Die Zeitungen

Der eigentliche Amerikaner liest kaum etwas mehr, als seine in der Tat riesenhaften, im Ganzen äußerst schlecht redigierten Zeitungen, die denn freilich bei ihrem Umfange einen bedeutenden Teil seiner Zeit in Anspruch nehmen.

Die Zeitungen aber werden von allen fast ohne Ausnahme, vom Bankier der Weststreet wie vom Karrenführer und dem Waschweibe, schon des Nutzens wegen gelesen; denn ohne Nutzen tut hier keiner auch nur das geringste. Bei dem riesenhaften Umfang dieser Zeitungen könnte man doch erwarten, in den kolossalen Spalten hin und wieder irgend etwas den Gebildeten Interessierendes über Kunst und Wissenschaft zu finden. Aber nein, außer dürftigen, oft parteiischen Nachrichten über die hiesigen, höchst mittelmäßigen Bühnenleistungen oder hier gerade anwesende Zelebritäten findet man fast nichts der Art darin, wenn sich nicht dann und wann die Übersetzung eines europäischen Artikels dahin verirrt, wie in der letzten Zeit die Artikel über die große Industrieausstellung in London, die auch wohl nur deshalb so reichlich ausfielen, weil man sie nicht erst zu übersetzen, sondern nur aus den englischen Blättern nachzudrucken brauchte. Was die Anzeigen betrifft, so herrscht darin eine wahrhaft babylonische Verwirrung: alles steht durcheinander. Gewöhnlich fängt das Blatt mit Anzeigen aller Art an, dann folgen Nachrichten aus verschiedenen Ländern Amerikas; ihnen folgen Markt- und Handelsberichte, europäische Nachrichten, wieder Anzeigen, wieder Berichte aus verschiedenen Gegenden Amerikas; wieder Anzeigen, telegraphische Berichte; Anzeigen machen den Schluss; kurz, man weiß nie, wo man das, wofür man sich augenblicklich am meisten interessiert, zu suchen hat. Wenn hier ein großes Tageblatt auf Aktien begründet und nach dem Muster der besseren europäischen Blätter in englischer Sprache herausgegeben würde, dürfte man auf außerordentlichen Gewinn rechnen; der Unterschied würde schnell begriffen und der aus der Ordnung entspringende Vorteil vom höchst praktischen Amerikaner gehörig gewürdigt werden.


Eigentlich belletristische Zeitschriften sind mir noch gar nicht zu Gesicht gekommen, außer magern Sonntagsblättern, Anhängseln der Zeitungen; aber sie sind völlig ungenießbar und bringen nur Nachgedrucktes aus deutschen oder englischen Zeitungen. Die unter den hiesigen Deutschen gelesenste Zeitung ist die in deutscher Sprache redigierte „Staatszeitung“ die eine Auflage von 10.000 Exemplaren haben soll. Von den in englischer Sprache erscheinenden sind „Tribune,“ „Herald“ und „Sun“ die gelesensten. Die Preise dieser Riesenblätter sind im Verhältnis sehr mäßig; man bekommt sie für einen hiesigen Schilling, also Dollar, die Woche, im Jahre für 52 Schillinge oder 6 1/2 Dollar.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches New-York – Juni 1852