Dritte Fortsetzung

Die Einzugsfeierlichkeiten und die zahllosen Aufmerksamkeiten, die Alexander II. den Ankömmlichkeiten zu Teil werden ließ, zu schildern, ist hier nicht der Ort — russische und deutsche Zeitungen haben sich darüber mit der nötigen Breite ausgelassen. Dem Kaiser war gegönnt, seine Absichten bis ins Einzelnste auszuführen, — für die nötige Gefügigkeit seiner Umgebung und des größeren Publikums hatten sein ausgesprochener Wille und die Liebenswürdigkeit der russischen Natur gesorgt, — die äußeren Bedingungen des Gelingens waren durch eine seltene Gunst der Witterung hergestellt worden. Was man im größeren Publikum nicht gewusst, was nach dem Vorstehenden aber als selbstverständlich bezeichnet werden kann, war, dass der Kaiser sich von der ersten bis zur letzten Stunde des Berliner Besuchs um Alles, was auf das Behagen seiner Gäste Bezug hatte, selbst kümmerte; dass er sich unaufhörlich darüber berichten ließ, ob die angeordneten Vorbereitungen pünktlich ausgeführt, die vorzuführenden Truppenabteilungen gehörig eingeschult und instruiert seien usw. . Nicht die Sucht, dem Sieger über Frankreich durch seine Armee zu imponieren, sondern die Absicht den militärischen Neigungen seines Oheims entgegenzukommen, diesem durch große und glänzende Schaustellungen eine Freude zu bereiten, veranlasste den kaiserlichen Wirt vor seinen Gästen auszubreiten, was irgend sehens- und beachtenswert war. — Von dem plötzlichen Tode des Hofrat Borck abgesehen, störte denn auch kein Misston die festlichen Tage, nirgend wagten sich anti-preußische Demonstrationen ans Licht, der Thronfolger wetteiferte mit seinem Vater in zuvorkommender Liebenswürdigkeit und guter Laune und selbst die widerhaarige Presse der beiden Hauptstädte betrug sich (den einzigen Russki Mir ausgenommen) unerwartet anständig und artig. Den Kaiser aufgeräumt und Tagelang in gehobener Stimmung zu sehen, war für den Hof ein zu seltener Anblick, als dass sich nicht Alles verbunden hätte, um den Allerhöchsten Intentionen zu Hilfe zu kommen und den Herrscher bei Laune zu erhalten. — Nächst dem Kaiser Wilhelm war natürlich Fürst Bismarck der Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit; den Fürsten hatte der Kaiser von jeher mit Liebenswürdigkeiten überhäuft, — sein besonderes Wohlwollen konnte er dieses Mal höchstens noch dadurch bezeugen, dass er auch den jungen Sohn desselben mit Auszeichnung behandelte. Berührt von dem ächten Wohlwollen, mit dem ihm begegnet wurde, entwickelte der deutsche Reichskanzler die volle Liebenswürdigkeit, die ihm zu Gebote stand, trat er allen Personen, die ihm in den Weg kamen, mit jener zutraulichen Herzlichkeit und humoristischen Offenheit gegenüber, die ihn bereits zwölf Jahre früher zum Liebling unserer Gesellschaft gemacht hatte. — Von Politik ist nach Allem, was verlautet, während der gesamten Dauer dieses Aufenthaltes nicht die Rede gewesen; auch im Verkehr mit Gortschakoff steckte Fürst Bismarck mehr den alten Bekannten und Habtlué der Petersburger Gesellschaft, den Mann, der sich stets der besonderen Gnade und Gunst des Zaren zu erfreuen gehabt hatte, als den fremden Minister heraus. Mit Hilfe eines Gedächtnisses, das alle Welt in Erstaunen setzte, knüpfte der ehemalige preußische Gesandte an tausend große und kleine Vorfälle der gemeinsam verlebten Jahre an; nicht nur das Personal der Gesandtschaft, all' die großen und kleinen Leute, mit denen er von 1859 bis 1862 in Verbindung gestanden, wurden von dem Manne, der inzwischen die Welt umgestaltet hatte, wiedererkannt, begrüßt und an alte Zeiten erinnert. Ein besonders dankbares Publikum hatte der deutsche Reichskanzler an der ihn umdrängenden Damenwelt, die unerschöpflich im Preise der Liebenswürdigkeit des Fürsten war, den man — wenn man von seinem ergrauten Haar und Bart und dem tiefgefurchten Antlitz absah — „gar nicht verändert“ und gerade so „harmlos und aufgeräumt“, wie vor zwölf Jahren fand. — Wo die hohe Gestalt im weißen Kürassierrock und blauen Bande sich zeigte, war sie freundlichen Empfangs sicher, — die glückliche Inkonsequenz der russischen Natur sorgte dafür, dass Niemand sich der Feindseligkeiten erinnerte, die ihn in den Tagen des Falls der belle France erfüllt hatte, dass Niemand für die Trostworte ein Gedächtnis hatte, die er dem General Leflô*) über Russlands unzerstörbare französische Gesinnung wenige Tage früher zugeflüstert.

*) Die Ernennung Leflô's zum Botschafter an unserem Hof ist durch den Umstand motiviert gewesen, dass dieser General im Jahr 1848 die schwierige Aufgabe, die französische Republik am Hofe des Kaisers Nikolaus zu repräsentieren , mit vielem Geschick gelöst hatte. So erbittert der Kaiser auch über die Revolution und deren Urheber war, so fand er doch an dem liebenswürdigen und dabei militärischen Wesen des Generals Gefallen, der zur allgemeinen Überraschung sehr häufig in die intimen Zirkel der kaiserlichen Familie gezogen wurde, und selbst die Damen derselben durch sein Talent für die Zeichnung militärischer Pläne, Befestigungen, Geschütze u. s. w. zu unterhalten und zu gewinnen wusste.


Der Allerhöchste Wille hatte die Tage des preußischen Besuchs zu einem Fest bestimmt; die Allerhöchste gute Laune über dieses Fest einen Sonnenglanz gebreitet; nach welchem man sich sonst so oft vergeblich gesehnt — es verstand sich von selbst, dass dieses Fest so harmlos und vergnügt, wie immer möglich gefeiert wurde. Politik zu treiben, wo Se. Majestät keine wollte, nationalen Hirngespinnsten nachzuhängen, wo es dem Genuss galt, wäre de maurais goût gewesen und diesen zu meiden, war und ist alle Zeit bei uns die oberste Regel gewesen. Außerdem hatte man ja noch den Trost zur Hand, dass der Russe immer und gegen Jedermann gastfrei sei „et que ça ne tirait pas à consequence“. Wo Alles ein freundliches Gesicht zeigte, war den Gästen die Rolle so leicht gemacht, dass die Tage vergingen, ohne dass auch nur ein Zwischenfall, ein Zusammenstoß gegensätzlicher Anschauungen und Tendenzen den allgemeinen Taumel gestört hätte. — Man hörte in jenen Tagen oft danach fragen, ob Fürst Bismarck nichts Besonderes gesagt, keine merkwürdigen und bedeutenden Aussprüche getan hätte: dass dazu alle Veranlassung fehlte, dass der berühmte Staatsmann nur als Hofmann und Gesellschafter auftrat und gerade so harmlos konversierte wie seine Umgebung, beweist am Besten, wie wohl er und wie wohl die gesamte Gesellschaft sich bei dem Ton befand, in welchen man ein Mal gekommen war. Der Ausspruch: „Ich würde mich für einen Verräter halten, wenn ich gegen Russland und seinen Kaiser jemals etwas Feindseliges unternehmen könnte“, ist das einzige geflügelte Wort gewesen; das Fürst Bismarck den Petersburger Chronisten hinterlassen hat.

Für die russisch-deutschen Wechselbeziehungen hat die Petersburger Reise keine andere, als eine, so zu sagen, symptomatische Bedeutung gehabt. Weil man — Dank der ausgesprochenen Verehrung Alexanders II. für seinen kaiserlichen Oheim und der Vorliebe, die der Monarch von jeher für das offene und energische Wesen des Herrn v. Bismarck gehabt — bereits vor dieser Reise auf dem denkbar besten Fuß gestanden, hat dieselbe die vorhandenen Bande gestärkt und befestigt — Neues geschaffen hat sie nicht. Dass für die Dauer der gegenwärtigen Regierung an einen Wechsel in der auswärtigen Politik Russlands nicht zu denken ist; dass der Kaiser Alexander dem Fürsten Gortschakoff keinen anderen, als einen Preußen geneigten Nachfolger geben wird, das war schon vor dem Frühjahr 1873 allen Eingeweihten bekannt und darum dachte Niemand an unbequeme und gefährliche Oppositionsversuche. — Die Freunde der preußischen Sache sind durch diesen Besuch in ihren guten Intensionen bestärkt worden, die große Zahl der Indifferenten hat an demselben Veranlassung genommen, eine freundliche Maske aufzustecken, — die Gegner schweigen. ? So lange Alexander II. lebt, kann es dem Fürsten Bismarck ziemlich gleichgültig sein, wie unsere Gesellschaft über ihn denkt, und er hat nicht nötig zum Zweck moralischer Eroberungen unter derselben besondere Anstrengungen zu machen. Bei der großen Rolle, welche die Alliance mit Russland in der Politik dieses Staatsmannes spielt, ist es für ihn und für seinen Staat ein großer Gewinn gewesen, dass er während seines mehrjährigen Aufenthalts in Petersburg Gelegenheit gehabt hat, den Kaiser zu gewinnen und durch seine persönlichen Eigenschaften in der Gesellschaft eine Propaganda zu machen, die ihm wiederholt von Nutzen, — wenn auch nicht von entscheidendem, — gewesen ist.