Am See

Sieh drunten auf dem See im Abendrot
Die Taucherente hin und wieder schlüpfend;
Nun sinkt sie nieder wie des Netzes Lot,
Nun wieder aufwärts mit den Wellen hüpfend;
Seltsames Spiel!

A. v. Droste-Hülshoff.


1.


Nächst der Luft ist keins der vier Elemente, welche nach des Dichters Ausdruck »die Welt bauen«, so überallhin verbreitet als das Wasser. Ueber 6½ Millionen Quadratmeilen mißt die Fläche, welche der Ozean bedeckt, und einst ruhte auch die jetzt bewohnte Feste unter der Flut. Wann sie zuerst ihre Berge und Ebenen und damit eine ganz neue Schöpfung zum Lichte emporhob, welche Revolutionen damals den Planeten erschütterten, wird schwerlich je die Forschung zu enthüllen vermögen. Aber noch gebiert sich ununterbrochen im Schoße des Meeres eine Welt von Wesen. Es lebt in seinen Wellen ein Reich der Tiere und Pflanzen, das zwar nicht an Vollkommenheit und Schönheit, wohl aber an Fülle und Mannigfaltigkeit jenes der Kontinente weit zu übertreffen scheint. Unsere Wälder bergen, wie Charles Darwin behauptet, nicht so viele Tiere als die niedrige Waldregion des Ozeans, wo Tanggesträuche und Fucuszweige ihr zartes Laub entfalten, und selbst da, wo in bergetiefe Nacht kaum ein Schimmer des Lichts hinabdringt, regt sich 's allenthalben lebendig. Darum geschah es in richtiger, tiefbegründeter Ahnung, wenn griechische Philosophen das Wasser »den Ursitz und die Mutter des Lebens« nannten, oder wenn Inder und Aegypter betend an heiligen Strömen knieten und in ihnen die sichtbare Gottheit selbst verehrten. Ohne Wasser würde in der Tat nichts Lebendes bestehen. Wäre es möglich, daß mit einem Male seine Schleusen spurlos versiegten, dann müßte alles hinsterben, was atmet und sproßt, und die Erde würde nur das Medusenantlitz einer Wüste zeigen.

Aber »gleich einer sorgsamen Mutter«, die ohne zu ermüden jedem Bedürfnisse helfend entgegeneilt, wandelt das Wasser in ewigem Kreislauf seine Bahnen, allenthalben seine Wohltaten verteilend. Unter unsern Füßen, im Innern der Erde, ungesehen und ungehört, sprudelt es bald in zahllosen Gängen und Adern, bald sammelt es sich zu mächtigen Becken und Seen, zu »versiegelten Brunnen der Tiefe«, wie die Bibel so treffend sagt. Oder es tritt heraus ans Licht und zieht als segenbringender Strom durch die Länder und Städte der Menschen, freudebrausend dem großen Weltmeere entgegen, oder es öffnet auf dem Hochgebirge den Quell, die Gemse und das dürstende Moos zu tränken. So reicht das Meer mit seinen Wasserfäden durch und über alles Land bis hinauf zu den hängenden Gärten der Alpen, zu den ewigen Schneefirnen dort oben. Ueberall umgibt und beherrscht uns des Wassers Fülle, wenn es auch nicht überall von den Augen wahrgenommen wird.

Denn so weit dieses Element verbreitet ist, ebenso verschiedengestaltig ist es auch. Ein wunderbarer Proteus verflüchtigt es sich unter dem Hauche der Wärme in Nebel und Dampf und webt dann jene blauduftigen Säume um die Ferne, oder es steigt empor und bildet die ewig wechselnden Dekorationen des Himmels, während es sich unter dem Drucke der Kälte zu Schnee ballt oder in Hagel und Eis verfestigt. Man kann nicht leugnen, daß jede dieser Gestaltungen ein eigentümlicher poetischer Reiz begleitet. Sind Wolken und Nebel phantastisch und sehnsuchterweckend, so hat der Schnee in seiner fleckenlosen Weiße, in seinem leisen, traumhaften Niederschweben und in seinem ebenso wunderbaren Verschwinden etwas Friedevolles und Märchenhaftes. Grausig dagegen wirkt der Hagel, wenn er aus plötzlich verhängtem Gewölk seine Geißel auf die Aehrenfelder herabschmettert und in seinem Geleite der Sturm verheerend über die Wälder stürzt: es sind die gespenstigen »Schleuderer des Luftheeres«, die erbfeindlichen Mächte des Chaos, die dem Menschen grollend entgegenwettern. Das Eis endlich blickt uns erstarrend an; aber es hat zugleich etwas Geheimnisvolles, wenn wir über die berstende, krachende Fläche gleitend uns vorstellen, daß der Geist unter uns nur in einem Zauberschlafe liegt, aus dem er plötzlich und mit unentfliehbarem Grimm erwachen könnte.

Indessen bedeuten alle diese Wandelformen doch nur wenig gegen das Wasser selbst, gegen das fließende, freie, lebendige Element. Seine reizende Durchsichtigkeit, sein klarer Spiegel, der melodische Rhythmus seiner Bewegung, das leuchtende Grün und Blau der Wellen üben eine stille Macht über jeden Sinn, und fast möchte man behaupten, daß selbst der schönsten Landschaft die Seele fehle, wenn nicht das feuchte Element ihre Schönheit zurückstrahlt. ??????? ??? ???? [Fußnote]Sprich: áriston men hydor. (Wasser ist das Beste) ist wahrlich nicht bloß für den Arzt oder Landbauer gesagt. Es gibt kein großartigeres Epos als das erdumgürtende, himmelspiegelnde Meer und keinen kühnern Dithyramben als den Katarakt, ber brausend und dampfend in den Abgrund stürzt.

Aber man hat gar nicht nötig, so gewissermaßen zu den äußersten Spitzen aufzusteigen, um das Wasser in seiner Schönheit zu sehen. Schon sein erster Ursprung ist ein Bild von außerordentlicher Lieblichkeit. Der Quell, der Bote der Berge, wie unzählige Male haben ihn die Dichter besungen! Da hängen in den Wipfeln die Nebel, der Schatten tropft kühle Perlen, von jedem Blatt und Halm trieft es, und nun sickert und wühlt und schlüpft es in die Erde hinein und rinnt zusammen und wird lebendig. Kein Auge sieht das Wunder, Berggeister stellen sich hütend um seine Wiege; aber dort, wo der Felsen sich spaltet, haben sie einen Pfühl von Sand und Moos hingelegt, und mitten inne geht das Quellchen auf. Unermüdlich brodelt es hervor. Es spielt Ball mit den kristallenen Körnchen, und so leise lullt es in sich hinein, daß auch das Ohr des trinkenden Mäuschens nichts vernehmen mag. Aber hat das Elfenkind erst einmal das Licht geschaut, so eilt es von dannen. Espen und Weiden kommen und breiten die grünen Arme darüber, als wollten sie das flüchtig festhalten mit ihm zu tändeln, oder sie beugen sich horchend in das Gemurmel, das so märchenhaft durch die Stille klingt. Und nun hinaus aus dem Wald! hinab ins Tal! Welch ein ganz anderer, neureizender Anblick ist dort der Fluß, die schweifende, blitzende Silberlinie durchs Gelände schwingend! Friedliche Herden spiegeln sich in seinen Wassern, wogende Aehren antworten seinem Rauschen, ein Gebüsch, ein Hain drängt sich heran und stellt auf sanften Hügelkuppen seine Vorposten auf, indes ganz nahe ans Ufer schon die Erle sich schleicht und neugierig scheu den Fuß ins lockende Bad taucht. Aber jenseits in geschütztem Busen versteckt sich eine Mühle, ein stilles Dörfchen, oder mit Turm und Mauern erhebt sich geräuschvoll die Stadt.

Gewiß, es sind schöne Bilder, diese Bilder des Wasserlebens. Und selbst der Dorfbrunnen noch, das kunstlos gehöhlte Rohr, aus dem die gefangene Najade sich ergießt, ist schön und hat etwas von dem schmeichelnden, sinnbeschwichtigenden Reize des Elements in sich. Tieck sagt irgendwo, daß gerade die rauschenden Brunnen in Rom ihm das Herz so sehnsüchtig geschwellt, und Eichendorff schafft seine eigentümlichsten Szenen, wo er die einsamen Schlösser schildert, deren verfallene Fontänen durch die Mondnacht murmeln. In der Tat, das Wasser ist ein geistiges Element, es spricht uns wahlverwandt an, und gewiß war es kein leeres Spiel unserer Sprache, daß sie vom See auch der Seele den Namen lieh. [Fußnote]Schon im Gotischen saivs und saivala.

Eine eigentümliche, besonders schöne Gestaltung nimmt das Wasser in dem ebengenannten See an. Quell, Bach, Fluß eilen unaufhaltsam vorüber, ein Bild des unaufhaltsam eilenden Lebens. Daher hat das Gefühl, welches sie in uns erwecken, so mannigfach es sich auch sonst färben möge, immer den Grundton der Sehnsucht: die ziehende Welle zieht auch uns mit fort; wir versenken uns in sie, bis sich, ihr gleich, Auge und Sinn ziellos in unbekannte Fernen verlieren. Lenau sang:

Die Seele sieht in ihrem Leid
Sich selbst vorüberfließen.

Diesem entgegengesetzt wirkt der See. Er ist ein »stehendes« Wasser, in breite, große Becken gesammelt. Er entbehrt der gleitenden mäandrischen Linien, die schon Homer am Skamander rühmt, und nur vom Sturm erregt, rauscht sein Gewässer. Dafür aber gibt er jeden Ton des Lichts, jede Stimmung der Luft in reinem Spiegel wieder. Frisch und heiter am Morgen, weich und sehnend bei Abend, gespenstisch im Nebel, feierlich, wenn der Sternenkranz über ihm strahlt, zieht seine glatte, unbewegte Welle in der Tat den Himmel auf die Erde. Dazu tritt der Ring des Ufers hier wirksamer als bei irgendeinem Wasser hervor. Die wechselvolle Umrahmung schließt den See zu einem Ganzen, zu einem fertigen Bilde ab, und wie sie der Welle Schranken setzt, so hält sie auch das Gefühl des Betrachters in beruhigter Grenze. Die sonnigen und doch versteckten Buchten geben den Eindruck des Heimlichen und Heimischen, die sanfte Woge ladet zur Rast; friedeatmend breitet ein Idyll sich aus.

Und doch wiederholen keineswegs alle Seen dieses Bild. Dazu greift die Szenerie der Ufer und selbst die Farbe des Wassers hier zu bedeutsam ein. Der dunkelumschattete Bergsee wird schon immer einen tiefern, romantischeren Charakter haben als der Landsee, dessen hellen Spiegel breite Wiesensäume sonntäglich freundlich, aber einförmig umschließen. Wieder anders gestaltet sich der Eindruck auf kahler Hochebene. Man denke an den Mummelsee auf dem Schwarzwalde. [Fußnote]Vgl. J. Kerner, das »Wildbad«. S. 27 Dort in einer weiten, stillen Moorfläche, in der kaum ein Gesträuch der Krummholzkiefer sich fristet, nur von fahlen Seggen umgeben schlägt das finstere Wasser seine Wellen. Kein Fisch wird sichtbar, selten ertönt das Geschrei der Wildente oder der Ruf des Auerhahns in der beängstigenden Stille, und über den Himmel ziehen schwer und langsam die Wolken. Hier fühlt man sogleich, daß man im Banne düsterer Sage steht: die Geister grausiger Balladen tauchen aus der Tiefe. Aehnlich stimmen Seen in den Kesseln erloschener Krater, wie etwa der Lachersee am Rhein. Die Oede der vulkanischen Umgebung, in der die tiefen Wasser unbewegt stehen, wirkt melancholisch, aber zugleich feierlich und großartig, indem sie an die gewaltigen Naturkämpfe erinnert, die hier einst getobt. Wie wunderbar reizend erscheint gegen diese der grüne, bis zum Grunde durchsichtige Alpensee: ein Feenmärchen im Schoße der Waldberge beschlossen! Und nun gar die herrlich offenen Spiegel Italiens, Schottlands und der Schweiz, die großen Kristalle, um die eine gleichsam in der Natur verkörpert Phantasie den ganzen Reichtum ihrer kühnsten und prächtigsten Schöpfungen hergestellt

2.


Der See, an den die nachfolgenden Skizzen sich knüpfen, darf neben so stolzen Namen nicht stehen. Es ist ein kleiner, unscheinbarer Landsee. Im nördlichen Teile der Altmark, etwa fünf Stunden westwärts der Elbe gelegen, bildet er eines der Wasserbecken, welche von Norden herab über die große europäische Tiefebene verstreut sind und die das weichende Meer einst hier zurückließ. Erdfälle mochten den Kessel des Sees erweitern (wie denn ein solcher noch im Ausgang« des 17. Jahrhunderts stattfand), so daß das Oval desselben in der Längenrichtung sich reichlich drei Viertelstunden ausdehnt, während seine Breite eine halbe Stunde und darüber messen mag. Gleich den meisten andern Seen schreibt der Volksglaube auch diesem unergründlich« Tiefen zu, durch die das Wasser mit dem Meere in Verbindung stehe. In ihnen birgt sich die Nixe des Sees, deren launisches Spiel jene Strudel und Wirbel in den Spiegel zeichnet, die der Fischer mit geheimem Grausen vermeidet, denn dort reißt die Hexe ihr jährliches Opfer hinab. Rings um unsern See zieht sich ein sandiges, hier und da in sachten Höhen ansteigendes Ufer. Auf einer derselben liegt das Städtchen, welches vom See den Namen führt. Gärten verdecken es, nur die Kirche und unmittelbar unter ihr das Getrümmer eines Benediktinerklosters treten dicht an den Rand der Uferbrüstung heran. Die übrigen Höhen sind teils mit Kiefergebüsch bewachsen, teils blicken sie nackt und weiß in den Spiegel. Nach den andern Richtungen hin verflacht das Ufer völlig und bekleidet sich dafür zum Teil mit dichterem Waldwuchs. Wo dieser fehlt, strecken sich Aecker eines Dörfchens, während dieses selbst hinter Laubgruppen und den ins Wasser tretenden Buschweiden verborgen bleibt. Dies ist die einfache, ja dürftige Szenierung. Aber wie hebt die sterile Landschaft nun der in ihrem Schöße flutende See? Novalis hat das Wasser »das Auge der Landschaft« genannt, [Fußnote]Bezeichnend heißt im Hebräischen ajin das Auge und der Brunnen. Auch möge man sich hierbei des Glaubens an weissagende Quellen und Brunnen erinnern, den Griechen, Orientalen und Germanen miteinander teilen. und ebenso nennt der heutige Palästinenser seinen See von Tiberias; auch der kleine norddeutsche Landsee noch beweist das Treffende dieser Bezeichnung, denn auch er ist der beseelende Spiegel, der lebensvolle Fokus seiner Umgebung.

Ich erinnere mich lebhaft – wenn anders erlaubt ist auf solche Empfindungen zurückzugehen – des Eindrucks, den dieser See auf mich machte, da ich ihn, allerdings zu ungewöhnlicher Stunde, zum ersten Male sah. Es war eine Milde Dezembernacht, die Luft wolkentrüb und schwer, kein Stern blickte; aber ein bleicher Schein rann durch die alles erfüllende Dämmerung: es mochte der Mond sein, der vielleicht eben über den Horizont stieg. Ein Waldweg hatte mich plötzlich an das Ufer des Sees gestellt. Aber welch ein Anblick! Ueber mir, unter mir, vor mir dehnte sich das graue Nichts, und vergebens versuchte das Auge es zu gestalten und zu durchdringen. Einsame Stille lag umher; über der öden Leere zitterte immer seltsamer jenes fahle Licht, als verlösche die letzte der Sonnen und rolle nun auch die Erde in die uralte Nacht hinaus. Da rang der Mond sich durch die Trübe, der Zauber schwand, und, ein endloses Nebelmeer, wallte der See zu meinen Füßen.

Wie ganz anders erschien diese Szene im Sonnenlicht und in der beruhigten Stimmung des Tages! Im glänzendsten Azur, scheinbar unbewegt, liegt der See wie ein blitzender Saphir, rings vom Ufersande sauber, fast blendend umsäumt. Der nordische Dämmerschauer ist hinweggenommen, ein offener Himmel blickt heiter über Nähe und Ferne und vertieft sein lichtes Blau in der Spiegelfläche, während die Föhren ihre dunklen Häupter in hellen, weichen Massen abzeichnen. Alles atmet Leben und Frische, obschon die Ufer in winterlicher Erstarrung stehen.

Es ist die Zeit, in welcher der See das reichste, rührigste Tierleben auf seinen Wassern versammelt. Die Sommergäste sind fortgezogen, die Möve, die Schwalbe, der Reiher, der Strandläufer haben den milden Süden aufgesucht; nur der Steißfuß (Podiceps) ist geblieben, aber zu ihm gesellen sich von Norden kommend die verwandten Arten der Taucher (Mergus), die Wildgans, zahllose Entenvölker und manch anderes seltneres Geflügel. Dort über jenen Tiefen rudert still geschäftig ein vereinzeltes Paar; es ist der Steißvogel ( Podiceps cristatus). Der Kopf nickt in lächerlichem Takt, und deutlich zeigt sich der dreist vordrängende Pfriemenschnabel, deutlich die schwarze Haube, sonderbar gehörnt, als habe der Vogel nach Schreiberart eine Feder hinters Ohr gesteckt, und der noch sonderbarere, scharf abgestutzte Halskragen. Ein dumpfes Kork! Kork! läßt sich hören. Der nie gesättigte Taucher ruft dem Weibchen zu, und nun stoßen sie in die Tiefe, fünf bis zehn Klafter hinab. Vergebens erwartet man das Emporsteigen des meisterlosen Fischers, endlich – du zählst indes vielleicht einige Hundert – hebt er sich drüben in weiter Entfernung wieder aus den Wassern, um bald von neuem zu verschwinden. Ehedem verachtet, ist dieser scheue, schnelle Vogel, dieser »Wasserhase«, wie ihn die Mexikaner nicht unpassend nennen, jetzt ein vielgesuchtes Ziel für die Flinte des Jägers. Sein kostbares, blendendweißes Seidengefieder (der Schmuck so mancher Dame) reizt zur Nachstellung. Aber nur selten belohnt sich die dabei aufgewandte List und Ausdauer. Denn gelingt es auch, dem Vorsichtigen zu nahen und zu feuern, so taucht er beim ersten Blick des Pulvers hinab, und mit fabelhafter Geschwindigkeit, ehe der Schuß ihn erreicht, hat er die sichere Tiefe gewonnen, oder er eilt lautpfeifenden Flügelschlags über die Wasserfläche, weit aus dem Bereiche des Feuergewehrs hinweg. Selbst getroffen schüttelt er den bleiernen Hagel noch oft genug wie spielend ab von der harten Haut und dem elastischen Federwamms, welches ihn dicht umhüllt. Indessen lenkt ein ununterbrochenes Getümmel den Blick auf die großen Einbuchtungen des Sees. Tausende von Wasservögeln bedecken dort in unabsehlicher Linie den Spiegel. Da sind die Scharen der Stockente ( Anas boschas), der Knöckente ( A. querquedula), der Pfeifente ( A. penelope), die Gruppen der Kriekente ( A. crecca), dazwischen die sonderbar gehaubte Kolbente ( A. rufina), der Gropper mit den leuchtenden Perlenaugen ( A. leucophthalmos), das zierliche weißgestirnte Wasserhuhn ( Fulica atra) und im grünglänzenden Federbusch der stattliche Säger ( Mergus merganser). Und in welchem Tumult von Tönen wetteifert diese Welt! Welch ein Stöhnen und Schnattern, Schreien und Pfeifen, Plärren und Schnarren. Doch halten sich alle in scheuer Ferne; nur das Bläßhuhn spielt zutraulich in den nahen Rohren und Binsen. Wird es erschreckt, so stößt es einen scharfen, fast bellenden Schrei aus. Es will sich aufschwingen; aber unfähig zum vollausgespannten Fluge läuft es mit raschen Füßen in langem, rauschendem Zuge dahin, gleichsam als galoppiere ein Reiterchen über den Spiegel, und fällt endlich fern vom Ufer, schwer ins Wasser. Plötzlich kracht ein Schuß. Wie durch Zauberschlag sind alle die vielstimmigen Kehlen verstummt; aber noch ist der Knall nicht verhallt, und unter wahrhaft betäubendem Donner erhebt sich das ganze gefiederte Heer. Weithin schäumt und wogt der See. Im wildesten Aufruhr, kreischend und schnatternd, schwingen sich die schwarzen Geschwader durch die Luft und umkreisen zu ganzen Wolken die Mitte des Sees, um sich zuletzt ungefährdet wieder niederzulassen oder, wenn der Abend dämmert, auf die benachbarten Brüche, Gräben und Sümpfe abzustreichen. Dann legt sich Stille über den See; nur der einsame Haubentaucher schwimmt noch umher, und ein krank zurückgebliebenes Huhn sucht am Ufer ein schützendes Gebüsch. Es ist die Zeit, wo der Fuchs heranschleicht und den Seerand auf- und abzieht; er wird den gelähmten Vogel belauern oder, mißlingt die Jagd, an einem von der Welle ausgeworfenen Hecht sich für diesmal genügen lassen.

Aber diese Uebergangszeit ist nicht geeignet, den See in seinen Reizen erscheinen zu lassen. Der Himmel zeigt selten ein wolkenloses Blau; meist hüllt er sich in Regen und Dunst, und das öde Grau nimmt sich in dem tiefen, weiten Spiegel nur um so öder und wüster aus: ein Eindruck, der durch die gänzliche Erstorbenheit der Landschaft noch erhöht wird. Nur der wirkliche Winter leiht dem See eine eigentümliche Poesie. Wenn der alte Magus aus Norden in seiner flimmernden Schneekappe herabsteigt und Wälder und Felder mit Flocken bedeckt und den Strom im Laufe ergreift, daß er steht: dann gibt der See ein anziehendes Bild.

Es ist Januar. Der Schnee fällt. Aber es ist nicht mehr das traute Wintermärchen der Weihnachtstage, es sind nicht die kleinen stillen Sternchen, die so wunderbar leise wie verzauberte Frühlingsblüten herunterschweben; finstere, stürzende Schauer begraben alles Leben. Wohin das Auge sieht, wirbeln die Flocken in windgepeitschten Wolken: ein chaotischer Hexentanz, den die Wintergnomen höhnend über der toten Erde aufführen. Die Vorsprünge der Uferhöhen verschwinden allmählich, sie sind in abenteuerliche Koppen oder in lange Rücken verwandelt, und die Tiefen zwischen ihnen liegen verschüttet. Da und dort kugelt sich der Wind in dem weichen Lager und baut sich Bogen und Nischen, oder er zieht lange Wellenfurchen über die Fläche. Die Kiefern stehen gebeugt. Sie haben sich schauernd in den weißen Mantel gehüllt und schicken sich zum Schlaf an, in den alles umher schon versunken. Der See allein ist noch unbezwungen. Hoch wogen seine Wasser auf, als fühle er schon den tötenden Odem, dem seine Kraft erliegen muß; kein Ufer, nichts als die Wolkennacht des Himmels spiegelt in der aufgeregten Flut: so liegt sie da mitten in der weißen Oede wie ein ungeheurer schwarzer Schlund.

Endlich wird das Schneetreiben schwächer, und der Wind läßt müde seine Flügel sinken. Alles ist weiß. Der Fuß knirscht im Schnee; an den Bäumen hängen lange Eiszotten; die Ferne, drüben die Seeufer liegen wie gehaucht, nur ihr Umriß dämmert aus dem Horizont herüber. Erstarrende Kälte fesselt nun auch das letzte Zucken des Lebens. Aber der See will keine Bande. Am Rande zwar, in den Wassern des Röhrichts beginnen schon die Wintergeister ihr kristallenes Netz zu spinnen, einzelne Eisstrahlen schießen zwischen Halm und Sträuchern an; doch die große Wassermasse liegt noch frei und schlägt dunkle, zornige Wellen. Sie kämpft mit dem Reste ihrer Kraft gegen den immer stärker andringenden Feind. Das ist ein wunderbares, imposantes Schauspiel. Aus allen seinen Tiefen, zumal der Mitte zu, wo im Grunde laue Ströme quellen, haucht der See die innere Wärme aus, und nun steigt in Wirbeln und Säulen der weiße Dampf aus den Schlünden wie aus ebenso vielen Schloten. Senkrecht und unbewegt stehen sie über der dunklen Fläche. Es sind die Pfeiler, auf denen die Nacht ihr Nebelhaus baut. Wirft die Abendsonne ihren Purpur in die Szene und durchglüht sie die dunstenden Tromben mit gebrochenem Scheine, dann wird der Anblick zauberisch schön. Spukhaft aber und geisterartig gestaltet er sich im Dämmerlichte des Mondes, als wandelten da die alten Nebelkönige in langen Gewanden feierlich auf und ab oder rüsteten sich zum Reigen. Auf solche Abende folgen dann bitterkalte Nächte. Der See, ein Spiegel, schläft und sieht sich am Morgen bei Sonnenaufgang gefesselt: die Gnomen haben ihr Werk vollendet. Nun werden mit jedem Tage die Bande fester. Das Eis liegt eine Elle dick, am Rande grau, in der Mitte tiefschwarz: eine einzige blendende Stahldecke, nur fernerhin in leisen Duft gehüllt. Aber bald belebt sich die winterliche Bühne mit einem muntern Chor wechselnder Gestalten. Des »Kristalls Ebene« winkt dem

Jüngling, der den Wasserkothurn
zu beseelen weiß,
und unter der beflügelten Sohle tönt der berstende Spiegel,
wie der schnellende Bogen
hinter dem Pfeil ertönt.
(Klopstock.)

In lustiger, bunter Kavalkade schwebt die Schar der Städter vorüber, indes der Dorfbube, dem nicht Klopstocks Stahl unter der Ferse blinkt, mit klappernden Holzpantoffeln hingleitet. Und überall tummelt sich's umher. Schlitten fliegen auf und ab; in malerischen Labyrinthen kreuzen die Läufer durcheinander, jetzt nah und nun fern verschwunden; ein Lastwagen rollt knirschend über die glatte Bahn, und der alte Fischer haut Löcher in den Spiegel, den hungrigen Hecht zu berücken. Das gläserne Dach ist so durchsichtig, das Wasser so tropfenhell, daß man die stumme Brut drunten klar erblickt und mit seltsamem Vergnügen ihrem zuckenden, schießenden Zuge folgt. Aber die meisten bergen sich jetzt in dem Geschling der Wasserpflanzen, die in dichtem Walde den Grund bedecken und in ihrem saftfrischen, gallertartigen Grün und in ihren reichen, verschiedengestaltigen Massen wie ein versunkener Frühling heraufblicken. Da fluten zahllose Fäden der Callitriche, leuchterartig nach allen Seiten die grünen Wassersterne hebend, dort wiegt der Wasserveiel ( Hottonia palustris) die üppigen Federbüsche, weiter in die Tiefe breitet an dicken langen Rohrstielen das Laichkraut ( Potamogeton natans) seine runden großen Blätter – grüne Schirmdächer, unter denen manches Fischchen schläft – und über alle ragt nun die Sumpfaloë (Stratiotes aliodes) mit ihren scharfgezähnten Blätterschwertern, aus deren dichtem Büschel zehn bis zwanzig Fuß der schlanke Stengel emporsteigt. Es ist die Palme dieses Wintergartens, aber jetzt freilich fehlt ihr der zarte Schmuck der Blüte.

Und immer grimmiger wird die Kälte. Weit hinab zerreißt der Nachtfrost das Eis, krachend und gellend. Aber damit beginnt zugleich das Werk der Zerstörung. Nach allen Richtungen berstet die starre Decke, und der Mitte zu kreuzen sich im verschlungensten Zickzack diese Sprünge und Spalten. Dort schlägt das Herz des Sees. Der schlafende Okeanide schüttelt sich; er hört in seiner Tiefe die lebenatmenden Winde, die fern aus Mittag heraufziehen und ihre Boten, dunkle Wolken, senden, und nun beginnt der alte Wettkampf der Elemente. Ist er freilich da ungleich großartiger, wo der Heerstrom in majestätischem Zorne schäumend seine Fesseln bricht, so fehlt es ihm doch auch hier nicht an Größe.

Der Schnee verliert sein reines Weiß und stürzt und stäubt von Bäumen und Hügeln. Krähen und Raben kreisen über dem Walde. Der Südwind aber treibt immer neue Wolkenzüge über den Himmel, und erweichend durchströmt sein Hauch das Eis, so daß es ununterbrochen sich löst. Doch nur langsam, Block um Block, wird die alte Zauberfeste zertrümmert, und erst mit ihrer Vernichtung zeigt sich recht ihre Gewaltigkeit. In laueren Nächten, wenn Mine auf Mine springt und Bresche auf Bresche folgt, da ist die Zeit, den See zu hören und zu sehen. Die Nebel wogen über der Fläche, aber durch die Lüfte fliegt der Sturm. Wie auf ehernen Streitwagen rollt das wilde Heer heran, die Wolken jagen schwarz und in Ungetümen Knäueln durcheinanderwälzend vorüber, der Wald beugt heulend seine Gipfel. Alle Stimmen aus Höhen und Tiefen sind laut geworden und schlagen brausend zusammen. Dazwischen mischt sich das unaufhörliche Platzen und Bersten, das Krachen, Klingen und Dröhnen des Eises. Aber freilich, wer nie die Natur in solchem Aufruhr belauscht hat, dem werden Worte nicht leicht diese Szene malen. Denn diese Schlachtmusik, dieses dämonische Furioso der Elementargeister ist von der gewaltigsten Wirkung. Vom schrillsten Pfiff herab in wahrhaft schwindelnder Skala stürzt und springt der rasende Chor in die Tiefen eines Basses, dessen donnerndes Rollen erdbebenartig den ganzen Raum erschüttert, um plötzlich einmal mit einigen Bombenschlägen zu enden. Dann verschnaubt der Sturm wohl einen Augenblick und er orgelt abenteuerlich in sich hinein oder er singt seltsam wehmütige Lieder. Ihnen antwortet's aus der Tiefe wie heimliches Schluchzen; verlorenes Murmeln klingt, und das Gemüt erfassen wunderbare Schauer. Aber nur Minuten währt diese Ruhe, dann ruft Aeolus' Tuba von neuem zum Kampf.

Endlich – Wochen sind vielleicht vergangen – endlich zerfällt der vom Sonnenstrahl zermürbte und vergilbte Spiegel. In der Mitte hat sich zuerst das Eis aufgelöst, und in raschem Vordringen, fast zusehends, bricht die befreite Welle Stück um Stück aus dem Bollwerk. Zuweilen greift eine lange Woge herüber und schleudert einen Eisblock ans Ufer, aber die nächste schon reißt ihn wieder hinab und zurück in den wirren Tanz der klirrenden, splitternden Schollen. In wenigen Tagen liegt der See offen und schlägt das klare Auge zum Himmel auf, an dessen blauem Bogen jetzt die weißen Lämmerwolken, des Vorfrühlings muntere Herden, heraufziehn. Nur hin und wieder liegt am Strande wohl noch ein Eisquader, trotzig in die Sonne blickend, bis auch er unter den emsig arbeitenden Strahlen zusammenschmilzt und in den Schoß des Wassers zurückkehrt.

3.


Es bricht der Frühling aus allen Hecken und Winkeln unaufhaltsam hervor. Der Himmel schallt von Lerchenchören, aus dem Acker steigt der alte Erdatem heilend, nährend, verjüngend, und am Wasser sprießt und keimt es allerorten. Den umgestürzten Weidenstämmen, die dort schon Jahre lang in den See hängen, fährt es durchs morsche Mark und sie treiben neue Reiser, und aus den saftstrotzenden Ruten zupft die Sonne lange Blütenschäfchen. Auch das Röhricht steckt seine Fahnen auf; die Erdgänge und Uferhöhlen – der Winter hatte sie alle vermauert – kleiden ihre Schwellen mit Moos, und manche grüne Ranke kriecht herbei. Wenn der Himmel sich einmal verdunkelt, dann sprühen Frühlingsregen. Aber die Lerchen singen unverdrossen weiter; die Sonne blitzt in die Tropfen, die lustige Blasen auf den See werfen; die Frösche knarren behaglich, denn sie wissen nicht, daß mit den Sommerlüften auch der Storch gekommen ist, der alte Sumpfkönig aus Aegyptenland. Alles liegt in Duft, still und erwartend; ein ahnungsvoller, fast wehmütiger Hauch weht über der Erde. Wie schön stimmt zu diesem träumerischen Frieden dort das stille Dorf und hier vorn, wo das Erlengebüsch schon dichter schimmert, die alte strohgedeckte Fischerhütte! Sie ist malerisch mit Netzen staffiert, und aus dem Schornstein spinnt ein dünner Rauchfaden hinauf. Der Kahn liegt im Rohre versteckt, der alte Irin sitzt auf der Schwelle und bessert Reusen, indes er dem Enkel von der Nixe und ihren Tücken erzählt. Aber der hat die Augen auf dem See, und bald hat auch der Alte seine Mär vergessen, denn hoch über dem See schwingt sich in großen Kreisen der Wanderfalke. Jetzt hängt er regungslos mit ausgespannten Flügeln in der Höhe, wie angenagelt; aber plötzlich schießt er steilrecht herab. Es gilt einer Ente. Im Nu ist sie verschwunden, und der Falke umkreist reißenden Flugs die Fläche. Nur dann und wann steckt der geängstete Vogel den Schnabel aus dem Wasser, um Luft zu schöpfen, aber der Verfolger ruht nicht. Mit unwiderstehlicher Gewalt, als schmettere ein Stein herab, wirft er sich auf seine Beute und zuletzt, im gieren Griffe sie erhaschend, fliegt er kreischend davon, um drüben auf einem Hügel sein blutiges Mahl zu halten.

Das sind Frühlingsszenen. Aber bald hat das letzte Wintergeflügel den See verlassen; die Möwen, die Reiher sind gekommen und mit ihnen der Sommer. Der See liegt im Schmuck seiner Ufer. Da sind die grünen Hügelabhänge mit den weidenden Lämmern, da sind die hellen Birken, die Weiden, die Erlen, manche Eiche, und da ist vor allem auch das Rohr, das Rohr, das uns so geheimnisvoll fremdartig, fast tropisch anblickt. Weit hinein in den See stellt es seine schlanken, immer wellenschlagenden, immer flüsternden Schafte, die Blätter so lang, scharf und fest, die Blüte in so prächtig braunen Büscheln nickend, und zwischen seinen Wurzeln schwimmt und schaukelt das Nest des Tauchers, spielt das rotäugige Wasserhuhn und die junge Fischbrut. Hinter diesem Hochwalde tritt das Schilf heran mit den samtweichen schwarzen Kolben, die Wasserdolde ( Butomus umbellatus) hebt ihre rosigen Blütenschirme in die Luft, gelbe Lilien richten ihre Urnen auf, und das alles ist so frisch und massiv, so plastisch gestaltet, daß man ein Knabe sein möchte, begehrend und wagend die Hand nach dem Kranze der Najade auszustrecken. Aber das Schönste von allem sind doch die Seerosen, mit den breiten, fetten Blattschilden, auf denen die üppige Blüte hier goldglänzend, dort schneeweiß sich wiegt. In gefährlicher Tiefe wurzelt die Blume, unbewegt auf der Fläche ruhend und weite Gruppen bildend, über die hinaus endlich der Wasserranunculus seine weißen Sterne zu ganzen Blumeninseln häuft.

Senkrecht fällt jetzt der Sonnenstrahl auf den See, der wie schmelzendes Silber wallt. Jede Welle glitzert; aber das Auge erträgt nicht die Blendung und sucht den Schatten. Ueber der Flut flimmert heißer Dunst, sonst regt sich nichts. Kaum daß noch etwa ein Fisch aufspringt oder eine Uferschwalbe über die Fläche streicht. Die Luft steht still, die Blätter hängen tot an Strauch und Baum, das Schilf läßt müde seine Schwerter funkeln, selbst die ewig bewegte Wolke der Möwen ist nicht mehr sichtbar, und auch der Rohrsperling sitzt stumm im Weidengebüsch. Aber dem Frosch ist's wohl; den breiten Teller einer Nymphäe hat er sich zur Ottomane erwählt, dort sitzt er und labt sein kaltes Herz am heißen Strahl.

Man sucht einen Erlenbusch und legt sich ans Ufer. Das Wasser ist da so durchsichtig klar, die glatte Kieselstraße dehnt sich so sanft und weit hinein, die grünen Hage drunten schimmern so märchenhaft herauf, als ob uns selber

die blaue Göttin
lade in ihren unendlichen Schoß.

(Schiller.)

Die Seele verfällt widerstandslos der magischen Gewalt des Elements und, selber eine Welle, löst sie sich in den großen dunkeln Urgrund des Lebens auf. Das Wasser schlägt leise glucksend, wie im Schlaf, ans Ufer und zieht weiche Linien in den Sand oder wirft Halme, Fasern, Schnecken aus, seine Spur zu bezeichnen. Bachstelzen und Krähen kommen, einen Wurm, eine gescheiterte Muschel zu fangen; ein durstiger Schmetterling setzt sich auf ein feuchtes Steinchen, und über ihm steht mit glasigen Flügeln die Libelle, nur je zuweilen hin- und herzuckend. Man betrachtet verwundert dieses kleine Treiben, folgt hier dem zierlichen Vogelschritt, dort den Irrfahrten einer Phrygänenlarve, die im Rohrkanot das Ufer zu gewinnen sucht, oder den Mücken, die zwischen den Baumwipfeln wie an unsichtbaren Fäden schweben, auf tausend Wegen auf- und niederkreuzend.

Inzwischen erwacht nach kurzer Ruhe die Wasserwelt. Ganze Herden von Fischen hüpfen auf der Oberfläche des Sees. Das ist ein Glitzern und Plätschern, ein Haschen und Huschen ohne Ende. Jetzt jagt lautschnappend der große Barsch heran – er trachtet den sorglosen nach; aber kaum naht er und im Augenblick ist alles zerstoben. Doch nicht lange, so sammeln sich neue Schwärme. Und nun sehe man das Hin- und Herschießen, das Auf- und Abtauchen, das wählige, wohlige Dahingleiten, dieses Fortrollen und dann wieder das plötzliche Stillstehen, das regungslose Versteinern dieser sonderbaren Tiergeschlechter! Nirgend zeigt sich ein arbeitendes Glied, jede Bewegung erscheint so mühelos, so zauberhaft leicht, als ob ein verborgener elektrischer Druck die schlanken Leiber jetzt vorwärtsschnelle, jetzt plötzlich banne. Das kleine Volk macht Jagd auf Mücken, Fliegen und Wasserspinnen; aber schon ist ein neuer Feind nahe und der gefährlichste von allen. Unten im Blättergewirr des Grundes, graubepanzert, lauert mit tückischen Augen der Hecht. Er steht unbeweglich. Plötzlich hat er einen Unvorsichtigen erspäht und in wildester Hast, pfeilschnell stürzt er hervor. Ein Moment und man sieht die langgestreckte, stiere, glotzende Masse, den Rachen weit geöffnet, zwei, drei Fuß über die Wasserfläche hinausspringen und dann schwer und plump in ihr Element zurückfallen. Ein laut klatschender Wellenschlag erregt den Spiegel, während der Räuber, seinen Fang im Genick gefaßt, in die Tiefe stößt, wo er den Fraß langsam und ruckweise hinabdrängt.

Aber jetzt schwimmen weißumsäumte Wolken am Horizont herauf, und bald kommt's düsterdrohend gezogen. Die Uferschwalben werden lebendig. Der Taucher läßt aus dem Schilfe seinen melancholischen Ruf vernehmen: er verkündigt das Gewitter. Schon erfolgen auch einzelne Windstöße. Dann tritt abermals Stille ein, und der See glättet sich von neuem. Aber die Fläche ist jetzt tief dunkel. Den ganzen Himmel haben Wetter verhüllt; finstere Wolkentürme, riesige Gebirge mit zackigen Schneehäuptern steigen herauf und zeichnen ihre gewaltigen, immer kühner sich gestaltenden Reflexe in den See, bis die Sonne ganz versinkt. Nur auf der Klosterruine glüht ein letzter, tiefer Strahl. Da weht ein hohles Rauschen durch die Luft, ein dumpfverrollender Donner intoniert das große Drama. Und sausend springt der Wind auf, er wächst zum Sturm, zum Orkan und peitscht die Wellen, daß sie hoch aufspringen und der Schaum in weißen langen Flocken umherspritzt. Blitz um Blitz zischt in den schwarzen, tobenden Schlund, als wollten sie ihn voneinanderreißen, jede Welle brennt, und während Himmel und Wasser in einer Lohe aufschlagen, stürzt krachend der Donner die Wolkenberge hinunter, um nun in unaufhörlich wogendem, alles verschlingendem Groll über die zitternde Erde zu fahren. Und die Blitze versprühen, der Donner verhallt, und nun rauscht's unendlich ergossen. Eine einzige Wassersäule spinnt sich in Milliarden kristallener Fäden vom Himmel zur Erde und schüttet einen neuen See herab. Stunden vergehen. Endlich erschöpft sich die segnende Fülle, und der graue Schleier, der alles mit Nacht bedeckte, lichtet sich mehr und mehr. Klingend rieseln die letzten Tropfen herab, die Bäume ragen so ruhig und vollgesogen in die kühle, stille Luft, der See liegt wieder so klar, manchmal nur noch hin- und herschwankend, und doch arbeitet alles wieder der Abendröte entgegen. Welche unendliche Ruhe ringsum und dabei welche seelenzerschmelzende Sehnsucht! Die sinkende Sonne kleidet das Firmament in immer schönere Gewänder; zuletzt glüht der See wie eine himmlische Apotheose im herrlichsten Purpur, und darüberhin haucht violenduftig der Abend. Wo ist nun der eigentliche Himmel? Dort oben oder hier unten? Kähne gleiten über die Fläche, Reiher kommen langsam-stolzen Flügelschlags gezogen, aber hoch in den Wolken wirbelt noch eine Lerche, und hier vom Dorfturm und dort vom Kloster hallen die Abendglocken, und herüber und hinüber in langen, schwellenden Akkorden fluten die Klänge zusammen zu einem feiernden Chor. Da treten leise die Sterne aus dem Gedämmer; Mars der glühende kommt und Jupiter in herrlich ruhigem Strahl, bis endlich über den Föhren der Vollmond heraufsteigt und sein Licht über die geheimnisvolle Ebene ergießt. Tausend Funken webt er ins Spiel der Wellen, und über Wasser und Land hinaus bauet sich die goldene Säule, auf der er selbst wie eine Welt der Unsterblichen schwebt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Norddeutsche Landschaft