Er gehört an das Strohdach des Bauern, in den Grasgarten, auf die Landstraße.


Den einzigen Reiz gewährt den Obstbäumen ihre Blüte. Was wäre der Mai ohne sie? Welche Ueberraschung, wenn dann zuerst der Pfirsich über Nacht aufsteht, alle Zweige schimmernd, wie ein purpurnes Wunder des Frühlings! Wie leuchtet der duftige Schnee des Kirschbaumes! Kein grüner Punkt ist zu entdecken in der grünenden Fülle. Wie rosig dämmert's um den bienendurchsummten Apfelbaum! Wie schön, wenn Windeswehen Tausende von Blättchen herabwirbeln und taumeln, niedliche Trinkschalen, aus denen taudurstige Käfer nippen! – Der Zauber der Frühlingsverjüngung tritt gerade hier besonders ergreifend entgegen, und mit den Blüten am Baum erwachen die im Gemüt. Aber bei alledem ist dieser Schmuck im Grunde doch zu hinfällig und zu winzig, um ästhetisch und physiognomisch in Betracht zu kommen: »die kleinen Kinder wollen gegen den Vater nichts heißen« (Vischer). Wer hätte denn auch schon blühende Bäume gemalt? Es müßte gelupft und spielerisch aussehen.

Dasselbe gilt von den Früchten. Der dralle Ball des Apfels, die gelbe Honigglocke am Birnbaum, die saftschwellende, flaumumhüllte Aprikose, alle die Gaben Pomonas hangen doch nur wie ein Nürnberger Weihnachtstand an den Bäumen. Sie lachen und winken mit ihren roten Wangen dem Knaben, der sie erklettert, dem Wanderer, der sie herablangt, dem Fahrenden, dem sie sich bequem in den Schoß legen. Es ist der Genuß, der an ihnen reizt. Oder wer, wenn er an lauen Tagen im Baumschatten lagert und nun plötzlich die reife Frucht aus der Stille über ihm herabschlägt, wer dächte nicht eben ans Suchen und Essen?

»Ueber Rosen läßt sich dichten;
In die Aepfel muß man beißen.«

Auch der Farbenreiz, mit dem das Obst uns ergötzt, ist nicht viel mehr als ein sinnlicher. Auf ihm beruht das schöne Bild, in welchem Sappho die errötende Braut dem Apfel vergleicht,

»Der rotwangig erglänzt an dem obersten Aste des Baumes,
Hoch im Wipfel dort oben – er ward beim Brechen vergessen,
Nein, nicht ward er vergessen, doch war er nicht zu erreichen.«

Tritt eine andere, tiefere Stimmung hinzu, so kann es nur die bewundernde und dankbare sein, in welche der Reichtum der Naturgaben den fühlenden Menschen überall versetzt. Uhlands Lied auf den Apfelbaum spricht diese Stimmung in herzlicher, gemütvoller Weise aus, ohne daß der Dichter sich etwa verleiten ließe, den Baum um der Schönheit willen zu preisen. Er ist ihm der wundermilde, gesegnete Wirt, der den Hungrigen und Durstigen labt – nichts weiter, und so wollen, dünkt mich, die Obstbäume insgesamt angesehen sein. Ihre Aufgabe ist: zu »tragen«.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Norddeutsche Landschaft