Das Kornfeld

Im Korne zwischen seinen Aehren
Durchschlich es mich besonders. Kehren
Die mannigfaltigsten Gesicht'
Aus ihm hervor die Blumen nicht?
Steht es nicht wie des Waldes Mauer
Und ladet zum Verborgnen ein?
Und lebt doch nur so kurze Dauer;
Die Ernte kommt, es fällt der Hain
Der schlanken Halme, darauf sauset
Der Wind in Stoppeln, wo nichts hauset.

Immermann.


Es ist uns geläufig geworden, wenn wir von Natur und Naturschönheit reden, nur an reine, von Menschenhand unberührte Formen der Landschaft zu denken. Unbewußt oder bewußt liegt dieser Gewohnheit eine richtige Anschauung zugrunde. Denn wo der Mensch, sei es bildend, sei es zerstörend, eingreift in die Gestaltung der Erdfläche, da ist es überall ein Bedürfnis, das ihn treibt, ein Nutzen, den er erstrebt; und wie im Reiche der Kunst, so wird auch in dem der Natur der spröde Zweck meistens der Tod des Schönen sein. Natur und Kultur stellen Gegensätze dar. Aber allerdings keine unvereinbaren Gegensätze. Nichts beweist dies vielleicht deutlicher als der Park oder die Kunstlandschaft, die – wie der Name sagt – eben auf Grundzügen, von der Natur selbst gegeben, und im Geiste derselben gefaßt, eine gleichsam ideale Wirklichkeit schafft. Aber man darf vielleicht noch weiter gehen und behaupten, daß keine der Gestalten, in welche der erobernde Mensch den Boden zwang, jener Poesie ganz entbehre, die aus freier Natur allenthalben weht. Ja, selbst die ärmste aller Kulturformen, selbst das Kornfeld hat noch immer einigen Anteil an dem stillen tiefen Reiz des Erdlebens. Die nachfolgenden Zeilen haben es sich zur Aufgabe gestellt, in dem Bilde, welches sie von unseren Getreidefluren geben, vornehmlich auch diese Seite hervorzuheben. Und gewiß wird, wer diese von vornherein leugnen zu müssen glaubt, doch die großartige geschichtliche, man kann sagen, ethische Bedeutung der Getreidepflanzen und ihres Anbaues so weit anerkennen, um auf sie einmal den unbefriedigt darüber hineilenden Blick sinnend zurückzulenken und die Wahl eines scheinbar so trivialen Themas entschuldigt zu finden.

Es ist bekannt, daß die Kornarten zu den Gräsern gehören. Mit einer seltenen Fülle nährender Kräfte hat die Natur dieses verbreitetste unter den Pflanzengeschlechtern begabt; aber sie verbirgt sich, dem Auge kaum sichtbar, zumeist in jenen glänzenden, zierlichen Stäubchen des Stärkemehls, welche in den Zellen des Samenkorns lagern und den jungen Keim bedecken. Diese unscheinbaren Pflanzen und ihre wunderbare Ausrüstung machen allein ein Leben in unseren Zonen möglich. Sie, samt der Kartoffel, vertreten hier bis über den Polargürtel hinaus das Welschkorn und den Reis, die Palme, die Banane, den Yam und alle die anderen Brotpflanzen, welche bald mit dem Fleisch der Fruchthülle, bald mit dem Mark des Stammes oder dem Mehle der Wurzeln den schwarzen und braunen Menschen nähren.

Doch allerdings nicht ganz allein in jenem Mehle sammelt sich der sättigende Stoff des Getreides. Die Wissenschaft zählt hierher auch noch eine andere Substanz, den leimähnlichen, faserigen Kleber, der zwischen den Stärkekörnchen verteilt, mit ihnen und mit dem Pflanzeneiweiß das kunstvolle Gewebe der Zellen erfüllt. Dieser letztere Name erinnert sofort an das tierische Leben; und in der Tat, ein Ei, ein Pflanzen ei ist jener Same, ist auch jedes einzelne Korn.

Gleich dem des Vogels im Nest ruht es im Schoß der Erde, die Sonne legt sich brütend darüber, und in der feuchten Wärme erwacht das verborgene Leben. Bald sprengt es seine Hülle, und jenem zwiespältigen Triebe folgend, der die Pflanzenwelt vom Dunkel zum Licht, vom Licht zum Dunkel zieht, drängt das Blättergebilde freudig nach oben, aber die Wurzel senkt sich erdwärts. Wie unzählige Male ist dies stille Wunder des Frühlings belauscht und besungen! Und wie erfreut es immer wieder den Sinn, wenn aus dem ersten Grün, vom Regen getränkt, vom Licht umschmeichelt, der Halm mit saftigen Röhren steigt, wenn Glied auf Glied sich baut und endlich die Aehre hervorbricht und in den Sommerlüften schwankt!

»Himmlische Geister – wer sonst? – sie wandeln zwischen den Furchen
Auf und ab, von Halm zu Halm, und schaffen gewaltig.« (Hebel.)

So wächst sie still und emsig fort die »goldene Kraft« der Aehren, bis die Sichel die gereiften schneidet und der Herbst sie in die Scheunen sammelt. Das ist die Geschichte des Saatkorns.

Wir nennen die verschiedenen Arten des Kornes mit zusammenfassendem Ausdruck Getreide. Das fast undurchsichtig gewordene Wort bezeichnet sie als das Getragene (Ahd. gitragidi, Mhd. getregede), das Erdgezeugte, als Gabe der Erde. Und welches andere Geschenk der reichen Mutter verdient mehr die Auszeichnung eines solchen Namens? Und welch ein Um- und Ausblick käme an Weite dem gleich, der sich an die Verleihung, gleichsam an die Belehnung des Menschen mit dieser Erd- und Himmelsgabe knüpfte?

Jahrhunderte, Jahrtausende tun sich auf und führen uns bis in die ersten Zeiten des Menschendaseins zurück. Heimat- und obdachlos streift der Jäger durch den Urwald, horchend und spähend beschleicht er das ruhende Wild, oder erjagt im Wettlauf das flüchtige, fordert es mit roher Waffe zum Kampf. Sein blutiges Gewerbe duldet keine Genossen: er bedarf großer Erdstrecken, damit Hirsch und Bison sich nähre, in deren Fell er sich hüllt, deren Fleisch seinen Hunger bändigt, aus deren Blut er neue Wildheit trinkt; einsam wie er gelebt, endet er einsam. Wie ganz anders erscheint neben ihm der Hirt! Sein Geschäft ist nicht mehr der Mord: er nährt, zähmt, erzieht das Tier; schon werden die edleren Kräfte des Gemütes wach; nach oben zu den ewigen Gestirnen richtet sich sein ahnendes Auge, und in der Weite der Ebene oder im Tal des Gebirges erhebt er die Stimme zum Wechselgesang. Aber noch folgt er mit dem beweglichen Zelt der weidesuchenden Herde von Steppe zu Steppe, auch er ist noch fremd und ohne Heimat auf der Erde, und in langen Fehden vertilgt oft ein Geschlecht das andere. Erst wenn er den Jagdspeer und den Hirtenstab weggeworfen, wenn der Pflanzensegen der Erde seine irren Schritte hemmt und ihn die Kunst lehrt, säend und erntend mit unblutiger Hand sein Brot zu bauen, wenn er auf die großen Ordnungen der Natur ein stetiges Dasein gründet: dann erst im Ackerbauer ist der Mensch zum Menschen geworden und mag versuchen, die großen Aufgaben der Menschheit zu erkennen und zu lösen. Um die feste Wohnstatt breiten sich umfriedete Marken, gesellt sich mannigfaltiger Schmuck des Bodens; Hütte tritt neben Hütte, auf beschirmtem Altar brennt das Opfer, und bald erwachsen aus dauernder Gemeinschaft die Tugenden und Kräfte der Völker. Nur der ackerbauende Mensch ist zum Herrn der Erde berufen; vor ihm verschwanden und werden noch verschwinden alle die anderen wilderen Geschlechter, wie dies jener Jägerhäuptling, dessen Rede uns Crevecoun aufbewahrt hat, in der eigentümlich treffenden Weise indianischer Naturberedtsamkeit aussprach. »Seht ihr nicht,« rief er den Missisaes zu, »daß die Weißen von Körnern, wir aber von Fleisch leben? daß das Fleisch mehr als dreißig Monden braucht um heran zu wachsen und oft selten ist? daß jedes jener wunderbaren Körner, die sie in die Erde streuen, ihnen hundertfältig wiederkehrt? daß das Fleisch, wovon wir leben, vier Füße hat zur Flucht, wir aber deren nur zwei besitzen, es zu erjagen? daß die Körner da, wo sie die weißen Männer hinsäen, bleiben und wachsen? daß der Winter, der für uns die Zeit mühsamer Jagden, ihnen die Zeit der Ruhe ist? Darum haben sie so viele Kinder und leben länger als wir. Ich sage also jedem, der mich hören will: Bevor die Zedern unseres Dorfes vor Alter werden abgestorben sein und die Ahornbäume des Tales aufhören uns Zucker zu geben, wird das Geschlecht der Kornsäer das Geschlecht der Fleischesser vertilgt haben, wofern die Jäger sich nicht entschließen zu säen.« In der Tat, eindringlicher konnte kaum die praktische Seite der Wahrheit dargetan werden, daß dem Ackerbauer die Welt gehört. Auf seinem Geschäft, als auf einer unzerstörbaren äußeren Grundlage ruht zuletzt alles, was die Menschheit errungen hat in Sitte und Bildung.

Was dem Ackerbau diese geistbildende, sittigende Kraft gegeben, war ohne Zweifel die hier so augenfällig hervortretende Abhängigkeit des Menschenwerkes von der über ihm waltenden Macht und die Notwendigkeit unausgesetzter, angestrengter Arbeit. Es ist wahr: auf jenen Inseln der Südsee, auf welche die Sonne mit immer gleicher Liebe blickt, führt der Mensch ein müheloseres Dasein. Der Tahitier, wenn er um seine Hütte eine Reihe von Brotbäumen gepflanzt, hat damit nach Cooks Ausspruch genug getan für sein ganzes leben, und er darf alles weitere der Natur überlassen. Er braucht nicht wie der Landmann rauherer Klimate jahraus, jahrein im sauren Schweiß dem Erdboden seine zweifelhaften Gaben abzuringen und hinterläßt doch in jenen Bäumen noch ein reiches Erbe. Aber dieses beneidete Inselvolk ist eben auch nur ein »Volk von Kindern« und wird es bleiben, solange nicht eine andere Tätigkeit die schlummernden Kräfte stachelt. Mit Recht ist deshalb von jeher das Ackergeschäft als ein ehrwürdiges, heiliges gepriesen worden, und die Dichtung aller Völker hat aus dem Wachsen und Reifen, aus Saat und Schnitt der Aehren eine Fülle der schönsten Bilder gewonnen. Fromme Gebräuche begleiteten durch lange Jahrhunderte, ja bis auf den heutigen Tag das Leben des Landmanns, Frucht wie Acker sind geweiht und unverletzlich. Gott selber hat die Hand darüber. Wer Getreide vom Felde stiehlt, der erbricht nach altskandinavischem, noch immer gängem Ausdruck, die Lade, den Schrein Gottes; wer die Grenze frevelnd verrückt, dessen friedlose Seele geht als Irrlicht in Moor und Sümpfen um.

Wer aber hat zuerst dem ärmlichen Halme das Geheimnis seiner Kräfte abgelauscht? Wer hat das erste Samenkorn gesät? In welchem Tal, auf welcher Flur wurde die erste Furche gezogen? Das sind Fragen, die gewiß ihre Berechtigung haben. Allein wie oft sie auch gestellt, und wieviel Fleiß an ihre Erforschung gesetzt worden: eine Antwort ist noch nicht gefunden. Und sie wird auch schwerlich je gefunden werden, denn die Anfänge des Ackerbaues liegen jenseits aller Geschichte. Mythen und Sagen verhüllen sie, ungleich an poetischem wie an historischem Wert, aber frommen Sinnes darin alle übereinstimmend, daß sie das brotspendende Korn als eine unmittelbare Gabe des Himmels bezeichnen. Von da herab brachte es eine milde Gottheit und lehrte mit eigenen Händen den Menschen Pflug und Sichel führen und die Kunst der Spindel.

So verehren selbst die rohen Odjibwaindianer den Mais als die »Beere des großen Geistes«, und sie erzählen sinnig, es sei der erste Halmbüschel dieses Kornes in Jünglingsgestalt aus den Wolken herniedergekommen, und gleich bedeutungsvoll ist die mohammedanische Legende, nach welcher das Weizenkorn zugleich mit Adam aus dem himmlischen Paradiese zur Erde sank, aber im Falle zu seiner jetzigen Kleinheit zusammenschrumpfte, damit der Mensch Mühe habe es zu bauen.

Jedenfalls wird der »leitende Instinkt« kaum irgendwo deutlicher in der Geschichte unseres Geschlechts erkannt, als in dem Auffinden des nährenden Korns, ja überhaupt aller »der Mittel, die der Mensch in den verschiedensten Weltgegenden sowie in den verschiedensten Formen zum Genusse sich angeeignet hat.« (Schubert.)

Auch über das Vaterland der Getreidearten hat bis jetzt keine Forschung genügendes Licht verbreitet. Doch scheinen alle Spuren auf die große Heimat im Morgen hinzuweisen; und wäre begründet, daß ein wildes Gras, welches unter dem Namen Aigilops [Fußnote]Diese in den Küstenländern des Mittelmeeres und der Adria sehr häufig vorkommende Grasgattung stimmt mit dem Weizen auffallend überein; nur sind bei ihr die oberen Aehrchen taub, die Früchte beiderseits vertieft und die Balgklappen mehr bauchig. Der Gärtner Esprit Faber in Ayde bei Montpellier kultivierte dieselbe während eines Zeitraums von zwölf Jahren. Dadurch wurden ihre Fruchtähren länger, die Blüten abortierten weniger, die Klappen wurden minder breit und platter: kurz, das Gras Aigilops hatte sich in Weizen umgewandelt und fiel auch nicht wieder in die frühere Form zurück. Das deutsche »Weizen« (goth. hvaiteis) bezeichnet das weiße Korn, im Gegensatz also zu einer schon vorhandenen schwärzeres Mehl und Brot gebenden Getreideart (dem Roggen oder Hafer). an den Küsten des Mittelmeeres wächst, die Urform des Weizens sei, so dürfte man ähnliche für Roggen, Hafer, Gerste annehmen. Die erste und letzte dieser Getreidearten waren im höchsten Altertume bekannt, und die Gerste, in welcher die Rosse Agamemnons schwelgten, war dieselbe, welche heute auf unseren Feldern steht, wie die Wachtel ihren Lockruf schon aus den Weizenfeldern des römischen Landmannes erschallen ließ. Erst später wird der Hafer genannt und zwar zunächst nur als Unkraut, [Fußnote]Daher Plinius H.N. XVIII, 17, 44: »Die erste Verderbnis des Getreides ist der Hafer (und die Gerste entartet in Hafer!)« Es war dies der wilde sog. Gauch- ober Windhafer ( steriles avenae bei Vergil. Georg. I, 154). Auch bei uns deuten vielleicht Worte wie Haberkirsche, Haberpflaume u. a. auf dies üppig wuchernde Unkraut, um eine Entartung ursprünglich edler Gewächse zu bezeichnen; oder sollte dies Haber auf Aber (After) zurückzuführen sein, wie in Aberwitz, Aberglaube? am spätesten der Roggen, der jetzt für den deutschen Norden das wichtigste Getreide ist und wohl vorzugsweise »Korn« heißt. Ihn sollen die Hunnen nach Europa gebracht haben. Wie zuweilen die brandende See aus Trümmern der Schiffbrüche wertvolle Erzeugnisse der Menschenhand oder der Natur ans Ufer schwemmt, so wäre uns, der Ueberlieferung zufolge, diese edelste Gabe aus der verheerenden Flut der Völkerwanderung als Erbe nachgeblieben.

Ueberblicken wir, wohin heute der Bau der Zerealien sich ausgebreitet, so öffnet sich ein weites Gebiet, und Staunen ergreift uns über die unzerstörbare Lebensfähigkeit dieser Pflanzen. Denn von den Hochtälern des Himalaya und der Kordilleren, 10 bis 13 000 Fuß über dem Meere, bis zu den Eisfjorden Finnmarkens und den Schneefeldern von Jakutsk streckt sich ihr Bereich. Hier, in einer Breite von 62 Grad, wo die Erde mehrere hundert Fuß tief ewig gefroren ist und nur ein kurzer Sommer dieselbe einige Zoll hinab aufgetaut, gedeihen noch Halmfrüchte in Menge. So verleugnet sich nirgends der mütterliche Segen der Natur. Wo Reis und Mais nicht mehr gedeihen, da sprießt der Weizen; ihm gesellt sich der Roggen, um bald ihn ganz zu ersetzen, bis endlich Gerste und Hafer an seine Stelle treten; und noch immer ist es dem Kulturtriebe des Menschen gelungen, diese Grenzen mit versuchender Hand weiter hinaufzuschieben. Ueberall umhüllt den Planeten dieselbe Atmosphäre, aus welcher in die mikroskopischen Poren der Pflanze die nährenden Gase dringen; überall in der Erde findet die Wurzel den Wasserquell, der die Organe frisch und geschmeidig erhält und ununterbrochen neue Stoffe gestaltet; überall den Kiesel, der dem dünnen Halme Festigkeit und Dauer, gleichsam das tragende Gerüst gibt, das zwar die Sense des Schnitters schartig macht, aber auch dem trockenen Halme noch eine lange Brauchbarkeit und selbst jene lieblich rührende Musik verleiht, welche der Kleinrusse seiner Strohharmonika entlockt. In Gegenden, denen diese Bedingungen des pflanzlichen Wachstums fehlen, ist auch kein Platz mehr für ein menschenwürdiges Dasein.

Je größer sonach die kulturgeschichtliche Bedeutung des Kornes ist, um so geringer erscheint nun dagegen die ästhetische. Die Getreideflur hat wenig malerischen Reiz. In eintöniger, gleicher Linie scheidet sich Feld von Feld. Es ist, wie der Dichter sagt, die

»... Schrift des Gesetzes, des menschenerhaltenden Gottes;
In den Teppich der Flur hat sie Demeter gewirkt.« (Schiller.)

Die Schrift des Gesetzes. Gewiß! Aber darf man sie schön nennen? und ist in der bunten Mosaik, in dem schachbrettartigen Getäfel, zu dem die Ackerstreifen sich zusammensetzen, etwas anderes sichtbar, als die mühende, regelnde Hand des Fleißes? Es ist die Erde in Knechtsgestalt, die wir sehen, abgerissen von ihren Schultern der stolze Mantel der Wälder, von ihrem Busen das Geschmeide der Wiesen; den freien Schwung ihrer Formen fesselt ein knappes, karges Gewand, für welches der Poet vielleicht lieber die Nacktheit der Wüste tauschen möchte. Oder sind nicht etwa gerade jene Erdstriche, aus deren reichem Segen ein großer Teil Europas seine Speicher füllt, verhältnismäßig die ärmsten an schönen Landschaften? Brot, Brot! das ist der einzige Eindruck, den der Wanderer aus diesen weitgedehnten Getreideflächen mitnimmt. Der Gedanke an die Notdurft des Lebens ist's, der ihn begleitet und festhält.

Und dennoch wäre in dieser Härte ausgesprochen das Urteil ein unbegründetes. Denn auch das Kornfeld hat seine Poesie, und sie umwebt uns – wie so oft – auch ungesucht.

Wir betrachten das einzelne Gewächs. Es ist geruchlos wie die meisten Gräser. Es hat keine farbige, üppige Blüte, kein schöngeschwungenes Blatt. Wieviel stolzer erhebt sich dagegen der saftschwellende Schaft des Welschkorns, um der vielgefeierten Palme ganz zu geschweigen, in deren Schatten und von deren Früchten der Mensch der Tropenzone lebt! Eine spärliche Wurzel, ein dürftiger, kahler Halm, so schwank als könne jeder Hauch ihn knicken, eine einfache Aehre: das ist das Ganze. In das Kleid der Armut haben sich von jeher die Wohltäter der Menschheit geborgen.

Aber wie noch das tote, abgeschnittene Stroh uns vertraut anspricht, wenn es das Dach der Dörfer so behaglich warm und sicher überdeckt, so entzückt schon sein erster junger Blätterschimmer. Oft ehe noch die Wiese grünt, grünt das Korn. Aus der Schneehülle selbst hat es Kräfte des Gedeihens gesogen, und fröhlich blickt es in den Frühlingssonnenschein und hinauf in den Aether, durch den jetzt tausend Ströme neuen Lebens ziehen. Wer hätte in solchen Zeiten nicht mitgefühlt die große Erneuerung und Wiedergeburt der Natur? Vor diesem milden, himmelgezeugten Grün löst sich auch ein schneidender Schmerz in Wehmut und Sehnsucht, und selbst den Bösen mag ein frommes Erinnern rühren. In die grünen Sprossen aber baut die Lerche ihr Nest, und darüber schwebt ihr Lied, das unermüdliche, kinderlautige, kreisende Lerchenlied, und es singt und klingt im Morgenrot und Abendschein, unter Regenschauer und Windesrauschen, durch alle Himmel weiterzündend – ein jauchzendes Schöpfungshalleluja!

Weiter, rascher wächst das Korn. Bald schießt der Halm hervor, aber auf der Spitze trägt er die Speise des Menschen. Da ist zuerst die schwanke, grannenbesetzte Aehre des Roggens, und bald folgt ihr auf kleinem Stengel die schönere Gerste mit den langen Haarstrahlen, jede Aehre ein schimmernder Schweif, das ganze Feld ein glitzerndes Gespinst. Dann auf dem saftigen, strafferen Halme die massive Aehre des Weizens, der man ihre süße Fülle wohl ansieht, und zuletzt die Haferrispe, des Herbstes zierliches Glockenspiel. Welch ein flimmerndes Gewimmel beflügelter Körnchen ist das!

» .... Wer hat an sidene Fäden
Do 'ne Chnöspli gehenkt und dort mit chünstligi Hände?« (Hebel.)

Gewiß, auch solch ein Halmenfeld ist schön: sei es, daß es ein stiller Wald träumend in die Luft stehe, oder daß buhlend der Wind in seinen Wellen wühle. Wenn da in den Tagen der Sommersonnenwende die langen Kornwogen dunkellicht aufschlagen und die Hügel hinauf und hinab und weiter und weiter ziehen, und die ganze Fläche jetzt violett, jetzt silbergrau schimmert, dann ahnen auch wir, gleich unseren Vorfahren, im Neigen und Beugen der Halme den Segensgang der befruchtenden Naturkraft. Dann mag noch immer Frô, der schützende Gott, auf seinem Eber durch die Fluren reiten und Gedeihen geben, [Fußnote]So sagt noch jetzt der Landmann der Wetterau, wenn die Kornähren im Winde wallen, daß der Eber im Korn gehe. oder Walpurgis, [Fußnote]Die heilige Walpurgis hat als Beschützerin der Feldfrucht drei Aehren zum Attribut, wobei nicht zu vergessen, daß an ihrem Tage (1. Mai) die Saaten ihr höchstes Wachstum beginnen. Aehnlich verehrt man in Frankreich eine notre dame de trois épis. die heilige Aehrenhüterin, die Saaten weihen. Aber auch ohne diesen frommen Glauben – welches Auge verfolgte nicht mit Lust die reizenden Linien jenes Spiels? Und wer empfände nicht im Anblick dieses stillen Regens und Lebens dem Dichter nach, wenn er darin ein Bild erkennt der im Menschengeist wachsenden und wogenden Gedanken? Oder wer hätte nicht schon, wenn er durch das schlanke Geröhre wanderte, jener Szene gedacht, in welcher Dorothea an Hermanns Arm der neuen Heimat zueilt und mit ihm des wankenden Kornes sich freut,

»Das die Durchschreitenden fast
die hohen Gestalten erreichte –?«

Und was flüstern nun diese schwankenden, wiegenden Halme? Was raunt in diesem Rauschen, in dem es immer wie ein verborgenes reifendes Feuer zu knistern scheint? Sie erzählen sich von dem Natursegen, der nun wieder aufgetan ist für so viel sorgende, hoffende Menschenherzen, aufgetan für alles, was da lebt. Das ist das unendlich Beruhigende, ich möchte sagen Sättigende im Anblick des Kornfeldes. Es ist die neue Erfüllung der alten Gottesverheißung: »Solange die Erde stehet, soll nicht aufhören Samen und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.« Man sieht wieder mit leiblichen Augen die Hand des Himmels, der mit der Erde den Bund geschlossen; und der Staub der blühenden Aehren dampft, ein keusch Geheimnis der Natur, in blauen Wolken auf und wird zum Opfer der Scholle.

Aber auch an Schmuck will es Gäa, die ewig junge, nicht fehlen lassen. Mitten in die Frucht des Schweißes wirft sie ihre Blüten. Das schlichte Werkelkleid mit buntem Saume zu zieren, drängt sich die Kornblume herbei mit der Federkrone aus Himmelsblau, kommt der lustige Rittersporn, der wilde Mohn. An der Sonnenlohe selber hat er seine flatternden Blätter angezündet, und in diesem Brande eilt nun auch das Korn zu reifen.

Lange bevor noch die Weizenähre ihr bronzenes, volles Braun zeigt, wenn noch grün die Gerste steht und der Hafer »wie ein Bräutchen im Kirchstuhl« (Hebel), bleicht das Korn. Manches Wetter zog darüber, oft in breiten Flammen schlug der Blitz aus den fernhinziehenden Feldern herauf, doch gnädig verschonte der Hagel. Nun ist es todreif. Aber auch jetzt noch regt es das Gemüt lebendig an, und man fühlt nichts von dem trüben Eindruck, den eine verbrannte Trift oder ein welker Blumenflor macht. Still, segensschwer, demütig-rührend blickt uns die Aehre an. Komm und brich mich! winkt sie und beugt sich dem Menschen entgegen.

Das ist die Zeit durch die Kornfelder zu wandern.

Es wallt das Korn weit in die Runde
Und wie ein Meer dehnt es sich aus,
Doch liegt auf seinem stillen Grunde
Nicht Seegewürm noch andrer Graus.
Da träumen Blüten nur von Kränzen
Und trinken der Gestirne Schein:
O goldnes Meer, dein friedlich Glänzen
Saugt meine Seele gierig ein!
(Keller.)

Ein Gang durchs Kornfeld – Sonntagslust und Sonntagsdienst des Arbeiters, der eine schwere Woche im Schweiß des Angesichts den Boden bestellt! Freude und Sehnsucht der Alten und Kinder! Zwischen den Kornfeldern meines Dorfes wie oft bin ich da umhergeirrt! Da sehe ich auch dich, ehrwürdiger Großvater, wandeln mit den Enkeln im Gespräch oder stehenbleibend in einem langen, dankbaren Blicke alle die Fülle um dich her ermessen und mit zitternden Händen die Frucht der Aehre tasten. Ein frommes Lächeln leuchtet über dein greises Gesicht, und du bist selber ein solcher Acker voll Segen und weißt es nicht in deines Herzens Einfalt.

Ein Gang durchs Kornfeld um Mittag! Welch eine eigene, fast seltsame Poesie liegt darin! Man streift auf den Rainwegen hin zwischen den hohen Aehrengassen, in denen die Glut des Tages sich verfängt. Da drinnen kocht und gährt und arbeitet es unhörbar! die Sommergeister, die Erdmännchen bereiten aus verborgenen Kräften das Manna der Welt. Schwül und glasig zittert die Luft über den weiten Flächen; aber kein Halm regt sich, keine Wolke zieht über die brennende blaue Wüste des Himmels. Alles steht unbewegt im flimmernden Zauber, und der Knabe, den Radel und Kornblume immer weiter vom Wege ab in den Halmenwald gelockt, schaut ängstlich, ob nicht aus dem schattenlosen Dickicht Frau Hollas, des Roggenweibes, [Fußnote]Die Roggenmuhme (Kornweib) ist das niederdeutsche Getreidegespenst. Sie erscheint im fahlen Schleier, wohl auch mit eisernen Brüsten, und raubt die blumensuchenden Kinder, die sich zu weit ins Korn gewagt. Jetzt zur Hexe umgewandelt, war sie wohl ursprünglich ein gutes, holdes Wesen (Frau Holde). Schon der Name Roggen muhme, Roggen mutter deutet auf eine Spindel und Acker schützende Göttin. fahlbeschleiertes Haupt hervordrohe.

Laß stehn die Blume!
Geh nicht ins Korn!
Die Roggenmuhme
Zieht um da vorn!
Bald duckt sie nieder,
Bald guckt sie wieder:
Sie wird die Kinder fangen,
Die nach den Blumen langen. (Kopisch.)

Nirgend ein Laut. Nirgend Mensch, noch Tier: fremdes, ödes Schweigen überall. Auch die Lerche ist still geworden; nur die Grille schrillt ohne Aufhören. Wohin euer Auge blickt, Streifen an Streifen glänzen die stummen einsamen Gebreite. Aber gehet weiter! Talab, wie im Nest versteckt, lugt ein Dörfchen mit seinen Strohdächern und den breitkuppeligen Birnbäumen aus den Feldern; hügelan wartet eine Mühle auf ein wehendes Lüftchen, während jenseit auf grüner Koppe die Rinder mit gesenkten Häuptern in der Sonne stehen und die Wärme trinken. Wie gern verliert sich der Blick in solche Szenen! Wo ist der Fülle goldenes Horn so reichlich ausgeschüttet und das Mahl so voll bereitet für die bedürftigen Kinder der Erde?

Oder wenn abends die Aehren im Rot des letzten Lichtes nicken und die Dorfschwalbe lautlos darüber hinstreicht, wenn dann kühlender Tau über den Feldern webt und aus den Halmen das Rebhuhn girrt, die Wachtel ruft und endlich die Nacht niedersinkt und der Himmelswagen seine Straße hinaufsteigt, oder ein Stern im silbernen Bogen durch die unendliche Tiefe schießt, wie der Traum eines Gottes: immer ergreift es, denn immer ist es die lebengebende, unalternde Natur, die uns in ihre heilige Mutterumarmung zieht.

Christus durch die Aehren wandelnd! Es gibt wenig menschlich schönere Bilder im neuen Testament. Es ist eben ein rechter Parabelgang. Die köstlichen Gleichnisse vom Säemann, vom Weizenacker, von den Garben, von dem, was gesäet wird verweslich und auferstehen unverweslich, alle die alten und doch immer neuen Spiegelbilder des Menschenlebens stellen sich wie von selbst dar und bezeugen die innige, gedankenvolle Beziehung, welche zwischen dem Menschen und der ihn nährenden Erde geknüpft ist. Ja, die altchristliche Dichtung steht nicht an, den Heiland selbst der Aehre und ihrem Korne zu vergleichen, welches erst zernichtet und dann zum Brot des Lebens wird. Und in ähnlichem Sinne erkennt Calderon unter den streitenden Geschlechtern der Pflanzen die Krone der demütigen Aehre zu.

Eben um dieser ersten, ja heiligen Ahnungen und Deutungen willen ist nun auch die Ernte den Völkern mehr als eine bloße weltliche Feier. Wie die Aussaat unter Anruf und Opfer geschah und fromme Bräuche beim ersten Umreißen des Bodens gepflegt wurden, so war und ist wieder die Ernte gleichsam ein religiöses Werk, ein göttliches Bundesfest. Der Schnitter ist ein Priester, und Abels Garbenerstlingen entspricht noch heute der Aehrenletzling, der » Vergoodendeelstrauß«, [Fußnote]Auch bloß »Vergoodendeel«, d. i. Frau Goodes Anteil. Diese eigentümliche Erntefeierlichkeit findet sich z.B. in gewissen Teilen der Altmark. Verf. kennt sie von daher noch aus eigener Anschauung und darf auf die genaue Beschreibung verweisen, welche Grimm in der Mythologie davon gegeben hat. den der niederdeutsche Bauer in halbunverstandener, uralter Sitte der segnenden Korngöttin (Frau Gooda d. i. Holla) bald im Felde aufstehen läßt, bald unter heiteren Weisen opfert. Ist das Korn gemäht und eingescheuert, so ist des Jahres schönere Hälfte dahin. Ueber dem Stoppelfelde liegt schon die ganze Herbstschwermut. Die Wanderspinnen weben ihre Schleier; die Heimatvögel, lange verstummt, rüsten zur fernen Wanderschaft; vom Himmel hängt trübstilles Gewölk. Nur wenn im Spätherbst die Pflugschar von neuem die Erde spaltet, belebt sich noch einmal dieses Bild. Die Spuren der Vergänglichkeit schwinden wieder, der neuen Saat wird das Bett bereitet, hoffend strebt der Sinn hinaus, und wie der Scheidende wohl dem Bleibenden ein tröstend grünes Reis zurückläßt, so zeigt uns noch im Vorwinter das Korn ein neues Grün. Mag die Schneedecke es auch bald genug verhüllen, sie hüllt es nur, um es desto sicherer einer künftigen Frühlingssonne entgegenzuführen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Norddeutsche Landschaft