Vierte Fortsetzung
Nachdem Herr Tschikaloff und dessen Freunde ihre Rolle im Anitschkinpalais ausgespielt, dann der „nationale“ Maler Bogoljuboff eine Zeitlang für den besonderen Günstling des Großfürsten gegolten hatte, trat die Person des künftigen Zaren erst zur Zeit des deutsch-französischen Krieges wieder in den Vordergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit. Mit der gesamten russischen Jugend stand auch der Thronfolger auf Seiten der Franzosen — galt französische Gesinnung doch damals für das Schiboleth, an welchem die echt slawischen Naturen einander erkannten. Schon der Umstand, dass der große Hof dem Beispiel des Kaisers huldigte und die deutschen Siege ausschließlich aus dem Gesichtspunkt der alten preußisch russischen Waffenbrüderschaft von 1806 und 1813 beurteilte, legte es dem jungen Hofe nahe, für die Vertreter abweichender Anschauungen den Mittelpunkt abzugeben und sich dadurch der populären Sympathien zu versichern. Um mehr als im vertrauten Kreise ausgesprochene Wünsche und Seufzer pour cette chére France konnte es sich natürlich nicht handeln, da an öffentliche Äußerungen einer von der „Allerhöchsten“ Anschauung abweichenden Gesinnung ein für allemal nicht zu denken war und die entschiedene Parteinahme des Kaisers für den Sieger von Sedan etwaige Schwankungen der Gortschakoff'schen Politik völlig ausschloss. Schließlich aber wurde den großfürstlichen Neigungen für Frankreich und die Franzosen durch den Communeaufstand ein Stoß gegeben, dessen Wirkungen noch gegenwärtig nicht ganz verwunden sind. Mit dem Seufzer „C'est là, que mènent ces idées?“ soll der Thronfolger von seinen französischen Jugendidealen für längere Zeit schmerzlichen Abschied genommen haben. — Zu selbständigem Auftreten des jungen Herrn bot sich erst wieder Veranlassung y als nach der Kündigung des Pariser Vertrages die. Umgestaltung und Neubewaffnung der Armee aufs Tapet kamen und die höhere Gesellschaft in zwei feindliche Lager, die Freunde des Kriegsministers Miljutin und die Anhänger Barjätinskis und Fadejeffs schieden. Sei es, dass er wirklich antiministeriellen Anschauungen huldigte, sei es, dass er das Bedürfnis fühlte, die Unbezähmbarkeit seines Patriotismus und die Unabhängigkeit seiner Denkweise wieder einmal öffentlich zu dokumentieren — der Thronfolger schloss sich der Zahl derer an, denen die Miljutin'schen Vorschläge nicht genügten, und die sich namentlich mit dem Plan einer bloß schrittweisen Neubewaffnung der Armee nicht zufrieden geben wollten. Für Rechnung seiner eigenen Apanage ließ er einige tausend Flinten und eine Anzahl Geschütze anfertigen, um die Neubewaffnung rascher zu fördern. Dieser Schritt erregte um so größeres Aufsehen, als er zu einem kleinen Kriege zwischen den Lieferanten des Thronfolgers und denen des Kriegsministeriums führte; man suchte den offiziellen Fabriken die tüchtigsten Maschinisten und Werkführer abzujagen, einen für besonders fähig geltenden englischen Zivilingenieur durch das Versprechen höheren Gehalts für den Beauftragten des Thronfolgers zu gewinnen usw. — Der ganze Streit dauerte übrigens nur kurze Zeit, — nach einigen Monaten war das Feuer des großfürstlichen Eifers für das „große nationale Werk" natürlich wieder verraucht und gingen die Dinge den alten, gewohnten Gang.
Man würde auf völlig falscher Fährte sein, wenn man bei dem Großfürsten ein durchdachtes, zusammenhängendes System, eine bestimmte, auf prinzipiellen Voraussetzungen ruhende Politik argwöhnen und dem Wahn huldigen wollte, diese Politik sei so geartet, dass sie mit Bestimmtheit zu einer entschiedenen Parteinahme für Frankreich und zu einem Bruch mit dem Berliner Kabinett führen müsse. Von dem Allen ist nicht die Rede. Nicht die ausgesprochene Willensrichtung des Fanatikers, sondern die Bestimmbarkeit des jungen steuerlosen (in seinem Privatleben übrigens achtbaren) Mannes, der mit dem Strom der ihn umgebenden Einflüsse schwimmt, ist die Gefahr, deren Russland und Europa sich zu gewärtigen haben werden, wenn dereinst bei uns ein Thronwechsel eintritt. Weder durch künstlerische noch durch wissenschaftliche Neigungen vertieft, in dem Chaos der einander widerstreitenden Richtungen aufgewachsen, welche seit 1860 das russische Leben bewegen, gewohnt dem Genuas wie der Richtung des Tages zu huldigen, dabei derb und entschlossen, wird der künftige russische Herrscher (der schon gegenwärtig für den Gedanken eingenommen sein soll, die Verantwortlichkeit des Herrschers von einer Volksvertretung geteilt zu sehen) von seiner Umgebung stärker bestimmt werden, als irgend einer seiner Vorgänger. Nicht die eigene Initiative, sondern die Gewalt der herrschenden Richtungen wird (wenn nicht ein günstiges Geschick hemmend dazwischen tritt) den künftigen russischen Herrscher in die Wirbel jener nationalen Politik ziehen, von welcher die Nationalpartei eine Umgestaltung Russlands und Europas erwartet. Erst die Zukunft wird entscheiden, ob die Erwartung vollständiger Herrschaft der Nationalpartei über Alexander III. gegründet ist: in Russland noch unberechenbarer wie in der übrigen Welt wird sie der an den nächsten Thronwechsel geknüpften Prophezeihungen vielleicht spotten, vielleicht auch nicht. Wenigstens zum großen Teil wird das von der Spanne Zeit abhängen, welche dem gegenwärtigen Beherrscher Russlands noch gegönnt sein wird. Kommt der Enkel des Kaisers Nikolaus erst als gereifter Mann zur Regierung, so kann die durch die letzten Veränderungen erschütterte Tradition vielleicht wieder befestigt, — der Großfürst durch die Macht der Gewohnheit zu einem Autoritätsbewusstsein und zu einer Unabhängigkeit von seiner Umgebung gereift werden, die ihm jetzt notorisch fehlen. Freilich darf nicht außer Acht gesetzt werden, dass der bisherige Gang der russischen Entwicklung zu zahlreiche auflösende Elemente angehäuft und dann zu plötzlichem Stillstand gebracht hat, als dass auf ein allmähliches Ablaufen derselben gerechnet werden könnte. In der Schule seines Vaters aufgewachsen und durch die Leistungen seiner sieben ersten Regierungsjahre zu einer Popularität gediehen, wie sie vor ihm kaum ein Romanoff besessen, übt Kaiser Alexander II. eine Autorität, die hinreichend ist, um die heraufbeschworenen Geister im Gehorsam zu erhalten. Dass er diese Autorität seinem im Sturm und Drang der letzten Jahrzehnte hinaufgekommenen Sohne vererben und dazu gelangen werde, diesen zu einem auf sich selbst ruhenden Manne zu machen, wird auch von denen für zweifelhaft gehalten, die aus Erfahrung wissen, dass Beherrscher absolutistischer Staaten, von Thronfolgern derselben grundverschiedene, plötzlich gewandelte Menschen zu sein pflegen.
Man würde auf völlig falscher Fährte sein, wenn man bei dem Großfürsten ein durchdachtes, zusammenhängendes System, eine bestimmte, auf prinzipiellen Voraussetzungen ruhende Politik argwöhnen und dem Wahn huldigen wollte, diese Politik sei so geartet, dass sie mit Bestimmtheit zu einer entschiedenen Parteinahme für Frankreich und zu einem Bruch mit dem Berliner Kabinett führen müsse. Von dem Allen ist nicht die Rede. Nicht die ausgesprochene Willensrichtung des Fanatikers, sondern die Bestimmbarkeit des jungen steuerlosen (in seinem Privatleben übrigens achtbaren) Mannes, der mit dem Strom der ihn umgebenden Einflüsse schwimmt, ist die Gefahr, deren Russland und Europa sich zu gewärtigen haben werden, wenn dereinst bei uns ein Thronwechsel eintritt. Weder durch künstlerische noch durch wissenschaftliche Neigungen vertieft, in dem Chaos der einander widerstreitenden Richtungen aufgewachsen, welche seit 1860 das russische Leben bewegen, gewohnt dem Genuas wie der Richtung des Tages zu huldigen, dabei derb und entschlossen, wird der künftige russische Herrscher (der schon gegenwärtig für den Gedanken eingenommen sein soll, die Verantwortlichkeit des Herrschers von einer Volksvertretung geteilt zu sehen) von seiner Umgebung stärker bestimmt werden, als irgend einer seiner Vorgänger. Nicht die eigene Initiative, sondern die Gewalt der herrschenden Richtungen wird (wenn nicht ein günstiges Geschick hemmend dazwischen tritt) den künftigen russischen Herrscher in die Wirbel jener nationalen Politik ziehen, von welcher die Nationalpartei eine Umgestaltung Russlands und Europas erwartet. Erst die Zukunft wird entscheiden, ob die Erwartung vollständiger Herrschaft der Nationalpartei über Alexander III. gegründet ist: in Russland noch unberechenbarer wie in der übrigen Welt wird sie der an den nächsten Thronwechsel geknüpften Prophezeihungen vielleicht spotten, vielleicht auch nicht. Wenigstens zum großen Teil wird das von der Spanne Zeit abhängen, welche dem gegenwärtigen Beherrscher Russlands noch gegönnt sein wird. Kommt der Enkel des Kaisers Nikolaus erst als gereifter Mann zur Regierung, so kann die durch die letzten Veränderungen erschütterte Tradition vielleicht wieder befestigt, — der Großfürst durch die Macht der Gewohnheit zu einem Autoritätsbewusstsein und zu einer Unabhängigkeit von seiner Umgebung gereift werden, die ihm jetzt notorisch fehlen. Freilich darf nicht außer Acht gesetzt werden, dass der bisherige Gang der russischen Entwicklung zu zahlreiche auflösende Elemente angehäuft und dann zu plötzlichem Stillstand gebracht hat, als dass auf ein allmähliches Ablaufen derselben gerechnet werden könnte. In der Schule seines Vaters aufgewachsen und durch die Leistungen seiner sieben ersten Regierungsjahre zu einer Popularität gediehen, wie sie vor ihm kaum ein Romanoff besessen, übt Kaiser Alexander II. eine Autorität, die hinreichend ist, um die heraufbeschworenen Geister im Gehorsam zu erhalten. Dass er diese Autorität seinem im Sturm und Drang der letzten Jahrzehnte hinaufgekommenen Sohne vererben und dazu gelangen werde, diesen zu einem auf sich selbst ruhenden Manne zu machen, wird auch von denen für zweifelhaft gehalten, die aus Erfahrung wissen, dass Beherrscher absolutistischer Staaten, von Thronfolgern derselben grundverschiedene, plötzlich gewandelte Menschen zu sein pflegen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Neue Bilder aus der Petersburger Gesellschaft. II. Kaiserliche Brüder und Söhne.