Neujahrsfest der alten Deutschen

Aus: Hallisches patriotisches Wochenblatt auf das Jahr 1830. Zur Beförderung nützlicher Kenntnisse und wohltätiger Zwecke herausgegeben von H. B. Wagnitz und Fr. Hesekiel. 31. Jahrgang, Band 1.
Autor: Herausgeber: H. B. Wagnitz und Fr. Hesekiel, Erscheinungsjahr: 1830
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Neujahrsfest der Deutschen, Bräuche, Juelfest, Sonnenwende, Eichbaum, Mistel, Zeremonien, Heiligtum, Priester,
Das Neujahrsfest der Deutschen war eins der größten Feste, welches die Deutschen, besonders im nördlichen Deutschland, feierten. Man hieß es das Juelfest, von dem Umlaufe der Sonne, welche zu selbiger Zeit ihren sogenannten Stillstand hat und einen neuen Lauf beginnt; denn Juel, Jul, Juul, Huil ist in der keltischen Sprache ein Ding, das sich dreht, ein Rad, wodurch auch auf den Runenstäben in der Folge das, Juelfest angezeigt wurde. Der Anfang desselben war, wie gesagt, die Sonnenwende, der 22ste Dezember, oder eine Nacht später oder früher. Die längste Nacht war der Anfang der Juelfreude, und man nannte sie Modernat, das ist, Mutter- oder Habichtsnacht, weil sie entweder die andere verschlang, oder als eine Mutter das neue Jahr zeugt. Der erste Tag des Festes wurde in dem Kalender nordischer Völker später mit einem Horn, dem Zeichen der Freude, bezeichnet. Am 6ten Januar stand wieder ein Horn, und am 13sten war es umgekehrt, zum Zeichen, dass die Freude ein Ende habe. Man dankte an diesem Feste den Göttern für das vergangene Jahr, und bat um ein neues fruchtbares. Man spielte, tanzte, aß und zechte in allem möglichen Überfluss; denn man glaubte fest: so überflüssig und wohllebend Man das Juelfest halte, so großen Überfluss werde das neue Jahr bringend Man teilte Juelgaben oder Neujahrsgeschenke aus, weihte den Göttern einen Eber, den größten, den man finden konnte, doch ohne ihn zu opfern; und buk runde Küchen, die man sich ebenfalls einander zum Geschenke gab. Zum Andenken dieses Tages machte das Volk aus Teig einen Eber, den sie sorgfältig aufbewahrten und Julagalt nannten.

Am 6ten Tage des neuen Jahres wurde der Mistel feierlich abgeschnitten und ausgeteilt.

Der Eichbaum war den Deutschen heilig und verehrungswürdig. Priester bekränzten sich und die Altäre mit dessen Laub. Im Winter hatten sie dergleichen nicht; je schärfer und rauer aber das Wetter gegen und im Winter ist, desto grüner scheint der auf den Eichbäumen wachsende Mistel, und die Früchte oder kleine Beeren sind alsdann in ihrer Vollkommenheit.

*) Der Name einer Pflanze, die an und aus den Ästen der Bäume wächst.

Da der Baum, auf welchem der Mistel wuchs, um eben diese Zeit, wie andere Bäume, seine Blätter verloren hatte, so gab ihm der grünende Mistel bei diesem Volke einen besondern Vorzug, und die Unwissenheit in der Kenntnis der Natur, die von jeher den Aberglauben genährt hat, trug viel dazu bei, dergleichen Eichen in der Folge für heilig zu halten, den Mistel als ein mildes Geschenk des guttätigen Himmels anzusehen und ihm Wunderkräfte beizulegen.

Weil es mit der Zeit zu einer Gewohnheit, ja zu einem Gesetze wurde, dass kein Opfer von den Priestern geschehen durfte und konnte, ohne vorher sich und die Altare mit Eichenlaub bekränzt zu haben, so würde dieser notwendig gewordene Zierrat im Winter gefehlt haben, wenn ihnen nicht das grüne Laub des Eichenmistels eben diesen Putz auch zu einer Zeit verschafft hätte, wo alles andre Laub vertrocknet war. — Und dieser Umstand musste ihnen dieses Gewächs noch schätzbarer machen. Aus eben dieser Ursache geschahen erst die Opfer, wenn der Priester den Mistel geschnitten und herunter gebracht hatte. Damit aber nicht unnütze Hände ihn heimlich wegnehmen und sie dadurch ihres Putzes beraubt werden möchten, so gab ihnen solches Gelegenheit, Zeremonien zu erfinden, die diesem Gewächs eine Art von Heiligtum und da, durch Sicherheit verschafften.

Wenn die Priester den Mistel sammelten, so geschähe solches mit vielen Umständen. Am sechsten Tage nach dem angefangenen neuen Jahre wurde eine Versammlung des Volks angeordnet. Der sechste Tag wurde ohne Zweifel deswegen angesetzt, damit auch diejenigen, die weit entfernt waren, zur bestimmten Zeit sich einfinden konnten. Denn sobald die Zeit annahte, schickte der Oberpriester seine Befehle an die Vorsteher der Priester, und diese mussten die Provinzen durchlaufen und: Mistel zum neuen Jahre, schreien. Hatte sich nun der größte Teil der Nation eingefunden, so machte man zu den Eichen, worauf der Mistel war, und die gemeiniglich 30 Jahre alt sein mussten, einen feierlichen Umgang. Die Priester führten zwei weiße Stiere, deren Hörner noch niemals gebunden worden. Die Dichter sangen heilige Lieder zum Lobe der Gottheit; der Waffenherold, weiß angetan, bedeckt mit einem, mit zwei Adlerflügeln geziertem Hute, und in der Hand einen Zweig von Eisenkraut, der mit zwei Schlangen umwunden war, tragend, folgten denselben; nach diesen kamen drei der ältesten Priester, wovon der eine das Brot, das man opferte, der andere ein mit Wasser gefülltes Gefäß, und der dritte eine an einer Rute oben angeheftete Hand trug, welche die Gerechtigkeit vorstellte; diesen folgte der Oberpriester mit allem Gefolge der Priester und des Adels.

Waren diese an den bestimmten Eichen angelangt, worunter schon zuvor Altäre und Feuermahle errichtet waren, so sagte der oberste Priester einige Gebete her, verbrannte ein wenig Brot, goss auf den Altar einige Tropfen Wein, opferte alsdann das übrige Brot und Wein und teilte es den Anwesenden mit. Erst alsdann bestieg der Priester, mit einem weißen Kleide angezogen, den Baum und schnitt das Gewächs mit einer goldnen Sichel ab, weil er kein Eisen dazu nehmen durfte, indem das Eisen ihnen dazu nicht würdig genug schien. Man fasste unten die abgeschnittene Mistel in einem weißen Tuche auf. Der Priester stieg herab, opferte die Tiere und verrichtete ein Gebet, dass die Gottheit ihnen das Geschenk segnen, diesem heilige Kraft gegen alles Gift verleihen, und die der Nation nützlichen Wild- und Haustiere vermehren möchte. Nach geendigter Andacht schickten die Priester den Eichenmistel, der zu dieser Zeit geschnitten wurde, als Geschenke herum, um dadurch den Antritt des neuen Jahres zu verkündigen. —

Und dieser alte deutsche und gallische Gebrauch ist lange beibehalten worden. Nicht allein in Frankreich, besonders in Guienne, sammelten die jungen Leute am neuen Jahrstage den Mistel von den Eichbäumen und trugen ihn mit Gesang und Musik herum, sondern auch in Deutschland, besonders in Franken und Bayern, hat man noch lange Zeit diese Gewohnheit fortgesetzt.