Einführung


        Boris Grigorjew: Federzeichnung.

Der internationale Austausch der Kunstprodukte, die gegenseitige Kunstinformation, die unmittelbare Berührung des Künstlers mit Kunst und Künstlern anderer Länder, wie es besonders heute die fortschreitende Kultur und Technik ermöglichen, war immer ein bedeutender Faktor in der Entwicklung der Weltkunst.


Die Kriegsereignisse 1914/19 haben nun zur absoluten Stilllegung des internationalen geistigen Verkehrs und zur nationalen Isolierung der Kunst geführt. Gleichwohl gilt für jedes Land und jede Nation das gleiche kunsthistorische Moment: Die jähe Entwicklung junger, lebensfähiger Kunstrichtungen, die beschleunigte Entthronung der alten Kunst (der Gesellschaftsgeschmack gilt hier nicht als Kriterium), die dem hastenden Tempo unserer Zeit nicht gewachsen war, während die neue Kunst, aus den Elementen der Hast, der Zerstörung, der Maschine, der Stadt geboren, ihre beste Energie gerade aus diesem Tempo schöpft.

Jetzt, wo die erste Bresche in die chinesische Mauer der Isolierung geschlagen ist, die Mitteleuropa 5 Jahre umzirkt hat, zeigen sich, wenn auch noch unbestimmt, Konturen eines neuen internationalen Kunstlebens. Wir wenigstens wollen hoffen, dass die nächste Zeit im Zeichen einer Korrektion der alten Begriffe einen internationalen Austausch der kulturellen Beiträge bringen wird. Vielleicht beginnt dann eine neue Ära für die Kunst, eine Renaissance, die vor allem international sein wird. Die Entwicklung der modernen Kunst hat mit genügender Anschaulichkeit bewiesen, dass die staubigen Archive der nationalen Kulturen nicht in das Programm der neuen Kunst aufgenommen werden, — denn sowohl das nationale, wie das individuelle Moment werden auf dem Wege zur großen, allmenschlichen Kunst an Bedeutung verlieren. Freilich bildet jedes Land eine eigene Arena des Kampfes der Kunstgeschlechter mit mannigfaltigen Korrelationen der Kräfte, die aus den lokalen nationalpsychologischen und sozialen Bedingungen stammen, aber nur eine Beseitigung der nationalen Konklaven kann diese allmenschliche Kunst ermöglichen.

Noch immer ist Russland ein unfreiwilliges Tibet, aus dem nur verworrene Kunde dringt. Da mag denn als Ersatz für lebendige Beziehungen zwischen Deutschland und Russland ein authentischer Bericht über die jüngsten Zustände des russischen Kunstlebens nicht unwillkommen sein.

Das besondere Interesse der deutschen Öffentlichkeit für die russische Kunst und die in dem kommenden internationalen Kunstverkehr wichtigen kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland werden einen solchen Bericht rechtfertigen. Während die vom intensiven Kunstleben des Westens isolierten russischen Künstler auf die Gelegenheit einer näheren Verbindung warten, sieht auch die deutsche Kunstwelt voll Achtung auf die russische Kunst, deren junge Triebe schon vor dem Kriege ihre geistige Tiefe, ihre Lebensfähigkeit und den Wert ihrer positiven Errungenschaften bewiesen haben.

Wir werden uns von den Übertreibungen, zu denen der Westeuropäer in seinen Vorstellungen von russischer Kunst und Kultur so gerne neigt, freihalten und so objektiv wie möglich den deutschen Leser in die russische Kunstwelt einführen, zu der ihn vielleicht kürzere Wege führen als zum siegreichen Westen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Neue Kunst in Russland 1914-1919
003 Federzeichnung, Boris Grigorjew

003 Federzeichnung, Boris Grigorjew

015 Iwan der Grausame und sein Sohn, J. J. Rjepin

015 Iwan der Grausame und sein Sohn, J. J. Rjepin

016 Die Bojarin Morosowa, W. Ssurikow

016 Die Bojarin Morosowa, W. Ssurikow

017 Ewiger Friede, J. J. Levitan

017 Ewiger Friede, J. J. Levitan

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