Sechste Fortsetzung

Bald nachdem La-Haye-Sainte verloren gegangen, brannte Schloss Houyomont nieder. Später büßte Wellington auch Papelotte und La-Haye ein. Und gleichzeitig wurden seine Reihen immer mehr erschüttert. Starke, zahlreiche Divisionen waren zu kleinen Haufen zusammengeschmolzen; die stolze, kriegerische Pracht vom Morgen war längst gebrochen. Die wiederholten, ungestümen Reiterstürme vernichteten in offen bemerkbarer Weise immer mehr und mehr die Schaaren der Verbündeten. Flüchtig verließen einzelne, sogar das ganze hannoversche Regiment Cumberland-Husaren, den furchtbaren Kampfplatz. „Um sieben Uhr Abends", berichtet ein Augenzeuge, „existierte die Armee Wellingtons nicht mehr; es war keine Armee mehr." In des Herzogs Umgebung tauchten selbst jetzt noch, wo die Preußen schon erschienen waren, Stimmen auf, die da meinten, der Rückzug müsse angetreten werden. Aber wie schon vorher in viel kritischeren Momenten, so blieb auch jetzt Wellington kalt und unerschütterlich. „Unser Plan", sagte er, „ist ganz einfach: Blücher oder die Nacht."

Schon hatten die Preußen tätig in den Kampf eingegriffen und jetzt bewirkten sie, dass den Franzosen ihre Erfolge über Wellington nicht zu statten kamen, dass diese vielmehr selbst völlig geschlagen wurden.


Der Marsch der preußischen Korps Bülow und Pirch, bei denen sich Blücher und Gneisenau befanden, wurde durch die grundlos schlechten Wege mehr gehindert, als vorauszusehen war. Oft hieß es: „Wir können nicht weiter." Dann rief jedoch der unverzagte Blücher: „Wir müssen, Kinder! Ich habe Wellington mein Wort gegeben, und Ihr werdet doch nicht wollen, dass ich wortbrüchig werde?" Die Artillerie blieb weit zurück. Es wurde erforderlich, auf sie im Angesicht der Schlacht zu warten. Als aber Blücher sah, wie Ney den zweiten großen Reiterangriff auf das verbündete Heer vorbereitete, befahl er, ungesäumt vorzugehen.

Um halb fünf Uhr sandten die Preußen ihre ersten Schüsse in die Schlacht, weniger um dem Feinde direkt dadurch zu schaden, als vielmehr seinen Mut zu mindern, den des befreundeten Gegners zu erhöhen. In diesem Augenblicke ertönte aber auch Kanonendonner im Rücken von Blücher. Bald traf von Thielmann die Nachricht ein, dass er bei Wawre von überlegenen Kräften angegriffen sei. Es war Grouchy, von dessen Irrfahrten die Verbündeten ebenso wenig erfahren, wie Napoleon von dem Ziele des Nachtmarsches der geschlagenen preußischen Armee. Ein etwaiger Rückzug konnte den Preußen abgeschnitten sein, während noch nicht entschieden war, wie der Kampf in der Front ausfallen würde. Es war ein Moment, der mehr als irgend einer zu halben Maßregeln verleiten konnte. Blücher und Gneisenau aber, großartig und kühn wie je, schwankten keinen Augenblick. Sie sendeten keine Verstärkungen rückwärts. „Er müsse sich", ließen sie Thielmann sagen, „verteidigen, so gut er könne." Sie selbst aber sammelten eifrig die Streitkräfte, um bald mit Macht in den Kampf einzugreifen.

Das Gefecht mit Lobaus Truppen, die Napoleon, wie bemerkt, den Preußen entgegen geworfen, hatte indessen begonnen. Bald konnte Bülow Übermacht entwickeln und damit gegen sechs Uhr Georges M. de Lobau [1770-1838] zurückdrängen. Die Preußen standen bereits im Rücken der Franzosen.

Aber Napoleon ließ nicht ab von der Bedrängung der Engländer, denen er gerade jetzt nickt unwesentliche Erfolge abrang. Gegen die Preußen sandte er frische Truppen, ein Drittel seiner letzten Reserve. Blücher musste sich, für die geringen Kräfte, die noch zur Verfügung standen, anfangs ziemlich weitläufig einwickeln. Er hatte Lobau zu bekämpfen und musste gleichzeitig suchen, mit seinem rechten Flügel Halt zu bekommen, um die Verbindung mit Wellington herzustellen. Dadurch wird es gekommen sein, dass er zuerst zurückgedrängt wurde. Es entspann sich ein lebhaftes und blutiges Gefecht um das Dorf Planchenois, das von Lobau, durch Garden ansehnlich verstärkt, heldenmütig verteidigt wurde. Die Preußen verloren dabei halb so viel Mannschaft, als Wellington am ganzen Tage. Hier lag von sechs bis acht Uhr das Schicksal der Schlacht. Napoleon ließ gleichzeitig von Neuem gegen die Briten anstürmen, sechs Bataillone der alten Garde wurden jetzt unter Ney gegen die Feinde geführt. Sie erstiegen die Anhöhen, brachten Tod und Verderben und wurden dann wieder geworfen, wie die früheren Kolonnen.

Während diese Tapferen im vergeblichen Kampfe auf dem rechten Flügel der Verbündeten rangen, wurde endlich auf dem linken die lange erwartete Entscheidung durch die Preußen herbeigeführt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nicht Waterloo, sondern Belle Alliance.