Achte Fortsetzung

Von allen Seiten drängten denn die Feldherren der Verbündeten an der Spitze ihrer siegreichen Scharen auf die frühere Mitte des feindlichen Heeres ein, wo jetzt ein wüster Knäuel sich zusammengeballt. Dort, bei dem Wirtshause La Belle Alliance, begegneten sich durch Zufall Blücher und Wellington. Blücher schlug vor, die Schlacht nach dem beziehungsvollen Namen dieses ergreifenden Wiedersehens zu nennen. Er tat das ohne sorgsame Überlegung, doch in dem guten Bewusstsein, dass das Ausharren der Engländer den Sieg ermöglicht und das rechtzeitige Erscheinen der Preußen ihn herbeigeführt. Aber er wusste noch nicht, dass Wellington die ganze Ehre des Sieges für sich allein in Anspruch nehmen und ihn deshalb nach seinem Hauptquartier Waterloo nennen wollte. Doch wurde jetzt die wundervolle Eintracht nicht gestört, und willig übernahmen die Preußen den zweiten Teil des blutigen Werkes, die energische Verfolgung des Feindes.

„Wie man siegt, haben wir jetzt gezeigt; nun wollen wir auch zeigen, wie man verfolgen kann!" rief Gneisenau noch auf dem Schlachtfelde aus. Wellington aber erklärte bei jener Zusammenkunft mit Blücher, seine Truppen seien zu erschöpft, um dem Feinde folgen zu können. Da versammelte der alte Feldmarschall schnell die anwesenden preußischen Offiziere und erklärte, dass sie den letzten Hauch an die Verfolgung der Feinde setzen müssten. Sofort brachen die Preußen auf. Unter lautem Hurrah führte Gneisenau persönlich ein noch geordnetes Füsilierbataillon vom fünfzehnten Regiment dem Feinde auf den Fersen nach und drängte unaufhaltsam immer weiter und weiter. Bis Genappe zog auch der alle Blücher, trotz der Überanstrengung und der Schmerzen seines Körpers, mit. Von da an leitete Gneisenau allein die wilde Jagd.


Die Franzosen aber hatten sich vollständig aufgelöst. Ihre wirren Haufen rissen Alles mit sich fort: den durch das Übermaß der Niederlage stumpfen Napoleon, die stolzen Generale und Marschälle, die kriegerischen Garden, den flüchtigen Train. Wo ein Versuch des Sammelns gemacht wurde, scheuchten preußische Trommeln und Hörner von Neuem auf. Napoleons Wagen, mit wichtigen Papieren und Kostbarkeiten aller Art, wurde erbeutet; er selbst musste in größter Eile ohne Hut flüchten. Gegen Morgen erreichte Gneisenau mit dem kleinen Häufchen, das ihm noch hatte folgen können, fünfzig Ulanen, das Städtchen Frasnes. Hier, etwa dritthalb Meilen vom Schlachtfeld?, hielt er an, um die ersten Strahlen der Sonne zu erwarten.

Der alte Blücher, auf das Schlachtfeld zurückgekehrt, schrieb aber um diese Zeit an Knesebeck:
„Mein Freund. Die Schönste Schlagt ist geschlagen. Der herligste Sieg ist erfochten. Das Detallie wird er folgen; ich denke, die Bonaparte'sche Geschichte ist nun wohl für lang zu ende. La Bellaliance den 19. früh. Ich kann nicht mehr schreiben, den ich zittere an alle glieder. Die Anstrengung wahr zu groß."

Und wahrlich, die herrlichste Schlacht war geschlagen! Hätte Grouchy nicht gleichzeitig den General Thielmann durch doppelte Überzahl bei Wawre zurückgedrängt und dann verdeckt die Grenzen seines Vaterlandes zu erreichen vermocht, so würde keine französische Armee den heimischen Boden wieder betreten haben. Fast ein Drittteil der Mannschaft Napoleons war getötet oder verwundet; 7.000 wurden gefangen genommen. Der Rest war völlig entmutigt. Die Armee Wellingtons erbeutete 122, die Preußen in Planchenois 60, später in Genappe noch 80 Kanonen; die reichen Vorräte ungerechnet. Aber der Sieg wurde auch teuer bezahlt. Wellington verlor an 13.000 Mann, worunter gegen 3.000 Deutsche. Der harte Entscheidungskampf der Preußen um Planchenois kostete über 6.000 Mann, während Zieten auch noch gegen 700 verlor.

Es waren aber die Opfer des Preises Wert. In unaufhaltsamem Marsch ging es jetzt nach Paris, das nach elf Tagen kapitulierte. Unser Vaterland war damit von der neuen Gefahr befreit, die sich so drohend erhob. Freilich sind dann auch bei dem zweiten Pariser Frieden die deutschen Angelegenheiten nicht im nationalen Sinne vertreten worden, und demnach ist auch der Erfolg des ruhmreichen Feldzuges für uns Deutsche nicht so groß gewesen, wie wir hätten erwarten können. Aber diese Ungunst der politischen Verhältnisse darf uns nicht hindern, stets und immerdar den Tag bei Belle Alliance, wie wir Deutschen nach dem Vorschlage unseres Marschall Vorwärts die Schlacht vom 18. Juni 1815 fortan nennen wollen, als einen der glänzendsten in der Reihe der deutschen Siegestage zu betrachten.

Durch deutsche Kraft und Unerschrockenheit wurde die Schlacht entschieden. Ohne sie wäre Wellington mit seinem tapferen Heere, das auch noch zum größten Teile aus Deutschen bestand, unrettbar vernichtet worden. Wenn sich trotz dem die Engländer in bekannter Selbstüberhebung die ganze Ehre des Tages oft und wiederholt angemaßt haben, so konnte das nur geschehen, weil sie wohl wussten, dass unsere Federn leider oft genug mehr der philosophischen Spekulation als der Verteidigung der wohlerworbenen Ehren unserer Nation gewidmet sind. Unserem Volke aber, dem dadurch eins seiner größten Güter geschmälert ist, gereicht das zur Schande. Denn die Ehren der Nation sind ihr Ruhm, und fest bewusst müssen wir für beide einstehen. — Die wahrscheinlichen Fanfaren der Engländer bei der demnächstigen Jubelfeier der Schlacht auf ihr richtiges Niveau herabzustimmen, — das war der Hauptzweck unsers Artikels.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nicht Waterloo, sondern Belle Alliance.