Das Moor

O schaurig ists übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt,
O schaurig ists übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!

A. von Droste-Hülshoff.


Es ist eine allgemein geläufige Anschauung, derzufolge wir das Festland als eine Stufenreihe von Ebene, Hügel und Gebirge auffassen. Die Natur selbst gibt diese Betrachtungsweise unmittelbar an die Hand, und wie die betreffenden Erdformen verschieden sind in ihren physischen Eigentümlichkeiten, so sind sie es nicht weniger in ihrer Einwirkung auf Empfinden und Leben des Menschen. Jedoch werden wir bei genauerer Erwägung uns der Wahrnehmung nicht verschließen, daß mit der eigentlich historischen Bedeutung die ästhetische hier keineswegs in gleichem, sondern in einem fast entgegengesetzten Verhältnisse steht. Denn wie kühn auch die Gipfel des Gebirges sich türmen, wie lieblich das Tal auch locke: sie scheinen den Menschen nur zu dulden, oder doch sein Dasein mit engerer Grenze zu umschränken. Erst wo das Auge ungehemmt über die Ebene schweift, weitet sich mit dem Sinne die Seele, und alle Fernen überfliegend erwacht jene Sehnsucht, die noch immer die Mutter der Taten war. Da ist nirgends Ziel noch Grenze gesetzt; der alte Haß der Elemente scheint versöhnt; friedlich und freundlich hat die Erdgöttin selbst dem strebenden Geschlechte die Bahnen erschlossen. So ist die Ebene – die einfachste und ärmste aller Landschaftsformen – die Stätte des reichsten und mannigfaltigsten Lebens, so ist sie die Bühne der Geschichte geworden.

Indessen ist sie dies nicht überall. Oft und über weite Räume hin zeigt sie statt des Segens bewohnter Fluren nur den Anblick der Wildnis, sei es daß eine unbezwinglich wuchernde Naturkraft, sei es daß lebensunfähige Erstarrung den Boden gefesselt hält und dem Menschen die Heimat versagt. Man kennt die großartigen Schilderungen, welche die Forscher unseres Jahrhunderts, vor allen Humboldt, von den Urwäldern, Steppen und Wüsten der außereuropäischen Welt entworfen haben; aber auch die weniger beachteten Moore gehören in jenes Bereich der ungebändigten Gelände, und auch sie verdienen wohl ein gewisses Interesse, wäre es selbst nur deshalb, weil sie uns räumlich näher liegen.

Denn von der Gascogne bis Lappland und in den Norden Asiens hinauf zieht sich, nur hier und da auf längere Strecken von Bergen, Dünen und Marschen unterbrochen, der sumpfige Gürtel, und nicht minder als an jenen flachen Gestaden finden sich Moore tief im Innern unseres Kontinents, auf dem Rücken der Gebirge und Hochebenen. Als die eigentlich klassischen Länder dieses Typus sind jedoch Irland und Holland berufen. Während in dem ersteren ein Siebentel der gesamten Fläche von Sümpfen eingenommen wird, sagt von dem letzteren Hugo Grotius, der sonst sein Vaterland mit freudigem Stolze preist, die Natur habe es seinen Bewohnern als eine unfertige Skizze hinterlassen, die weder Wasser noch Land sei. Und mit gleichem Rechte darf nun dieses Wort auch auf die angrenzenden deutschen Küsten übertragen werden, auf welche ich jetzt vornehmlich den Blick zu lenken wünschte.

Hier am Saume der großen deutschen Tiefebene treten uns die Moore in gewaltiger Ausdehnung entgegen und gestatten der Phantasie, Gegenwart und Vergangenheit unseres Planeten ahnend zu verknüpfen, indem sie uns die erdbildende Kraft der Organismen unmittelbar vor Augen stellen. Hier insbesondere eröffnet sich uns zugleich ein annäherndes Verständnis für die großen Prozesse, in denen einst aus den Trümmern untergegangener Urforste die Lager der Steinkohle entstanden. Denn zuvörderst steht ein Teil der Moore selbst über versunkenem Waldwuchs. Alte Annalisten überliefern, daß einst wüstes Dickicht das Land um die Rheinmündungen umgab und gleicherweise lag auch Jütland im Dunkel seiner Forsten verloren. Jetzt ist jede Spur davon verschwunden; was nicht das Meer hinabgerissen oder der Flugsand überweht hat, bedeckt das Moor; ja, in den jütischen Mooren erkennt sich deutlich, daß ganze Reihen von Baumgeschlechtern dort begraben worden: Espen und Birken lagern im Grunde, über ihnen Föhren und Eichen, bis zuletzt die Buche gefolgt ist. Dennoch wird man die Beispiele der eigentlichen Waldmoore, mindestens solcher, in denen der Zerstörung noch immer neue Verjüngung folgt, nicht sowohl an den deutschen Küsten, als vielmehr in den Sumpfwäldern Polens und Litauens und vor allem in den vielgenannten »Teufelssümpfen« zu suchen haben, welche in langem Zuge die amerikanischen Südstaaten umgeben. Dort scheinen die Riesenstämme mitten aus dem Wasser herauszuwachsen: Cypressen und Zedern treten zu hohen Säulengängen zusammen und breiten, überwuchert von Ranken virginischen Efeus und wilden Weins, dichte Nacht um sich her, indessen Alligatoren, Schildkröten und Schlangen die Tiefe bevölkern.

Wir wiederholen: die deutschen Küsten bieten nichts, was solchen Bildern auch nur annähernd gliche, und der Waldwuchs gehört so wenig mit Notwendigkeit zum Charakter ihrer Moore, daß in den meisten nur die unterste Schicht mit einzelnen verwitterten Baumresten durchschossen ist, in noch anderen sich diese Zeugen einer entwickelteren Vegetation überhaupt nicht finden. Dagegen haben nun einen um so wesentlicheren Anteil an der Bildung derselben die Gräser, Moose und Heiden; es ist, wie so oft im Haushalt der Natur, die Macht des Kleinen, welche hier das Große schafft.

Möglich, daß selbst der Name, mit welchem man in Oberdeutschland diese Bodengestaltung benennt, darauf deutet: denn man spricht dort wohl von einem Moos, einem Ried, einem Filz, während der ursprünglich niederdeutsche Ausdruck Moor in seiner Verwandtschaft mit »Morast« und »Meer« allgemein auf eine Mischform von Land und Wasser hinzuweisen scheint. Und dieser Begriff wird zunächst festzuhalten sein. Wo das Moor auch auftrete: immer ist es ein Stück Urnatur, ein sumpfiges Gemisch, in dem die Elemente gleichsam noch nicht geschieden. Das Land ist noch nicht der feste Grund, den der Mensch betritt, bewohnt; das Wasser ist noch nicht die klare freie Welle, die rauschend ihre Straße zieht; und wie die Tierwelt dieser Striche, so ist auch die Pflanzenwelt eine amphibiotische, und nicht das bloß – sie ist, wenigstens soweit es die Moose angeht, im wörtlichen Sinne eine lebendtote, indem sie nach unten immer absterbend, nach oben immer neue Triebe schickt, so daß der zarte Faden dieser Stengel gleichsam ohne zu altern Geschlecht mit Geschlecht verknüpft.

Fragt man nun aber, wie man sich Ursprung und Wachstum der Moore zu denken habe, so sind je nach den Arten derselben verschiedene Antworten möglich. Doch wird in allen Fällen als erste Bedingung des Moores ein stehendes, seichtes Gewässer angenommen werden müssen, da nur dieses (infolge der mangelhaften Erneuerung des Sauerstoffs) den eigentümlichen Zwischenzustand zwischen vollem Leben und vollem Vergang möglich macht, den wir als Vermoderung bezeichnen, und der zu den charakteristischen Phasen der Moorgewächse gehört. Eine derartige Ansammlung und Stockung des Wassers aber setzt wiederum eine bestimmte Gestalt und Beschaffenheit des Bodens voraus. Es bedarf muldenartiger Vertiefungen, fester, undurchdringlicher Erdbecken, wo Moore sich bilden sollen. In den Senkungen der Ebenen, zwischen den Hügelzügen der Dünen, auf den Jochen und den Tälern der Gebirge rieseln die Wasser unsichtbarer Quellen und atmosphärischer Niederschläge zusammen und bilden, in undurchdringlicher Mulde zurückgehalten, seeartige Flächen. Aber nun nimmt auch sofort die Sumpfbildung ihren Anfang, sei es daß dieselbe von der überschwemmten Pflanzendecke des Grundes aus erfolge, sei es daß auf der Oberfläche des Wassers ein neues organisches Leben sich ansiedle und absterbend in die Tiefe sinke, um dort mit anderen absterbenden Organismen sich zu mischen und Schicht auf Schicht zu häufen. Im ersteren Falle wächst das Moor von unten auf: es ist ein Unterwassermoor; im anderen Falle findet der umgekehrte Weg der Bildung statt, es wächst gleichsam von oben nach unten: wir haben ein Ueberwassermoor vor uns. Noch entsteht freilich zuvörderst kein Moor im strengeren Sinne; wohl aber füllt sich je länger, je mehr das Wasser mit einem dunkeln Schlamme, in dessen Falten nun diejenigen Pflanzen zu keimen beginnen, welche den eigentlichen Typus des Moores bedingen.

Dies sind, wie bemerkt, die Gräser und in einem noch höheren Grade die Moose und Heiden. Wo erstere vorherrschend auftreten, da spricht man von Wiesenmooren, und sie finden sich fast nur in der Ebene, zumal an den Ufern und auf den Wasserscheiden langsam strömender Flüsse, während diejenigen Moore, deren Erzeuger und Nährer vorherrschend Moose und Heiden sind, sowohl dem Gebirge als der Ebene angehören und Hochmoore genannt werden. Merkwürdige Beispiele der ersteren kennt man im Gebiete des Steinhuder Meeres und an anderen Punkten Westfalens und Hannovers. Dort, wo das Meer zum Teil noch im Wachstum begriffen ist, sinkt und steigt es je nach dem unterirdischen Wasserstände, der wieder durch das Steigen und Sinken der benachbarten Flüsse bedingt ist. Es schwimmt sonach im eigentlichen Sinne des Wortes. Dennoch ist es fest und mächtig genug, um bebauet zu werden: es trägt Gärten und Felder, Wiesen und Gehölze, selbst einzelne Häuser, und nur bei außergewöhnlichen Hochfluten geschieht es, daß das Wasser in die letzteren dringt oder daß ganze Erdstrecken mit allem, was darauf steht, losgerissen und selbst fortgetrieben werden. Indessen so interessant die derartigen Moorbildungen sind, so stehen sie doch an Ausdehnung wie an Bedeutung den Hochmooren nach, so daß es gerechtfertigt sein dürfte, wenn sich unsere Betrachtung ausschließlich den letzteren zuwendet.

Wohl hat man zu allen Zeiten die Vegetation der Moose bewundert, die in ihren Zwerggebilden die großen gegliederten Formen des Pflanzenreichs gleichsam spielend wiederholt; allein gerade die hier in Rede kommenden Arten des Torfmooses blieben vielleicht um so weniger beachtet, je weniger ihnen Schmuck der Farbe und Gestalt zukommt. Kaum mag etwas reizloser sein, als diese schlüpfrigen Knäuel dünner, schlaffer Stengel und Blättchen, die unsere Sümpfe mit einem trüben Grün überziehen, das nur im Sonnenlicht fahlrötlich schimmert und zuletzt farblos verbleicht. Aber abgesehen davon, daß einzelne Arten (Sphagnum acutifolium, Sph.cymbifolium) sich allerdings nicht selten in feuriges Purpur oder in leuchtendes Gelb kleiden, gestaltet sich nun der innere Bau und das Leben dieser Gewächse desto beachtenswerter. Denn in den zarten, anscheinend so kraftlos herabhängenden Verzweigungen derselben arbeitet unaufhörlich eine Reihe eigentümlicher schlauchartiger Gefäße, die gleich Pumpwerkzeugen begierig die Feuchtigkeit der Luft und des Bodens saugen und, im Vereine mit dem schlammigen Hautgewebe des Stengels, das Wasser gleichsam binden, so daß die Moospolster auf solche Weise in der Tat zu vegetabilischen Quellen werden und eben daher die kaum zu erschöpfende Zeugungskraft empfangen. Mit jedem Winter zusammensinkend, treiben dieselben in jedem Frühling höher und massenhafter empor, indem sich unmittelbar an die modernden Spitzen die frischen Sprossen heften. Der üppigste Wuchs aber findet sich meist in der Mitte des Moores. Hier in der größten Tiefe des Beckens, wo die Bildung desselben begonnen, wuchert das Moos oft in mehr als fußhohen Jahresschichten, und steigt selbst hügelartig auf, so daß die ursprüngliche Fläche dieser Moore sich allmählich in eine Wölbung verwandelt. Den Beweis dafür gibt fast jedes der ebendeshalb sogenannten Hochmoore. In den Teufelssümpfen Carolinas erhebt sich die durch Gase und Wasser aufgeblähte Masse gegen die Mitte hin über 12 Fuß, und im Kanton Neuenburg ist das Moor von les Ponts derart angeschwollen, daß zwei Dörfer, welche auf den Kalkfelsen der gegenüberliegenden Seiten erbaut wurden, einander seit Jahrhunderten durch den Buckel des Moores verdeckt sind. Ja, die seltsame Sumpfbinse hebt und senkt sich zuweilen je nach den Einflüssen der Witterung, daher denn die am Saume solcher Moore gelegenen Ortschaften wechselnd einander bald wahrnehmen, bald aus dem Gesichtskreise entschwinden. Eben diese Wölbung endlich, wie sie den eigentlichen Ausgangs- und Höhepunkt des Moores bezeichnet, wird nun wohl zugleich die Ursache seiner Erweiterung. Denn wenn zwar die Wasser in den Haargefäßen der Moose ununterbrochen emporgehoben werden, so vermag doch der triefende Schwamm die Ueberfülle nicht festzuhalten; sie entweicht vielmehr allgemach nach den tiefer liegenden Rändern, um hier neue Kolke zu bilden, aus denen neue Sümpfe und Moore sich erzeugen. So breiten die Moore sich aus, und so wachsen sie empor, solange nicht ein fester Erdriegel Schranken setzt oder die Zufuhr des feuchten Elements aufhört. Und selbst da, wo die Wasser sich endlich einen Ausgang bahnen – und wie mancher Bach nimmt hier seinen Ursprung! – wachsen die Moore noch fort, indem die Moose schon durch die atmosphärischen Niederschläge hinlänglich genährt werden. Aber zugleich bereiten sie nun in ihrem filzartig verworrenen Gewebe abermals den Keimen höherer Gewächse eine Stätte: die unverwüstliche Heide kommt, die eigentliche Charakterpflanze der Hochmoore; Ried- und Wollgräser gesellen sich hinzu und stellen sich zu kleinen inselartigen Kuppen zusammen; um sie her setzt sich vom Winde zusammengetrieben der Sand der Dünen und der Staub der Aecker; es treten die ersten festen Punkte in der gährenden Masse hervor, und nicht lange, so streckt hier ein Strauch, ein Birken- oder Erlenbusch die Wurzel in den neuerstehenden Boden. Wo endlich das Moor überhaupt aufhört zu wachsen, mag sich allmählich ein dichter zusammenhängender Teppich darüberspannen, aber unter dem Tritt des Fußes erzitternd verrät er noch immer die verborgenen Wasser.

Handelte es sich darum, an einzelnen Beispielen die räumlichen Dimensionen dieser Bildung zu veranschaulichen, so dürfte die Angabe genügen, daß die Moore des linken Emsufers – das berüchtigte Bourtanger Moor und der Twist – eine Fläche von 25 Quadratmeilen einnehmen, eine größere als manches Herzogtum; und doch sind diese nur ein Glied jener Kette von Sümpfen, die sich vom äußersten Westen des norddeutschen Tieflandes bis in die Fluren Westfalens und in die vielberufene Lüneburger Heide fortzieht; doch finden sich Hochmoore auch auf dem Kamme des Erzgebirges und der Sudeten, auf dem Schwarzwalde und in den Alpen, in Höhen von drei-, vier-, fünf- und siebentausend Fuß. Denn so hoch (7000 Fuß) liegen die Moore der Oetztaler Ferner. Nicht minder wechselnd ist aber auch die Tiefe derselben. Es gibt Moore, welche noch nicht zehn Fuß messen; die meisten der unseren haben vielleicht eine doppelte Mächtigkeit, während in noch anderen der Bohrer fünfzig und sechzig Fuß eindrang, ohne die eigentliche Sohle zu finden. Man überzeugt sich, daß diese Bildungen nur ein Werk von Jahrhunderten sein können. Aber in geheimnisvolle Stille hüllt die Natur ihre Tätigkeit, und nur allmählich mag der Wissenschaft gelingen, mit Sicherheit die Stadien des Prozesses festzustellen, indem hier, wie in einem Schattenbilde des Lebens, Organisches und Unorganisches ineinandergreift. Oft findet man noch tief unter der Oberfläche die Pflanzen unversehrt, so daß bloß das lockere Gefüge und das dunklere Braun die begonnene Vermoderung verkündigt, bis dann das Grabscheit auf einen flüssigen Schlamm und weiterhin auf eine schwarze formlose Masse stößt, die kaum noch in einzelnen Resten ihren Ursprung erkennen läßt und zusammengetrocknet als ein erdiger Staub erscheint. Aber eben in ihm nun tritt uns ein neues Produkt, eine wirkliche Neubildung entgegen, die der Steinkohle verwandt, »zwischen Organischem und Unorganischem die Mitte haltend, in gleichem Maße das Interesse des Geologen und des Botanikers in Anspruch nimmt«. Unsere Sprache nennt dieses Erzeugnis mit einem bei fast allen europäischen Völkern ähnlich wiederkehrenden Worte »Torf«.

Wenn derselbe gegenwärtig in der Reihe der Brennmaterialien eine der wichtigsten Stellen einnimmt, so war doch auch früheren Zeiten, denen der Wald noch in unerschöpfter Fülle zuwuchs, ein Gebrauch desselben nicht unbekannt. Schon in den Tagen der Ottonen und wohl noch vordem grub man an der Nordseeküste den von der Flut bloßgelegten Torf, um aus der Asche ein dürftiges Salz zu gewinnen, und hierauf gehen in einer dramatischen Stelle der Frithjofsage die Worte des Helden, wenn er vor König Ring erscheinend, sagt:

Das einst mich trug, mein Seeroß, es liegt gelähmt am Land;
Selbst bin ich alt geworden und brenne Salz am Strand.

Ja, bereits im ersten Jahrhundert nach Christi Geburt berichtet Plinius von diesem Stoffe. In der Schilderung, welche der gelehrte Römer von den Urbewohnern der friesischen Gestade gibt, ruft er staunend aus: »Welch ein elendes Volk, das sich an einen Boden klammert, um den unaufhörlich die Elemente streiten! Mit dem Wasser des Regens löscht der Chauke seinen Durst; mit schlammiger Erde, die er im Winter dörrt, nährt er das Feuer, seine froststarrenden Glieder zu erwärmen.« Allein von diesen frühesten vereinzelten Anfängen war noch weit bis zu einer eigentlichen nationalökonomischen Ausbeutung des Torfs. Die ersten Schriften darüber sollen dem fünfzehnten Jahrhundert angehören, und bis dahin blieben die Moore denn auch meist sich selbst überlassen. Es waren Sumpfwüsten, in die hier und da ein unsicherer Pfad sich verlor, durch die hier und da ein künstlicher Damm zu bewohnten Stätten führte: leere Blätter im Buche der Kultur und der Geschichte.

Ganz zutreffend freilich wäre ein solcher Ausdruck dennoch nicht. Denn wie in den Mooren die Natur ununterbrochen Leben aus Leben zeugt, so entbehren sie auch jenes Hintergrundes historischer Erinnerung nicht gänzlich, der uns selbst die ödeste Stätte zu einem Gegenstände der Teilnahme macht. Ist doch derselbe Boden, über den sich jetzt die dunkle Decke breitet, nicht immer dem Strahl der Sonne entrückt gewesen. Hat hier doch einst auf grasreicher Trift der Nomade die Herde geweidet, im Dickicht des Waldes der Jäger das Wild verfolgt, oder auf stiller Bucht das Fahrzeug des Fischers seine vergänglichen Gleise gezogen.

Indessen nicht diese Ahnungen und Dämmerbilder einer unvordenklichen Zeit sind es, die ich meine. Denn die geschichtliche Bedeutung der Moore beruht nicht sowohl auf dem, was sie unter sich begruben, sondern auf dem, was sie selbst sind; und hier darf man nun wohl sagen, daß sie kaum weniger als die Gebirge den in und hinter ihnen wohnenden Geschlechtern zu einem Bollwerk der Freiheit gedient haben.

Eben jenen Chauken und Friesen, deren Wohnsitze uns Plinius so treu beschrieb, galten den Römern als die edelsten und tapfersten unter den deutschen Stämmen, und die Friesen haben ihren stolzen Wahlspruch »lieber tot, als Sklav!« durch Jahrhunderte bewährt; aber sie konnten es nur, weil die Natur mit ihrem Mute im Bunde stand. Ihre ganze Geschichte, ihre republikanischen Gemeinden, ihre Kämpfe gegen die bischöfliche Gewalt und gegen den Ehrgeiz der Häuptlinge, ihr altes eifersüchtig bewachtes Recht, wonach nirgends auf friesischem Boden weder Burg noch Mauer sein und kein Haus bis zum Dache über zwölf Fuß messen sollte – dies alles begreift sich erst aus der Beschaffenheit dieses Landes, das, soweit es nicht ans Meer stieß, inselartig im Moore lag und seine alten Kirchen meist auf künstlichen Erdaufwürfen errichtete. Es ist mehr als einmal vorgekommen, dass feindlich eingedrungene Reiterscharen plötzlich vor sich und hinter sich die Dämme durchstochen fanden und, von den rings ansteigenden Wassern festgebannt, der Rache der Bewohner verfielen. Mußte doch selbst ein deutscher König – der 1248 in Aachen gekrönte Wilhelm von Holland – im Moor von Medelyl ein frühes ruhmloses Ende nehmen. Wir erinnern uns ferner an England und den großen Alfred. Auch dort dehnten sich vor alters weite Moore, so dass Cäsar sagt, was der Brite eine Stadt oder eine Feste nenne, sei meist nichts anderes als eine in Waldsümpfen gelegene Verschanzung. Der römischen Kriegskunst zwar vermochte eine solche Verteidigung auf die Dauer nicht zu widerstehen; aber als hier acht Jahrhunderte später ein ungleich längerer und mörderischerer Völkerkampf entbrannte, da waren es die Sumpfinseln von Somerset, in denen Alfred eine letzte Zuflucht fand, und von denen aus er – der Verlorene, Totgeglaubte – in einer Reihe ruhmwürdiger Schlachten das Land seiner Väter zurückeroberte. Und um noch eines anderen, nichtgermanischen Stammes zu gedenken, wie lange haben einst die Esten ihren Drängern getrotzt! In der Mitte wüster Wälder, von Mooren umgeben, erhoben sich die »Maalin«, die Bauernburgen, in denen sie die Kämpfe um ihre nationale Unabhängigkeit bestanden. Die größte derselben, die Soontagana, im Awaftimoor, wurde im Dezember 1216 nach blutiger, den Deutschen verderblicher Gegenwehr erstürmt; aber noch heute steht der alte Erb- und Steinbau, den Esten ein Ort frommer Scheu und tragischer Erinnerung. – So bildet das Moor gleichsam eine natürliche Festung. Wenn nicht das Eis seine Massen bindet und überbrückt, ist es nur auf schmalen, oft fußhoch überschwemmten Pfaden zugänglich, und wehe dem Wanderer, der die trügerische Straße verliert! Wohl mag er mit dem Springstock von Mooshügel zu Mooshügel setzend, sich retten; aber ein Fehltritt kann verderblich werden. Wo dann nicht augenblickliche Hilfe kommt, zieht der schwarze Schlund langsam und unentrinnbar sein Opfer hinab.

Daher war es auch eine vor alters verhängte Todesstrafe, Verurteilte ins Moor zu versenken: man ließ sie, wie jene Zeiten sagten, »den Guabbeltrank trinken«. Es wird erzählt, daß Harald Blauzahn von Dänemark auf diese Weise die norwegische Königin Gunhild umbrachte, die er mit verräterischer Tücke nach Jütland geladen. Sie war gekommen und verschwunden, fast ohne daß eine Spur geblieben oder die Sage auf eine solche zu deuten gewagt hätte. Da tat nach Menschenaltern die Tiefe selber ihren Schoß auf, um spät, aber unwidersprechlich Harald des Mordes zu zeihen. Unversehrt hatte sie den königlichen Leichnam bewahrt: er war zur Mumie geworden und sogar der Pfahl und die Bande, mit welchen man die Unglückliche gefesselt, waren völlig erhalten.

Diese Erzählung aber stellt zugleich einen früher nur angedeuteten Zug aus dem Bilde des Moores in neues Licht. Wie das Moor an den Gletscher erinnert, sofern es gleich diesem ein Wasserspeicher ist und wohl einen See, einen Fluß nährt, so teilt es mit demselben auch die Eigenschaft, die in seinem Schoße begrabenen Körper vor wirklicher Auflösung zu schützen. Moor und Gletscher wehren der Fäulnis. Daher sind gerade die ersteren zu kulturhistorisch wichtigen Fundgruben geworden, aus denen oft überraschende Zeugnisse längstvergangener Zeiten zutage treten. Wir wollen auf den Bericht über Gunhilds Ermordung und Auffindung kein weiteres Gewicht legen, zumal ihm eine verlässige Beglaubigung fehlt; aber was soll man sagen, daß selbst jene Holzbrücken, jene pontez longi[Fußnote]Lange Brücken. wieder aufgegraben wurden, auf denen im Jahre 15 nach Christi Geburt der Unterfeldherr der Germanicus seine Legionen durch die Sümpfe der Niederweser zurückführte? Nicht höher als vier Fuß hoch hat das Moor den Balkenbau überwachsen, aber die lockere Hülle genügte, um durch achtzehn Jahrhunderte hindurch ihn in alter Tüchtigkeit zu erhalten.

Worauf diese »antiseptische« Kraft des Moores sich begründe, ist zur Zeit noch eine Streitfrage. Hat diejenige Meinung vielleicht geringere Wahrscheinlichkeit, welche die Erscheinung aus den harzreichen Stoffen erklärt, mit denen Heidekräuter und verwandte Gewächse das Moor erfüllen, so ist dagegen um so gewisser, daß derartige Bestandteile den Wert des Torfes für den menschlichen Haushalt sehr wesentlich erhöhen. Bloßer Moostorf gibt bei lichter Flamme eine spärliche Wärme, während derjenige Torf, der aus den Resten holziger Pflanzen besteht, starke Hitzgrade entwickelt und daher um so brauchbarer ist. Allerdings aber bedarf er eben darum einer durchgreifenderen Bearbeitung.

Es kann hier nicht darauf ankommen, im einzelnen das harte Gewerbe des Torfgräbers zu schildern. Wohl aber wird, wer es liebt den Anfängen menschlichen Tuns und Schaffens nachzugehen, auch mit Teilnahme den irren Schritten folgen, auf denen zuerst die Kultur entwildernd in das Moor gedrungen. Nicht als ob den einsamen Sumpfbewohner und seine verfallende Hütte irgendwelcher idyllische Reiz umwebte. Denn meist war es die Not, wo nicht gar das Verbrechen, das dort ein karges Brot und eine Zuflucht suchte. Allein, wer möchte wiederum leugnen, daß es in jedem Falle der mutigsten, entsagendsten Ausdauer bedurfte, um in die unwirtbare Wildnis hinabzusteigen und in ihr zu leben? Wenn der Auswanderer unsrer Gebirge jenseit des Ozeans landet, so wartet seiner Hoffnungen sicher manche Enttäuschung; aber seiner Arbeit wartet doch auch ein Acker, seiner Herden ein Weideland; über seinem Lager rauscht der Wald, und wiegt kein Strom ihm den Nachen, so fehlt ihm doch nicht der tränkende Quell. Hier? – Hier ist nichts von alledem. Mitten in der weiten Oede steht der Mensch, das Grabscheit in der Hand, die schwankende Scholle unter den Füßen, und heftet an den einen Punkt sein Leben. Die schwarze Erde soll ihm Feld und Flur, Haus und Herd werden; aber auch diese Erde muß sein Arm erst aus den Wassern heben, die sie mit tausend Adern durchziehen. Vom Rande einer jener Sandblößen, jener »Tangen«, die – vielleicht ein Rest früherer Dünen – zungenartig ins Moor verlaufen, beginnt der Ansiedler das Werk. Er setzt prüfend da und dort den Spaten ein. Nun zieht er eine Furche, erweitert die Furche zum Graben, dringt durch Sumpf und Stumpf, bis er die Flußrinne des Moores erreicht. Damit hat er die erste, aber auch die notwendigste Arbeit getan. Denn dieser Graben ist der Pfad, der ihn mit der Welt der Lebenden verbindet. Erst nachdem er auf solche Weise dem ringsherquellenden Wasser einen Abzug eröffnet hat, ist ihm auch der Grund und Boden gesichert, auf dem er seine Wohnstatt errichtet. Freilich welch eine Wohnstatt! Der »Moorker« hat weder Balken noch Stein; dafür setzt er die Torfquadern in mauerdicken Schichten aufeinander; Reisig und Röhricht müssen ihm das Dach decken, und damit auch ein Strahl des Tages in die Höhle schlüpfe, ist irgendwo eine Oeffnung freigelassen. Drinnen, auf einem Haufen Sandes glimmt von früh bis zum Abend ein Torffeuer; draußen aber reift ihm ein Streifen niedrigen Krautes das unschätzbare Korn, aus dem er sein schwarzes Brot bäckt und sein tägliches Mahl bereitet. Allein nicht dies kleine Buchweizenfeld – der eigentliche Acker des Torfgräbers ist die Wüste ringsum. Dort in den laufgräbenartigen Gängen, in den Gruben und Schachten, die er gewühlt, findet er eine Ernte, die keiner Saat bedurfte, und da steht er nun selbst, der Mann im erdfarbenen Kittel, den Fuß mit Stroh umwunden, um nicht zu versinken, und schneidet und schaufelt die modrige Masse aus, da formt er sie in mühevoll roher Arbeit, läßt sie von Wind und Sonne trocknen, bis er sie endlich zu jenen Kegeln und Pyramiden aufgetürmt, die gleich den Lagerzelten eines seltsamen Steppenvolkes in weite Ferne dunkeln. Aber wie oft lähmt ihm das Fieber die Glieder! wie oft zerstören die Herbstregen sein Werk! Und nun erst der Winter! Wenn dichte Schneemassen das Moor sperren und mit der Arbeit zugleich der dürftige Verkehr mit der übrigen Welt aufgehört hat, dann sitzt der Torfgräber eingeschlossen in seine raucherfüllten Wände, und abgerechnet die seltnen Stunden, da er an einem Spinnrad schafft, starrt er dumpfbrütend in die Herdflamme, oder er sucht dann und wann eine andere ferne Hütte auf, um von den Sagen der Moore, von den gespenstischen Schrecken zu erzählen, mit denen seine Furcht die Einsamkeit bevölkert. Denn ein geistiges Leben gibt es hier nicht, und mehr als irgendwo sonst hat Unwissenheit und Aberglaube den Sitz unter diesen versprengten Vorkämpfern einer späteren Moorkultur aufgeschlagen. Freilich, wer sie darum anklagen wollte, der würde vergessen, daß eben hier die Natur selbst noch gleich einem Chaos liegt.

Soweit das Auge reicht, dehnt sich leblos und lautlos die düstre Fläche. Da singt kein Vogel, grünt kein Baum. Hohl wie um Alpenfirnen braust der Wind, und selbst der Himmel entrollt seltener sein leuchtendes Blau. Kommt mit ihren Nebeln die Nacht, dann regt sich wohl die Brut der Sümpfe; aber sie regt sich wie im Traum: ein Unkenruf – ein Eulenschrei – vom Schilf her der Klagelaut eines Moorhuhns – dann wieder ödes Schweigen. Wohl möchte man fragen, ob die Dichter und das Volk unrecht haben, wenn sie hierher ein Reich der Unholde und Dämonen verlegen. Und doch, würde man antworten müssen, ist es nicht bloß der Nimbus des Grauens, der das Moor umgibt. Denn auch hier kommt der Frühling, Leben und Farben zu wecken. Oft freilich starrt im Moor noch das Eis, wenn draußen längst die Blüten um Strauch und Baum schimmern. Aber unter dem Strahl der ansteigenden Sonne sprießt nur um so eiliger das junge Grün, und bald zeigt, an den Boden geschmiegt, manch feines Kraut die rosigen Sträuße, und wo die Wasserbecken sich sammeln, prangt ein Nixengarten von Iris und Seerosen, und zwischen den Halmen der Rohre spielt seltnes Geflügel: ein stummes märchenhaftes Weben und Sprossen allenthalben. Und nun sieh dieses schwarze Moor, wenn der Morgen es vergoldet! Sieh es, wenn im heraufziehenden Wetter Blitz um Blitz aus seinen Wassern zurückflammt! Sieh es im Purpur des Abends unendlich ergossen! Fürwahr, das ist nicht mehr die düstre schreckenerfüllte Wüste, sie ist Leben und Licht, und herzbewegend verkündigt auch sie, daß die Erde überall des Herrn ist.

Aber auch hier hat der Ewige sie dem Menschen zu einem Leben gegeben, und er hat sie ihm gegeben, nicht daß er, ein Verbannter, das immer gleiche Joch der Tage trage, sondern daß er mit Menschen menschlich lebe und seiner Kräfte froh die Aufgabe des Daseins erfülle. – Gestehen wir es: die ersten Versuche, auf den unsichern Grund des Moores den Fuß zu setzen, hatten kaum ein anderes Interesse als das eines Abenteuers. Wie ein Schatten taucht die Gestalt des Torfgräbers über der nackten Wildnis auf, und oft mag der Arme ärmer, als er gekommen, in die Welt, die er verlassen, zurückkehren. Aber da tritt nun in seine Fußftapfen ein anderes Geschlecht, das sich nicht begnügt, den toten Boden in tausend Schollen zu zerstücken, ihn mit Karst und Pflug für ein neues Leben bereitet. Jener war nur der Pfadfinder; der eigentliche Besitzergreifer ist, der nach ihm kommt: der Ackerbauer, und erst mit ihm beginnt hier die Epoche einer dauernden Kultur.

Es ist bekannt, daß Holland, dieses Land der Deiche, Kanäle und Schleusen, das im vollen Sinne des Wortes eine Schöpfung seiner Bewohner genannt werden kann, auch für eine derartige Bewältigung der Moore das erste und glänzendste Beispiel gegeben hat. Die Sümpfe der Vendée, die Brüche des östlichen und mittleren Deutschland sind teilweise selbst durch herbeigerufene Holländer entwässert worden, ebenso hat gegen den Ausgang des 17. Jahrhunderts an den nordwestlichen Küsten unseres Vaterlandes das Werk der Urbarmachung begonnen. Hier zwar, wo die Moore in übermächtiger Massenhaftigkeit auftreten, vermag auch vereinte Kraft nur schrittweis vorzudringen, und große Gebiete werden, als Schatzkammern des Torfs, dem Ackerbau für immer verschlossen bleiben müssen; allein nichtsdestoweniger zieht dieser Jahr um Jahr neues Land aus den Gewässern hervor. Um es fürerst tragfähig zu machen, genügt es, die Pflanzendecke desselben in Brand zu stecken. Denn die Asche der Pflanzen liefert ein kräftiges Mittel der Befruchtung, und schon der römische Landmann wußte das. Die Moorbrande aber geben nun freilich ein Bild, wie es ähnlich sich vielleicht nur in den Steppen wiederholen mag. Wenn die ersten Sonnentage des Vorsommers gekommen sind, dann schreitet auf hohem Holzschuh der Moorbauer über den trockengelegten Grund, den er vorsorglich bereits in kleine Felder geteilt und mit Wasserzügen umgeben hat. Der Windrichtung entgegengehend, schwingt er an langer Stange das mit Kohlen gefüllte Becken, und ringsher Feuer säend, steht er alsbald mitten in den dampfenden Wirbeln; er hat zu schüren, zu löschen, in jedem Augenblick das Element zu bemeistern. Denn es gilt vor allem, den Brand langsam und gleichmäßig zu verbreiten und die Pflanzen mehr verkohlen als verbrennen zu lassen, da nur im ersteren Falle ein günstiger Erfolg erwartet werden kann. Meistens ist es ein kleineres Feld, das auf diese Weise in Angriff genommen wird: in der weiten Fläche ein verschwindender Punkt. Aber wie hier, so regen sich allenthalben fleißige Hände; schon zuckt da und dort ein anderes Feuer auf, Punkt reiht sich an Punkt, und bald wölkt sich, Erde und Himmel verhüllend, der schweflige Qualm. Dies ist der Höhenrauch, seit einem Jahrhundert ein Gegenstand mehr noch der Fabel als der Forschung. An den Stellen seines Ursprungs erhebt er sich, wie sorgsame Beobachtungen ergeben haben, bis 10 000 Fuß in die Atmosphäre; und wohl wird dies begreiflich, wenn man bedenkt, daß allein in und um Ostfriesland eine Fläche von 4O 000 Morgen den Moorrauch versendet. Aber ungleich überraschender ist seine weite Ausbreitung. Denn unaufgehalten von dem Damme, welchen unsere Mittelgebirge ihm entgegensehen, führen ihn die Winde wohl bis zu den letzten deutschen Grenzen, an den Fuß der Karpathen und Alpen. Da, wo er sich lagert, spinnt Dämmerung über Wald und Feld, und die Sonne blickt bleich und strahlenlos durch den unheimlichen Dunst, der alles bedrückt, was atmet und lebt. Draußen aber, im Moor, streut nun der Ansiedler das Korn, das fürerst sein ein und alles ist, ins graue, oft noch heiße Aschenfeld.

Es leuchtet ein, daß auch diese Art der Bebauung nicht genügen kann, da die Kraft des unbefruchteten Bodens sich schnell erschöpft. Was ihn fruchtbar machte, war einzig und allein die Heide, und wie schnell ist diese Decke bis auf die letzte Faser verschwunden! Dann bleibt nur das tote Moor, das an sich vielleicht noch unfähiger ist, ein Leben zu erzeugen, als der hier und da unter und neben ihm gelagerte Sand. Daher sieht sich der Moorbauer, ähnlich dem Tabakspflanzer Virginiens, meist schon nach einem halben Jahrzehnt genötigt, sein Feld aufzugeben. Unaufhörlich muß er neue Strecken in Brand setzen, und hätte er nicht den Torf und seine Herde, er würde kaum zu bestehen vermögen. Ja, oft vermag er es wirklich nicht. Wenn am Ende die dürftige Narbe abstirbt, von der das genügsame Schaf sich nährt, dann verfällt er mit Weib und Kind einem Elende, das zu schildern die Feder sich sträubt. Aber auch abgesehen von solchen entsetzlichen Katastrophen, ist jedenfalls die eigentliche Bändigung des Moores nicht sein Werk: dazu bedarf es eines neuen, größeren Aufgebots der Kräfte.

Aber wie auf den Torfgräber der Moorbauer folgte, so folgt nun wohl dem Moorbauer der »Fehntjer«, der Kolonist der »Fehn«. Denn mit diesem altfriesischen Worte, das ursprünglich soviel als Sumpf bedeutet und auch in dem Namen Finnlands wiederkehrt, werden endlich jene großen Anlagen der holländischen und niederdeutschen Küstenmoore bezeichnet, die in der Tat beweisen, daß hier die Natur einen Segen der Fruchtbarkeit verborgen hat, der nur der hebenden Hand wartet, um mit reichem Gewinn zu lohnen. – Zwar sind, wie bemerkt, auch die Moore der Vendée längst für den Anbau gewonnen. Gleich einzelnen weißen Marksteinen schimmern da die Meierhöfe aus der einförmigen, labyrinthisch vom Wasser durchschnittenen Ebene, und es ist ein anziehendes Schauspiel, wenn am Morgen eines Sommersonntags aus all diesen Oasen die kleinen Kähne hervorschlüpfen, alle dem fernen Turm des Kirchdorfs zustrebend. Sie führen die Frauen und Mädchen zur Messe, während die Burschen, die bequeme Fahrt verschmähend, den hohen Springstock in der Hand, über Moor und Feld und Gräben demselben Ziel entgegeneilen.

Allein wie freundlich immer, das deutsche Fehn ist nicht bloß ein freundlicheres, sondern ein achtunggebietenderes Bild. Hier ist das Moor in der Tat überwunden. Die schwarze Erde ist bis zum Grunde abgebrannt, abgeschwemmt, abgetragen; die Wasser, in breitem Bett gesammelt, ergießen sich in den Fluß oder ins Meer, und nachdem so in einer Arbeit von Menschenaltern gleichsam die Urgestalt der Erde wieder aufgedeckt worden, hat eine wirkliche Neuschöpfung begonnen. Allerdings finden sich solcher Fehne auf deutschem Boden verhältnismäßig erst wenige. Unser Boot gleitet vielleicht stundenlang zwischen engen, dunkeln Ufern dahin, ohne daß ein Laut oder eine Gestalt des Lebens die stygische Fahrt unterbräche. Da plötzlich – wir täuschen uns nicht! – taucht drüben mitten im Blachfeld ein Mast empor, ein Mast mit Wimpel und Segel, bald ein zweiter, ein dritter – noch ein Augenblick – noch eine Wendung, und vor uns dehnt sich eine breite Wasserstraße mit Fahrzeugen aller Art bedeckt. Es ist der Kanal der Fehn, die sogenannte »Wieke«.

Als habe uns ein Zauberschlag in eine neue Welt versetzt, ziehen in wechselnden Bildern Schleusenwerke und Schöpfmühlen, Zugbrücken und Kais, üppige Felder und Wiesen und Herden dem Auge vorüber. Bald erheben sich große Stapelplätze, wo Berge Torfs lagern; aus nahen Werften dröhnt Gehämmer, über hohen Schloten wirbelt der Dampf, und durch die Luft streichen – befreundete Boten – Flüge von Tauben und Schwalben. Aber jetzt teilt sich der Kanal. Rechts und links, gleich dem Geäder eines Blattes, springen im scharfen Linien die »Inwieken«, die Seitenkanäle aus, und hier bauet sie selber, die Moorstadt sich auf: schmucke, ja vornehme Häuser, von blühendem Weißdorn umgeben, von Linden überschattet, im Wasser der »Vart« (des Hauptkanals) sich spiegelnd. In ihnen wohnt das älteste Geschlecht, das längst den vollen Segen von der Arbeit der Väter und Vorväter geerntet hat. Hinter ihnen, weiter hinaus, folgen die bescheidneren Wohnungen derer, die einst die Diener jener waren: holländisch saubere Ziegelbauten, mit weiten Toren und geräumigem Gehöft. Draußen endlich die Hütten der jüngsten Ansiedler, der Arbeiter, klein und eng; aber auch vor ihrer Schwelle liegt im Wasser ein Torfkahn, und hier wie dort rühriges Leben, emsiger Fleiß. – Das ist das Fehn, und so erzählt es gleichsam selbst seine Geschichte. Aber es zeigt dem erstaunten Blicke nur Bilder in aufsteigender Linie: »auf den Fehnen gibt es keine Armen«; auch der Kätner, wenn er mit seinem Schiffchen an den Häuserfronten der »Herren« vorüberfährt, braucht ihnen den Wohlstand nicht zu neiden, sondern darf hoffend in diesem Spiegel die Zukunft des eigenen Besitztums ahnen. Ja, selbst wenn das Moor seine Hoffnung täuschte, würde ihm doch noch allezeit das Tor zum Meere offenstehn. Denn das ist nun das eigentümliche der Fehne und darin liegt eine Bürgschaft ihrer dauernden Blüte, daß derselbe Kanal, dem diese einsam im Moore versteckten Stätten ihr Entstehen und Bestehen verdanken, sie auch unmittelbar am großen Weltverkehre teilnehmen läßt. Wer das Torfschiff zu lenken versteht, der lernt bald auch das Steuer des Kauffahrers regieren und pflügt vielleicht Jahrzehnte lang die See, um erst altersmüde heimzukehren und ruhig zu genießen, was er draußen in Gefahr und Kampf gewann. Daher werden Fehne zugleich zu Pflanzschulen eines tüchtigen Schiffsvolkes, und jede Art seemännischer Industrie und Bildung findet auf ihnen Pflege. Bereits überläßt auf einzelnen derselben je länger, je mehr die jüngere kräftigere Bevölkerung den Anbau der Scholle anderen, schwächeren Händen, so daß Fehne dieser Art gleichsam nur die Filiale großer Seestädte sind und der eigentliche Lebensquell derselben zuweilen jenseits des Ozeans gesucht werden muß. In anderen und entlegeneren Gründungen dagegen ist und bleibt der Ackerbau das gesegnete Fundament ihres Gedeihens.

Wir wiederholen: es gibt solcher Fehne auf deutschem Boden nicht eben viele. Man zählt deren im Oldenburgischen 5, im Arembergischen 1, in Ostfriesland 20, während im Gebiete von Bremen, dessen Erzbischöfe schon in sehr früher Zeit die Ränder des Moores zu kolonisieren suchten, der Name »Fehn« überhaupt nicht gebräuchlich ist und die betreffenden Anlagen schon zufolge der sie durchziehenden Landstraßen einen abweichenden Charakter tragen. Ueberdies aber ist einzuräumen, daß der Verlauf der Kulturentwicklung in den Mooren keineswegs überall der gegebenen Darstellung entspricht. Einige Moorkolonien, die unglücklichsten von allen, blieben auf der ersten der vorher gezeichneten Stufen stehen; andere, und ihrer sind die meisten, gehören jener zweiten Klasse der eigentlichen Moordörfer an, welche sich fast mehr auf den Besitz der Schafherden als auf den Ackerbau stützen. Dagegen sind einige der bedeutendsten Fehne sogleich von Anfang an als solche angelegt.

Unter ihnen ist Papenburg an der Ems für das älteste und größte bekannt. Ein weitblickender, opferfähiger Mann, Dietrich von Veelen, hat es ins Leben gerufen. Als er im Jahre 1675 den Gedanken der Anlage faßte, fand er außer der verfallenen Sumpfburg jenes Namens nichts als einige elende, mitten im Moor verlorne Hütten vor, und da niemand Lust trug, sich an dem hoffnungslosen Unternehmen zu beteiligen, vermochte er nur erst durch Versprechungen großer Freiheiten holländische Kolonisten herbeizuziehen. Von dem Augenblicke an begann das Moor zu verschwinden. Jetzt, nachdem fast zwei Jahrhunderte vergangen, erhebt sich an der Stelle jener Torfhütten auf einem Umfange von zwei Stunden eine Stadt, die 780 Häuser und 3 Kirchen zählt, die eine Navigationsschule und eine Handelsflotte von mehr als 180 größeren und kleineren Schiffen besitzt und sich immer steigenden Wachstums erfreut.

Ja, man hat berechnet, daß die Gemeinde von Papenburg in ihren noch unbearbeiteten Moorfeldern – den Kubikfuß des schwarzen Schlamms zu einem Pfennig angenommen – noch ein Vermögen von mehreren Millionen Talern unter der Erde stehen habe.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Norddeutsche Landschaft