Siebente Fortsetzung

Dem Wunsche Wellingtons gemäß traf hier jetzt eine starke preußische Kolonne, der Heeresteil Zietens, der über Ohain marschiert war, zu seiner Unterstützung ein. Es war die Brigade Steinmetz mit ihren Bataillonen, Batterien und den kühnen Reiterschwadronen unseres Bildes in voriger Nummer. Allen voraus eilte der Oberstleutnant Ludwig von Reiche [1775-1854], Chef des Generalstabes bei Zieten. Ihm schien die Schlacht keineswegs ungünstig für Napoleon zu stehen. Bald hörte er auch, dass es der letzte Moment sei, tatkräftig mit einzugreifen, indem sich Wellington im andern Fall zum Rückzug genötigt sehen würde. Reiche suchte den Anmarsch möglichst zu beschleunigen. Gerade eben waren Papelotte und La-Haye vor diesem linken Flügel Wellingtons genommen; es handelte sich zunächst darum, die Franzosen wieder aus der wichtigen Position zu vertreiben. Da räumten, durch den Anmarsch der Preußen erschüttert, die Franzosen gegen sieben Uhr, ohne angegriffen zu sein, die erst vor kurzem besetzten beiden Pachthöfe, und nun konnten bald zwei preußische Batterien zur Unterstützung der Engländer ans eine Anhöhe bei Smouhen aufgefahren werden. Aber bei dem entsetzlichen Pulverdampf, bei dem Hin- und Herwogen der Massen, musste es zweifelhaft sein, ob die Geschütze Freund oder Feind treffen würden. Alle schwankten, was zu tun sei. Da sagte Reiche: „Ich übernehme alle Verantwortung", und richtete dann selbst die sechzehn Geschütze mitten auf den dicksten Haufen. Die Kugeln schlugen rechts ein in die von Ney geführten Angriffskolonnen, links in Lobaus Heerteil, der um Planchenois kämpfte. Gleichzeitig ließ Zieten eine Angriffskolonne unter dem Obersten von Hofmann gegen französische Schaaren, die soeben Nassauer geworfen hatten, stürmend vorrücken. Es entstand bei Smouhen ein kurzes, aber lebhaftes Treffen, in dem die Preußen Sieger blieben.

Das Gefecht kam jetzt auf der ganzen Linie der Franzosen eine kurze Weile zum Stehen. Aber der Eindruck, den Zietens Erscheinen, besonders sein kräftiges Eingreifen durch die beiden Batterien bei Smouhen machte, muss ein ungeheurer gewesen sein. Bald begannen die feindlichen Angriffskolonnen zu wanken. Nur die Garden suchten ihre Haltung noch zu bewahren. Frohlockend sahen die Verbündeten, wie sich die Reihen der Feinde auflösten, wie dann, es mochte acht Uhr Abends sein, eine allgemeine wilde Flucht ihren Anfang nahm. Napoleon selbst sagte: ,,C’cst fini."


Um diese Zeit kam zu den beiden von Reiche dirigierten Batterien ein Adjutant Wellingtons und forderte ihn auf, mit Schießen einzuhalten, weil der Herzog mit der ganzen Linie vorrücken wolle. Sofort schwiegen die Kanonen.

Wellington stieg dann mit seinen stark gelichteten Reihen die Anhöben hinab und fand dabei, nach eigenem Geständnis, keinen erheblichen Widerstand mehr. Als er aber am Fuße der Stellungen der Franzosen angekommen, formierte der Herzog schnell seine Truppen, denn oben hielten noch einige feindliche Bataillone. Zum Angriff kam es auch hier nicht. Als die Engländer vorgingen, wichen die Feinde. Das war — nur englischer Übermut kann es verhehlen — Zietens Werk. Oberst Hofmann hatte jetzt die Franzosen geworfen. Er drängte unaufhaltsam hinter ihnen her. Und gleichzeitig brach Zieten mit Reitern vor. Die Wellington entgegenstehenden Bataillone wurden dadurch vollends erschüttert; sie wichen, ehe der Herzog sie erreichte. Jetzt hatte sich auch der blutige Kampf um Planchenois entschieden. Vergeblich war Lobaus Heldenmut, vergeblich der tapfere Widerstand der Garden; sie wurden geworfen, wie auch alle Übrigen, und wurden mit fortgerissen in den wilden Haufen, den jetzt die beiden verbündeten Heere als den bejammernswerten Rest der Armee, die noch bis zur Ankunft der Preußen den Sieg zu erlangen schien, vor sich hertrieben. Die Schlacht war entschieden, einzig und allein entschieden durch die Preußen. Niemand wusste dies besser, als Wellington; es galt daher seine ganze Schlauheit, um sich allein den Ruhm des Tages zu vindizieren. Und dies ist seiner seinen Berechnung meisterhaft gelungen. Er befahl nämlich, dass die ganze Heereslinie unter seinem Kommando die steilen Abhänge hinab vorgehen und den allgemeinen Angriff eröffnen solle. „Mit seinem Kennerblicke übersah er", schreibt Karl von Müffling [1775-1851], der bekanntlich als preußischer Bevollmächtigter in Wellingtons Hauptquartier dem Feldzuge von 1815 beiwohnte, „dass die französische Armee nicht mehr gefährlich war; zwar wusste er ebensogut, dass er mit seiner zusammengeschmolzenen Infanterie nichts Bedeutendes mehr ausrichten konnte, aber wenn er stehen blieb und der preußischen Armee allein die Verfolgung überließ, ohne die Aufstellung zu verlassen, in der er die Angriffe der Gegner abgeschlagen hatte, so hätte die Schlacht vor ganz Europa das Ansehen gehabt, als ob die englische Armee sich zwar tapfer verteidigt, aber die preußische Armee die Schlacht allein entschieden und gewonnen hätte."

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nicht Waterloo, sondern Belle Alliance.