Die Kunst

Dass die Kunst in Amerika noch auf der niedrigsten Stufe steht, und dass darin von den Amerikanern bis jetzt so gut wie nichts geleistet worden, habe ich schon in meinen frühern Skizzen bemerkt. Dies kann aus verschiedenen Gründen nicht anders sein.

Einmal hatten die Bewohner der Vereinigten Staaten einen harten und hartnäckigen Kampf um ihre politische Existenz und Freiheit zu bestehen, und dann einen gleichen für ihren Handel und ihre Gewerbe. Im letzteren sind sie, so seltsam dies ihrem kolossalen Handel und ihrem außerordentlichen Reichtum gegenüber klingen mag, sogar jetzt noch begriffen, und zwar weil mit jeder Woche, ja mit jedem Tage Tausende von völlig Besitzlosen hierher strömen, die, bevor sie an etwas anderes denken können und denken dürfen, vor allen Dingen erst ihre Existenz sichern müssen, was sie nur durch den Handel, durch die Gewerbe und den Ackerbau können. Was hier von Künstlern anlangt, war in der Regel nicht im Stande sich im Vaterlande geltend zu machen, folglich kann von diesen für die Förderung der Kunst, wie für die Ausbildung des Geschmacks wenig oder nichts geschehen, im Gegenteil tragen sie nur dazu bei, letzteren zu verderben, indem sie, um bestehen zu können, dem amerikanischen Ungeschmack Vorschub leisten.


Man kennt also bis dahin noch keinen amerikanischen bildenden Künstler von hervorragendem Talent, keinen, der in Europa genannt zu werden verdiente. Dabei steht der Kunstgeschmack hier noch auf einer so niedrigen Stufe, dass die Anerkennung eines Künstlers allein von dem Rufe abhängt, den er sich in der alten Welt erworben, und nie dürfte irgend wer auf Erfolg rechnen, der solchen nicht schon im reichlichsten Maße in Europa errungen. So machten Jenny Lind und andere allein deshalb Furore, weil sie in Europa die Gefeierten waren, und die Amerikaner spendeten ihnen nicht ihres Talentes wegen, sondern nur deshalb unermesslichen Beifall, weil sie gefürchtet hätten, in der alten Welt für Barbaren ausgeschrien zu werden, wenn sie karg damit gewesen wären. Dass man die Plätze in den Konzerten solcher Berühmtheiten mit wirklich lächerlichen Preisen bezahlt, hat seinen Grund im amerikanischen Geldstolz, der kein Opfer scheut, wo es darauf ankommt, solcher Eitelkeit zu frönen.

[i9 „Wir können, ohne dass es uns stört, zwei bis dreihundert Dollars für einen Platz im Theater oder im Konzert bezahlen,“[/i]

sagt der Amerikaner mit höchster Selbstbefriedigung, und dies allein treibt ihn zu solchen künstlerischen Produktionen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches New-York – Juni 1852