Die Heide

Es ist so still; die Heide liegt
Im warmen Mittagssonnenstrahle,
Ein rosenroter Schimmer fliegt
Um ihre alten Gräbermale;
die Kräuter blühn, der Heideduft
Steigt in die blaue Sommerluft.

Th. Storm.


Das ist die schöne Lüneburger Ebene,
Wohin des Rufs Trompete mich von fern gelockt.

A. v. Platen.

Wenn an sonnigen Tagen der Wanderer vom Gipfel des Brockens herab das Auge über das dunkle herzynische Waldpanorama mit seinen Schluchten, Kuppen und Klippen gesättigt dahinschweifen läßt: so zieht im Norden, jenseits der Berge, eine lichte, weit aufgeschlossene Fläche seine Blicke an. Vom Glanz der Sommersonne übergoldet, fernhin in blaues Gedämmer verloren, breitet sie sich aus wie der Spiegel des Meeres. Es ist die große nordische Ebene. Sie erscheint hier nur als der Saum des gewaltigen Bildes; aber könnte man sie in ihrer ganzen Ausdehnung verfolgen, dann würde sich ein fast ununterbrochenes Flachland von mindestens vierhundert Meilen Länge aufdecken. Denn von der Westgrenze der Normandie beginnend, über Belgien, Norddeutschland, Dänemark sich ausbreitend, reicht diese Region bis zu den sibirischen Tundras hinauf.

Einst wogte hier der Ozean, aus dem nur die Höhen Mitteldeutschlands, Skandinaviens und Englands als Berginseln hervorragten, und von einzelnen Strecken wich die Flut sogar erst bei Menschengedenken zurück. Daher ist denn auch dieses Schwemmland zu einem beträchtlichen Teile mit einem Male der Unfruchtbarkeit gezeichnet. Wo nicht Flüsse den Boden tränken und befruchten, oder Laubwälder ihr feuchtes Dunkel verbreiten, da streckt sich meist dürrer, lebensunfähiger Sand oder ein verwesendes, sumpfiges Moor, oft beide unmittelbar aneinander grenzend.

Doch auch hier deckt die Natur ein Gewand über die Blöße. Die große Lebensmutter verleugnet sich doch nicht ganz und hat in diese Oede ein Pflanzenleben eigentümlichster Art gesetzt. Es sind die Heidekräuter ( Ericae), welche uns hier entgegentreten, und die jenen Landstrichen den Namen der »Heiden« gegeben zu haben scheinen, wenn nicht etwa der umgekehrte Fall anzunehmen ist. [Fußnote]Das Motiv zu diesem Aufsatze gab eine 1852 in die Lüneburger Heide unternommene Wanderung. Zu dieser Heide muß man im geologischen Sinne die ganze Fläche rechnen, welche die Wasserscheide zwischen der Aller, der untersten Weser und Elbe bildet und bis 350 Fuß Höhe erreicht. Sie beginnt nordwestlich von Magdeburg in der Gegend des Drömling, zieht dann zwischen Uelzen und Celle, Lüneburg und Soltau hindurch und verliert sich gegen Harzefeld und Bremervörde allmählich in die moorige Niederungen der Halbinsel zwischen den untersten Lauf der Elbe und Weser.

Die merkwürdige Pflanzenfamilie kündigt sich in ihrem holzig dürren, starren Charakter sogleich als Steppengewächs an, worauf auch schon das griechische [Fußnote]Sprich: ereike. ?????? [Fußnote]Von ??????, ich breche. Andere wollten es auf ??????, die Wüste, zurückführen, was nicht minder bedeutungsvoll wäre, aber sprachlich unrichtig erscheint. hinweist. Sie findet sich durch alle Vegetationsgürtel des alten Kontinents vom Kap bis zur Beringsinsel und ist überall dieselbe unentwickelte, in Stamm und Zweig gleichsam steckengebliebene Erscheinung. Freilich hier mehr, dort weniger. Denn während sie unter dem Feuer der afrikanischen Sonne Hunderte zum Teil baumhoher Arten zeitigt (die Kataloge zählten schon vor Jahren über 450), eine immer farbenprächtiger als die andere, hat der Süden Europas kaum noch zehn Spezies aufzuweisen, bis in der kälteren Zone auch diese auf zwei niedrige Zwergsträucher zusammenschrumpfen. Aber – wunderbarer Haushalt der Natur! – gerade diese zwei Arten, entgegengesetzt den Eriken am Kap, die dort in ihrem eigentlichen Heimatlande nie gesellig nebeneinander auftreten, überspinnen hier, zu millionenmal Millionen von dem Geiste der Wildnis gesäet, ganze Landschaften mit ihrem härenen Teppich. Indem sie in fortschreitendem Zuge, ähnlich gewissen wandernden Tiergeschlechtern, jede andere Vegetation feindselig unterdrücken, werden sie für unseren Norden typische Gewächse im höchsten Sinne, und sind so imstande, uns, wenn auch nur abgeschwächte Bilder jener großen Naturformen, jener Steppen und Prärien zu gewähren, die, fern von Leben und Schicksal der Menschen, in den geheimnisvoll jungfräulichen Reiz der ersten Schöpfung gehüllt, gleichsam die Wunderinseln sind, nach denen unsere Phantasie verlangend steuert.

*

Einer der bekanntesten Teile dieser nordischen Heide ist die im Herzogtum Lüneburg belegene. Sie ist weithin berüchtigt; Platen [Fußnote]Platen läßt seinen »romantischen Oedipus« – ein bekanntlich gegen Immermann gerichtetes Stück – auf der Lüneburger Heide spielen und Immermann dort, wo der Chor der Heidschnucken ihn huldigend umkreist, den Gedanken dieses Dramas fassen. wußte in Deutschland kein öderes, poesieloseres Stück Erde aufzufinden, als dieses. Von der Elbe durchschnitten, setzt sie sich durch Holstein bis nach Skagerhorn, der Spitze Jütlands, fort und kann in zahlreichen Sandbänken selbst noch tief unter die Nordsee hinab verfolgt werden. Die Grenze derselben gegen das Kulturland ist oft sehr scharf gezogen – ein Fluß bildet dann wohl die Scheide –, meist aber verliert sie sich allmählich. Man schreitet aus der fruchtbaren Ebene heraus, die Wiesen werden magerer, der Boden sandig gehügelt, die Dörfer liegen weit zerstreut von dürftigem Acker umgeben, die Kiefer tritt auf und verkündigt mit Birken gemischt den Uebergang zur Heide, die schon einzelne Ausläufer entgegensendet. Endlich verschwindet die menschliche Nähe und mit ihr der betretene Pfad, und nach stundenlanger Wanderung über kahle, von Riedgras und Immortellen bewachsene Höhenzüge sieht man sich mitten in der Heide.

Ein wunderbar gemischtes Gefühl ergreift den Fremden, der sie zuerst betritt. Beklemmt steht er still, als sei er plötzlich auf einen verödeten, ausgestorbenen Planeten geworfen. Da sprießt kein Halm, da grünt kein Baum, da rankt sich keine Blume hinan: da ist nur Himmel und Heide. In der Tat, man mag fragen, ob das noch die Erde sei, der ein Schöpferwort zugerufen, daß sie Gras hervorbringe für das Vieh und Saat zu Nutz dem Menschen, und Wein, daß er erfreue des Menschen Herz.

Allerdings weckt auch der Anblick des Meeres ein ähnliches Bangen in der Brust, und selbst starke Menschen fühlten sich davon bis zur Ohnmacht überwältigt. Aber wie erhaben und schön ist dort das ewige Kommen und Gehen der Wellen! Wie reizvoll wechselt das Spiel des Lichts und der Wolken im Widerschein des feuchten Elements! Wie freundlich und stolz beleben die windgeschwellten Segel den unendlichen Spiegel! Da muß auch ein stumpfer Sinn sich gehoben fühlen; da an der großen Straße der Völker hat noch jedem der Odem der Freiheit und der Gottesgröße durch die Seele geweht.

Und hier? Ueberall dieselben langgestreckten, wüsten Rücken, überall dasselbe düstere Braun, dieselbe schwermütige Stille. Alles ist mumienhaft erstorben. Auch die Vegetation, die mit unüberwindlicher Zähigkeit das Land unterworfen, gleicht fast nur einem Pflanzengespenst, das kein Wechsel der Jahreszeit lebenerweckend berührt. Als sei plötzlich der Meeresgrund emporgehoben und die am Boden wurzelnden Tanggestrüppe unter dem ungewohnten Strahl der Sonne versengt: so stellt sich diese ununterbrochen von dem graubraunen Zweigwerk der Erika überzogene Fläche dar, das Bild eines verfallenen Gemütes, das aus sich selbst alles Leben gelöscht hat. Und dennoch ist es nicht bloß dieses Gefühl der Verlassenheit und Erstorbenheit, welches uns beherrscht. Mitten in diese unheimliche Scheu mischt sich leise ein heimlicher Reiz – und dieser Reiz heißt Natur. Ja, auch diese sonnverbrannte, ausgezehrte Heide fesselt, denn sie ist doch Natur. Uns, den reichen armen Erben der Zivilisation, ist sie allgemach fremd geworben; wir h?ren fast nur noch von ihr; denn was wir sehen ist nichts als eine dienstbare, entmannte Erde. Pflug und Axt sind die Gleichmacher, unter deren Schneide das Dickicht der Wälder und die tausendfältige Flora der Wiesen sinken muß, damit zinsbar Feld an Feld und Dach an Dach sich reihe. Zwar heftet sich auch an den Pfad der Kultur noch ein Gefolge freiwuchernder Pflanzen; aber wer möchte sich mit der schmutzigfahlen Sippe der Melden und Chenopodien, mit dem lichtscheuen Bilsenkraut, dem giftigen Nachtschatten, dem plattgetretenen Wegerich befreunden? Kaum daß noch Kornblume, Feldrose, Radel und anderes »Unkraut«, das wie eine neckende Koboldschar hinter dem Säemann einherläuft, da und dort ein erfreuendes Farbenspiel in die gleichen Wogen der Aehre werfen darf. – Hier aber, in der offenen Heide, ist kein Kornfeld, keine Straße, kein Dorf; die Erbe ist da noch frei vom Joche der Kultur. Eine einzige kleine Pflanze sperrt ihr den Weg, und zwingt sie, machtlos ihre Waffen zu strecken. Und so ist denn wirklich die Heide ein Stück reiner, ursprünglicher Natur, und darf man auch nicht sagen die einzige, doch sicherlich die am meisten eigentümliche Landschaft unseres Nordens, die zu Wald und Wiese die bedeutsamste Ergänzung bildet.

Der Boden der Heide ist großenteils Sand, der sich entweder in gerader Fläche hinstreckt oder schwache, lang auslaufende Hügelwellen aufwirft. Ueber den unfruchtbaren Grund ist eine sparsame Humusschicht gestreut, und sie genügt dem Heidekraut, um sein filzartig zähes Wurzelnetz hineinzuweben. Dies ist Erica vulgaris, die Sandheide. Wird der Boden sumpfig, wie in den abflußreichen Niederungen, so tritt an ihre Stelle die Moorheide, Erica tetralix. Häufig finden sich beide gemischt, doch herrscht die erstere Art entschieden vor. Es ist bereits oben bemerkt worden, wie sich bei dieser Pflanze der Steppencharakter sofort in der mangelhaften Blattvegetation und in der strauchartigen Entwicklung der Stengel ausprägt: ein Charakter, der sich, nur gesteigert, in den Euphorbien und Kakteen der warmen Zone wiederfindet. Saftlos und spröde entladet der Oberstock sich in einem Uebermaß von Zweigen, die in dichtem Busch nach oben drängen und so dem Unterstock nicht Kraft genug lassen, um einesteils einen aufstrebenden Stamm zu entwickeln, oder andernteils die zahlreichen Zweige mit grünem Blätterschmuck zu umkleiden. Dieser letztere findet sich nur in der dürftigsten Andeutung. Hart und kaum unterscheidbar schiebt sich Blättchen an Blättchen, so daß das Ganze wie ein zierlich gepreßter, feingezähnter oder geschuppter Stengel aussieht, den hier nur die Farbe verleugnet. Sie kontrastiert in ihrer grünen Moosfrische sehr merkwürdig mit dem leblosem Braun der ganzen Pflanze und müßte außerordentlich belebend wirken, wenn sich nicht eben die Blätter allzu unscheinbar in dem Wulst des Krautes verlören. Desto anmutiger tritt die Fülle der Blütenglöckchen hervor, die bald lila, bald zartrot, dichte Aehren ansetzen und warme, schimmemde Abendrottinten über die Heide ausgießen. Am schönsten sind die Blüten bei Erica tetralix, wo sie zu Trauben vereint von der Spitze zahlreicher Stengel zierlich errötend herabnicken. Ueberhaupt ist diese Art weicher und mehr Sumpfpflanze. Daher heftet sie ihre Wurzel nur locker in den Boden, der Seitenzweige sind wenige, alles schießt schlanker auf. Die feingewimperten Blättchen treten wirtelförmig um den Stiel, den sie von unten bis oben besetzen, aber ihr Grün ist sumpfig-trüb und grau, so daß sie den melancholischen Ton der Landschaft besonders bedingen.

So weit das Auge reicht, decken diese Kräuter die Fläche. Stellenweise, etwa im Schatten einer Krüppelbirke, drängt sich das Gestrüpp der Stechpalme (Stecheiche, Ilex aquifolium) dazwischen, deren scharfgezacktes Blatt, starr und glänzend wie Stahl, ganz zu dem harten Habitus dieser Vegetation paßt. Die Arnika streckt ihren Blütenstern empor, ein Stiefmütterchen duckt sich ins Moos, auch die Ginster ( Genista germanica und tinctoria) zeigen sich. In üppigem Gewirre richten sie ihr Rutenbündel empor, aber sie sind von einer drohenden Dornenbewaffnung umgeben, und ihre schwefelfarbene Blüte – dieselbe, die einst Hugo Plantagenets Helmzierde war – vermag nur wenig, die unliebliche Erscheinung zu heben. Ebenso wie sie harmoniert mit den andern Heidegestalten auch der Wacholder ( Juniperus communis). Dieser kümmerliche Strauch, starrend von Nadeln, deren blaugrüner Schimmer den Eindruck des Metallischen fast bis zur Täuschung steigert, liegt meist igelartig zusammengerollt am Boden, indem er in zahllosen, eigensinnig durcheinander geflochtenen Zweigen gleichsam ebenso viele Füße zur Erde setzt und sich jeder Gewalt entgegenstemmt. Das Ganze erscheint wie eine feste Masse, undurchdringlich geschlossen, und nimmt gern eine runde, seltsam geschorene Perücken- und Pilzgestalt an, als habe Flora oder ein neckischer Rübezahl die Taxusfiguren eines altfränkischen Parks kopiert. Auch in dem derben Duft der Nadel und mehr noch der reif und unreif durcheinander gemischten Beeren spricht sich die strenge Natur des Strauches aus. Erhebt dieser sich zu baumartiger Höhe, dann bildet er wohl eine Pyramide, einen Turm, eine Säule; immer aber bleiben seine Formen hart und schwer; nur die Schößlinge, die troddelartig spielend herabhängen, geben ihm etwas Weiches. Der Stamm ist von zäher Lebenskraft – daher auch sein Name [Fußnote]Der Name lautet ahd. wehhal-tra, mhd. quëckolter (von dem alten quëc, frisch, keck, lebendig, eben wie im Lateinischen juniperus von juvenis) und bedeutet den »immergrünen, arzneilichen Lebensbaum«. – und ohne der Rinde sehr zu bedürfen, wirft er diese leicht ab, so daß er nun seine im Sturmkampf gehärteten und gleichsam zu Spiralen zusammengedrehten Holzmuskeln aufdeckt. Ohne Zweifel ist der Wacholder die bedeutendste, wenn auch nicht die herrschende Charakterpflanze der Sandheide. Um ihn her, genährt durch den verdorrten, rostfarbenen Nadelabfall, siedeln sich Vaccineen an, besonders Heidel- und Preißelbeere ( Vaccinium Myrtillus und Vacc. Vitis idaea), die bekanntlich einen wichtigen Handelsartikel bilden. Ihr lederartiges, dem Buchs ähnliches Blatt legt sich in einen dichten Teppich zusammen, dessen Immergrün gemischt mit den blauen und scharlachrotem Beeren und der schämig versteckten weißlichen Blüte Auge und Fuß des Wanderers freundlich verweilen heißt.

Durchschreitet man in der Hitze eines Spätsommers die Heide, so folgt man gern diesem Winke. Unbewegt, wie eine kristallene Glocke, steht das Himmelsgewölbe, die Sonnenstrahlen spinnen flimmernd über der Steppe, aus der da und dort einzelne Sandblößen – Rinnsale einer versiegten Lache – hervorstarren, indes der Horizont sich in fahles, dunstiges Halblicht hüllt. Keine Wolke zieht durch die Luft, kein Schatten über die Erde. Umsonst horcht das Ohr nach einem anderen Laute, als dem Geschrill der Heuschrecke, das in seinem eintönigen Gezitter ganz zu der zitternden Mittagshitze stimmt und von Schritt zu Schritt den Wanderer begleitend, gleichsam das singende Sieden der Atmosphäre darstellt. Das Gefühl der Einsamkeit ergreift die Seele. Aber es ist nicht jenes erquickende der Waldeinsamkeit, in der wir immer ein leises Wehen und Weben der Schöpfung zu hören glauben, auch nicht jenes andachtvolle, mit dem wir vor den Trümmern untergegangener Größe stehen, sondern das bange, bedrückende der Leere. Schwermut, Todesmut ist der Ausdruck dieser öden Gefilde.

Vergebens auch beginnt Fata Morgana ihr Spiel. Ein Nebelgewebe zuckt über den Horizont, schattenhafte Bäume heben nickend ihre Wipfel, eine ganze Landschaft breitet sich aus, wie im Wellenschlage auf- und abschwankend. Aber bald zerfließt der unheimlich traumartige Zauber, und nun schießen rosenrote Streifen vom Himmel nieder. Dampfend steigt aus alle den Myriaden Blütenkelchen ein aromatischer Odem. Wie er die Szene, die im hellen Tageslicht dalag, gleich dem ausgebrannten Herde eines mächtigen vulkanischen Feuers, duftig zu verschleiern beginnt, so umfängt er auch sänftigend das Gemüt. Es sammelt sich zu ruhigerer Betrachtung und richtet sich achtsam auf das Kleinleben, welches sich, vorher unbemerkt, jetzt vor ihm entfaltet. Murmelndes Gesumm klingt heran. Es sind Bienen, die hier auf ihrer süßesten Weide zu Hunderttausenden schwärmen und die würzige Labe bereiten. Schon die Römer priesen den Heidhonig ( mel ericaeum) am höchsten, und der norddeutsche »Imker«, als Halbslawe ein echter Bienenvater, unterläßt nicht, jährlich sein fleißiges Zwergvolk auf einige Wochen hierher zu bringen. Am Rande der Heide stehen die Körbe ganzer Dorfschaften, die »Immenzäune«, unbewacht: denn die Einsamkeit selber hütet sie. So folgt die Kultur dem Wanderer auch in diese Abgeschiedenheit, und dasselbe kleine Insekt wird ihr Bote, welches, jenseits des Ozeans, dem rothäutigen Indianer noch heute der Herold der Zivilisation, der sichere, aber unwillkommene Ankündiger des »weißen Mannes« ist. Mit dem träumerischen Gesurr der Bienen mischt sich von Zeit zu Zeit der tiefere Laut der Hummel, die langsam vorüberdröhnt, wie ein verhallender Orgelton. Motten schwirren auf; goldschillernde Laufkäfer schießen gierig vorbei einer armen Raupe nach; ein Trauermantel sonnt sich am Boden, wählig die Flügel auf- und zuschlagend, als blinzle er verschlafen; die Eidechse schlüpft durch das Kraut; die Feldmaus lugt mit schwarzen Augen hervor, während dort die Erdspinne auf einen Fang lauert und verwundert die Ameisenpatrouille passieren läßt, die, scheint es, ihre neue Ansiedlung vor dem Ueberfall eines feindlichen Stammes zu hüten hat. Ueberall raschelt's und wimmelt's in der unendlichen Pflanzendecke. Hundert wundersame Würmchen ohne Namen umkrabbeln, umkriechen, umwühlen das staunende Menschenkind und freuen sich in stiller Lust der Blütenwildnis. Und wahrlich, sie ist schön! Das todgraue Kraut hat sich in einen Garten verwandelt, und beschämt und mit steigender Teilnahme betrachtet jetzt das Auge, das sonst nur ungeduldig in die Ferne schweifte, die Fülle des reizenden Tandes umher. Wer könnte die Zier und Mannigfaltigkeit dieser Knospen und Blüten schildern? »Dort hängen sie wie die reinsten Perlen in den schlanken schwanken Stiel gereiht, hier wiegen sie sich wie Korallenkügelchen an einem hellgrünen Seidenfädchen; diese ist ein Miniaturbild der Hagrose, jene weiße gleicht einer Beere; hier zittert ein Alabasterglöckchen, das dieser kleinen Welt vielleicht zur Hora läutet, dort dreht sich ein Atlaspantöffelchen in der sonnengetränkten Luft, und da schwankt ein weiß und rot gefärbtes Fläschchen; diese Blüte gleicht einem Turban, und jene hat ganz die Farbe und die Form eines silbernen Trompetchens.« Ist es nicht, als sei ein Elfenhaushalt aufgetan? Würde man sich wundern, wenn die kleinen Unterirdischen, die Sommergeister, aus ihren Schlupfwinkeln herbeikämen, mit diesen Turbanen und Perlen sich schmückten, aus diesen Fläschchen Honig schlürften, auf diesen Trompetchen musizierten? Nicht minder anziehend ist die Blättergestalt dieser Zwergbäumchen; mit dem dunklen Haar der Fichte und der Pechtanne wechselt das blaßgrüne Blatt der Weide und der Olive, der Schmuck der Tamariske und der Zeder. Und nun vergesse man doch ja nicht, daß dieses Blumenleben in eine Zeit reicht, wo auf der Wiese eben nur noch ein Weidenröschen, ein Augentrost, eine Skabiose blüht und im Garten Dahlie und Aster verschüchtert herabschauen auf die sterbenden Sommerfarben. [Fußnote]Die Heide »schämt sich« ist von der verspäteten Blüte unserer Eriken noch immer landläufiger Ausdruck. Schon Walther v. d. Vogelweide kennt ihn.

– gegen den vinstern tagen han ich not,
wan daz ich mich rihte nach der heide,
diu sich schamt vor leide,
so si den walt siht gruonen, do wirts iemer rot.

Ein heiserer Schrei hoch aus den Wolken zerreißt mit einemmale diese Bilder. Wir blicken auf. Ein Adler schwimmt einsam in majestätischen Kreisen über unseren Häuptern dahin, bis er jetzt mit ausgebreiteten Flügeln im Blau steht, »bewegungslos bewegt, wie der verkörperte Luftgeist selber.« Welche unsichtbare Hand hält ihn in der schwindelnden Höhe? Und auf welche Beute späht sein Auge? Ist es ein versprengter Damhirsch, ist es Reineke oder Lampe, sein betörter Freund, der hier – bei Hüfterloh und Krekelborn – ein zahlreiches starkes Geschlecht zeugt? Doch es bleibt nicht Zeit zu sinnen, denn schon neigt sich die Sonne. Ein leichter Hauch hat den Himmel umflort, dessen milchichtes Blau nun jenen blassen Ton zeigt, der über den Tagen des Spätsommers so sehnsuchtsvoll liegt. Dann und wann sinkt müde eine Wolke dem Horizonte zu, in die fernen, dunklen Waldleisten hinein, und wo vorher der trübschwüle Dunst des Mittags kochte, ziehen jetzt langgeschwungene, verwaschene Streifen dahin. Matter schimmert der Tag, aber noch wirft er sein vollstes Licht in die zahllos ausgespannten Fäden der Wanderspinne zu unseren Füßen. Seltsames Gewebe, Braut- und Witwenschleier der Natur zugleich! In den Spiegel eines Sees hat es die Fläche umher verwandelt und darüberhin flicht der Sonnenstrahl den silbern zitternden Steg, Wir folgen der Lichtspur, hügelan, talab, an mancher einsamen Föhre, an manchem flüsternden Birkenstrauch vorbei, indes über uns das Lied der Heidelerche klingt und uns immer tiefer in sanfte Wehmut wiegt.

Da hebt sich eine kahle lange Linie empor: ein Damm zum Schutz irgendeines Wassers. Wasser! Wasser in dieser Dürre! Ein murmelnder Bach, ein kühler Trank, ein frischer Rasen: welch lockendes Bild! Aber das Bett ist leer. Lautlos kriecht ein dünner Schlammfaden darin fort, dessen schwefeliges Salz jede Labung versagt. Statt des grünen Ufers wüstes Geröll, meist Feuersteine in ihrer weißen Kalkschale, dazwischen ein Echinit, ein Donnerkeil oder ein anderes seltenes Spielzeug Neptuns.

Wie der Damm allmählich sich senkt, ändert die Landschaft sich zusehends. Ein dunkler, feuchter, vom starken Eisengehalt hie und da braunrot gefärbter Boden verkündigt das Moor. Noch erinnert dieser Name an das Meer, und in der Tat bildet das Wasser, wenn eben auch nicht das Meerwasser, einen Hauptbestandteil und den eigentlichen nährenden Schoß dieser Erdform. Modernde Reste von Sumpfpflanzen, durchschossen mit verwitterten Stämmen, den Trümmern eines längstbegrabenen Waldwuchses, zähes Moos, das aus dem Untergange immer neu hervortreibt und manchmal Schichten von zehn Fuß und mehr bildet, haben sich hier zu einem dunklen Gemenge, gleichsam zu einem großen, wasserhaltigen Schwamme zusammengelegt. Das ist der Torf, getrocknet das Brennmaterial des Landes, und zwar schon seit Plinius' Zeiten, der von den Bewohnern dieser Gegenden sagt, daß sie » Erde brennen«. [Fußnote]Plin. H. N. XVI, I erzählt von den alten Chauken, was noch heute auf die Bewohner jener Küstenstriche nicht bloß, sondern auch anderer nordischer Heiden und Moore paßt: »Sie können kein Vieh halten, können sich nicht wie ihre Nachbarn mit Milch nähren, können nicht einmal mit wilden Tieren kämpfen, es fehlt ja dort alles Buschwerk. Aus Schilf und Binsen flechten sie Seile. Der Torf, den sie mit den Händen formen, wird mehr von den Winden als von der Sonne getrocknet; so kochen sie ihre Speisen und erwärmen ihre im Nordwind frierenden Leiber mit der Erde selbst. Als Getränk haben sie nur das Regenwasser, das sie vorn am Hause in Gruben auffangen.«Vorsichtig schreiten, wir weiter; denn immer liefer sinkt der Fuß in den elastischen Grund, und bald taucht nur Hügel an Hügel auf, die man springend erreichen muß, will man nicht in den Sumpf gleiten, der in tausend schwarzen, gährenden Adern durch das Moor schleicht. Dürre Binsenspeere und harte Riedgräser, mit weißer Wollflocke sonderbar behängt, blätterlose Moose, zuweilen auch wohl einmal der duftige Strauch einer Rosmarinweide ( Salix rosmarinifolia) bilden die Decke dieses Chaos, als sei hier das Leben im Hauche nasser Kälte erstarrt, während es auf der Sandheide der Glut einer unverhüllten Sonne erlegen schien. Es ist grauenhafte Oede, die dich umgibt, nur belebt von dem dunklen Gefieder und den eintönigen Rufen der Wasservögel. Mit dem seltsam dumpfen Gestöhn der Rohrdommel und dem klagenden Laut des Regenpfeifers mischt sich das Schnarren des Wachtelkönigs, das Schrillen der Schnepfe und das Gekreisch des Kiebitzes, der ruhelos wie ein gebannter Geist seine Feste umirrt. Tiefer hinein liegen ebene, fahlschimmernde Strecken. Der Unkundige hält sie leicht für festes Land, aber es sind Schlamminseln von unergründlicher Tiefe, durch die nur wenige gefahrlose Fuhrten leiten. » Bebemoor« nennt sie der Heidbauer. Ein Tritt des Fußes läßt die Fläche weithin er zittern, aber wehe dir, wenn du nicht schnell dich wendest! Du sinkst langsam, doch rettungslos, und stumm schließt sich über deinem ungehört verhallenden Todesschrei der schwarze Abgrund. Nur Vögel haben hier sichere Zuflucht, und selbst der Fuchs vermeidet den gefürchteten Bruch, über den seine leichten Sohlen ihn nicht mehr hinwegtragen. Zuweilen sammelt sich der Sumpf in schwarze, schweigende Wasserbecken, aus denen das Antlitz der Sonne leichenhaft hervorschaut, als klage es ein Verbrechen. Dort spreizt sich in ekler Ueppigkeit der Schierling, und auf dem breiten Geblätter der Nymphäen lagern im Mondschein Unholde und Nixen. Naht ihnen der Wanderer, so schlingen sie um ihn den grausigen Reigen, winken und rufen dem entsetzt Fliehenden und ruhen nicht, bis sie ihr Opfer erreicht oder der dämmernde Strahl des Morgens sie in ihr dunkles Reich zurücktreibt.

Wir wenden uns scheu und atmen erst wieder freier, nachdem wir die Höhe erstiegen haben. Und siehe da! in der Ferne kräuselt sich lustig – wir täuschen uns nicht – eine blaue Rauchsäule hinan. Es ist ein überraschender, fast heimischtrauter Anblick, wie der zarte Duft leise in den blauen Aether verrinnt, und hier – in der einsamen Heide – mag man sich wohl in die Seele des göttlichen Dulders Odysseus hineinfühlen, wenn er im Bann der Fremde sich sehnt, nur einmal den Rauch von seiner väterlichen Insel emporsteigen zu sehen. Aber was deutet dieses Zeichen uns? Ist es ein gastlicher Herd? oder nur ein stillverglimmenber Erdbrand? Das Geläut einer Blechglocke, das eintönig und dennoch nicht unmelodisch daherklingt, löst den Zweifel. Wir sind einer Heidschnuckenherde nahe. » Un peuple sauvage, nomméHeidsnucks!«[Fußnote]Eine wilde Völkerschaft, die Heidsnüks heißt. hatte jener Franzose an seine Regierung berichtet, als man ihm gesagt, in dieser Gegend lebten nur Heidschnucken. Er hatte vielleicht an Heiducken gedacht und jenen auch vielen Deutschen unbekannten Provinzialnamen der nordischen Steppenschafe so in komischer Weise mißverstanden. Nun, da ist es denn, das wilde Volk der Vließträger! Und allerdings hat dieser »Negerstamm unter den Schafen«, klein, schwarz an Kopf und Füßen, eine gewisse kecke Behendigkeit vor dem trägblökenden, fettschwänzigen Zuchtschafe voraus; sein frisches Auge, seine emporschnellenden, possierlichen Sprünge erinnern, um nicht zu sagen an das Reh, doch an die Ziege, wie denn auch seine Wolle ziegenartig straff ist, so daß sie einst ein Leipziger Kaufherr für Hundehaar erklärte. In munteren Gruppen bewegen sie sich um den »Master«, den Hüter der Herde.

Diese Schäfer bilden fast die einzige menschliche Staffage der Heide, und es läßt sich nicht leugnen, daß das einsiedlerische Nomadenleben derselben, welches sie, wenn auch in engem Kreise, wandernd von Weide zu Weide führt, gleichsam außer der nüchternen Ordnung des übrigen Lebens sich bewegt und in vollem Einklange steht mit der einsamen Poesie dieser Natur. Aber freilich der »Master« ist kein schwarzbärtiger Juhaß, der die Bunda malerisch über die Schultern geworfen, stolz wie ein Pußtenkönig auf seinem Stabe lehnt; er ist kein Campagnole, der, den Spitzhut tief ins Bronzegesicht gedrückt, mit feurigen Augen den unbegrenzten Horizont beschaut. Er gleicht ihnen so wenig, als die deutsche Heide den Heiden Ungarns oder der ruinenbedeckten Walstatt der alten Romana gleicht. Der Campagnole schwingt in der sehnigen Faust die Lanze, aus dem Gürtel des Juhaß blitzt der Dolch, und den Gascognerhirten, wenn er auf hohen Stelzen die Sümpfe der »Landes« durchschreitet, begleitet allenthalben die sichertreffende Flinte. Dieser romantisch-ritterliche Schein, der auch wohl etwas vom Räuber haben mag, fehlt dem Heideschäfer ganz und gar. In den weißwollenen, innen rot ausgekleideten Mantelrock gehüllt, mit den blauen Augen ins Weite starrend, sitzt er auf einem Baumstumpf und – strickt. Vielleicht flicht er auch einen Korb, oder er schnitzt einen Löffel, einen Holzschuh oder ein anderes Stück seines einfach rohen Hausrats. »Er wendet sein rotwangiges, eben nicht reines Gesicht auf dich; aber er öffnet den Mund nicht, um dir zu sagen, daß er dein Hochdeutsch nicht versteht. Sprechen ist eine Kunst, die er so selten übt, daß er vor einem Fremden die Anstrengung nicht machen will. Dennoch ist er nicht ungastlich, und müht sein schwerer, roter Finger sich auch jetzt mit der Nadel, so erprobt er doch zuweilen die Faust im harten Strauß. Der Adler schwebt über seiner Herde, stürzt herab und packt ein Stück; ein Wolf, aus den polnischen Wäldern verschlagen, bricht in die Hürden und mordet die hilflosen Tiere zu zehn und mehr. In solchem Falle gilt es dann freilich auch ein Beil, ein Schlachtmesser, gelegentlich ein Feuergewehr zu gebrauchen und im Kampfgemenge etwas zu wagen.« Der Schäfer weist uns mehr mit Gebärden als mit Worten die Richtung, die wir einschlagen müssen, um auf die große Heidstraße zu gelangen. Sie führt nach Hamburg. Heutzutage wird sie allerdings nur wenig betreten; an ihre Stelle ist der eiserne Schienenweg getreten, der seinen Ring um die Heide geschlagen hat und mit Blitzesschnelle den Reisenden seinem Ziele zuträgt. Wie eine Geisterkarawane donnert der Zug am Rande der Einöde vorüber und läßt seine Dampfwirbel in wunderbaren Gebilden auf der braunen Fläche verflattern, während der Heidbauer staunenden Blicks das fabelhafte Roß verfolgt, dessen Schnaufen noch weithin durch die stille Luft klingt. Die alte Hansastraße ist bald erreicht. Aber was für eine Straße ist das? Hundert Gleise nebeneinander, in allen Richtungen zersplitternd, als habe jedes einzelne Gefährt seine irren Furchen zurückgelassen. Man überläßt sich wahllos dem Zufall, denn alle diese Spuren führen zum Ziel. Nur behalte man achtsam die hohen graubemoosten Signalstangen im Auge, die von Zeit zu Zeit auftauchend, die Wegweiser ersetzen. Davoust hatte sie zuerst einschlagen lassen, als er – mich dünkt im Jahre 1813 – eine der französischen Heersäulen durch die Heide führte.

Seitab in einer Senkung verloren, liegt die Hütte eines Torfgräbers. In ihrem spitzen Rohrdach, das wie eine finsterbuschige Augenbraue tief herabhängt über das niedrige Fenster und die niedrige Tür, gleicht sie fast einem jener indianischen Grabmäler Nordamerikas. Daneben zieht sich ein Feldstreifen hin; aber die hungernden, notreifen Halme tun dem Auge nicht wohl. Es ist ein karges Stück Brot bei viel Arbeit und Schweiß, und nur der Buchweizen, ein aus lauter Gelenken aneinandergesetztes, niedriges Kraut, gedeihet und liefert dem Heidbauer in seinen Körnern ein Hauptnahrungsmittel und den Bienen in der weißrötlichen Blüte eine reiche Weide.

Inzwischen ist die Sonne hinabgesunken. Halbverhüllt in Wolken, die wie Rauch um ein Opferfeuer ziehen, steht sie am Horizont, und wirft flackernde Strahlen über die Landschaft. Immer weiter wachsen sie hinaus, immer röter brennt der Abend, immer tiefer wird über uns das Blau. Nun fachert im West nur noch eine dunkle Flamme und wirft einen langen, glühenden Blick zu uns her, und nun ist auch diese verloschen; aber die Brandstreifen schlagen purpurn zum Himmel auf. Das Schauspiel, welches in solchen Augenblicken die Heide bietet, ist großartig. Die feurigen Fernlinien, auf denen dort ein Tannicht seine düstern Kandelaber emporstreckt oder ein einsamer Zugbrunnen den Arm wie drohend in die Luft hebt, der trübaufleuchtende Spiegel eines Moorkolks, die schwarzen Erdmassen, in welchen hundert Elemente zu gähren scheinen, die abenteuerlichen Wolkenformen, die Drachen und Ungetüme, die sich jetzt im Ost heraufwälzen, dazu aus der Höhe der schmetternde Trompetenton eines Kranichzuges: das alles tritt zu einer grandiosen, magischen Wirkung zusammen. Es ist, als wandle die Riesin Sage in wallendem Königsmantel, in der Hand das funkelnde Schwert, auf dem Haupte die blitzende Krone, über die Heide und rühre die Gräber an und wecke die schlafenden Hünen, daß sie aufstehn und das Nebelroß besteigen und zu Speer und Streitaxt greifen. Aber freilich, hier haben sich keine Heldengeschlechter gebettet. Der romantische Zauberduft der schottischen Heiden weht nicht über diese Ebene. Selbst jene großen Steinringe – jene Dingstätten und Mäler der alten Stammhäuptlinge – die den ganzen Norden bedecken, zeigen sich hier nur stellenweise, und die Schlachtfelder, auf denen in grauer Zeit Sachsen, Wenden, Friesen und Jüten zusammentrafen und bis zur Vernichtung kämpften, muß man weiter hinauf, auf dem schleswig-holsteinischen Landrücken suchen. Unsere Heide ist ein leeres Blatt in dem blutigen Buch der Geschichte.

Immer dämonischer gestaltet sich's umher. Während das letzte Abendrot in der Dämmerung stirbt, stiehlt sich fahl und scheu der Mond herauf und zieht die Nebel aus der Moortiefe. Nun zerfließt Luft und Erde zu einem grauen, toten Schein, in den der Schatten des Wanderers sich wie ein gigantisches, ungeheuerlich schreitendes Gespenst hineinzeichnet. Alles wächst ins Schranken- und Formlose, die langen Flächen liegen wüst und weit wie die Gefilde des Hades, und die Nebel ziehen in grotesken Geschwadern schemengleich auf und ab. So wird man sich die Szene denken müssen, in welcher Shakespeare die Hexen über Macbeth den Schicksalsspruch rufen läßt; auf einer solchen Heide hütet Fafnir seinen Schatz.

Aber jetzt blitzt ein Licht auf, und ehe wir's denken, stehen wir vor einem Hause, das zottige Hunde wachsam umkreisen. Wir sind » in Konstantinopel«. Denn dies ist der sonderbare, aber doch nicht witzlose Name des einsam, mitten in der Heide belegenen Wirtshauses oder »Kruges«. Ein paar stämmige, verknorrte Eichen, ein Quell, eine Handvoll fruchtbarer Erde, und die Ansiedlung war da. Das Gebäude streckt sich lang und niedrig hin, denn es ist ein echtes Bauernhaus: ein steil aufgestaffeltes Strohdach ohne Schornstein, auf der First noch ein fußhoher Kamm von Heidekraut, darüber ein zerfetztes Storchnest zutraulich herabgrüßend, während aus dem Giebel das uralte Sachsensymbol, der holzgeschnitzte Pferdekopf bedeutungsvoll herausschaut. Wir treten ein, von neugierig starrenden Augen gefaßt. Statt der Lampe »schwelt« ein Kienspan, und das braungebeizte Holzwerk der Stube nimmt sich eben nicht freundlich aus; aber das Gemach ist luftig, die Dielen sind mit weißem Sande bestreut, die Wände sauber gefegt. Der Eindruck der Reinlichkeit hat immer etwas Wohltuendes, und hier wirkt er sogar überraschend. Man fühlt sich heimisch, das einfache Mahl – Ziegenmilch, Brot und Honig – wird gern geboten und schwelgend genossen, und bald nimmt den Müden das Strohlager auf. Er sinkt, vom Ticken der Holzuhr eingewiegt, in tiefen Schlaf und träumt von räuberischen Czikosen, von braunen Zigeunern, die das Feuer schüren und das Cymbal schlagen, oder von dem einsamen Blockhause der Savannen, bis der Morgen ihn zu neuer Wanderung weckt.

Das ist die Bienenheide. Sie mag dem Ackerbau wahrscheinlich für immer entzogen sein. Aber dem Rande zu, wo kein Sand den befruchtenden Regen hindurchläßt und ein Flüßchen sich nährt, da winkt manche Oase, und Buche und Eiche gruppen sich auf grünem Rasen und überdecken das freundliche Gehöft eines behäbigen Edelbauern, der dann freilich Heidebilder in hellerem Kolorit zu zeichnen weiß.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Norddeutsche Landschaft